Sonntag, 30. März 2008

Fohlengeflüster (21):
Geduldsspiel ins Glück

Ein Spiel dauert Gott sei Dank nicht immer neunzig Minuten, sondern meist einen Tick länger. Und so hat ein schwaches Spiel in letzter Sekunde die Gelegenheit, mit einer einzigen Aktion zum großen Fingerzeig in Richtung Bundesliga zu mutieren. Auch wenn man eigentlich sauer sein will, wird man am Ende vom Jubelsturm einfach umgeweht.

Als ich fünfzehn Minuten vor dem Ende mit auf die Hände gestütztem Kinn und resignierendem Blick das Geschehen auf dem Platz verfolge, droht der letzte Ferientag meiner Schullaufbahn zum enttäuschenden Sonntagsausflug zu werden. Das „Geschehen auf dem Platz“ hat seinen Namen bis zu diesem Zeitpunkt nämlich kaum verdient.

Gladbach bemüht sich redlich gegen elf Koblenzer, die mit dem einen Punkt allem Anschein nach – wie man so schön sagt – „ganz gut leben können“. Ihr einziger Stürmer Daham hat die Mittellinie seit Minuten so oft überquert wie ich den Ärmelkanal in einem Schlauchboot (es dürfte nicht vonnöten sein, hier die genaue Anzahl zu benennen). Nur leider entspricht das Ergebnis auf der Anzeigetafel ziemlich genau derselben Größenordnung – die Null schwingt sich auf zur Zahl des Tages im Borussia-Park.

Auf den anderen Plätzen geht es derweil etwas bunter zu. Paderborn schießt St. Pauli mit 4:1 nach Hause und der trotzige Satz „wär’n wir doch bloß nach Paderborn gefahren“ ist eigentlich schon fest als Überschrift für dieses Kapitel des Abenteuers Zweite Liga eingeplant.

Bereits in Hälfte eins hatten die Ereignisse auf dem Videoscreen für mehr Unterhaltung und Abwechslung gesorgt als das meist trübselige Schauspiel unten auf dem Feld. In der fünften Minute waren 38830 zahlende Zuschauer erstmals, und für lange Zeit letztmals, in Hochstimmung versetzt worden – Offenbach führte gegen Köln mit 1:0.

Zwei Weitschüsse und ein Heber von Rösler, die allesamt das Tor verfehlten, und ein sanfter Kopfball von Friend mitten in die Arme von Koblenz’ Keeper Eilhoff klingen zunächst vielleicht nach zufrieden stellender Quantität, was die Torchancen im ersten Durchgang angeht. Doch ich kann beruhigen – der Eindruck täuscht. Forkel ist dem ersten Tor noch vergleichsweise nah, als er durchaus aussichtsreich vor Heimeroth auftaucht. Sein Schuss mit dem schwachen Linken landet jedoch dankbar in dessen Armen.

Der Stadionsprecher nimmt’s in der Halbzeit mit Humor und gibt sich verwundert, als ihm über den Stecker im Ohr angekündigt wird, dass die Highlights nun der nächste Programmpunkt der Pausenberieselung seien. Sarkasmus, Klobesuche, Bratwurstexzesse – der Fan weiß sich Gott sei Dank aus der gähnenden Langeweile zu helfen. Die überflüssigen Pfiffe, mit dem das Publikum die Mannschaft in die Pause begleitet hatte, spiegeln das Niveau ganz gut wieder. Es gab einfach keins und wenn, dann wandelte es irgendwo zwischen „konnte nicht gegen wollte nicht“, Mauerversuchen und chronischer Ideenlosigkeit.

Die Berichterstattung über die zweite Halbzeit bei „Hattrick“ im DSF untermauert den Eindruck, dass Koblenz die südliche Spielhälfte im Borussia-Park nach der Pause nur selten bis gar nicht verlässt. Und so bietet sich einmal mehr die Gelegenheit, über den Sinn dieses Spiels zu philosophieren. Wer hat eigentlich den genialen Einfall gehabt, dass Fußballspiele torlos enden können?

Über die Existenz des Unentschiedens muss man sich ja gar nicht mehr beschweren. Unsere deutsche Nüchternheit und unser sozial geprägtes Denken haben sich längst damit abgefunden, befürworten es sogar. Warum sollten wir jedes Spiel im Elfmeterschießen entscheiden? Übung benötigen wir darin ohnehin nicht mehr.

Allein die Amerikaner werden von dieser Eigenheit des Fußballs bis heute davon abgehalten, diesem Sport ein größeres Maß an Sympathie entgegenzubringen und ihn aus dem Randsportartendasein zu befördern. Aber damit haben wir schließlich nichts am Hut. Es sei denn wir gucken Eishockey oder Basketball – seit jeher nordamerikanische Domänen. Denn dort sind Unentschieden so verpönt wie Rülpsen in der Kirche. Weshalb man die Spieler gerne auch 168 Minuten auf dem Feld bzw. Eis lässt, bis dann endlich eine Entscheidung gefallen und der Energieriegelhaushalt einer ganzen Großstadt geplündert worden ist.

Handballer dagegen kennen das Gefühl, nach dem Spiel weder als Sieger noch als Verlierer vom Platz zu gehen, ebenso wie Hockeyspieler. Doch im Prinzip geht es dabei nie gänzlich torlos zu. Unterm Strich ist Fußball also eine der wenigen Sportarten, die man neunzig Minuten verfolgen kann, ohne dabei seinen Standort (egal ob stehend oder sitzend) merklich zu verändern, weil praktisch nichts passiert.

Um der dritten Erscheinung dieses sportlichen Phänomens, dem 0:0, einen Riegel vorzuschieben, bringt Jos Luhukay nach einer knappen Stunde Jungspund Marko Marin in die Partie. Ndjeng muss weichen, was den gelangweilten Beobachter um einiges weniger überrascht als die Tatsache, dass er überhaupt von Beginn an auf dem Platz stand. Ich muss zugeben, dass es sich aus stilistischen Gründen ab und zu als nützlich erweist, ein paar Torchancen auszulassen, um dadurch auf ihre Seltenheit hinzuweisen. Doch das ist heute bis auf wenige Ausnahmen nicht einmal nötig.

Kurz bevor Marin eingewechselt wird, hat Neuville eine der besten Gladbacher Gelegenheiten bis zu diesem Zeitpunkt. Sein halb selbst abgegebener, halb abgefälschter Schuss streift Zentimeter am rechten Pfosten vorbei. Auch Touma nähert sich dem 1:0 erst aus der Distanz, dann mit dem Kopf. Marins Hereinnahme erweist sich als guter Schachzug, denn der quirlige Mittelfeldmann wirbelt die Koblenzer Abwehr mit seinen Dribblings wenigstens einige Male durcheinander.

Während in der Hinrunde scheinbar klare Siege, die durch blöde Gegentreffer doch noch knapp ausfielen, zu den Gladbacher Lieblingsszenarien zählten (es sei an Osnabrück, Aue, Augsburg oder Aachen erinnert), bietet sich inzwischen vermehrt ein anderes Bild, mit Vorliebe im eigenen Stadion. Zwar sind alle Gegner scheinbar heiß darauf, dem Favoriten ein Bein zu stellen. Nur bringen sie das selten zum Ausdruck, indem sie selbst ein Tor erzielen wollen, sondern rühren stattdessen kräftig Beton an. Und somit erinnert das Gladbacher Spiel ein wenig an Handball: Zehn Koblenzer umzingeln ihr Tor im Halbkreis und stemmen sich Angriff um Angriff tapfer entgegen. Meist schaffen nur lange Bälle und Flanken aus dem Halbfeld etwas Abhilfe.

Ständig schwankt die eigene Stimmung zwischen der Einsicht, dass es Leichteres gibt, als neunzig Minuten lang gegen eine Mauer anzulaufen, und den Zweifeln, ob der Tabellenführer der zweiten Liga nicht irgendwann irgendwie irgendein probates Mittel dagegen finden müsste. Meine Mutter beschwört neben mir „einen unberechtigten Elfmeter, meinetwegen auch ein Eigentor“ herbei. Ich selbst wünsche mir „nach langer Zeit mal wieder einen glücklichen Sieg in der Nachspielzeit“.

Nachdem die Borussia kurz vor Schluss selbst drei halbwegs hochkarätige Chancen nicht zum erlösenden 1:0 verwerten kann, verkommen unsere Prophezeiungen schon zu reinen Wunschgedanken und purer Illusion. Rösler setzt den Ball aus kurzer Distanz knapp über den Kasten. Ähnlich hält er es danach mit einem Kopfball nach einer Hereingabe von Marin. Und auch Roel Brouwers kann eine weitere Vorlage des agilen 19-jährigen nicht im Tor unterbringen. Richter klärt in letzter Sekunde vor dem einköpfbereiten Niederländer.

Das torlose Remis nimmt langsam schärfere Konturen an. Meine Mutter verfrachtet ihre Brille schon einmal resignierend im Rucksack, als wolle sie sofort aufbrechen. Die drei Männer vor uns setzen den Gedanken in die Tat um und verabschieden sich nach 89 Minuten und 17 Sekunden kopfschüttelnd aus dem Block, als hätte man sie heute mit der Aussicht auf ein aufregendes 5:3 ins Stadion gelockt und bitter enttäuscht. Im Nachhinein werden sie jedoch zu den wenigen Zuschauern gehören, die unglücklich nach Hause gefahren sind.

Der aufmerksame und konsequente Schiedsrichter Meyer benötigt fast seine ganze Hand, um die Nachspielzeit anzuzeigen – vier Minuten signalisiert er mit gestreckten Fingern den 38000, die weiterhin sehnsüchtig auf ein Tor warten. Koblenz würde sich im Falle eines Falles selbst bestrafen, denn allein ihr überflüssiges Zeitschinden und langwierige Simulationseinlagen können Herrn Meyer zu dieser großzügigen Entscheidung getrieben haben.

Voigt legt den Ball an der linken Seitenauslinie noch einmal zurück auf Marin, der Forkel aussteigen lässt und das Leder erneut lang und hoch in den Strafraum bringt. Es ist der geschätzte 87. Versuch dieser Art, ein Tor zu erzielen. Warum sollte es dann ausgerechnet in der zweiten Minuten der Nachspielzeit klappen?
Die Flanke senkt sich, ein Kopf ist dran, einen Wimpernschlag später sehe ich nur noch das Netz wackeln und höre einen tosenden Jubelsturm aufbranden. Die Elf auf dem Platz, der gesamte Kader, das ganze Team versammelt sich in einer Jubeltraube an der Ersatzbank. Jos Luhukay landet vor lauter Freude auf dem Hosenboden. Marko Marin muss seine achte Torvorlage der Saison beinahe mit dem Erstickungstod bezahlen.

Eigentlich verraten mir das im Nachhinein nur die Fernsehbilder. Ich selbst befinde mich zum selben Zeitpunkt in einem ähnlichen Pulk. Wie Tentakeln greifen aus allen Richtungen Arme nach mir. Meine eigenen tun dasselbe und vor lauter platztechnischer Unordnung landet mein Unterarm im Gesicht meiner Mutter, die nur knapp einem Nasenbeinbruch entgeht. Sie hätte nach eigenem Bekunden gut damit leben können.

Neunzig Minuten Ideenlosigkeit, Tristesse, Krampf und Kampf sind vergessen. Ein einziges Tor macht ein harmloses Spiel zum Heilsbringer einer ganzen Saison. Drei Punkten wird im Rausch des Augenblicks die Wichtigkeit eines ganzes Dutzends verliehen. Dabei gewinnt Gladbach am Ende, ohne selbst überhaupt ein Tor geschossen zu haben. Der Kopf, der den Ball ins Tor bugsierte, gehörte nämlich zum Koblenzer Bajic. Ausgerechnet Bajic – im Hinspiel hatte er mit seinem Platzverweis den Grundstein zum späteren Gladbach Kantersieg gelegt. Es gibt Spieler, die ziehen das Unglück irgendwie magisch an.

Unsere Wünsche, zunächst mit einem Unterton voller Hoffnungslosigkeit ausgesprochen, waren erfüllt worden. Ein Eigentor in der 92. Minute versetzt den Borussia-Park in letzter Sekunde in kollektiven Freudentaumel. Der Vorsprung auf Platz vier ist auf acht Punkte angewachsen. Es sind so viele wie seit dem 16. Spieltag nicht mehr.

Eine weitere Eigenheit des Fußballs ermöglicht nach einer schwierigen Partie ohne Ideen im Angriff und ohne Probleme in der Abwehr die optimistischsten Prophezeiungen: „Wer solche Spiele gewinnt, der steigt am Ende auf“. Denn nicht nur torlose Unentschieden findet man scheinbar ausschließlich beim Fußball, sondern auch etwas anderes, das diesem Sport einen Teil seiner einzigartigen Anziehungskraft verleiht: Die Nachspielzeit.

Willkommen im Klub (2/2)

Warum die TSG 1899 Hoffenheim auf dem besten Weg ist, zum neuen Hassobjekt des deutschen Fußballs aufzusteigen. Warum dabei keinerlei Neid im Spiel ist und ein Elch im Kraichgau als Sinnbild für einen Fußballverein herhalten muss, den keiner braucht. Teil 2

Dietmar Hopp spült nicht erst seit letztem Sommer gehörige Geldsummen in die Kassen des Vereins. Doch wer seinen Kopf einmal genauer in der Hoffenheimer Fluktuation der letzten Jahre vergräbt, dem wird auffallen, dass sich dort ein Wandel vollzogen hat. 2001 führte der Weg der TSG in die Regionalliga, die damals gerade erst ein Jahr bahnbrechender und unprovinzieller Zweigleisigkeit hinter sich gebracht hatte.

Zweieinhalb Jahre später schaffte man die Sensation im DFB-Pokal und zog durch einen 3:2-Sieg gegen Bayer Leverkusen ins Viertelfinale ein, wo gegen den VfB Lübeck erst einmal Endstation war. Stefan Sieger, Heiko Throm und Kai Herdling lauteten die illustren Namen der Torschützen an diesem Abend. Ein gewisser Christian Möckel, den es nach einer schweren Knieverletzung vom 1.FC Nürnberg in den Kraichgau verschlagen hatte, gehörte 2003 noch zu den arriviertesten Namen im Hopp’schen Imperium, das an diesen Tagen noch jede Menge provinziellen Charme versprühte. Von den jungen deutschen Talenten hat sich bis heute eigentlich nur Martin Lanig aus Fürth Lorbeeren im Profifußball verdient.

Die Spieler aus der Zeit, die scheinbar biblisch lang zurückliegt, taugten damals allenfalls zu regionalen Heroen. Ihr sportlicher Ursprung fand sich in Bammental, Zuzenhausen oder Kirchheim. Keine Spur von den klangvollen Namen gestandener Bundesligaprofis und Supertalenten aus Brasilien. Noch im Jahr 2005, ein Jahr vor Beginn der Ära Rangnick, zählte der Hoffenheimer Kader ganze drei Ausländer – den Türken Gülbas aus Pforzheim, den Serben Paljic mit fußballerischen Wurzeln in Laupheim und einen Schweizer namens Zukic. Heute trägt jeder Zweite dort einen ausländischen Pass mit sich. Bosnien, Nigeria, Ghana, Schweden oder Brasilien sind ihre Heimatländer. Ohnehin haben nur sieben der 28 Spieler im derzeitigen Kader die Zeit vor Ralf Rangnick im blau-weißen Trikot von 1899 erlebt. Und die liegt nicht einmal zwei Jahre zurück.


Die TSG Hoffenheim hat einen langen Weg zurückgelegt. Als die Mauer fiel, als BRD und DDR sich vereinten, da kickte der Provinzklub aus Nordwest-Baden-Württemberg noch in den Tiefen der Kreisliga. Nach dem Aufstieg in die siebthöchste Klasse, die Bezirksliga, war man anscheinend langsam auf den Geschmack gekommen. Es folgte der Durchmarsch in die Landesliga im Jahr 1992. Die nächsten acht Jahre bis zur Jahrtausendwende verliefen überraschend ereignis- und vor allen Dingen aufstiegslos. Je vier Saisons in der Landes- und der Verbandsliga, aber dann ging es wieder los. Als vier Regionalligen zu Beginn des dritten Jahrtausend zu zweien verschmolzen, gelang der TSG der Sprung in die Oberliga. Es folgte der zweite Doppelaufstieg nach 1992.

In Anbetracht der Tatsache, wie lange Hoffenheim sich schon einen Namen als dörflicher Mäzen-Klub macht, erscheinen sechs Spielzeiten am Rande des Vollprofitums in der Regionalliga in geradezu epischer Länge. Häufig war man nah dran. Meist dümpelte das Konstrukt aus einheimischen Nachwuchsspielern und namenslosen Regional-Kicker beachtlich zwischen Rang drei und sieben. Doch der Sprung ins Profibecken der zweiten Liga blieb aus.

Ende der Saison 2005/2006 hatte Dietmar Hopp scheinbar die Nase voll. Kurzerhand wurde der geschasste Schalke-Coach Rangnick verpflichtet – nicht nur als „Fußball-Professor“ bekannt, sondern auch als Diplom-Durchmarsch-Helfer (1999 führte er den SSV Ulm sensationell von Liga Drei in die Bundesliga). Mit ihm kamen Leute wie Denis Lapaczinski (früher eines der größten Talente des deutschen Fußballs), Zsolt Löw und Sejad Salihovic, die bereits über Bundesligaerfahrung verfügten. Im Laufe der Saison gesellte sich mit Francisco Copado ein ehemaliger Torschützenkönig aus Liga Zwei dazu.

Dass ein einst hoch gehandelter Mann wie Denis Lapaczinski derweil ein trauriges Dasein in der Oberliga-Truppe Hoffenheims fristet, zeugt davon, in welche Sphären sich die Transferpolitik und der Anspruch von Hopp, Rangnick und Co. innerhalb kurzer Zeit begeben haben. Die Summe von zwanzig Millionen Euro, die seit letztem Sommer für neue Spieler in die Welt gesetzt wurde, verursacht allerorten noch immer Augenreiben und Kopfschütteln zugleich. Dabei ist Dietmar Hopp wohl alles andere als ein Abramowitsch-Verschnitt, der hinter Panzerglas und mit Pelz tragenden russischen Topmodels in den Logen des FC Chelsea weilt.

Man sieht ihm seine Milliarden nicht an. Hopp spielt sich nicht noch mehr in den Mittelpunkt als es ohnehin schon der Fall ist. Man möchte ihn fast sympathisch finden, vielleicht tut man es sogar innerlich, aber dafür hat er sich einfach die falsche Nebenbeschäftigung ausgesucht. Dass Erfolg eine Ware ist, die für einen bestimmten Preis auch im Sport zugänglich wird, hat er mittlerweile bewiesen. Hoffenheim wird nächstes Jahr wohl Bundesliga spielen – gegen Bayer, Bremen und Schalke. Pfullendorf, Elversberg und Ingolstadt adé. Derzeit fallen keinerlei Gründe ins Auge, die hoffen lassen, dass Hoffenheims Weg (warum muss nur das Verb „hoffen“ in diesem Dorfnamen stecken?) bald zu Ende ist, dass sich der Verein irgendwo im Mittelfeld der Liga einpendeln und auf spartanische Bescheidenheit anstelle von gierigem Größenwahnsinn besinnen wird. Das ganze Unternehmen würde einfach keinen Sinn machen.

Hoffenheim wird in einigen Jahren alles haben, nur eines nicht: Tradition. Damit steigen sie zwangsläufig zum Magnetfeld des Unmutes auf. Denn selbst dem FC Bayern kann man vielleicht alle gutmenschlichen Eigenschaften absprechen, nur eben seine Tradition nicht. Somit erscheint Maskottchen „Hoffi“ geradezu als Sinnbild für das Scheitern, zu dem der Klub verdammt ist, obwohl ihm unter Umständen in der Zukunft der Makrokosmos „deutscher Fußball“ gehören könnte (was davon abhängt, wie weit Hopp zu gehen wagt).

Hoffi ist ein Elch. Aufgrund der begrenzten Verbreitung dieser Tierart in der Kraichgauer Fauna kann man das durchaus als lachhaft bezeichnen. Satiriker werden diese Wahl allein damit begründen, dass Hoffenheim so beliebt sein dürfte wie einst die Mercedes A-Klasse in ihren Anfängen, nachdem sie dem Elchtest in apokalyptischer Manier zum Opfer gefallen war.

Wir haben Fohlen, Dinos, Bergarbeiter, Wölfe, Bären - im Prinzip schon alles - in deutschen Stadien gesehen. Sie alle haben eines gemeinsam: Entweder haben sie ihr zuhause im Vereinswappen der jeweiligen Stadt, halten als Namensgeber für den Spitznamen des Vereins her oder stiften aus lokalen Gründen Identifikation. „Jünter“ ist nach Gladbachs Idol Günther Netzer benannt, „Hermann“ nach Hamburgs legendärem Masseur mit dem Nachnamen Rieger und Stuttgarts „Fritzle“ heißt so, weil sein Namensvetter Fritz Walter von 1987-1994 einhundert Treffer für den VfB erzielte. Hoffenheims Suche nach einem passenden Identifikationsobjekt in übergroßer Plüschtierform könnte man das Prädikat "gescheitert" verleihen.

In Hoffenheim selbst wird’s wahrscheinlich niemanden kümmern. Nicht einmal 6000 Seelen pilgern alle zwei Wochen ins Dietmar-Hopp-Stadion, das „Schmuckkästchen“ mit Sportplatzcharakter. Wobei „pilgern“ die Sache ohnehin suboptimal umschreibt. Darunter stelle ich mir mitunter etwas anderes vor. Demnach begrüßt man in Hoffenheim zu Heimspielen ein Viertel der Fanschar, die sich beim BVB traditionell auf der Südtribüne einfindet.
Das neue Stadion, das bis Anfang 2009 direkt an der A6 in Sinsheim fertig gestellt werden soll, verdient die Bezeichnung „Schmuckkästchen“ schon eher. Bleibt nur die Frage zu beantworten, wo Hoffenheim bis dahin 30000 Zuschauer auftreiben soll, die die Arena dann alle 14 Tage füllen werden.

Den Heidelbergern fehlt zwar ein großer Verein, an den sie ihr Fußballherz verschenkt haben. Mannheim ist fußballerisch mit der Talfahrt von Aushängeschild Waldhof zwar ziemlich geschädigt. Die eingefleischten Fans wird die TSG Hoffenheim jedoch kaum von dort weglotsen können. Restbaden gehört dem KSC, dahinter beginnt das Revier des VfB Stuttgart. Weiter im Süden hat der SC Freiburg seine regionale Anhängerschaft. Die Meisterfeier 2018 könnte demnach vor halbwegs leeren Rängen stattfinden.

11Freunde vertreibt seit geraumer Zeit die T-Shirt-Serie „Fab Four“, in der je vier Idole eines Vereins gemeinsam auf einem Dress gewürdigt werden, das in den Vereinsfarben gehalten ist. So ziemlich jeder Verein, der in Deutschland auf eine Fangemeinde zurückgreifen kann, die die des VfL Wolfsburg übertrifft, hat ein eigenes. Aus zunächst unerklärlichen Gründen sogar die TSG Hoffenheim. Mit einem gravierenden Unterschied: der Platz zwischen den Et-Zeichen (&) bleibt diesmal leer. Großartig!

Auch die Widerstandfähigkeit eines Sascha Rösler spendet Hoffnung. Kein Geld der Welt konnte ihn von Aachen nach Hoffenheim locken. Er ging nach Gladbach, zum fünfmaligen deutschen Meister, um dort bei einem ambitionierten Traditionsklub vor im Schnitt knapp 40000 Zuschauern zu spielen. Geld kann Gott sei Dank nicht alles erreichen. Sein Teamkollege Sedad Ibisevic bekam dagegen weiche Knie. Er stürmt nun für mehr Geld vor weniger Zuschauern mit weniger Zufriedenheit.

Geld schießt mitunter und entgegen aller Behauptungen zwar Tore, wie Hoffenheim selbst beweist, genauso wie Ribéry, Klose und Toni bei den Bayern es tun. Aber Geld wird nie Tradition, Herzblut und Leidenschaft, alles, was irgendwie mit steigendem Puls, Aufopferung und Treue zutun hat, dahin verfrachten können, wo auf Gras Kühe weiden und keine Fußballer grätschen. Sprich, Geld kann nicht alles kaufen.
Nur fast. Es könnte ein Trost sein.

Teil 1

Samstag, 29. März 2008

Willkommen im Klub (1/2)

Warum die TSG 1899 Hoffenheim auf dem besten Weg ist, zum neuen Hassobjekt des deutschen Fußballs aufzusteigen. Warum dabei keinerlei Neid im Spiel ist und ein Elch im Kraichgau als Sinnbild für einen Fußballverein herhalten muss, den keiner braucht. Teil 1

Der deutsche Fußball kennt eigentlich genügend Feindbilder. Wobei man es etwas exakter ausdrücken müsste: Die einzelnen Mitglieder des Makrokosmos „Deutscher Fußball“ - sprich Fans, Spieler, Trainer, Funktionäre, Journalisten - kennen genügend Feindbilder. Zwar sind sie sich dabei selten im Kollektiv einig. Doch sobald sich zumindest drei Sphären der Fußballwelt gemeinsam auf ein Objekt der Begierde eingeschossen haben, kann man getrost von einem Neuzugang im erlauchten Kreis der personae non gratae sprechen.

Häufig entlädt sich der Unmut auf die Nationalmannschaften Englands und Hollands, was jedoch eher hämischer Natur entstammt (ihre Stärke beim Elfmeterschießen und Sommerurlaube an allerlei Orten, nur nicht bei Welt- und Europameisterschaften, zeigen sich vermehrt verantwortlich dafür).

Dann polarisiert der FC Bayern als Rekordmeister nun einmal so sehr wie kein anderer Verein. Wenn Uli Hoeneß den Mund öffnet, knien sie seit der legendären Wutrede auf der letzten Jahreshauptversammlung nicht einmal mehr an der Säbener Straße nieder. Sobald der fränkische Wurstverkäufer wieder eine Verschwörung heraufbeschwört (worin sein Berliner Bruder sich ebenfalls sehr ansehnlich behauptet) oder im Gegensatz dazu persönlich eine Revolte anzetteln will, versetzt sein hochroter Kopf ganz Deutschland in Kopfschütteln, Fieberträume und Lachanfälle zugleich.

Fifa-Präsident Sepp Blatter erfreut sich ebenfalls stark eingeschränkter Beliebtheit. Goleo VI. ist in diesem erlauchten Kreis der angesagtesten Empfänger kollektiver Unbeliebtheit in deutschen Fußballlanden dagegen eher ein wehrloser Sandsack, der im Prinzip doch niemanden ernsthaft stört bzw. gestört hat. In ähnlichen Regionen hausieren das Golden Goal und sein silberner Kollege, an die allein eingestaubte Einträge in Geschichtsbüchern (und Oliver Bierhoff) lobend erinnern. Tofik Bachramows Namen kann kein Mensch buchstabieren. Trotzdem kennt ihn jeder als den Mann, der Fußballgeschichte schrieb, als er England zum bisher einzigen Titel verhalf, Deutschland einen weiteren verwährte und ein Tor nach dem Stadion benannte.

Zu guter letzt raufen sich Fans, Spieler, Trainer und Medienkollegen einhellig die Haare, wenn die BILD-Zeitung einmal mehr durch ihre reflektierte Berichterstattung besticht, die vor allen Dingen der Spielerfraktion Sonntag für Sonntag den Angstschweiß in die Stirn treibt, wenn nach einem Grottenkick einmal mehr durch die Bank die Note 6 vergeben wird.

Holland, England, Bayern, Hoeneß, Blatter, Golden Goal, Bachramow, Goleo, Bild – genau wie der Nordpol einen Südpol braucht, benötigt die Welt der Fußballliebhaber Raum für Unmutsbekunden, Spott und Rivalität. Menschen, Länder, Vereine und Dinge, die mit den Buchstaben B, H oder G beginnen, spielen sich dabei anscheinend vermehrt ins Rampenlicht.
Irgendwo zwischen diesen teils mehr, teils weniger geschichtsträchtigen Feindbildern, die ironischerweise die „Liebe zum Spiel“ in Form ihres Gegenteils metaphorisieren, postiert sich seit geraumer Zeit ein aussichtsreicher Neuling. Dem Alphabet nach wäre er zwischen Hoeneß und Holland anzusiedeln. Einmal mehr also das verflixte H.

Dabei könnte Hoffenheim auch Sauensiek oder Lüttelbracht heißen. Und vielleicht würde es das auch, wenn sich Dietmar Hopps Mutter auf einer Pfadfinderreise in den Landkreis Stade oder an den Niederrhein unsterblich in einen Dorfjungen aus einer fremden Region verliebt hätte. Dann wäre in einem dieser winzigen Dörfer ein zukünftiger Milliardär aufgewachsen und nicht in eben jenem Hoffenheim im Rhein-Neckar-Kreis, einem 3272 Einwohner zählenden Stadtteil von Sinsheim bei Heidelberg.

Der Aufstieg der TSG 1899 Hoffenheim erscheint so ziemlich im Licht des Zufalls (nie umschrieb das Wort „Aufstieg“ passender eine rasante Reise von 0 auf 98, von der Kreisliga A in die Zweite Bundesliga). Hoffenheim ist im Vergleich zu Uli Hoeneß und zum holländischen Fußball im wahrsten Sinne ein (dem Fußballfan sehr böhmisch wirkendes) Dorf. Dennoch ist der ortsansässige Fußballklub samt SAP-Gründer Dietmar Hopp auf bestem Wege, sich zum Vizemeister in der „Liga der Vereine, die man eigentlich nur hassen kann“ aufzuschwingen. Vorerst.

In meiner persönlichen Rangliste rangieren sie zwar noch auf Platz drei, aber der 1.FC Köln wird sich bald warm anziehen müssen. Vor allen Dingen, wenn Hoffenheims Coach Ralf Rangnick seine Diplomarbeit mit dem Titel „Von drei nach eins“ fertig stellt und mit der TSG den zweiten Verein nach dem SSV Ulm schnurstracks von der Regional- in die Bundesliga führt, während die Geißböcke unter Umständen ein weiteres Jahr im ungeliebten Unterhaus versauern (müssen/sollen/dürfen).

Doch warum zieht ein Dorfklub, der keine Fans, kein richtiges Stadion, keine Tradition, keinen Wert, sondern einzig und allein Geld hat, derart die Verwünschungen einer ganzen Fußballnation auf sich? „Neid“, würde ein Bayern-Fan wie aus der Pistole geschossen antworten. „Purer Neid, genauso wie sie auch uns alle beneiden.“
Dabei verfehlt das Verhältnis eines x-beliebigen Fußballfans (jedoch vorzugsweise Anhänger eines Traditionsklubs im bezahlten Fußball) zur TSG Hoffenheim all das, was auch nur annähernd auf ein gehöriges Maß an Neid schließen lässt. Diese Debatten habe ich schon zigmal aufs Verderben geführt. Jedoch noch einmal: Neid impliziert für mich, dass ich dem Beneideten seinen Status nicht nur nicht gönne, sondern auch danach strebe, denselbigen zu erreichen.

Wollte ich, dass mein Verein zum Abbild des FC Bayern mutiert, dann hätte ich mein Zimmer längst rot streichen, mir ein Toni-Trikot besorgen und eine Bayern-Fahne im Garten hissen können. Sprich, ich hätte 13 Jahre Borussia hinter mir lassen können und wäre der Einfachheit halber übergelaufen zum früheren Feind. Ich verachte den FC Bayern (wie ich ihn seit 13 Jahren kenne) nicht wegen seines beachtlichen Festgeldkontos, sondern vielmehr aufgrund der Art und Weise, wie er damit umgeht. Wie er seinen unangefochtenen Status als Branchenführer erreicht hat, das ist mir mittlerweile schnuppe. Die Geschichte von der geschenkten Goldmine Olympiastadion, während die Borussia samt veraltetem Bökelberg nach den glorreichen 70ern langsam aber sicher dem Abgrund entgegenschlitterte, ist doch längst alter Tobak.

Vielleicht ertönt Gleiches auch in zwanzig Jahren aus meinem Mund, wenn ich mich über den sechsmaligen deutschen Meister und aktuellen Champions-League-Sieger Hoffenheim auslasse. Vielleicht werde ich trotzig und salopp sagen, Dietmar Hopp und seine Milliarden seien mir im Prinzip egal, Hoffenheim gehöre einfach grundlegend zu den „Scheißvereinen“. Vielleicht werde ich eine Hand voll deutscher Nationalspieler dann ebenfalls an 351 Tagen im Jahr nicht ausstehen können, weil sie berufsbedingt ein blaues Trikot mit dem SAP-Schriftzug tragen und sie nur vergöttern, wenn die Nationalmannschaft eines ihrer jährlich circa vierzehn Länderspiele bestreitet. (Wobei ich Lahm, Podolski, Klose, Schweinsteiger und Jansen eigentlich ganz gut leiden kann, sie teilweise sogar ausgesprochen mag. Früher mit Tarnat, Nerlinger, Kahn, Effenberg und Strunz verhielt sich das ganz anders.)

Doch anders als heutzutage beim FC Bayern werde ich dann den Anfang des Weges kennen, der einen Klub zum Minuspol der einen Hemisphäre einer Fußballnation und zum Pluspol der anderen mutieren lässt. Viele Dinge im Leben erscheinen erst aus der Nähe in einem schlechten Licht. Immer wieder muss man das bei Menschen erkennen, für die man aus der Ferne noch Sympathien empfunden hatte. Bei genauerem Hinsehen verlieren sie ihre Anziehungskraft jedoch vollständig. Im übertragenen Sinne ist die TSG 1899 Hoffenheim eine jener Personen.

Teil 2

Auf gut Deutsch (2)

Rubén de la Red: spanisch; auf dt. Rubén aus dem Internet

Ähnliche Einträge:
- los Niños de Bullerbü, auf dt. die Kinder von Bullerbü
- Oscar de la Basura , auf dt. Oskar aus der Mülltonne
- Iván de la Peña, auf dt. Ivan aus dem Fels

Freitag, 28. März 2008

E(c)kball mit Folgen

Gehen wir mal davon aus, dass Marc Hindelang kein Märchenerzähler ist. Selbst wenn, dann ist folgende Geschichte, die er heute beim Spiel Freiburg gegen Aachen zum Besten gegeben hat, auch so nicht von schlechten Eltern:

Freiburg hat einen Co-Trainer – Damir Buric (hat mal bei Gladbach gespielt, tut aber nichts zur Sache). Freiburg hat auch einen 18-jährigen Jungspund aus Nigeria namens Eke Uzoma in seinen Reihen. Bekanntlich spielen E(c)ken beim Fußball von Zeit zu Zeit eine tragende Rolle. Sie werden gegeben oder verwährt. Der Torwart greift daneben. An besonderen Tagen findet ein Exemplar gar den direkten Weg ins Tor.

So begab es sich also, dass Co-Trainer Buric seinem Schützling Eke pausenlos Anweisungen mit auf den Weg gab (verständlich, der Junge ist achtzehn), die sich - in Lautschrift - ungefähr wie folgt angehört haben müssen: „Ecke!!! Ecke!!!“

Dies missfiel dem Schiedsrichter samt Assistenten gehörig. Denn der arme Mann mit der Pfeife ging permanent davon aus, dass Buric lautstark einen Eckball fordere und somit stets etwas an seiner Leistung auszusetzen habe. Also ließ er sich die Meckerei nicht lange gefallen und wies Buric freundlicherweise einen Platz auf der Tribüne zu (irgendwie verständlich, wenn jemand sogar einen Eckball fordert, obwohl sich der Ball gerade im Mittelkreis befindet). Der Co-Trainer verstand wiederum die Welt nicht mehr.

Klar, so was hätte es früher nicht gegeben. Da hießen die Jungs noch Jupp, Herbert, Sepp und wurden nicht nach Fußballbegriffen benannt. „Selbst Schuld“, Herr und Frau Uzoma, möchte man da sagen. Dabei zählt Eke in Nigeria doch möglicherweise zu den schönsten Namen des Landes und heißt soviel wie „gesegneter Junge, von Gott geschickt, der Frieden in die Welt bringen und den SC Freiburg zum Champions-League-Sieger machen wird“. Wer weiß.

Die kuriose Geschichte hätte für Damir Buric jedoch auch schlimmer enden können. Nicht auszumalen, die Breisgauer hätten im Winter einen Georgier mit dem scheinbar harmlosen Namen Aschloch Erschiesdenvili verpflichtet. Oder einen gewissen Eyduh Pfeiffe aus Somalia. Er hätte nicht drüber lachen können und vermutlich den Rest der Saison auf der Tribüne verbracht. Wir hätten uns dennoch amüsiert.

Korpulente Macht

Viel sagen, wenig zu sagen haben, viel zerstören, wenig machen– scheinbar das Credo einiger Vereinspräsidenten.

Sie befinden sich in ihren 60ern, sind kurz vor dem Krieg, mittendrin oder unmittelbar danach geboren. Sie brauchen eigentlich ein Handy mit übergroßen Tasten - Anwälte, Steuerberater, Unternehmensmanager kurz vor oder bereits nach der Pensionierung. Sie lieben die Macht, klopfen sich gerne selbst auf die Schulter und stehen einem Bundesliga-Klub vor. Sie alle, sofern die vorher genannten Voraussetzungen erfüllt sind, scheint eines zu vereinen: Sie haben alles, nur keine Ahnung.

Schalkes Präsident Josef Schnusenberg bringt sich kurzerhand ins Gespräch, indem er seinem Trainer verbal und virtuell die Entlassungspapiere ausstellt. Als es dann tatsächlich um Slomkas Job geht, beim Achtelfinal-Rückspiel in Porto, verschwindet Schnusenberg Mitte der zweiten Hälfte in den Katakomben, weil er die Spannung angeblich nicht mehr ertragen könne. Rückgrat und vor allen Dingen Rückendeckung sehen anders aus.

Karl-Heinz Wildmoser, Ex-Präsident der Münchner Löwen, sitzt selbst nicht im Knast. Das Schicksal seines Juniors muss er nicht teilen. Dessen entlastende Aussagen und eine Kaution in sechsstelliger Höhe schufen den Vorwurf der Untreue und Bestechung bei der Auftragsvergabe zum Bau der neuen Allianz-Arena kurzerhand aus der Welt. Schon 2003 war Wildmoser wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Sein Nachfolger Auer und Vize Zehetmair machten es danach nicht viel besser, stellten sich höchstens noch blöder an. Auer glitt im Frühjahr 2004 langsam aber sicher das Ruder des sinkenden Schiffes aus der Hand. Die Sechz’ger stürmten dem Abstieg entgegen. Der ehemalige Landesminister Zehetmair, mit ausgeprägtem Hang zur Profilneurose ausgestattet, verkündete kurz nach der Partie gegen den HSV vor laufenden Kameras, vor aller Welt, nur nicht vorm Coach selbst, dass Falko Götz seines Amtes als Löwen-Trainer enthoben worden sein. Nur hatte der selbst noch keinen blassen Schimmer von seiner bereits vollzogenen Entlassung und sah auf der Pressekonferenz ziemlich alt aus – mindestens so alt wie Auer und Zehetmair zusammen. Die nächsten, die ihren Hut nehmen mussten, waren die bayerischen Stan Laurel und Oliver Hardy selbst. Politik und Fußball – das hat noch nie geklappt.

Michael A. Roths Trainerverschleiß erreicht das Niveau der Reifenverschwendung an einem Formel-Eins Wochenende. Das ist nicht neu. Ein gemachter (Teppich-)Mann wird Vorsitzender eines Fußball-Klub: Das ist ebenso wenig neu. Noch im Mai 2007 hätte er sich bei der Siegerehrung nach dem Nürnberger Pokalsieg wohl am liebsten ganz nach vorne gedrängelt, sich alle Medaillen um den Hals gehängt und den Pokal persönlich als Erster in die Höhe gereckt. Gut, dass er sich allein auf die Schulter geklopft hat. Nachher wäre Icke Häßler am Ende noch einen ganzen Kopf größer gewesen. Heute, kein Jahr später, eilt der „Club“ übrigens dem Abstieg entgegen.

Der VfL Bochum ist seit jeher eine graue Maus, die sich in den letzten beiden Jahren jedoch mit einer herausragenden Transferpolitik und erfrischendem Fußball ohne großes Budget ein edles Fell verdient hat (man ist fast geneigt, den VfL in das „graue Hermelin“ der Bundesliga umzutaufen). Jetzt hat die graue Maus ihren frisch verdienten Pelz jedoch leichtfertig in den Dreck geworfen, als laste der gute Ruf zu sehr auf den schmächtigen, grauen Schultern. Manager Stefan Kuntz geht mit großer Wahrscheinlichkeit zum 1.FC Kaiserslautern (d.h.: unter Umständen in die Regionalliga). Man unkt, er gehe nicht selbst, sondern werde gegangen. Denn Kuntz und Präsident Altegoer sind zwei Männer im Graue-Maus-Verein, mit denen gemeinsam zuletzt anscheinend nicht gut Käse essen war.

Alt, manchmal korrupt, häufiger korpulent, eigentlich immer an Profilneurose leidend und von Beruf [setze gut bezahlten Job ein, der mit Fußball soviel zu tun hat wie England mit der Euro 2008]: Wer weiß, was diese Männer in den Profifußball führt. Es kann nichts Gutes sein.

Donnerstag, 27. März 2008

Hut ab, Herr Gomez

Eiskalt vor dem Tor, auch als Vorbereiter glänzend - derzeit gibt es wenig auszusetzen an Mario Gomez, wie seine Ausbeute nach der Winterpause eindrucksvoll untermauert.

Horst Heldt ist Realist und weiß, dass Gomez kaum bis 2012 (er wäre dann fast 27) beim VfB bleiben wird (wenn er sich normal weiterentwickelt und von Verletzungen verschont bleibt). Wenn er die Torquote bis zum Saisonende auf ähnlichem Niveau halten kann und auch bei der EURO zu überzeugen weiß, könnten Heldt schon im Sommer die Argument ausgehen. (An einem vorzeitigen Wechsel dürfte bei entsprechender Entlohnung des VfB nichts Verwerfliches dran sein. Wenn ein Fernando Torres sich in Liverpool - mit bahnbrechendem Erfolg - versucht, dann darf ein Mario Gomez sein Glück durchaus in [...] suchen. Und abwerben können ihn die Spanier aus der Nationalelf sowieso nicht mehr, weshalb wir uns diese Ängste sparen können.)
Aber bis dahin wächst das Gras noch ein ganzes Stück. Die schöne Momentaufnahme wollen wir dem Jungen dennoch gönnen.


M(etzelder)+M(ertesacker) in der Innenverteidigung,
M(iroslav)+M(ario) im Sturm, M(ercedes) als Sponsor - hoffen wir, das Jogi Löw noch mindestens acht Jahre Bundestrainer bleibt. Sonst sagt sich nachher noch jemand anders mit M an.

Wortspielzirkus "Kommentatori" (2)

"Frei kommt frei zum Kopfball."

- Jürgen Klopp konnte es sich wohl nicht verkneifen, nachdem Bela Réthy noch elegant ausgewichen war: "Frei steht ganz allein."

Mittwoch, 26. März 2008

Sandkastenmentalität, schwingende Oberweite und schwerwiegende Opfergaben

Die Ultras Mönchengladbach gibt es nicht mehr. Neben eineinhalb lachenden Augen weint zumindest ein halbes, das dürfte in Ordnung gehen. Warum der Diebstahl einer Zaunfahne Hoffnung auf bessere Zeiten weckt und eine pumpende Frau mein fußballerisches Weltbild geprägt hat.

Seitdem ich die Ultras eines französischen Basketball-Zweitligisten im beschaulichen Saint-Quentin bewundern durfte, haben sich mein Respekt und mein Verständnis für Gruppierungen dieser Art sowieso bis ans Ende der Welt in Luft aufgelöst. Auf ewig werden mir ein vierjähriger Junge und seine Mutter in Erinnerung bleiben, die sich unter dem Banner ihrer jubelnden und keifenden Mitstreiter in der „Gästekurve“ der Turnhalle postiert hatten (nun ja, mehr war es nicht, eine Turnhalle eben).

Der Junior sprang während der gesamten Spielzeit auf und ab wie ein ungeduldiges Kleinkind in froher Erwartung süßen Kamelleregens am Wegesrand eines Karnevalszuges, und beschimpfte dabei die gegnerische Mannschaft mit dem Wortschatz eines 47-jährigen Trinkhallenbesitzers aus Wanne-Eickel (soweit mein Französisch zu diesem Zeitpunkt irgendwelche Schlüsse dieser Art zuließ). Seine Mutter pumpte sich zwei Stunden lang einen wahren Wolf, um eine dieser verdammten, Gas betriebenen Tröten in Gang zu bringen, die bei Länderspielen in Albanien stets Hochkonjunktur haben.

Ihre im Takt der Bewegungen schwingende Oberweite veranlasste meine Mitschüler und mich – wir befanden uns auf Frankreichaustausch – zu den bekannten pubertären Lachanfällen, die so ununterbrochen durch die Halle schallten wie sie selbst unermüdlich pumpte. Ein unvergessliches, banales Erlebnis, das bis heute meine Beziehung zum Thema Ultra-Gruppierungen maßgeblich geprägt hat.

So konnte ich mir das Lächeln kaum verkneifen, als ich Anfang der Woche von der Auflösung der UMG, der Ultras Mönchengladbach, Wind bekam. Fassen wir mal zusammen: Fahne geklaut von kleinen Jungs, keinen Bock mehr, Frust, alles hingeschmissen aufgrund eines Kodex, den anscheinend noch nie jemand so richtig zu Gesicht bekommen hat – hat was von frühkindlichem Sandkastenverhalten.

„Aber Mama, der hat zuerst mit Santeschmissen. Ich will na’ause. Der hat meine Förmchen putte macht“, mit dem Unterschied, dass es sich dabei um erwachsene Männer handelt oder zumindest um Teenager, die sich seit drei Jahren bereits dafür halten. Den zahnlosen Anpeitscher mit Mikro, Megaphon und allem gerüstet, was irgendwie lauter ist als das eigene Organ, werde ich nur begrenzt vermissen. Bin mir nicht einmal hundertprozentig sicher, ob er sich nicht sogar schon ein paar Wochen zuvor verabschiedet hatte.

Irgendwie kann man es aber niemandem Recht machen heutzutage (wobei ich mich selbst wohl dazu zählen muss). Einerseits würde ich alles dafür geben, all die 8-14-jährigen Zahnspangenträger aus der Nordkurve zu verbannen, die dort nur stehen, weil’s eben am billigsten (und coolsten ist), all die Mode- und Eventfans zu verjagen , die wortlos das Spektakel Fankurve erleben wollen, all den Cholerikern den garaus zu machen, denen zur eigenen Mannschaft keine anderen Begriffe als „Flachpfeifen“, „Wichser“ und „Idioten“ einfallen. Anderseits sind mir jedoch auch lautstark singende Herzblutfans ein Dorn im Auge, die ihre grässlichen schwarzen Kapuzenpullover Spieltag für Spieltag durch die Gegend tragen. Was will ich denn eigentlich?

Der geneigte Fußballfan hat die leidige Angewohnheit, sein eigenes Maß an Zuwendung für den Verein und vor allen Dingen die Art und Weise, dies zu übermitteln, stets für optimal zu halten. Kinder mit Marin-Trikots und Ultras mit schwarzen Kapuzenpullovern und konstant schlecht gelaunter Visage machen demnach irgendetwas falsch.

Die Frage nach dem heiligen Gral der Fanunterstützung stellt sich vielmehr so: Muss man sich permanent selbst feiern, um die eigene Mannschaft nach vorne zu treiben? Muss man anderen Herzblutfans das Gefühl vermitteln, dass jeder, der sich nicht unter dem löchrigen und zugigen Dach der Ultras versammelt, nicht für voll genommen und hämisch belächelt wird?

Den Kollegen vom Bolzplatz und sogar von der Kölner Südtribüne stimme ich vollends zu, dass ich dem Mann mit dem Mega-/Mikrophon, der ganzen Schwarzkapuzenmeute, keine Träne nachweinen werde. Allein der niedrigere Geräuschpegel beim Heim- und Auswärtsspielen wird stören. Aber vielleicht bieten die jüngsten Ereignisse tatsächlich die unverhoffte Gelegenheit für neue Grüppchen, unter Umständen endlich sogar fürs Kollektiv, eine neue Bewegung ins Rollen zu bringen. Vielleicht kann die Kurve dann einmal Kurve sein und nicht ein zerstrittenes Konstrukt aus zahlreichen Kürvchen, von denen jede in Anspruch nimmt, die „einzig wahre“ zu sein.

Unter Umständen müssten wir dann gar einem Teenager-Trio aus Köln dankbar sein, dass es mutwillig die Zaunfahne unserer Ultras, der UMG, geklaut hat. An anderen Tagen würde ich für diese Tat leichtfertige und rohe Reformen des StGB fordern. Aber wenn dies das Opfer sein sollte, das der Fußballgott dafür von uns verlangt, werde sogar ich erleichtert zustimmen.

Dienstag, 25. März 2008

Fohlengeflüster (20):
Liebevoller Punktgewinn

Radfahren mit Colautti, Estland mit Friend, Rasenmähen mit Raute – alles schon und gut. Die Besessenheit eines Fußballfans, nachfolgend gelinde als Liebe bezeichnet, findet ihre Erfüllung trotz vielseitiger Nebenschauplätze jedoch nur auf dem Fußballplatz. Wenn es neunzig Minuten lang um drei Punkte geht.

Über die „Ehe, die man irgendwann, an einem selten genau festzumachenden Zeitpunkt, mit einem Fußballverein eingeht“, habe ich mich ja schon letzte Woche ausgiebig ausgelassen. Doch irgendwie kommt es mir vor, als besitze diese vermeintliche Ehe viel mehr Gemeinsamkeiten mit einer harmonischen Wochenendbeziehung. Dass meine „Beziehung“ zur Borussia meist nur von Freitag bis Montag in solchem Maße ausgelebt wird, dass man überhaupt von Innigkeit sprechen kann, liegt aber vermutlich nicht an mir.

Bayern-, Bremen- und Bayer-Fans blicken nach einem Spiel ihrer Mannschaft in der Regel nur drei bis vier Tagen entgegen, die sie ohne ihren Verein des Vertrauens auskommen müssen. Je nach Erfolg dauert diese fußballerische Allgegenwärtigkeit in Bundesliga, Pokal und Europacup, ja sogar in der Nationalmannschaft, eine ganze Saison an.

Klar, ich könnte mich auch über die Eröffnung eines neuen Reha-Zentrums unter der Obhut der Borussia freuen – mir von meinem Hausarzt Krankengymnastik verschreiben lassen, um mir unter Umständen neben Roberto Colautti auf dem Hometrainer einen abzustrampeln. Ich könnte nach Estland reisen, um Rob Friend beim Länderspiel in Tallinn lautstark zu unterstützen – dabei aber durchaus einen grausamen Erfrierungstod sterben. Ich könnte sogar eine Raute in unseren verschneiten Rasen mähen – und dabei erkennen, dass die Fahne, die nach langem Unken und überraschend wenig Betteln jetzt doch im Garten weht, eigentlich genügt (wäre das mit den Geschenken früher bloß auch so einfach gewesen). Aber unterm Strich reduziert sich die Liebe zu einem Fußballverein allein auf neunzig plus manchmal zu wenige Minuten pro Woche. Zumindest sind dies die Stunden, in denen die Liebe ungehemmt in ihrer vollsten Erfüllung ausgelebt werden kann.

Wenn es dann endlich Montagabend ist, kennt die Welt kurzerhand kein Leid mehr. Acht Tage des ungeduldigen Wartens haben ein Ende. Ich habe mir sogar fast drei Stunden lang den „Pferdeflüsterer“ mit Robert Redford angetan, weil Pferde schließlich erwachsene Fohlen sind und dies an einem Ostermontag um drei Uhr nachmittags schier der einzig mögliche Bezug zu meinem Verein gewesen ist, der irgendwie greifbar erschien. Da zählt man wie ein Kind vor dem Flug in den ersehnten Sommerurlaub die verbleibenden Stunden bis zum Anpfiff und schon nach drei Minuten kommt einmal mehr die allseits beliebte und zugleich gehasste Frage auf: Warum tue ich mir das eigentlich an?

Wochenende für Wochenende wird sie in deutschen Stadien und Wohnzimmern wohl häufiger gestellt als die nach dem allgemeinen Sinn des Lebens. Vermutlich hat sie noch seltener eine Antwort erhalten als der evolutionäre Aufklärungsversuch, ob nun Henne oder Ei zuerst ihr Unwesen auf dieser Welt trieben.

Nach dreizehn Sekunden zückt Schiedsrichter Herbert Fandel bereits die erste gelbe Karte. Empfänger ist Rob Friend nach einem Allerwelts-Ellbogencheck, der in seinem schmerzlichen Ausmaß eher das Niveau eines normalen Händedrucks erreicht haben dürfte. Neunzig Minuten lang wird der Kanadier mit der Last dieser Verwarnung durch den Aachener Tivoli traben. Bis zum Spielende macht er nur noch selten so sehr auf sich aufmerksam.

Die Aufmerksamkeit vor 20200 Zuschauern lenkt nur drei Minuten später vielmehr die Gladbacher Hintermannschaft auf sich. Ein Pass in die Nahtstelle von Krontiris, ein Querpass von Nemeth und schon hat Ebbers die leichteste aller Aufgaben und muss den Ball aus kurzer Distanz nur noch ins Tor schieben. Bögelund hatte beim kläglichen Versuch einer Abseitsfalle wertvolle Meter auf den späteren Torschützen verloren. An die zwanzigtausend Fans mit Hang zur Polemik sind aus dem Häuschen und sehen fortan Zweitligafußball vom Feinsten: Blutgrätschen im Überfluss, wütende Wortgefechte und unterm Strich nur wenige Torchancen.

Fast jeder Steilpass findet keinen Abnehmer und landet im Toraus. Der vor Schnee und Regen geradezu triefende Rasen macht aus dem sanftesten Kurzpass einen optimistischen, viel zu weiten Ball in die Gasse. Aber immerhin kann das Spiel überhaupt stattfinden. Noch am Morgen wäre der Tivoli glatt als Winter-Wunderland durchgegangen. Besorgt hatte ich am Küchenfenster gestanden und gebetet, dass die verrückten Schneestürme bald ein Ende nehmen würden. Nach einer gespielten Viertelstunde wünsche ich mir bereits, dass meine Gebete irgendwo im Schneetreiben auf ihrem Weg zum Wettergott verloren gegangen wären.

Die Aachener „Kartoffelkäfer“ (was für ein Furcht erregender, liebevoller Spitzname) werfen ihre einzige Stärke in die Waagschale. Schaum vorm Mund, Ärmel nach oben – und schon fällt der Borussia nichts mehr ein, was sie der mittelrheinischen Aggressivität entgegensetzen könnte. Jos Luhukay hält nach dem Spiel fest, dass seine Jungs zu Beginn einfach „nicht in die Zweikämpfe gekommen“ seien. Ok, der Fußball besitzt nun mal seine eigene Sprache. Wie man jedoch partout „nicht in die Zweikämpfe kommen“ kann, ist mir immer noch ein Rätsel. Wären Zweikämpfe ein Stau auf der Autobahn, könnte ich diese Verschlossenheit ja noch nachvollziehen. Aber für mich ist das Duell Mann gegen Mann eher eine Türklinke, die man einfach nur runterdrücken muss. Mehr nicht. Und verschlossen ist diese Tür auch nie. Man muss schlichtweg hindurchgehen.

Im weiteren Verlauf stellt Marin zwar seine gute Technik unter Beweis und gehört erneut zu den Gladbacher Aktivposten. Aber auch sein Hang zu Sisyphosdribblings und die Schusskraft eines Sechsjährigen dürfen einmal mehr bewundert werden. Wenigstens Alex Voigt treibt mir einige Sorgenfalten aus dem Gesicht. Als Paauwe-Ersatz vor der Abwehr liefert er eine sowohl defensiv als auch offensiv ordentliche Vorstellung ab. Trotzdem kommt die Alemannia in der Anfangsphase zu zahlreichen Gelegenheiten, vornehmlich bei Kontern.

Marcel Ndjengs Leistung erreicht erneut allenfalls Zirkus-Niveau. Leider sind technische Kabinettstückchen und Stehversuche in einer gefluteten Manege nicht gefragt. Zurecht muss er in der Pause Sharbel Touma weichen, der nach zwanzig, fünf und dreißig Minuten Einsatzzeit diesmal wenigstens über die halbe Distanz sein Können unter Beweis stellen darf.

Ich habe das Aachener Publikum schon oft gelobt und mir eine ähnliche Vielfalt und Lautstärke, was die Anfeuerungsversuche angeht, auch für unsere Nordkurve gewünscht. Was die Gelb-schwarzen jedoch diesmal gesangstechnisch rüberbringen, spiegelt genau die Spielart ihrer Mannschaft wider. Außer von „Hurensöhnen“ und „Wichsern“ erfährt man herzlich wenig. Wenn man die Qualität an anderen Tagen mit der Tagesschau vergleichen kann, erreicht sie heute Abend allenfalls RTL II-Niveau.

Vielleicht geht meine Empfindung auch in diese Richtung, weil man es als Gladbach-Fan nicht in derartigem Maße gewohnt ist, dass die eigene Mannschaft und einzelne Spieler aufs Übelste beschimpft werden (wie zum Beispiel ein Anhänger des FC Bayern es sein dürften). Dass die Diffamierung des Gegners neben der Huldigung einzelner Spieler, gesungener Feierorgien und der kollektiven Anfeuerung des eigenen Teams jedoch in jedem Stadion eines der bedeutenden Genres beim Fangesang repräsentiert, tangiert mich in diesem Moment nur peripher. Was Gladbach-Fan tut, ist schließlich immer wohlgetan. Auch wenn es dann Aachen-like ebenfalls unter die (meist Kölsche) Gürtellinie geht.

Die temporeiche, bissige und chancenarme Partie der ersten Hälfte birgt im zweiten Durchgang wenigstens einen Tick mehr an spielerischer Klasse, büßt dafür etwas von ihrem teils enormen Tempo ein, bleibt aber genauso umkämpft. Die Akteure bewegen sich dabei meist am Rande des Erlaubten und Ansehnlichen, überschreiten jedoch selten seine Grenzen. Fandel vermerkt bis zum Spielende die keineswegs gewaltsam anmutende Zahl von fünf gelben Karten in seinem Notizblock, von denen drei zudem äußerst fragwürdig bleiben. Das Spiel der Borussia ähnelt nach der Pause ein wenig der Verteilung der Karten (2:3): Sie erarbeitet sich ein Übergewicht, bewegt sich aber allein am Rande einer Wende und kann sie trotz sich häufender Gelegenheiten nicht in die Wege leiten.

Friend hängt indes weiter in der Luft. Touma kann dagegen etwas mehr überzeugen als Ndjeng. Zudem finden Neuville und Rösler allmählich zu ihren bewährten Stärken. Eine Koproduktion der beiden zaubert nach 56 Minuten das erste Mal einen Torschrei auf die Lippen. Nachdem Rösler im Strafraum schön abgelegt hatte, klatscht Neuvilles eigentlich perfekter, aber letztlich zu genauer Schuss aus elf Metern an die Latte. Marin ist seinem Premierentor kurz danach wieder einmal nah, scheitert jedoch an der Größe des Tores, das dreißig Zentimeter höher sein müsste für seinen guten Versuch, beinahe aus dem Stand abgefeuert.

Als sich meine Gedanken allmählich schon wieder mit der Bedienung der Waschmaschine beschäftigen und die vier Spiele währende Ungeschlagenheit ihrem Ende ins Gesicht sieht, reißt es uns zehn Minuten vor dem Ende doch noch von der Couch. Der eingewechselte Coulibaly steckt mit gutem Auge zu Neuville durch, der im Zweikampf mit dem behäbigen Olajengbesi seine Klasse samt Erfahrung ausspielt und Stuckmann mit einem flachen Schuss in die kurze Ecke kaum eine Chance lässt. Sein zehntes Saisontor nährt indes die Hoffnung auf eine aus deutscher Sicht nicht borussenlose Europameisterschaft. Auch wenn er altert, es wäre dem kleinen Mann mit dem traurigen Blick zu gönnen.

Ein einziger Treffer, die beste Aktion des Spiels, entschädigt prompt für alles, was zuvor nur begrenzt für Freude gesorgt hatte. Letztendlich lebt Fanliebe vielleicht von noch weniger als neunzig Minuten Fußball. Manchmal versprüht ein einziges Tor genügend Glücksgefühle, um die Woche bis Freitag ohne einen Anflug von Ungeduld zu überstehen. Obwohl ich ehrlich sein muss: Wäre es beim 0:1 geblieben, ich hätte spätestens ab Freitag trotzdem wieder voller Vorfreude auf die Partie gegen Koblenz geblickt – weil Auswärtsspiele eben ein langes Telefonat mit der großen Liebe sind, während Heimspiele im Vergleich dazu meist ein aufregendes Rendezvous darstellen.

Ich weiß gar nicht, was mich zu dieser schnulzigen Metaphorik rund um die Vereinsliebe verleitet, aber es muss wohl eine gewisse innere Zufriedenheit und Gelassenheit nach dem Unentschieden in Aachen sein.
Schließlich hat die Borussia an diesem Spieltag nur einen Punkt auf Platz vier eingebüßt, den Vorsprung auf Platz zwei gehalten und ist seit nunmehr fünf Partien ungeschlagen. Wenn ein Spiel eigentlich nur halbwegs Zufriedenheit hervorruft, dann nimmt man dankend das Positive mit, streicht die negativen Momente aus dem Gedächtnis (bzw. verschiebt sie weit nach hinten) und geht frohen Mutes in die Länderspielwoche.

Und vielleicht braucht man im Rhythmus von vier Spielen, besonders nach drei so sorglosen, unspektakulären Siegen ohne Gegentor, immer wieder einen kleinen Kniff in den Unterarm, damit man zwischen den geistig in die Wege geleiteten Planungen für die Aufstiegsfeier und dem bereits in Angriff genommenen Feinschliff am Bundesligakader nicht vergisst, dass auf dem Weg zurück ins Oberhaus noch einige Steine vor uns liegen werden. Also nehme ich diese Erkenntnis ebenfalls dankend mit. Ohnehin war das Derby in Aachen weder Kreuzigung noch Auferstehung für Gladbach, sondern eines von 34 Spielen, das allein aus geografischen Gründen seinen Reiz geschöpft hat.

Da die sechs Teams, die derzeit um den Aufstieg kämpfen, sich bis zum Saisonende nie im Gleichschritt bewegen werden, bleibt zum Schluss wieder einmal festzuhalten, dass sich die Borussia in diesem erlauchten Kreis seit Monaten am konstantesten präsentiert. Nur Koblenz und Hoffenheim haben aus den vergangenen fünf Partien mehr Punkte mitgenommen. Auf Platz drei dieser Interimstabelle steht die Borussia. Mit geschlagenen drei Punkten Abstand folgt der 1.FC Köln.

Der Aufstiegskampf gleicht einmal mehr einem Wellenbad mit immer wiederkehrendem Ziehharmonika-Effekt. Nun gilt es den Kopf stets über Wasser zu halten und am Ende den lautesten Ton von sich geben.

Montag, 24. März 2008

Neues von "auf'm Platz":
Der Schuldenberg

Die Borussia ist bislang kaum etwas schuldig geblieben. Dennoch interessiert sich der Fan eines Interims- zweitligisten dafür, wie viele Punkte sein Klub noch benötigt, um das Ziel vor Augen auch wirklich zu erreichen.

Zur Berechnung des Wertes wird vorausgesetzt, dass die Teams auf den Plätzen 2,3 und 4 alle ihre Begegnungen bis zum Saisonende gewinnen. Etwaige Aufeinandertreffen zwischen diesen Mannschaften werden nicht in die Rechnung einbezogen. Derzeit kann Köln, das nach dem 25. Spieltag den ersten Nicht-Aufstiegsplatz belegen, noch 27 Punkte einfahren. Die Geißböcke werden also maximal auf 69 Zähler kommen (wobei das aus ideologischen Gründen stark anzuweifeln ist). Das bedeutet beim derzeitigen Stand von 47 Punkten vor dem Aachen-Spiel am heutigen Abend für die Borussia, dass sie in diesem Fall 70 Zähler erreichen müsste. Macht, nach Adam Riese, noch 23.

Dass die Topteams jedesmal drei Punkte einfahren, ist natürlich rein hypothetisch. Dass sie das nicht tun, jedoch auch.

Die Währung des Schuldenbergs sind einfache Punkte. Im übrigen arbeitet er unabhängig von der US-Immobilienkrise und der schwankenden Lage der Weltwirtschaft. Für einen Sieg gibt es konstant drei Punkte. Ein Kurseinbruch aufs Allzeittief von 2 Punkten (letztmals im Jahr 1995) ist derzeit nicht in Sicht. Der Schuldenberg dient einzig und allein als Wasserstandsmeldung auf einem Weg, der am Ende hoffentlich zur Rückkehr in die Bundesliga führt.

Ist er vollständig abgebaut, bin ich übrigens auf dem Alten Markt in Mönchengladbach anzutreffen - falls mich jemand suchen sollte.

Samstag, 22. März 2008

Wie die Faust aufs Auge (7)

"Die vielleicht schlechteste zweite Hälfte seitdem es Bundesliga gibt" - Kommentator Roland Evers über das Spiel Nürnberg gegen Bochum auf Premiere.

Ich habe es mir nicht angetan (Spiele dieser Art habe ich mir letztes Jahr schließlich an die 34 Mal reinziehen müssen). Aber die Tatsache, dass die Konferenz in den zweiten 45 Minuten geschätzte 37 Sekunden Station im Frankenland gemacht hat, spricht ohnehin Bände.
Auch der Kicker stimmt in den denselben Tenor ein. "Die zweite Halbzeit war bis zur 70. Minuten ohne Höhepunkte", heißt es dort. Und außerdem sei der "Ball nur bei Standards in den Strafraum" gekommen. Hört sich nach einem fußballerischen Schmankerl an. Und vielleicht heimst der Club somit auch in dieser Saison die Note für das schlechteste Spiel in der Saison ein. Letztes Jahr gab's eine 5,5 für das Aufeinandertreffen mit der Borussia aus Mönchengladbach.
Schiedsrichter damals wie heute: Babak Rafati. Der Mann scheint die Trostlosigkeit magisch anzuziehen.

PS: Wer sein Ostersonntagsgeld morgen für einen Tipp verprassen will, dem sollte zumindest halbwegs klar sein, was er zu tun hat, wie die Grafik unmissverständlich zeigt.

Donnerstag, 20. März 2008

The Berlin Wall is back

Robert Huth steht erstmals seit der WM 2006 wieder im Kader der Nationalmannschaft. Warum er keineswegs als Notnagel nach Basel reist.

Metzelder verletzt. Mertesacker zuletzt mit ungewohnten Aussetzern. Manuel Friedrich erst gar nicht berücksichtigt. Und Westermann eher Kandidat für die Außenbahn. Aufgrund dieser Vorzeichen darf die Nominierung von Robert Huth für das Länderspiel in der Schweiz nicht einmal als Überraschung gewertet werden.

Ohnehin ist der Berliner in Diensten des FC Middlesbrough einer von nur dreizehn einstigen Sommermärchenschreibern im Kader von Jogi Löw für das Spiel gegen Schweiz am nächsten Mittwoch. Von jenen dreizehn können derzeit nur Timo Hildebrand, Arne Friedrich, Michael Ballack und Thomas Hitzlsperger halbwegs überzeugen. Der Rest weilt im Formtief, fristet ein ungewolltes Bankdrückerdasein oder war lange von Verletzungen außer Gefecht gesetzt.

Huth ist dennoch keineswegs ein Notnagel, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Wenn er von Beginn an spielte, kassierte sein Klub in neun Partien nur sieben Gegentore – ohne ihn 37 Treffer in 21 Spielen. Es wäre zwar fahrlässig, den kantigen Verteidiger alleine dafür verantwortlich zu machen. Einen gewissen Anteil muss er jedoch zwangsläufig an diesem Erfolg besitzen. Während auf den Außenbahnen gleich sieben Verteidiger Ambitionen anmelden, was die EM im Juni angeht, sieht es dazwischen derzeit etwas düster aus. Weshalb ein Robert Huth – anders als im Vorfeld der WM 2006 – mit der berüchtigten Spielpraxis auf der Habenseite eine dankbare Alternative sein wird, wenn das angestammte Duo Mertesacker-Metzelder seine Fähigkeiten nicht gemeinsam unter Beweis stellen kann.

Huth ist mittlerweile immerhin 23. Auch wenn er die letzten anderthalb Jahre nur bedingt auf dem Fußballplatz verbracht hat, wird er mit Sicherheit dazu gelernt haben. Weniger technische Aussetzer, mehr Konzentration und Übersicht. Zumindest bleibt uns nur übrig, darauf zu hoffen. Zudem zeigt Huths Nominierung, dass die 23 Tickets für Österreich und die Schweiz alles andere als bereits vergeben sind. Bis zum Mai werden die Karten noch einmal vollkommen neu gemischt. Und der ein oder andere könnte dann sein blaues Kuranyi-Wunder erleben.

Mittwoch, 19. März 2008

Fohlengeflüster (19):
Coetische Zustände

Das Fußballspiel ermöglicht seit jeher ausgiebige Forschungen über das menschliche Wesen. Was vor allen Dingen daran liegt, dass es trotz aller „entscheidend is auf’m Platz“-Theorien wohl gar kein Spiel ist. Aber: Ein Tor, kein Gegentor, drei Punkte – unterm Strich zählt dennoch das Spielerische. Der Rest ist einzig und allein für unser Gemüt.

Die leidenschaftliche, von Zeit zu Zeit mit Zügen von Wahnsinn behaftete Ehe, die man irgendwann, an einem selten genau festzumachenden Zeitpunkt, mit einem Fußballverein eingeht, besitzt zweifellos Züge von tiefem Patriotismus – nur eben auf Klubebene.

Man kauft sich einen Fahnenmast für den Garten, um die Raute im Wind wehen zu lassen. Man deckt sich mit Identifikation steigernden und zur Schau stellenden Artikeln ein – „Merchandising“ nennen das die Anglisten und Fußballmacher, die einen Verein als „Marke“ anpreisen. Man sorgt sich ferner um das Wohl des Vereins scheinbar mehr als um das seiner Kinder. Man singt inbrünstig das Vereinslied, die „Nationalhymne“. Und einige Hirnverbrannte lassen sich gar in Schlägereien und Straßenschlachten verwickeln, um mit Fäusten für den Verein des Herzens zu kämpfen (was genauso schwachsinnig und zu verurteilen ist, wie der überzeugte Tod fürs Vaterland, in den sich beispielsweise an die 4000 Amerikaner seit dem Beginn des Irak-Krieges begeben haben).

Wenn zwei Einstellungen (von Ideologien will ich jetzt nicht sprechen) nicht nur positive, sondern auch negative Parallelen aufweisen, muss doch irgendetwas dran sein, oder? Mit dem Unterschied, dass man hier analog von Coetismus sprechen müsste (coetus, lt. der Verein, nicht zu verwechseln mit „coitus“). Doch Coet (scheinbar eine Mischung aus Poet und Chaot) kann – genau wie Patriot – nur der sein, der nicht pauschal jeden anderen Klub zutiefst verachtet, sondern durchaus Sympathien für andere empfinden kann (wenn auch selbstverständlich nicht für alle).

Als ich mich am Sonntagvormittag mit meiner Mutter aufmache, um dem Verein unseres Herzens – seit 13 bzw. 35 Jahren – beim Spiel gegen St. Pauli die Ehre zu erweisen, sind wir unmissverständlich als Coeten zu erkennen (als vorbildliche, versteht sich). Seit dem Spiel in Osnabrück ruht das grün-weiße Doppeltrikot wieder auf meinen Schultern, meine Mutter fährt wie immer im schwarzen Dress. In unserem Garten weht zwar keine Fahne mit Borussenraute, aber als der Shuttlebus ein Haus passiert, in dessen Vorgarten gleich zwei davon im Wind wehen, äußern wir fast im selben Augenblick den Wunsch, zuhause auch so etwas zu errichten. Mein Vater wird begeistert sein. Die armen Tulpen und Orchideen.

Der Borussia-Park ist so gut gefüllt wie lange nicht mehr. Mehr als 48000, was vermutlich auf den verkehrs- und arbeitstechnisch günstigen Sonntag und den Beginn der Osterferien zurückzuführen ist. Nicht alle davon gehen als Coeten, als Fußball-Patrioten, durch. Aber was bringt es schon, sich darüber zu beschweren, dass die Hälfte der Tickets an Zuschauer geht, die sich ihre Stadionbesuche rauspicken, wie Rosinen aus einem Apfelstrudel und bereits zur Pause die Finger zum Pfeifen in den Mund nehmen, weil es noch nicht 3:0 steht?

Wenn nur die innigsten der Innigen ins Stadion pilgern und mehr grünes Plastik als menschliche Regung sich im weiten Rund bemerkbar macht, dann meckern wir schließlich auch. Dass die meisten Leute nicht verstanden haben, dass ihre Eintrittskarte zum Fußball keine Garantie auf ein Torfestival beinhaltet, ist nun mal unliebsame Tatsache.

Und ausgerechnet heute pickt sich die Borussia eines ihr schwerfälligeren Spiele raus. Voll und ganz nach der Devise „never change a winning team“ hatte Jos Luhukay dieselbe Elf auf den Platz geschickt, die in den letzten beiden Partien jeweils ein sicheres 2:0 eingefahren hatte.

St. Pauli lässt in Hälfte eins wenig von der Philosophie seines Trainers Stanislawski erkennen, der nach eigenen Angaben lieber das Risiko eingeht, 0:2 oder 0:3 zu verlieren, als 90 Minuten lang zu mauern und dann in der Nachspielzeit doch das Tor zu kassieren.
Ein lang und länger werdender Freistoß von Ndjeng aus dem Halbfeld ist Gladbachs einzige Gelegenheit in der Anfangsviertelstunde. Trotz weitestgehend sicher stehender Defensive schwindet damit die Hoffnung auf einen Sieg à la Augsburg relativ frühzeitig.

Das Team vom Millerntor sorgt nach 13 Minuten sogar beinahe für einen Paukenschlag. Schultz’ flache Hereingabe von links bahnt sich irgendwie ihren Weg in Richtung Tor, kullert aber Gott sei Dank ein paar Zentimeter am rechten Pfosten vorbei, nachdem Freund und Feind verpasst hatten. Fehlpässe en masse im Aufbauspiel verhindern, dass sich die Borussia in der gegnerischen Hälfte einnisten kann. Zu oft wird der Weg über die Außenverteidiger gesucht, die den Ball letztendlich doch wieder zum Innenverteidiger zurückschieben.

Wenige Minuten später schlägt Marin den Ball hoch in den Strafraum. Keeper Borger zieht im Luftduell sieben Meter vor dem Tor den Kürzeren gegen Friend und der Kanadier schiebt lässig ein zum 1:0 – denkste! Ein Pfiff von Babak Rafati – ohnehin kein Mensch, dem im Borussia-Park eine Welle der Sympathie entgegen schwappt – macht den Traum vom frühen ersten Tor zunichte.
Abseits – Fehlanzeige. Handspiel – sagt das DSF, aber die sehen sowieso häufiger ein anderes Spiel. Foul an Borger – klingt am plausibelsten, wobei der Keeper seinen Laufstall verlassen hatte und Friend seinen Körper absolut im Rahmen des Erlaubten einsetzt. Da Schiedsrichter ihre Fehlentscheidungen aber von Natur aus selten während des Spiels eingestehen, bleibt der Borussia nichts anderes übrig, als es geduldig weiter zu versuchen (wobei ausgerechnet Herr Rafati uns bei seiner „roten Karte“ für Marko Pantelic, die gar nicht für den Serben bestimmt war, noch vom Gegenteil überzeugt hat).

Die Geduld wird im nächsten Angriff fast belohnt. Ein Steilpass findet den ansonsten harm- und glücklosen Neuville auf rechts. Dessen gefühlvoller Heber über Paulis Borger findet Friend in Form einer Flanke. Doch dessen Kopfballverhalten erweist sich in dieser Szene als, na ja, nennen wir es mal suboptimal. Drei Meter vor dem (wohlgemerkt leeren) Kasten setzt der Kanadier den Ball ebenso weit über das Gehäuse. Der erlösende Torschrei bleibt im Halse stecken. Der Berufscholeriker vier Reihen über uns schreit trotzdem, wenn auch aus anderen Beweggründen.

Manchmal ist es faszinierend, zu beobachten, wie wenig Freude ein Stadionbesuch selbst dem passioniertesten Fan zu bereiten scheint. Da wird gezetert, gepfiffen, gemault und gestikuliert, als würde man alle zwei Wochen mit Eisenketten an einen Wellenbrecher gefesselt, dazu in eine Zwangsjacke gepackt und müsste sich dann das reizvolle Aufeinandertreffen von Oqjetpes Kokschetau und Energetik Pawlodar bei
-20°C im tiefsten kasachischen Winter ansehen.

Nachdem Marin von Rothenbach strafstoßverdächtig umgerissen wird und ein Freistoß von Rösler nur knapp am rechten Pfosten vorbeihuscht, gehört der letzte Aufreger der ersten 45 Minuten wieder den Gästen aus St. Pauli. Sako spitzelt den Ball mit langem Bein an Brouwers vorbei, der im Laufduell das Nachsehen hat. Doch der schlaksige Stürmer scheitert mutterseelenallein vor dem Tor an Keeper Heimeroth, der lange oben bleibt und seine vermutlich souveränste Saisonleistung hinlegt.

Im zunächst ausgeglichenen zweiten Durchgang haben wieder beide Teams die Führung auf dem Fuß. Braun scheitert an der Zielgenauigkeit. Friend kassiert im Privatduell mit Borger nach einem sehenswerten Drehschuss den Ausgleich zum 1:1. Und auch Neuville kann den Abpraller aus spitzem Winkel nicht ins Tor befördern. Nach einer Stunde bringt Luhukay, wie zu erwarten, Touma für den schwachen Ndjeng auf der rechten Außenbahn ins Spiel. Dass er eine Menge Torgefahr versprühen kann, hatte der schwedische Libanese bzw. libanesische Schwede ja schon gegen Aue unter Beweis gestellt.
Mainz und Hoffenheim sind mittlerweile in Führung gegangen und sitzen der Borussia im Nacken.

Nur zwei Minuten nach seiner Einwechslung löscht Touma jegliche Zweifel aus, dass auch seine Flanken und Freistöße Ndjeng-Niveau erreichen. Der muss nun gar um seinen Platz in der Startelf fürchten, denn Toumas erste Amtshandlung führt gleich zum erlösenden und verdienten 1:0. Seine gefühlvolle Freistoßflanke aus dem rechten Halbfeld wird lang und länger. Nach gefühltem zweiminütigem Aufenthalt in der Luft landet der Ball auf der Stirn von Rob Friend, der ihn – von Gegenspieler Eger sträflich allein gelassen – über die Linie wuchtet. Coeten und Nicht-Coeten sind gleichermaßen aus dem Häuschen und „döppen“ fröhlich vor sich hin. Die Freude am Erfolg ist unterm Strich das, was sie alle vereint.

Holger Stanislawskis Jungs sehen in der Folge ein, dass das letzte Wörtchen in diesem Spiel bereits gesprochen ist, wenn sie nicht alles Erdenkliche versuchen, um etwas daran zu ändern. Angesichts der zunehmenden Orientierung in Richtung Gladbacher Tor, häufen sich die Konterchancen für den Tabellenführer, der jedoch den Beweis schuldig bleibt, in dieser Disziplin Marktführer des Unterhauses zu sein. Neuville möchte am liebsten im Erdboden versinken, als allein seine Unentschlossenheit vor dem Tor dem 2:0 im Wege steht. Und jeder Coet, für den er der Heilsbringer der letzten vier Jahre gewesen ist, muss langsam eingestehen, dass seine Zeit, wie man so unschön sagt, langsam abläuft.

Aufmunternde Sprechchöre versuchen den kleinen Mann aufzupäppeln. Zumal es seine Kollegen nicht viel besser machen. Marin lässt in Maradona-Manier zwar vier Gegner stehen. Sein Schuss erreicht dann aber nur Bolzplatz-dienstags-um-halb-drei-Niveau. Touma zeigt zwar, dass er vom einfachen Wortlaut her torgefährlich ist. Aber leider bezieht sich das Wort „Tor“ in diesem Fall nicht auf das Gehäuse aus Aluminiumstangen, sondern auf den freudigen Vorgang, den Ball über die weiße Kreidelinie zu befördern. Bis zum Ende des Spiels gelingt dies weder den Fohlen in schwarz-weiß noch den Kiez-Kickern in braun-gold, weshalb 48418 Zuschauer (abzüglich der weiß-braunen Anhängerschaft im Gästeblock) nach 90 Minuten zufrieden die Hände in die Luft recken.

Die Mannschaft watet bereits auf die Nordkurve zu, um sich nach dem dritten Sieg ohne Gegentor in Serie feiern zu lassen, als ein weiteres Mal das berüchtigte Wiehern aus den Lautsprechern ertönt. Auf der Anzeigetafel erscheint das Playmobil-Stadion und da der Mann am Schaltpult mit Sicherheit Theater-Student im dritten Semester ist, weiß jeder, was nun aus dramaturgischen Gründen kommen muss: Koblenz hat in letzter Sekunde den Siegtreffer in Fürth erzielt. 96836 minus x Arme werden erneut gen Fußballgott gereckt. Der Vorsprung auf Platz vier datiert bei nunmehr sieben Zählern.

Mainz, Fürth, Köln, Wehen und 1860 bleiben allesamt ohne Dreier. Ein Arbeitssieg, der durchaus mit einem 4:2 hätte ausfallen können, wird zum klaren Fingerzeig in Richtung Bundesliga für die Borussia. Zehn Spieltage vor Toresschluss und nach drei Siegen in Serie erscheint die zweite Liga aus Borussensicht einmal mehr nicht als unliebsames Ungetüm, sondern als absolut wohltuende Nebenbeschäftigung.

Holt die Borussia aus den verbleibenden Partien mindestens 23 Punkte, ist die Heimkehr ins Oberhaus perfekt. Aber fragen Sie mal Jena und Paderborn, wie viel 23 Punkte sind. Denn die haben beide erst sechzehn auf dem Konto…

Dienstag, 18. März 2008

Österliche Frühstücksverwirrung

Lothar Matthäus - ein "Feingeist"? Fehlersuche am Morgen.

"Matthäus - Feingeist und großer Redner", schreibt die Rheinische Post heute morgen in großen Lettern und widmet dem Thema gleich eine ganze Seite.
'Oh nein', denke ich noch etwas verschlafen. 'Was haben die denn getrunken? Feine Technik, mag sein, aber Feingeist?'
Dann lichten sich die Fragezeichen jedoch allmählich: "Wie er gearbeitet hat, machen vor allem seine Wunder-Erzählungen deutlich."
Ok, jetzt macht Herr Voss von der RP endlich mal Nägel mit Köpfen und spricht aus, was wir alle denken. Matthäus' "Wundererzählungen" sind schließlich wöchentlich in der Sport-Bild zu lesen und zu bemitleiden. Wenn der große Fußball- und Frauenversteher dann die dritte Person Singular auspackt, von sich selbst nur noch als "ein Lothar Mätthaus" souffliert und resümiert, was der nötig habe und was nicht, ist scheinbar nichts mehr vor seiner "Aura" sicher.
Als im großen RP-Artikel, dann zum ersten Mal die Worte "Jesus" und "Evangelium" auftauchen, wird sogar mein verschlafenes Hirn am Frühstückstisch stutzig. Mein Blick schweift in die rechte obere Ecke der Seite. "Die Geheimnisse der Bibel" steht dort. Erleichtert stelle ich fest, dass Herr Voss sich passend zu Ostern mit den Geschichten der vier Evangelisten auseinandersetzt - und Matthäus war nunmal einer davon. Also der Matthäus Matthäus, nicht der Loddar.
Obwohl dem Loddar eine derartige Story über sich selbst, mit Sicherheit nicht missfallen hätte.

Montag, 17. März 2008

Wortspielzirkus "Kommentatori" (1)

"Drücken wir Hunt die Daumen."

- Tom Bayer beim Spiel Bremen-Wolfsburg auf Premiere.
Oder schütteln wir doch lieber Daum die Hand? Verwirrend...

Sonntag, 16. März 2008

Un Botellazo, Por Favor

Bilbaos Keeper Armando wird den wurfwütigen Betis-Fan wohl kaum darum gebeten haben, ihn mit einem zielgenauen Flaschenwurf niederzustrecken und damit die Partie am gestrigen Abend nach 68 Minuten vorzeitig zu beenden. Dennoch befindet sich Spaniens Fußballwelt nach einem erneuten „Botellazo“ in Aufruhr und ruft nach harten Strafen – für Täter und für Betis. Denn den letzten Flaschenwurf gab es ebenfalls in deren Stadion „Ruiz de Lopera“.

Sevilla im Juli – von den einst 14,8 Millionen Grad, mit denen die Sonnenstrahlen ihren Weg gen Erde angetreten haben, kommen immerhin noch 43 auf andalusischem Boden an. Der Schweiß flutet aus allen Poren. Allein ein kühlendes Wasser schafft einen Hauch von Abkühlung.
Wenn es auf den Frühling zugeht, klettert das Thermometer im Süden der iberischen Halbinsel immerhin bereits auf 22°C. Für die kleinen Wasserflaschen, die uns allen schon einmal eine willkommene Abkühlung im Urlaub bereitet haben – schlicht, ohne Kohlensäure, aber immens erfrischend –, finden sich in dieser Jahreszeit anscheinend nicht genügend Abnehmer.

Warum sonst sollte der 40-jährige Betis-Fan mit der grün-schwarzen Baseball-Cap eines dieser aerodynamischen und offenbar absolut flugfähigen Modelle so zweckentfremden und Bilbaos Torwart Armando mit einem gezielten Wurf aus geschätzten neun Meter eine Platzwunde am rechten Auge, die mit sechs Stichen genäht wurde, und eine Verletzung der Netzhaut zufügen? Geisteskrankheit, Wahnsinn und das Bedürfnis, einmal vor laufenden Kameras in einem Stadion verhaftet zu werden, sind die einzigen Erklärungen, die mir momentan plausibel erscheinen.

Der Spanier hat sogar ein eigenes Wort für einen harten Flaschenwurf mit anschließendem Niedergang – „botellazo“. Büchsen (wobei das ja eher eine Legende ist), Golfbälle – auch die Bundesliga hat schon merkwürdige und blutbadverursachende Wurfgeschosse erlebt. Doch einen gezielten und alles andere als anonymen Wurf mit einer Flasche hat es dort in 45 Jahren (Gott sei Dank) noch nicht gegeben. Im Ruiz de Lopera zu Sevilla war es bereit der zweite innerhalb eines Jahres. Zuletzt wurde der damalige Trainer von Betis’ Stadtrivale FC Sevilla, Juande Ramos, in einem Spiel der Copa del Rey niedergestreckt.

Bleibt nur noch eine Frage zu beantworten: Warum versucht ein so zielgenauer Werfer (aus neun Metern genau das Auge, in diesem Fall die „10“, zu treffen, ist zugegeben schon bemerkenswert) sein Glück nicht lieber im nächsten Pub beim Dart und lässt Fußball einfach Fußball sein? Flaschenbier ist dort sogar erlaubt...

Wie die Faust aufs Auge (6)

"Cottbus zu stark für die Bayern"- vermeintlicher Wortdreher im ZDF-Videotext, aber, wie wir wissen, nichts anderes als die Wahrheit und das unumstrittene Highlight des Spieltages. Wer bis gestern im Urlaub war, wird diese Nachricht mit Sicherheit für einen verfrühten Aprilscherz halten.

Samstag, 15. März 2008

Fohlengeflüster (18):
Keine Macht der Hängepartie

Man sieht sich immer zweimal im Leben – oder eben auch in einer Saison. Das muss nicht nur für zwei Vereine gelten, sondern kann sich auch auf die Art und Weise beziehen, in der ein Spiel über die Bühne gebracht wird. Einen locker langweiligen Erfolg mit frühen Tor und weißer Weste – das legte die Borussia in Augsburg nicht zum ersten Mal hin.

Eine Saison hat 34 Spiele, ist dementsprechend ziemlich lang. Und so verwundert es wenig, dass vereinzelte Partien zwar auf dem Spielberichtsbogen erfolgreich verlaufen, aber dennoch in die Kategorie der weniger bewegenden oder herausragenden Leistungen fallen. Genauso wenig wie jeder von 365 Tagen im Jahr Action ohne Ende, unglaubliche Glücksgefühle oder unerwartete Wendungen bereithalten kann, ist es unmöglich für einen Verein, seine Fans Woche für Woche so in Ekstase zu versetzen, dass man meint Meisterschaft und Pokalsieg fallen auf einen Tag. Ohnehin zehrt man von nervenaufreibenden, überragenden Spielen wochenlang, weshalb dies auch gar nicht vonnöten erscheint.

Nach 90 Minuten ohne Grund zur Aufregung – sowohl in negativer als auch in positiver Hinsicht – setzt Schiedsrichter Gagelmann im Augsburger Rosenaustadion mit seinem Pfiff den Schlussstrich unter eine Partie, die letzten Endes vor allen Dingen eins gebracht hat: Drei Punkte und die Erkenntnis, dass der VfL spätestens jetzt zurück in die Spur gen Wiederaufstieg gefunden hat. Spiele dieser Art, die unseren Blutdruck konstant auf so einem geruhsamen Level halten, dass die Lebenserwartung kurzfristig auf 124 Jahre katapultiert wird, bedürfen zweier Dinge. Erstens muss ein frühes Tor her. Zweitens geht nichts über eine weiße Weste in der Defensive.

Da die Statistik bisher sieben Spiele verzeichnet, in denen am Ende bei Gladbach die Null stand, fallen 16 der bisher 23 Saisonspiele schon einmal nicht in dieselbe Kategorie wie das unspektakuläre 2:0 der Borussia beim FC Augsburg. Insgesamt endeten davon zwei Partien 0:0, gegen Aue fiel das 1:0 nach 33 Minuten, in St.Pauli erst kurz vor der Pause. Allein den Weg zum Kantersieg in Koblenz und zum 3:0 zuhause gegen Offenbach hat die Borussia durch einen Treffer geebnet, der nach höchstens einer Viertelstunde fiel.

Bedenkt man nun, dass auf Röslers Führungstreffer nach zehn Minuten und einer zielgenauen Marin-Flanke „nur“ noch ein weiterer folgt, ähnelt der Auftritt der Borussia demnach am meisten dem schonend leichten Sieg gegen die Kickers aus Offenbach. Und weil die Borussia ihre Stärke auf fremdem Platz einmal mehr zur Schau stellt, sind auch Parallelen zum überraschend mühelosen Erfolg am Hamburger Millerntor nicht zu verkennen.

Gohouri und Brouwers halten hinten alles zusammen, Bögelund und Daems lassen auf Außen nichts anbrennen, Paauwe zeigt „sein bestes Spiel in der Rückrunde“, wie Jos Luhukay später zu Protokoll gibt. Dass Gladbach in der ersten Hälfte einzig und allein die Ausflüge von Augsburgs Zwei-Meter-Hüne Benschneider fürchten muss, überrascht nur unwesentlich.

Vorne wirbelt ein dribbelstarker Marin die Abwehr der Schwaben das ein oder andere Mal kräftig durcheinander. Auch er verdient sich zum ersten Mal in der Rückrunde Bestnoten und ist Gladbachs bester Mann in der ersten Hälfte – vor allen Dingen, weil Übersicht an die Stelle von Übermut tritt und Ballverluste von einer ansonsten beruhigenden Effektivität ausbalanciert werden.

Nach der Pause hat Rob Friend seinen großen Auftritt und spätestens nach seinem ansatzlosen Schuss zum entscheidenden 2:0 zweifelt niemand mehr daran, dass der Kanadier wirklich nur vier Torschüsse pro Treffer benötigt. Da es sein 14. Saisontor gewesen ist, werden auch mathematisch Kleinrentner errechnen können, dass Gladbachs bester Torjäger über den Daumen gepeilte 56 Torschüsse in dieser Saison abgegeben hat. Angesichts seiner angesetzten Jagd auf Kölns Novakovic und dem damit verbundenen Kampf um die Torjägerkrone fallen die einst angestellten Vergleiche mit Kahê fast unter die Kategorie „Majestätsbeleidigung“.

Mit rechts, mit links und, bei 195 cm Körpergröße relativ selten, mit dem Kopf – Friend trifft, wie er will. Sein Treffer gegen Augsburg, bei dem der Ball fast zufällig nach einem scheinbar verunglückten Schussversuch von Rösler zu ihm kommt und er ihn direkt aus 14 Metern in die Maschen drischt, gehört zweifelsohne zu den sehenswerteren.

Anders als im Hinspiel verkommt das Spiel im Anschluss aber nicht mehr zur unnötigen Hängepartie. Der inzwischen wieder unangefochtene Tabellenführer spult sein Programm mit beängstigender und – in der Hinrunde noch – gewohnter Ruhe ab. Doch es wirkt diesmal nicht arrogant, nicht überheblich, sondern einfach souverän. Leistungen dieser Art verleiten ironischerweise eher den Fan im Stadion oder vor dem Fernseher zu Größenwahnsinn. Denn in Anbetracht der meist harmlosen Augsburger Angriffsversuche erscheint ein höherer Erfolg absolut machbar. Ein Lattenschuss von Hdiouad und eine weitere der ansonsten spärlichen Augsburger Chancen nehmen diesem Gedanken jedoch in der Schlussphase noch die Luft zum Atmen und am Ende steht dasselbe Resultat wie in der Vorwoche: Ein schlichtes, unaufgeregtes und souveränes 2:0.

Gegner von Statistiken à la „bei Vollmond im Februar sind wir auswärts in der ersten Halbzeit seit zwei Jahren immer ohne Gegentor geblieben, wenn unser Linksverteidiger eine lila Unterhose getragen hat“ werden es vielleicht nicht gerne hören. Aber Gladbach hat in dieser Saison einen regelrechten Lauf gegen Vereine aus einer Stadt, deren Name mit dem Buchstaben A beginnt. Im fünften Spiel gegen Aue, Augsburg und Aachen ist das 2:0 der fünfte Sieg gewesen und gibt Hoffnung fürs nächste Auswärtsspiel – gegen Alemannia Aachen (bei der schier atemberaubenden Anzahl von 5 As im Vereinsnamen kann da eigentlich nichts schief gehen).

Wenn ein Spiel zu statistischen Einschüben dieser Art anregt, muss es irgendwie langweilig gewesen sein. Doch wer will schon so vermessen werden und gegen einen lockeren, glanzlosen, aber zweifellos effektiven Erfolg in Augsburg auf die Barrikaden gehen? So eine Zweitligasaison ähnelt ein wenig einem Gang über eine schaukelnde und stellenweise morsche Hängebrücke. Es knarrt, ab und zu bricht ein Brett unter der eigenen Körperlast in seine Einzelteile, aber meist kommt man doch sicher am anderen Ende an.

Wenn Gladbach sich gegen Gegner eines anderen Kalibers wie Köln, Fürth oder Freiburg ähnlich souverän behaupten kann, dann wird am Ende dieser Hängebrücke der Wiederaufstieg warten. Aber wie gesagt, man weiß nie, ob das nächste Brett nicht doch zum Stolperstein wird.

Dienstag, 11. März 2008

Mannschaft der Stunde (10)

Hoffenheim 1899: Auch wenn es schwer fällt und sich das Fußballherz gegen diese Entwicklung vehement sträubt - sechs Siege in Serie, wie sie Dietmar-Hopp-Klub Hoffenheim zustande gebracht hat, sind nicht einfach so zu verneinen. Und so nehmen wir es (erst einmal nüchtern) hin und küren den Dorfverein sportlich fair zur "Mannschaft der Stunde". Schließlich hat sie 18 ihrer bisher 40 Punkte nach der Winterpause gesammelt. Das kann im deutschen Profifußball niemand von sich behaupten. Doch wie immer lebt auch hier die Hoffnung, dass diese würdevolle und denkwüdige Auszeichnung einmal mehr ihre Kraft entfalten und dieser Serie ein baldiges Ende bereiten kann.
Bald mehr zum rasanten Aufstieg der Millionentruppe und den schlaflosen Nächten, die ich ihrem sich anbahnenden Aufstieg in die Bundesliga verdanke.

Freitag, 7. März 2008

Die Macht des Augenblicks

Ein einziger Moment kann im Fußball häufig über sportliches Leben oder Tod, über Glück oder Unglück, und über die Rolle als Held oder Sündenbock entscheiden. Frank Mill kann bekanntlich ein Lied davon singen. Portos Tarik Sektioui wird den Ex-Borussen sicherlich in absehbarer Zukunft um psychologischen Beistand bitten.

Wer seine berufliche Laufbahn voll und ganz dem Fußball verschrieben hat und sein Geld mit dem Toreschießen bzw. –verhindern verdient, muss stets der Gefahr ins Gesicht blicken, dass seine Karriere durch eine einzige Szene, ein einziges Spiel oder zumindest ein einziges Turnier eine dauerhafte Prägung erfährt, die bis an sein Lebensende nur unmerklich verblassen wird.

Hätten die Macher von „Familienduell“ einmal 100 Leute nach den Errungenschaften von Frank Mill gefragt, sein legendäres Nicht-Tor im Olympiastadion im BVB-Dress hätte mit überwältigender Mehrheit den Status der „Top-Antwort“ erlangt. Seine durchaus nennenswerten und beachtlichen 123 Bundesliga-Tore wären irgendwo meilenweit dahinter auf der großen LED-Tafel im RTL-Studio aufgetaucht. Noch heute wird er zuerst gefragt, wie das noch mal war, damals in München, bevor ihm die Leute überhaupt „Guten Tag“ sagen.

Und so befiehlt mir mein Gewissen geradezu, einmal die Seiten zu wechseln, was die Perspektive bei der Nachberichterstattung zum „größten Erfolg der Schalker Vereinsgeschichte“ (O-Ton F.v.T.u.T.) angeht. Dass Manuel Neuers lebensrettende Parade gegen den Marokkaner Tarik Sektioui einen Meter vor der Torlinie das Prädikat „atemberaubende Weltklasse“ verdient, daran besteht keinerlei Zweifel. Und zwei Tage danach gilt es nun auch wieder nach vorne zu blicken, nachdem diese Tat in den letzten 40 Stunden – verdienterweise – unentwegt gelobt worden ist. Ebenso wenig dürfte jemand daran Zweifeln – womit wir jetzt einmal die Bundesliga-Brille ausziehen –, dass jener Tarik Sektioui noch lange an dieser Szene zu arbeiten haben wird.

Sein starrer Blick, das fassungslose, fast rhythmische Kopfschütteln, seine Tränen gefüllten Augen – all das bleibt als krasses Kontrastbild zu ausgelassen jubelnden Schalkern in Erinnerung. Und auch der 30-jährigre Angreifer wird sich ein Leben lang der spätestens in drei Monaten lästigen Frage stellen müssen: „Wie war das noch mal, damals im Achtelfinale gegen Schalke?“.

Doch auch auf Seiten der Königsblauen, die über weite Strecken armseligen Fußball geboten haben, gebührt einem der Protagonisten großes Mitgefühl: Mirko Slomka, seines Zeichens Trainer auf Zeit. Wer um ihn herumstand, als Manuel Neuer den entscheidenden Elfer parierte und Jermaine Jones anschließend den Sack zumachte, klagt noch heute, zwei Tage danach, über höllische Fußschmerzen, so schwer war die Last, die in diesem Monat von Slomkas Schultern abgefallen ist. Ironischerweise fiel er kurz darauf genau denen um den Hals, die gespielt hatten, als wollten sie persönlich das berufliche Todesurteil ihres Coaches ausstellen, bis auf Neuer natürlich. Präsident Schnusenberg, wie scheinbar alle Vereinsvorsitzenden dieser Welt adipös, machtsüchtig und mit einem komischen Namen versehen, hatte sich zu dieser Zeit längst von der Ehrentribüne in die Katakomben verkrümelt. Soll man das feige nennen?

Sonntag, 2. März 2008

Fohlengeflüster (17):
Stürmische Wiederbelebung

Auch wenn der letzten Endes souveräne Auftritt der Borussia die geplagten Nerven kaum strapaziert hat, ging der Freitagabend im Borussia-Park erneut nicht ohne Schweißperlen auf der Stirn über die Bühne. Doch diesmal traf die Schuld weder Heimeroth, noch den Schiedsrichter, noch Emma.

Endlich ertönt der erlösende Pfiff meines Sportlehrers. Das neongelbe Leibchen drücke ich ihm schnell in die Hand und konstatiere, dass die letzte Freitagssportstunde meines Lebens seit vier Sekunden der Vergangenheit angehört. Nass geschwitzt wie ein Dachdecker im Hochsommer stürme ich in die Kabine und krame meine Stadionmontur aus dem Rucksack. Die Uhr zeigt 17:15 Uhr, noch eine ganze Halbzeit bis zum Anpfiff. Notdürftig wische ich mir den Schweiß vom Körper. Rollkragenpullover, Sweatshirt, Jacke an, die grün-weiße Trikotkombination darüber und los geht’s.

Schnell mit meinen Freunden Christopher und Nils im Schlepptau auf die Autobahn, die trotz Berufs- und Stadionverkehr relativ verwaist vor uns auftaucht. Erleichtert stellen wir fest, dass Verkehr und Zeit uns heute gut gesinnt erscheinen. Der Wind pfeift durch die Ritzen meines roten Opel Corsa, der beinahe mehr Jahre auf dem Buckel hat als Marko Marin und dementsprechend mich selbst altersmäßig auch kaum unterbietet. Der schwarz-grüne Schal, den wir im Fenster eingeklemmt haben, weht mit stolz geschwellter Brust im Fahrtwind und poliert auf gleichem Wege die rechte Wagenseite.

Gut zwanzig Minuten vor Anpfiff erreichen wir den Borussia-Park. Zum ersten Mal mache ich mit den mehrspurigen Straßen auf dem Weg zu einem der weitläufigen Parkplätze Bekanntschaft, die sich wie die Geraden von Monza durch das Areal schlängeln. Zum ersten Mal in 37 Partien, die ich im neuen Stadion erlebt habe, fahre ich mit dem Auto und nicht mit einem der Shuttle-Busse vor. Wer auch anders, als der verzerrte Zweitliga-Spielplan sollte für dieses Premierenerlebnis verantwortlich sein? Guter Dinge treten wir durch die Eingangsschranke und verteilen uns nach kurzer Tippabgabe in alle Richtungen.

Nach einem kalten Becher Wasser, um meinen Flüssigkeitshaushalt wieder ins lebensfähige Sphären zu befördern, nehme ich die Stufen hoch zu Block 17A in Angriff. Als ich den ersten Blick ins weite Rund werfe, dröhnt aus den Lautsprechern „When you were young“ von den „Killers“. Dasselbe denke ich mir auch und lasse meinen Blick erst einmal mit den Ellbogen auf dem Geländer geruhsam einen Moment schweifen. Seit Ende November, seit dem Spiel gegen Offenbach, habe ich dieses Stadion nicht mehr glücklich und zufrieden verlassen, sondern stets mit einer Mixtur aus Wut, Enttäuschung und Frust im Magen. Das musste sich heute grundlegend ändern.

Jos Luhukay stimmt mir in dieser Hinsicht vollkommen zu, zumindest erweckt seine Aufstellung den Anschein. Voigt und Levels müssen Daems und Bögelund auf den Außenbahnen der Viererkette weichen. Letzterer steht zum ersten Mal seit der Niederlage in Mainz letzten August in der Startelf. Danach hatte er Tobias Levels weichen müssen, mit dem die Borussia 15 Partien in Folge ungeschlagen blieb, womit sich der 21-jährige jedoch kaum alleine rühmen darf. Nach einer Hand voll Spiele ohne Dreier ist es Zeit für eine neue Serie, einen frischen Aufschwung, einen Ruck, der den VfL hoffentlich zurück in die Bundesliga trägt.

In den ersten Minuten brennt die Borussia keineswegs ein Feuerwerk ab, lässt aber dennoch keine Zweifel im Raum stehen, wer hier Herr im Haus ist. Aue, das schwächste Auswärtsteam der Liga, bemüht sich zunächst, die Null möglichst lange auf der Anzeigetafel stehen zu lassen, die heute wieder einwandfrei funktioniert. Nach ein paar Minuten sorgt sie im Gegensatz zum Geschehen auf dem Platz fürs erste Raunen im mit 33.000 Zuschauern besetzten Borussia-Park. Köln führt nach einer Viertelstunde bereits mit 2:0 im Fürth.

Die Jungs von Jos Luhukay stürmen in Hälfte eins auf die Nordkurve, während Sturmtief „Emma“ samt Regenguss langsam aber sich aus allen Löchern pfeift. Rob Friend, nach seinem Doppelpack in Osnabrück eindrucksvoll wieder erstarkt, macht noch am meisten auf sich aufmerksam. Erst entscheidet er sich nach einer Flanke vom Marin fälschlicherweise für den Fuß und nicht für den Kopf. Dann vergibt er nach einer knappen halben Stunde aus spitzem Winkel die erste richtig gute Einschussmöglichkeit.

Gegen tief stehende Erzgebirgler sticht eines der offensichtlichten Gladbacher Defizite erneut ins Auge. Wenn der Gegner nur darauf bedacht ist, bloß nicht das erste Tor zu kassieren, mangelt es der Fohlenelf häufig am Ideenreichtum, an der Schnelligkeit und der Genauigkeit, die sie in den 70ern in ganz Europa bekannt gemacht haben. Als Aues Kapitän Emmerich leichtfertig in Nähe der Mittellinie den Ball vertändelt, blitzen die alten Tugenden jedoch schlagartig auf. Ndjeng spielt den Ball auf Friend, der mit seinem Pass auf Oliver Neuville die gesamte Viererkette des Gegners überbrückt. Aus wenigen Metern lässt der einzige aktive Nationalspieler der Borussia Aues Keeper Keller (weder verwandt noch verschwägert mit Namensvetter Kasey) keine Chance und platziert den Ball sicher in der linken Ecke. Aue, als Fünfzehnter an den Niederrhein gereist, hatte jeglicher Zielsetzung zum Trotz den ersten gravierenden Fehler begangen, den die Borussia eiskalt bestrafte.

Die berechtigte Hoffnung auf einen sich öffnenden Gegner wird jedoch rasch zerschlagen. Die ehemalige BSG Wismut macht nach der Devise „lieber knapp verlieren, als stürmend untergehen“ da weiter, wo sie begonnen hatte. Mit dem 1:0 geht es dann in die Pause, doch das ist gegen Lautern, Hoffenheim und Osnabrück nicht anders gewesen. Am Ende hat die Borussia stets mit leeren oder zumindest spärlich gefüllten Händen dagestanden.
Nach der Pause verflacht das hohe Tempo der ersten Hälfte ein wenig. Der Tabellenführer stürmt dennoch unaufhaltsam aufs zweite und diesmal wohl vorentscheidende 2:0. Erneut bergen eine schnell Passfolge und eine Unachtsamkeit des Gegners den Schlüssel zum Tor von Axel Keller. Rösler hebelt mit einem Anspiel auf Marin die gegnerische Abwehr aus. Der kleine Wirbelwind legt quer auf Friend, der ohne Mühe einschieben kann und sein Konto auf nunmehr 13 Treffer schraubt.

Selbst jetzt zeigt der Ostverein keinerlei Interesse an einer Wende. Als hätten sie die gedemütigten Gesichter der Paderborner Spieler noch im Kopf, die sie letzte Woche beim 6:0 höchstpersönlich ins fußballerische Delirium befördert hatten. Luhukay gibt Sharbel Touma eine neue Bewährungschance, die der Schwede mit libanesischen Vorfahren offensichtlich nutzen will. Eine Hereingabe von Friend setzt er mit dem Kopf an den Pfosten. Rösler per Freistoß und Ndjeng aus der Distanz scheitern dagegen nicht am Aluminium, sondern an Aues Keller. Nun ist es aber nicht so, dass dessen Mannschaft über 90 Minuten überhaupt nicht am Spiel teilnimmt. Die vereinzelten Angriffsversuche über Orahovac oder Curri sind jedoch aus dramaturgischen Gründen absolut nicht nennenswert, weil sie erstens ihren Meister im souveränen Heimeroth finden und zweitens – wie gesagt – äußerst vereinzelt auftreten.

So bleibt es beim 2:0 und beim Eindruck, dass die Borussia diesmal vieles besser, aber noch nicht alles gut gemacht hat. Kurz vor dem Ende bricht auf den Rängen ein weiteres Mal torähnlicher Jubel aus, obwohl die beiden Mannschaften auf dem Platz gerade Leerlauf walten lassen. Auf der Anzeigetafel erscheint ein Stadion mit Playmobil-Figuren und kurz darauf die Wappen der SpVgg Greuther Fürth und des 1.FC Köln – darunter wird ein 2:2 eingeblendet, das – wen überrascht es – vornehmlich für diesen Jubelausbruch verantwortlich zu machen ist.

Zum zweiten Mal in dieser Saison stimmt die Nordkurve ein erleichtertes „Der VfL ist wieder da“ an und in mir kommen Erinnerungen hoch an das Spiel gegen Augsburg in der Hinrunde. Nach fünf sieglosen Partien, einer Portion Pech, einer ganzen Ecke Unvermögen und gerechtfertigter Eigenschelte scheint die Borussia die Kurve nicht gekratzt, sondern gekriegt zu haben. Und die Hoffnung auf eine absehbare Rückkehr in Liga eins lebt wieder auf. Dann könnte es im Mai aus einem anderen Grund erneut durchs Stadion hallen: „Der VfL ist wieder da!“.