Mittwoch, 30. Juli 2008

1860 + 39 = 1899

Sogar der kicker fällt auf die intensive Traditionshascherei der (ehemaligen) TSG Hoffenheim rein, die sich inzwischen lieber mit der Jahreszahl 1899 vor dem Städtenamen präsentiert.

Jedes Kind kennt Gladbach, S04, den BVB, Bayer, die Hertha, Hansa, den HSV, den VfL, den VfB und 1860 bzw. die Sechz'ger. Letztere verlieren gerade augenscheinlich ihren Status als einer der wenigen Vereine, die allein schon bei Nennung ihres Gründungsjahres jedem ein Begriff sind.

PS: Diesen Post lesen Sie übrigens auf www.entscheidend-is-aufm-platz.de - Traditionsblog seit 2007 (!).

Dienstag, 29. Juli 2008

Schwer geirt

Das freudige Farbenvertauschen bei Nationalfahnen hat jetzt auch die Sport Bild erreicht - alles abgekupfert von den Tagesthemen. Dort rollen jetzt erneut Köpfe. Erst mussten die Geograpghienulpen dran glauben, nun sind die Maulwürfe an der Reihe, die die Idee mit den Farben den Hamburger Kollegen gesteckt haben.

Die Sport Bild trägt nicht umsonst ihren Namen. Besonderes Augenmerk wird da auf den Teil nach dem Leerzeichen gelegt. Den Herren von der sportlichen Springer-Tochter ist somit eine übernatürliche Auffassungsgabe samt stark ausgeprägter Phantasie in die journalistische Wiege gelegt worden. Da wird häufig im übertragenen Sinne von Geburten berichtet, deren Hauptdarsteller noch nicht einmal gezeugt sind.

Währenddessen wird Diskretion dort aber besonders groß geschrieben. Auch deshalb fallen sie im neuen Sonderheft nicht mit der Tür ins Haus, sondern lassen ganz leise und schwer erkennbar verlauten, was bislang niemand, noch nicht einmal Uli Hoeneß, wusste:

Luca Toni ist jetzt Ire!


Und wer's nicht glaubt: Das ist doch wohl eine andere Fahne?


Gut, dass sich in Wolfsburg neuerdings gleich zwei Italiener tummeln. Da liegt die Vergleichsmöglichkeit nur ein paar Seiten hinter den Bayern. Was wiederum auch nicht so toll ist - schließlich steht der VfL so verdammt weit vorne. Als Fünfter der Vorsaison.

Wenn Sportsfreund Sarkozy seine Demontage der Iren in Sachen EU fortsetzt und das Inselvolk in geraumer Zeit der Union den Rücken kehren sollte, könnte der Nationalitätenwechsel für die Bayern sogar problematisch werden. Nicht dass wie einst beim FCK irgendwann zu viele Nicht-EU-Ausländer für den Rekordmeister auf dem Platz stehen. Otto Rehhagel kann da ein Lied von singen.

Für alle Farbfetischisten: So sollte es aussehen. Und nicht so.

Montag, 28. Juli 2008

Grundlegend und überhaupt überbewertet

Testspielniederlagen sind genauso bedeutungslos wie Testspielsiege. Und eigentlich scheint das Ergebnis wirklich zweitrangig zu sein. Schließlich predigen die Trainer stets irgendetwas von wegen "die Leistung zählt/hat gestimmt", egal welches Ergebnis schlussendlich (Urs Meier wird mir zustimmen) auf der Anzeigetafel auftauchte.

Dennoch können uns Pleiten im Vorfeld einer Saison sowohl nachdenklich stimmen als auch eindringlich für Beruhigung sorgen - obwohl doch eigentlich frei nach Kai Pflaume "nur die Leistung zählt". Erschreckend, dass die Borussia ihre ersten fünf Partien nach Trainingsbeginn gewonnen hatte, schließlich befanden sich unter den Gegnern Schwergewichte wie Arminia Bielefeld oder der SC Heerenveen aus den Niederlanden.

In der Regel bedeutet eine Vorbereitung wie am Schnürchen nämlich großes Unheil. Peter Neururer erlebt traditionell sein geschnäuztes Waterloo, nachdem er mal wieder die Arbeit vor der Spielzeit als "beste aller Zeiten" über den grünen Klee gelobt hat.

2006 - nach der WM im eigenen Land - lief es derweil sowas von rund im Vorfeld der neuen Bundesligaspielzeit bei Borussia Mönchengladbach, dass ein paar Wochen und Monate danach sowas der Wurm drin war. Am Ende stand der zweite Abstieg von Gladbach aus dem Unterhaus.

Doch im letzten Jahr ging es ähnlich los wie heuer: Vier Siege zum Auftakt, dann aber der erste Dämpfer bei der Pleite gegen den Namensvetter aus dem Bergischen, Bergisch-Gladbach eben. Es folgte eine deftige 0:3-Niederlage in Bochum, der knappe Pokalerfolg in Osnabrück, danach der holprige Start in Liga Zwei. Der letzte Tiefpunkt, bevor es schnurstracks zurück in die Bundesliga ging.

Ergo sieht der Fahrplan am Niederrhein folgendermaßen aus: Valencia großzügig den Sieg im Saisoneröffnungsspiel überlassen, Fichte Bielefeld die Tannen nicht ganz so doll von den Ästen schießen, zum Auftakt nicht zu viele Punkte holen - der Rest kommt eh von alleine. Und wenn nicht, dann werden Ergebnisse ja grundlegend und überhaupt "überbewertet".

Sonntag, 27. Juli 2008

Wie Ödipus vor der Sphinx

Der deutsche Fußball verirrt sich momentan in einem dichten Dschungel voller Grundsatzentscheidungen: Olympia oder Bundesliga? Geld oder Tradition? Sportschau oder keine Sportschau? Wir stehen gleich mehrfach am Scheideweg.

Die diesjährige Ausgabe des allseits bekannten Sommerlochs erweist sich als besonders hartnäckig. Denn wann gehörten die Worte „Olympia“ und „IOC“ zuletzt zu unserem Fußball-Wortschatz? Wann durften wir schon einmal so intensiv darüber diskutieren, ob die Bundesliga Vorrang vor den Olympischen Spielen hat? Alles äußerst brisant, alles aber auch sowas von sommergelöchert. Die Frage nach der Abstellungspflicht für das Turnier in Peking wird zur Grundsatzfrage hochstilisiert. Die beiden Schwergewichte im Sport – das IOC und die FIFA – liefern sich ein beeindruckendes Muskelspiel in freundschaftlicher Feindschaft.

Die Olympische Charta schlüpft derweil in die Rolle der Bibel des Weltsports – jeder will aus ihr die unmissverständliche und unverrückbare Wahrheit lesen. FIFA-Boss Blatter behauptet auf der einen Seite, eine Ablehnung der Abstellungspflicht widerspreche „dem Geist der olympischen Bestimmung“. Auf Schalke spricht man im Fall Rafinha auf der anderen Seite von „Vertragsbruch“. Das gefalle der berüchtigten Charta wiederum auch nicht. Sprich, Rafinha dürfte unter diesen Umständen nicht bei den Spielen antreten, so die Königsblauen. Wie im „echten Leben“ soll jetzt der Gang vors (Sport-)Gericht für Klarheit sorgen.

Dirk Nowitzki hat jüngst mit seinem offenen und überwältigten Bekenntnis zu Olympia viele Sympathien auf sich gezogen. Kein Wunder, wenn ein millionenschwerer 2,14-Meter-Hüne mit Tränen in den Augen seiner Freude über die erfolgreiche Olympia-Quali freien Lauf lässt. Nicht einmal das Turnier selbst fasziniere ihn am meisten. Nowitzki blickt nämlich vor allen Dingen auf das einzigartige olympische Feeling im Athletendorf mit geradezu rührender Vorfreude. Äußerungen dieser Art hat man bislang von den Herren Diego, Rafinha und Obasi nicht in dieser Form gehört. Was zieht sie überhaupt mit derartiger Nachhaltigkeit nach China? Warum sind plötzlich alle so heiß auf eine Medaille, die sie sich in der Regel gleich vom Hals reißen und in einer Schublade verschwinden lassen, wenn das Hauptobjekt der Begierde ein Pokal ist?

Einer Aufwertung des olympischen Fußballturniers ist meiner Meinung nach zwar nichts entgegenzusetzen. Sei es durch eine Aufnahme in den vielzitierten Rahmenterminkalender der FIFA und eine gleichzeitige Verschiebung des Ligastarts in Europa, oder durch den Wegfall der Altersbegrenzung. Doch eins ist klar: Ein derartiges Hickhack darf es 2012 nicht mehr geben. Sowohl das IOC als auch die FIFA haben es versäumt, mit klaren Aussagen im Vorfeld für Ruhe zu sorgen.

Nicht nur im Hinblick auf den Status des Fußballs bei Olympia sind derzeit einige Grundsatzentscheidungen zu treffen. Eigentlich außergewöhnlich, dass ausgerechnet die UI-Cup geprägte Sommerpause für diese Diskussionen herhalten muss.

Das Bundeskartellamt hat dem neuen Spieltagsmodell der DFL vor ein paar Tagen einen kräftigen Schuss vor den Bug verpasst. Die Sportschau bleibt voraussichtlich erhalten. Die Bundesliga soll also nicht im Pay-TV oder in den späten Abendstunden verschwinden. Auch ich will nicht auf die Aufbereitung der Samstagsspiele vor 20 Uhr verzichten. Obwohl ich mir ein vergleichbares Format direkt nach Abpfiff auf Premiere reinziehen könnte. Alle zwei Wochen steht am Samstag sowieso der Stadionbesuch, was bedeutet, dass „Alle Spiele, alle Tore“ wegfällt. Die Warterei bis zum Sportstudio ist mir dann zu lang. Zumal der Samstagabend eines 18-jährigen sich allzu oft nicht zuhause abspielt und das ZDF die Bundesliga in einer anderen Form angeht als das öffentlich-rechtliche Pendant im Ersten. Wer nach 22 Uhr das Zweite einschaltet, will nicht nur Tore sehen. Sportstudio-Gucker interessieren sich für die Hintergründe, für Reaktionen und Entwicklungen, die unmittelbar nach Spielende noch nicht abzuliefern sind.

Trainer Baade hat dagegen heute ein Statement von Kalle Rummenigge zur Entscheidung der Wettbewerbshüter aus Bonn abgeliefert:

„Der Tag ist gekommen, wo wir der Wahrheit ins Auge sehen müssen und diese Wahrheit dem Fan mitzuteilen haben. Und diese Wahrheit tut weh. Einen Champions-League-Sieger sehe ich im deutschen Vereinsfußball angesichts der herrschenden Knebelungen in den nächsten Jahren nicht.“

Da kommt mir spontan eine Flashmob-Idee: Heute Abend, 22 Uhr, Bahnhofsvorplatz in Krefeld - einmal herzhaft im Kollektiv über den paranoiden Vorstandsvorsitzenden aus München lachen? Komischerweise lief und läuft auf Premiere heute den ganzen Tag über der Weg seines Vereins zum Champions-League-Titel 2001. Wenn ich mir die Mannschaft der Bayern von damals anschaue, frage ich mich ernsthaft, wie diese Truppe damals Europas Thron besteigen konnte. Ich sage nur: Jancker, Jeremies, Zickler und Kuffour. Oder spielte man damals in England etwa noch mit Blechbüchsen auf Bänderriss fördernden Plätzen? Das würde einiges erklären.

Wir stehen derzeit wie Ödipus vor der Sphinx - gezeichnet von der Angst, die falsche Antwort auf die Frage nach „Geld, Gier und Erfolg“ oder „Tradition, Konstanz und Mittelmaß“ zu geben. Dank Christian Seifert – jawohl, ausgerechnet ein hohes Tier von der DFL – wissen wir jetzt wenigstens, dass die Bundesliga keineswegs zu klein, sondern ihre Gegner schlichtweg zu groß sind.

Alle Bundesliga-Klubs haben die Saison 2006/07 im schwarzen Zahlenbereich beendet. Ein Grund zur Freude wird dabei zur tonnenschweren Bürde: Während in Deutschland Kontinuität und wirtschaftliche Gesundheit auf der Prioritätenliste ganz oben rangieren, stürzen sich die Topklubs aus dem europäischen Ausland laut 11Freunde in neunstellige Verbindlichkeiten, ohne dadurch irgendeinen (sportlichen) Schaden zu erleiden - im Gegenteil. Für die Bundesliga werde diese Situation zur unüberwindbaren Hürde, „solange die UEFA ihr Lizensierungsverfahren so fährt, dass es international Klubs gibt, die 200 Millionen Euro Verlust machen können und in der Champions League gegen deutsche Klubs antreten, deren Anspruch es ist, schwarze Zahlen zu schreiben“, sagt DFL-Geschäftsführer Seifert im 11Freunde-Sonderheft.

Also Herr Rummenigge: Sind sie zu stark, sind wir nicht unbedingt zu schwach.


PS: Word kennt das Wörtchen "Topklub" nicht, bietet mir stattdessen "Atomklub" an. Ein Zeichen?

Samstag, 26. Juli 2008

Von Kindesbeinen an

Die deutsche U19 steht vor dem ersten Titelgewinn für den DFB im Juniorenbereich seit 1992. Ein Erfolg, der zur Last werden kann für eine verheißungsvolle Generation.

In Jablonec spielt die deutsche U19-Nationalmannschaft derzeit im Finale gegen Italien. Eine 16 Jahre andauernde Durststrecke, was Titel bei Juniorenturnieren der angeht, soll dabei ihr Ende finden. Wir erinnern uns, auch damals verloren die Senioren ein EM-Endspiel – gegen Dänemark beim Turnier in Schweden. Vonwegen gutes Omen und so…

Lars Bender hat gerade den richtigen Weg eingeschlagen: Mit links in den Winkel, nicht schlecht. Der 89er-Jahrgang schimmert in einem dezenten Gold. Von einer gleichfarbigen Generation muss man jetzt nicht gleich anfangen. Doch Bender, Bender, Gebhart, Nsereko, Sukuta-Pasu, das sind mit Sicherheit nur ein paar von vielen, deren Weg nicht abrupt bei diesem Turnier enden wird. Die jüngeren 90er haben letztes Jahr bei der U17-WM Platz drei belegt, geführt von einem überragenden Toni Kroos. Und selbst wenn in sechs Jahren nur fünf Spieler aus diesen beiden Jahrgängen die Nationalmannschaft bevölkern werden, wäre das noch immer überproportional.

Bei der EM in Österreich und der Schweiz hieß der vergleichbare „Doppeljahrgang“ 1984/1985 – je vier Spieler sind in diesen Jahren geboren worden (Odonkor, Trochowski, Schweinsteiger, Mertesacker, Adler, Podolski, Gomez, Jansen). Sechs davon könnten in geraumer Zeit den Stamm des Teams bilden.

Nationalmannschaften leben von dieser Blockbildung der anderen Art, von Spielern, die sozusagen schon zusammen gespielt haben, bevor sie in den Stimmbruch gekommen sind. Aber der Ruf einer „goldenen Generation“ kann auch zur schweren Last werden. Einfach mal nachfragen bei Figo, Rui Costa, Poborsky oder Nedved.

Mittwoch, 23. Juli 2008

"In de Kull" war "in de Zeitung"

Die Rheinische Post druckt auf ihrer Opinio-Seite, die jeden Dienstag erscheint, eigentlich mit Vorliebe herzzerreißende Katzengeschichten, Stories von Leuten, denen eine Holzlatte durch die Windschutzscheibe geflogen ist, oder Urlaubsberichte aus Taka-Tuka-Land. Man will dem werten Leser das eigene Autorenportal schmackhaft machen.

Jetzt ist es mir gelungen, ihr Herz mit meiner "Reise" an die Reliquienstätte des altehrwürdigen Bökelbergs zu erweichen. Danke, Opinio! Auch dafür, dass genau jenes Foto neben dem Artikel steht, das nach einer durchzechten Abiballnacht um 9:30 Uhr beim Frühstück aufgenommen wurde.

Das Ganze ist in diesem nur begrenzt ehrwürdigen Blog am 5. Juli unter dem Titel "In de Kull" erschienen. Die Älteren unter uns werden sich vielleicht erinnern.

Dienstag, 22. Juli 2008

Kahê lässt grüßen?

Man könnte meinen, Gladbachs Recken in der letzte Reihe auf dem Mannschaftsfoto wollten Borussen-Legende Kahê Konkurrenz machen.

"Alarm in Gladbach: Spieler mit Plautze auf dem Mannschaftsfoto"
- wär' doch etwas für die Bild-Zeitung.

Dabei war es Gott sei Dank nur der Wind, der augenscheinlich eine dicke Wampe unter Friends, Callsen-Brackers und Kleines Trikot zauberte.

Quelle: borussia.de

Montag, 21. Juli 2008

Ruhe im Schacht(en)

Es gibt Fußballer, die ziehen das Pech magisch an. Sebastian Schachten, 2007 von den Bremer Amateuren an den Niederrhein zur Borussia, gewechselt, gehört zweifellos dazu.

Irgendein Nachmittag Anfang Juli: Es regnet in Strömen. Auf dem Rasen drehen alle gesunden Borussen ihre Runden. Gleich hinter Karim Matmour, der mit seinen langen, dünnen Beinen ein wenig an 1500-Meter-Weltrekordler Hicham El Guerrouj erinnert, läuft Sebastian Schachten. Der Außenbahn-Allrounder hat im Aufstiegsjahr nur zweimal gespielt. Doch jetzt will er endlich angreifen.

„Der setzt sich durch, pass‘ auf“, versichert mir mein Leidensgenosse Nils. Ich traue mich nicht so ganz, zu widersprechen. Schließlich hatte er Mitte Mai vorausgesagt, dass Spanien Europameister werden würde. Ich habe gelacht damals. Deswegen halte ich mich jetzt zurück.

Heute, ein paar Wochen später, läuft Schachten mit Krücken durch die Gegend. Der Mann bleibt sich treu und das Verletzungspech auf seiner Seite. Im Freundschaftsspiel gegen West Bromwich riss er sich den Außenmeniskus – voraussichtlich zwei Monate Pause. Reha, keine Bundesliga. Wie sagte Andi Brehme doch einst: „ Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß“. Sebastian Schachten hat wohl eine besonders große „Tretmiene“ erwischt.

Samstag, 19. Juli 2008

Weltstar

Man sollte nicht alles wegwerfen oder auf dem Trödel verkaufen. Schließlich weiß man nie, worüber man an einem verregneten Julitag noch einmal für ein paar Sekunden schmunzeln wird.


Ich denke, ein paar Wochen nach Erscheinen des Kalenders wird es eine Entlassung gegeben haben. Seitdem befindet sich ein verzweifelter Verleger auf Jobsuche. "WorldStar" - unfassbar.

Freitag, 18. Juli 2008

Das ominöse zweite Jahr?

Erwischt es wirklich so viele Mannschaften im zweiten Jahr nach dem Bundesliga-Aufstieg? Gute Nachrichten für den KSC, ein SC Freiburg im Höhenflug und Zahlen über Zahlen aus der Geschichte des Abstiegskampfes.

NFL, NHL, NBA, MLB – im Grunde alles stinklangweilig. Schließlich geht es doch nur im Titelkampf zur Sache. Die Hälfte aller Teams dümpelt Jahr für Jahr im Niemandsland herum, ohne ganz oben mitzumischen. Abstiegskampf ist in Amerikas Profiligen ein Fremdwort. Solange der Sponsor sich nicht plötzlich verflüssigt, ist der Ligaverbleib fürs Erste gesichert.

All das sind Sorgen, die sie in Bielefeld, Cottbus, Karlsruhe, Gladbach und Köln mit Sicherheit gerne hätten. Für diese Vereine und ein paar mehr (meist gesellen sich einige hinzu, die heute noch gar nichts davon ahnen) geht es ab dem 15. August einzig und allein um den Klassenerhalt in der Bundesliga. Der Kampf um einen Platz für die nächste Saison hält mitunter mehr nervenzerreißende Spannung bereit als der Titelkampf – keiner (höchstens der HSV) ist vor dem Untergang sicher, denn es kann jeden treffen. Besonders jene, die nicht schnell genug kapieren, worum es geht.

Als Aufsteiger hat man es da erst Recht schwer. Doch wie wahrscheinlich ist es eigentlich, den direkten Weg zurück in Liga Zwei antreten zu müssen? 116 Mannschaften sind seit der Saison 64/65 als Liganeuling ins Rennen gegangen, 69 haben auch noch die nächste Saison erlebt. Demnach steigen statistisch gesehen gut 40% aller Aufsteiger sofort wieder ab. Häufig wird das „ach so schwere 2. Jahr“ gepredigt, in dem ein ehemaliger Neuling nicht mehr neu ist, in dem sich die anderen Teams auf den ehemals Unbekannten eingestellt haben.

Doch entgegen aller Behauptungen ist nicht jede Fortsetzung schlecht: Wer in der ersten Spielzeit über dem Strich geblieben ist, dem gelingt das in fast drei von vier Fällen mindestens ein weiteres Mal. Das heißt, mit knapp 75-prozentiger Sicherheit sehen wir den KSC auch in der Saison 09/10 im Oberhaus. Sollte denen vielleicht mal jemand ausrichten. Aber wer als Aufsteiger nach einer tollen ersten Spielzeit wie der KSC mehrere Leistungsträger verloren hat, dürfte zusätzlich gefährdet sein. Die 18 Mannschaften, die sich nach einem guten ersten Jahr verabschiedeten, hatten dort im Schnitt einen Platz im Bereich von 12 und 13 belegt. Davon waren die Badener als Elfter nicht weit entfernt.

Vielleicht gelingt den Karlsruhern sogar ein weiterer Höhenflug. Schon einige Male konnte sich ein Verein nach der ersten Saison merklich steigern. Als Paradebeispiel dient der SC Freiburg: Nach dem knappen Ligaverbleib als 15., schafften die Breisgauer in der darauffolgenden Spielzeit als Dritter den Sprung in den UEFA-Cup. Ähnliches blieb dem Wuppertaler SV Mitte der 70er verwehrt. Nur zweimal in der Bundesliga-Geschichte schnitt ein Neuling besser ab – die Bayern 1965 und natürlich der FCK im Jahr 1998. Eine andere Bestleistung gelang den Wuppertalern jedoch: Nach Rang vier folgte der Absturz auf den 16. Platz. Zusammen mit den Kickers Offenbach waren sie zuvor das beste Aufsteiger-Duo aller Zeiten gewesen.

Mit geringer Wahrscheinlichkeit wird es verkommen, dass sowohl Gladbach als auch Hoffenheim und Köln sofort wieder aus der Bundesliga verschwinden. Bei drei Absteigern gab es das in der 45-jährigen Geschichte erst einmal: 78/79 kamen Bielefeld, Darmstadt und Nürnberg erst gemeinsam hoch, mussten dann schnurstracks wieder runter. 11-mal, also in 25% aller Fälle, hielten alle Aufsteiger die Klasse. Nicht ganz so schlechte Aussichten für das diesjährige Trio aus dem Unterhaus.

Die Zweite Bundesliga darf sich in letzter Zeit ja zunehmend im Lob suhlen. Von der „besten aller Zeiten“ bzw. der „härtesten aller Zeiten“ war die Rede, als sich letzte Saison zig Traditionsvereine und Deutsche Meister dort tummelten. Überhaupt blüht das Unterhaus in den letzten Jahren auf, vor allen Dingen seit der endgültigen Zusammenführung von Nord und Süd im Jahr 1992. Logischerweise müssten es Mannschaften aus dieser Liga im Oberhaus leichter haben als zuvor, weil das Leistungsniveau enger zusammenrückt. Entgegen dem Trend schneiden die Neulinge in den letzten Jahren jedoch sogar schlechter ab – für 13 von 30 Aufsteigern in dieser Zeit war das Intermezzo Bundesliga nach einem Jahr beendet. Noch schlechter sieht es jedoch im Hinblick auf die zweigleisige Zweite Liga aus, die von 1974-1981 und dann noch einmal in der Saison 1991/92 existierte. 48% der Emporkömmlinge mussten prompt wieder ihre Zelte abbrechen.

Einen Spruch von Karl-Heinz Rummenigge aus der letzten Saison spare ich mir an dieser Stelle. Aber sowohl für Karlsruhe als auch für die drei Aufsteiger Gladbach, Hoffenheim und Köln geht es am 15.8. bei Null los. Ach ja – und eine Saison dauert 34Spiele.

Donnerstag, 17. Juli 2008

Pilsen bei Nacht, von Hertha um den Schlaf gebracht

Phantasiespiele und exzessives Berlin-Bashing (sorry, Easyfunk, aber selber Schuld, wenn man so früh in die Saison einsteigt)

Es ist derzeit nicht viel los in der Welt des Fußballs – Beachsoccer-WM, U19-EM, UI-Cup, UEFA-Cup-Quali, mehr nicht. Da bleibt Zeit, der eigenen Phantasie einmal freien Lauf zu lassen. Stellen wir uns vor, ich – Jahrgang 89 – wäre ein begnadetes Talent und deshalb Jugendnationalspieler. Ich dürfte meine Sommerferien in Tschechien verbringen, vor 17 Zuschauern in Pilsen gegen gleichaltrige Bulgaren spielen. Ein Kindheitstraum. Und mich fragen, warum Marko Marin eigentlich nicht in meiner Mannschaft spielt. Ach, was wär‘ das schön.

Ich weiß gar nicht, warum mich die Hertha momentan so anlacht. Es ist zwar ein ziemlich schiefes Lächeln, mit gelben Zähnen bzw. ohne Zähne, aber die Hertha ist allgegenwärtig und mir will partout nichts Gutes zum Hauptstadt-Klub einfallen. So sehr ich mich auch bemühe.

Hier erstmal ganz unverbindlich die Aufstellungen der beiden Mannschaften heute Abend:

Hertha BSC:
Drobny – Chahed (72. Radjabali-Fardi), Kaka, von Bergen, M. Stein – Piszczek, Dardai, Kacar (67. Lustenberger), Ebert – Raffael – Pantelic (46. Domovchiyski)

Nistru Otaci:
Pyliuga – Goka Mekang, Soltanici, Laba (39. Suruceanu) – Tymchenko (66. Rozlaci), An. Tcaciuc – Savchenko, Ozinloze, Malitskiy (73. Velesco), Groshev – Al. Tcaciuc

Ein Laie könnte da schnell durcheinanderkommen und sich fragen, wer eigentlich der Klub aus Deutschland ist und wer in der moldawischen Liga spielt. Zungenbrecher en masse - auf beiden Seiten... Domovchiyski, Radjabali-Fardi - ich komme einfach nicht drüber hinweg. Gute Nacht allerseits.

Stell Dir vor, es ist WM und keiner weiß, warum

Ein Mann mit Bart, viel Sand, keine Stollen und die Marseillaise in Marseille.

Auf Eurosport läuft gerade ein merkwürdiges Match: Der Spielfluss erinnert ein wenig an International Superstar Soccer 98 für die N64. Allein das überschwängliche "What a cracker!" des Reporters fehlt. Der Platz ist in extrem schlechten Zustand und Eric Cantona fungiert als französischer Nationaltrainer. Kein Witz, ganz im Gegenteil. Das Ganze nennt sich sogar noch WM, genau gesagt FIFA WM 2008. Ja, richtig verstanden, Weltmeisterschaft.

Und ich frage mich die ganze Zeit, warum es eigentlich kein Baseball mit Mangos gibt, oder Eisschnelllauf auf Rasen, oder wie wär’s mit Segeln unter Wasser? Aber Hauptsache wir spielen Fußball auf Sand. Es gibt ja momentan eh nichts zu tun.

Montag, 14. Juli 2008

Ultima Ratio in der Hauptstadt

In Berlin holt man sich Hilfe aus dem alten Rom:

"Hertha will Cicero verpflichten"
(ZDF-Videotext)

Erst Kaka, jetzt Cicero. Chinesische Verhältnisse bei der Hertha - es wimmelt nur so von Plagiaten. Nicht einmal der Manager ist der echte Hoeneß.

Sonntag, 13. Juli 2008

Skandal um Marlies

Tête-à-tête mit einer Computerstimme, Rosinenpicken Deluxe und eine morgendliche Kartenodyssee

Samstagmorgen, 8:53 Uhr – nach einer halbwegs durchzechten Nacht mit einem unausgeglichenen Verhältnis von Schlaf- und Wachzeit klingelt der Wecker viel zu früh. Aber der 12. Juli 2008 ist nicht irgendein Tag: Um 10 Uhr startet der Tageskartenverkauf für Mitglieder von Borussia Mönchengladbach. Im Prinzip könnte mir das ziemlich schnuppe sein, nicht aber meinem Bruder und meinem Vater, die keine Dauerkarte in ihrem Portemonnaie mit sich herumtragen und deshalb den – wie sich später zeigen wird – unfassbar schweren Umweg über den Einzelverkauf gehen müssen. Vielmehr bin ich der Glückliche, der den Auftrag erhält, je zwei Karten für die Hinrundenknaller gegen Köln und Bayern ins Haus flattern zu lassen – Nordkurve, Oberrang.

Mein Vater und mein Bruder sind nicht unbedingt notorische Rosinenpicker, ganz anders als Tausende Borussenfans, die es nur ins Stadion zieht, wenn eine der oben genannten Mannschaften im Borussia-Park gastiert – unter Umständen machen sie bei Bremen, Dortmund oder Schalke sogar eine Ausnahme. 26.000 Dauerkarten hat die Borussia in diesem Jahr verkauft. Wenn ich mich nicht täusche, sind das ca. 40 Prozent mehr als letztes Jahr, als die Hochkaräter nicht Bayern und Köln, sondern Koblenz und Köln hießen. Wenn wir großzügig 4000 neue Dauerkarteninhaber abziehen, die dem Abenteuer Unterhaus aus beruflichen Gründen nicht regelmäßig beiwohnen konnten und denen der Samstag jetzt wieder passt, sind das immer noch ein paar Tausend Rosinenpicker, Eventfans und Modeerscheinungen, die im Mai ihre Dauerkarten wieder auf die Gleise am Rheydter Hauptbahnhof schmeißen werden, wenn am Ende nicht mindestens Platz 15 herausspringt. Eben jene Kreaturen sind der Grund dafür, warum ich samstags um 9:12 Uhr mit meinem Laptop im Bett hocke und die Webseite von Gladbach aufrufe.

Das Aufrufen von borussia.de funktioniert sogar problemlos. Aber schon beim nächsten Schritt stellt sich mir das erste unüberwindbare Hindernis in den Weg: „Die Server sind ausgelastet“. Schön für die Server – doch was ist mit meinen Karten? Im Umkehrschluss bedeutet das, dass zu dieser Uhrzeit – eine Dreiviertelstunde bevor der Verkauf überhaupt startet – bereits so viele Mitglieder vorm PC hocken, dass „rien ne va plus“ noch als fatale Untertreibung daherkommt. Also den Computer auf Stand-By, den Wecker auf 9:56 Uhr gestellt und noch eine Runde eingenickt. Unwahrscheinlich, dass sich innerhalb der nächsten Minuten so viele Leute von der Seite entfernen werden, dass das Ticketcenter seine Pforten auch für mich öffnet. Ich könnte das Stromnetz von Mönchengladbach lahm legen. Aber dazu fehlt mir nach vier Stunden Schlaf schlichtweg die Kraft.

Um Punkt zehn Uhr mache ich mit dem Gründungsdatum des VfL Bekanntschaft, dem 1.8.1900: Unter 01805/181900 finde ich meine Beschäftigung für die nächsten 45 Minuten (wobei ich zu diesem Zeitpunkt blauäugig davon ausgehe, nach vier Minuten sei die Sache spätestens gegessen). Die Tickethotline ist meine letzte Hoffnung. Um 10:03 Uhr herrscht dort leider ein Vakuum in Sachen Tageskarten. Bei der Borussia scheint man es nicht ganz so genau zu nehmen mit Versprechen und Uhrzeiten. Marlies – ich nenne sie jetzt einfach mal so, schließlich werden wir ein 40 Minuten langes, inniges Zwiegespräch führen – bietet mir eine Mitgliedschaft und eine Dauerkarte an. Will ich nicht, hab‘ ich schon. Also gebe ich Marlies erst einmal einen Korb. Der Anruf auf der Geschäftsstelle verpufft ereignislos – nicht unklug, den Tageskartenverkauf an einem Samstagmorgen außerhalb der Öffnungszeiten zu starten. So kann sich wenigstens niemand über technische oder organisatorische Probleme beschweren.

Vier Minuten nach unserem ersten Aufeinandertreffen herrscht dann reges Treiben bei Marlies. Ich bin ihr nicht mehr wichtig, wie auf dem Arbeitsamt bekomme ich humorlos eine Nummer in die Hand gedrückt: Platz 235 in der Warteschlange. Reihe 8 in Block 17 A wäre mir viel lieber. Im Hintergrund pulsiert der Karneval von Rio, Sambarhythmen ertönen aus dem Telefonhörer. Im Vordergrund schenkt mir Marlies wieder etwas mehr Aufmerksamkeit. Alle fünf Sekunden schiebt sie mich ein paar Plätze nach vorne in der Schlange. 213, 187, 143, 102, 87 – fünf Minuten sind vergangen. Ich wünsche mir die „Elf vom Niederrhein“ oder „You’ll walk alone“ – Marlies überhört mein Flehen. „Sie sind jetzt auf Platz 34“, versichert sie mir mit ihrer wohlklingenden Stakkato-Stimme. Ich glaube, wir haben uns schon einmal getroffen – in der 054 von Anrath nach Krefeld, dort sagt sie die Haltestellen an. Ihr genuscheltes „Am Stock“ gehört dort zu den Klassikern.

Irgendwann werden die Zahlen einstellig, plötzlich mache ich dann einen Riesensatz von Platz 9 mitten hinein in die Ticketoase. Ich tippe meine Mitgliedsnummer für Marlies ein. Sie leitet mich freundlich weiter. Das Ziel ist in Reichweite. Denke ich. Dann legt Marlies los: „Karten für folgende Spiele sind erhältlich: Borussia Mönchengladbach gegen den FC Valencia (Marlies kann sogar direkte Artikel benutzen) am 2. August um 15:30 Uhr…“ – „Och nee“, stöhne ich unüberhörbar für die Frauenstimme am anderen Ende. Wenigstens spart sie sich die Adresse, den Zusatz VfL und das e.V. Doch soll das jetzt so ausführlich weitergehen? „Haben Sie Hilfe gesagt?“, fragt Marlies mit Bohnen in den Ohren. „Nein“, entgegne ich ihr schroff. Meine Freundlichkeit schwindet dahin, Marlies dagegen bleibt zuvorkommend und nett. Nachdem ich unseren Spielplan beinahe auswendig kenne, kommt sie endlich zum Spiel gegen Köln.

„Stopp“, rufe ich erleichtert – ganz so, wie Marlies es drei Minuten zuvor verlangt hatte, als sie begann, die Heimspiele der Hinrunde aufzuzählen. Mich zieht es in den Norden, Marlies findet das OK. Leider könne sie mir nur Sitzplatzkarten anbieten. Kein Ding, was anderes wollte ich doch gar nicht. Es geht weiter mit den Einschränkungen – Block 14A ist das Beste, was sie parat hat. 15A, 16A, 17A – alles bereits ausverkauft. Nicht schlimm, ich zeige mich von meiner toleranten Seite. Doch bevor ich überhaupt zustimmen kann, hat Marlies mein kurzes Zögern als „ja“ interpretiert. Sie führt mich weiter zur Zahlung und zum Abschluss der Bestellung. Ich würde gerne mit Mastercard bezahlen, Marlies widerspricht nicht, verlangt allein die Nummer.

‚Moment, wo ist die Mastercard überhaupt?‘, schießt es mir durch den Kopf. Meine Mutter stürmt aus dem Bad, eilt mit der Karte herbei. Als ich den Finger zur Taste mit der ersten Ziffer bewege, ist Marlies‘ Geduld am Ende. Beleidigt sagt sie mir, dass sie die reservierten Karten leider wieder in den freien Verkauf geben müsse und legt im selben Atemzug auf.

Als ich Marlies daraufhin zur Rede stellen will, tut sie so, als kenne sie mich nicht. Vergessen ist das vorherige Gespräch. Im Nu bin ich nur noch eine Ziffer in einer langen Reihe von kaufwilligen Borussen – los geht’s diesmal bei 262. Weitere fünf Minuten später bin ich bzw. ist Marlies bei 11 angekommen. „10… 9… 8… 7…“, zählt sie herunter, als würde der Hörer gleich in die Luft fliegen. Er tut es nicht, stattdessen sind wir am selben Punkt angelangt wie zehn Minuten zuvor. In Block 14A ist immer noch Platz. Diesmal liegt die Kreditkarte bereit. „Mastercard“, antworte ich bestimmt auf Marlies‘ Frage, wie ich ihr denn gerne die Kohle zukommen lassen würde. „Haben Sie Hilfe gesagt?“ – Sie denkt, ich selbst hätte mit einem Problem zu kämpfen, dabei scheint bei ihr nicht alles in Ordnung zu sein. Im zweiten Anlauf klappt es: Die Tickets sind gebucht, Marlies diktiert mir geduldig die Transaktionsnummer. Ich befürchte bereits, dass unser Gespräch gleich wieder beendet sein wird. Dabei fehlen doch noch die beiden Karten fürs Bayern-Spiel.

Doch Marlies überrascht mich. Die Chemie stimmt zwischen uns. Sie wimmelt mich noch nicht ab. „Sie haben nun die Möglichkeit, weitere Tageskarten zu bestellen. Möchten Sie weitere Tageskarten bestellen?“, fragt sie in der Manier einer Kindergärtnerin, die ihren Schützlingen noch einen Löffel Möhrengemüse auf den Teller klatscht. Das „Du“ geht ihr noch nicht über die Lippen. Dabei verstehen wir uns gerade doch ganz gut.

Sie bietet mir an, den Namen meiner gewünschten Tribüne entweder laut auszusprechen, oder eine entsprechende Taste zu drücken. Auf einmal zeigt sie ein Herz für Stumme. Doch die würden es ja nie so weit schaffen, ohne Marlies ein überzeugtes „ja“, „nein“ oder „vielleicht“ mit auf den Weg geben zu können. Na toll, Marlies.

In Windeseile sind die Tickets bestellt, routiniert souffliert sie mir die Transaktionsnummer ins Ohr. Nach der 8 versagt meine Konzentrationsfähigkeit für einen Moment. Kein Wunder, wir telefonieren seit circa 40 Minuten – so lange dauert die Achterbahnfahrt der Gefühle bereits. Ich muss ihr also leider mitteilen, dass ich mir die TAN nicht ganz vollständig notieren konnte. „Gut, dann noch einmal“, ruft die Computerstimme genervt in den Hörer. Diese Stimmungsschwankungen – ich tippe auf Wechseljahre.

„32484“ – dann ist unser Gespräch beendet. Marlies verschwindet in ihrem Computer. Ich lege schweißgebadet auf, nach 43 Minuten. 6 Euro macht das dann bitte. Ist ja nicht so, dass ich gerade vier Tickets bestellt hätte für je – gute Frage, wie teuer waren die eigentlich? Für Köln gibt es 5 Euro Topzuschlag oben drauf, für Bayern gar 10. Selbst das wird die Rosinenpicker nicht abschrecken. Ich habe es gemerkt.

Mir wird klar, wie viel Marlies' Job mit Prostitution zutun hat: Ein bisschen die Domina raushängen lassen, dann einen auf heile Welt machen – alles für jede Menge Geld, gefühlslos und anonym. Und wir Fans, wir sind Marlies‘ Freier, versklavt von unserem Verein – und wir können nichts anderes tun, als es hilflos über uns ergehen zu lassen. Aber das ist ja nicht neu.

Es müllert in München

Die Bayern haben wieder einen Müller. Gestatten: Thomas, nicht Gerd.

Ein 7:1 gegen Lippstadt ist nicht unbedingt der Rede wert - wenn es nicht Klinsmanns erster Auftritt als Bayern-Coach gewesen wäre. Und dann war da noch ein gewisser Thomas Müller, 18 Jahre alt, der mit der 9 auf dem Rücken drei Treffer erzielte. Weder verwandt noch verschwägert ist der Gute jedoch mit dem einstigen "Bomber der Nation".

Bei Google findet man 932.000 Einträge zu "thomas müller". Zum Vergleich: Bei meinem Namen sind's gerade einmal 217. Es dürfte also selten einen Fußballer mit einem größeren 08/15-Namen gegeben haben. Mit irgendwelchen Mutmaßungen vonwegen "da wächst einer heran" halte ich mich brav zurück: Ich erinnere an frühere bayerische Sturmtalente wie zum Beispiel Berkant Göktan oder Antonio Di Salvo - beide sind bei 60 gelandet, letzterer ist zumindest gefühlter Champions-League-Sieger. In ein paar Wochen trägt dann wieder ein anderer die 9 und schraubt sich munter am Ohr herum. Wenn er denn dazu kommt.

Donnerstag, 10. Juli 2008

Vom Globus über den Tisch gezogen

Warum wir gegen Spanien einfach keine Chance hatten und Spanien gar nichts dafür konnte.

Ich will hier jetzt nicht mit einem "Hab ich's doch gesagt" ankommen. Schließlich war es mir selbst entgangen, dass unsere Niederlage im EM-Finale schon längst besiegelt war, bevor das Spiel gegen Spanien überhaupt angepfiffen wurde. Wien lag einfach zu weit östlich. Da die österreichische Hauptstadt bis zum Ende der Weltgeschichte dort bleiben wird, wo sie derzeit zu finden ist, werden wir niemals ein Endspiel dort gewinnen können. So ist das, wenn man nicht mehr weiß, was man eigentlich erzählt hat.

2010 (Südafrika), 2012 (Warschau oder Kiew?) und 2014 (Rio?) wird das demnach auch nichts mit dem ersten Titel seit '96 - es sei denn, Italien erhält nachträglich den Zuschlag für die EM in vier Jahren. "Der deutsche Titelkorridor" vom 23. April hat's gewusst. Nicht Metzelder, nicht Mertesacker, kein Torres, kein Pocher - ein Längengrad hat uns um den EM-Titel gebracht...

Dienstag, 8. Juli 2008

Wie einst in Fátima

Premiere hat ein Herz für die Hartgesottenen: Das Rundum-sorglos-Paket gibt's fürs nächste Jahr zum halben Preis. Die Suche nach einem Haken läuft. Bislang erfolglos.

Wer der Sehnsucht nach Live-Fußball samstags um 15:30 Uhr nicht widerstehen konnte, musste im Sommer 2006 die Fronten wechseln. Vorbei die Premiere-Zeit, in schwarz-orange kam Arena mit seinem Dome daher. Ein Jahr später war die Luft bereits raus – nicht nur aus der ballonartigen Kuppel, aus der die Vor- und Nachberichterstattung am Samstag übertragen wurde, sondern aus dem gesamten Sender. Das gesteckte Ziel von 2,5 Millionen Abonnenten hatte man nicht einmal zur Hälfte erreicht, deshalb ein riesiges Verlustgeschäft gemacht. Premiere erhielt eine Unterlizenz, überwies und überweist auch in der kommenden Spielzeit noch 100 Millionen Euro. Dann geht der Zirkus um die Übertragungsrechte von vorne los. Vielleicht mit Folgen, an die wir jetzt noch gar nicht denken wollen.

Die Bundesliga feierte nach kurzer Abstinenz also ihr Comeback bei Premiere, dort wo 1991 erstmals Live-Fußball gegen Bezahlung gezeigt wurde. Die 1,1 Millionen Arena-Kunden hatten jedoch nicht ganz die Arschkarte gezogen. Zur Saison 2007/08 übertrug der Sender einfach das Erst- und Zweitliga-Programm von Premiere, die Gebühren blieben dieselben. Doch nun, zwei Jahre nach dem vermeintlichen Beginn einer neuen Pay-TV-Ära, enden die letzten Abos, die vor zwei Jahren abgeschlossen worden sind – es sei denn, jemand war so verrückt und hat sein 12-Monatsabo um weitere zwei Jahre verlängert. Klar, die 1. und 2. Bundesliga laufen auch bis ’09 bei Arena. Champions League, UEFA-Cup und – erstmals ab diesem Jahr – der DFB-Pokal sind allesamt nur bei Premiere zu sehen. Niemand ist so blöd, um sich für diese 813 Spiele zwei Abos bei verschiedenen Anbietern zuzulegen. Und deshalb hieß es letzten Monat: Adios, Arena.

Früher gestaltete sich das Pay-TV-Prozedere mit Premiere relativ einfach: Es gab einen einzigen Sender, den galt es zu abonnieren. Denn dort lief alles von Filmen über Fußball bis Erotik (F***** hätte die Alliteration wunderbar vervollständigt). Doch damals gab es auch noch keine festen Rückennummern, Cheerleader und Wolfsburg in der Bundesliga. Heute ist Abo nicht gleich Abo, gefühlte 2008 Möglichkeiten offenbaren sich. Selbst die Devise „Hauptsache alles mit Spocht“ macht die Sache nicht leichter. Was darf’s denn sein? Nur die zwei Profiligen ohne alles? Vielleicht ein Pfund Premier League dazu, oder eine Viertel Formel 1? Tennis bei Bedarf? Ein paar Mal im Jahr dem Dirk bei Dallas zugucken? Ach ja, und wie sieht’s aus mit Champions League, ein paar Runden UEFA-Cup und dem Rest der Bagage?

Ganz so individuell geht es dann leider doch nicht. Als ich vor zwei Wochen die Rückkehr zu Premiere in Angriff nehmen wollte, gab es noch drei Pakete: Bundesliga+ 2.Bundesliga, Champions League+UEFA-Cup+International, oder Formel 1+Tennis+was es sonst so gibt. Schumi im Ruhestand, Boris und Steffi nicht mehr mit dabei – da war selbst Nowitzki bei Nacht keinen weiteren Euro wert. Also: Einmal Fußball total für 34,99 € im Monat, bitte. Im 24-Monatsabo. 39,99€ für die halb so lange Variante. Nicht wenig Geld. Vor allen Dingen, wenn sich im Jahr zwei Dauerkarten, Trikots, Tageskarten und diverser anderer Driss dazu gesellen. Teure Sucht. Für Kind und Kegel.

Der Widerstand hielt sich jedoch diesmal wieder in Grenzen. Heute Morgen der Besuch auf der Premiere-Seite , um den Neuanfang unter Dach und Fach zu bringen. Auf einmal hatte ich eine Erscheinung, wie sie drei Hirtenkinder einst in Fátima gehabt haben müssen. „Fußballfans aufgepasst“, stand dort unübersehbar. „Sonderaktion zum Saisonstart! DFB-Pokal, Fußball Bundesliga und Champions League für nur € 19,99 mtl.“. Die Suche nach einem Haken verlief erfolglos. Im Gegenteil – für dieselbe Summe, die Arena die letzten zwei Jahre eingesackt hatte, gibt es jetzt das sportliche Rundum-sorglos-Paket. Mit allem von Bundesliga über DFB-Pokal bis Eishockey. An dieser Stelle kommt bei Pay-TV-Anbietern meist wirklich der Haken, aber selbst der Vertrag wird nicht über 24 Monate abgeschlossen, wie so oft bei Angeboten dieser Art. Nein, das ganze gilt nur fürs nächste Jahr. Das ist bestens, schließlich beginnt der Poker in ein paar Monaten von vorne. Da wäre es dumm, unter Umständen nach Hälfte der Vertragszeit wieder mit einem nutzlosen Abo dazustehen.

Premiere hat ein Herz, hat eingesehen, dass 34,99€ für Bundesliga, 2.Bundesliga, Champions League, UEFA-Cup und das Geschehen in der englischen, spanischen und italienischen Liga zu viel sind, um beruhigt die Kontoauszüge bei der Bank zu holen. Für ein wenig mehr als die Hälfte gibt es sogar die Formel 1 oben drauf. Selbst die wird so zum Genuss. Na gut, ich will mal nicht übertreiben.

Montag, 7. Juli 2008

In der verbotenen Stadt

Handys genießen in meinem Leben keinen allzu hohen Stellenwert. Mein derzeitiges Exemplar ist als "Seniorenhandy" verpönt, weil nur sechs Buchstaben einer SMS gleichzeitig auf dem Bildschirm angezeigt werden können. Die Klingeltöne sind monophon und bei einer Lautstärke, die den Pegel von Blätterrauschen übersteigt, kaum zu hören. Aber es funktioniert, hat Netz an Orten, wo andere hilflos vor die Tür rennen oder das Handy aus dem Autofenster halten, und besitzt eine Weckfunktion.

Nur leider fehlt eben die Kamera. Es stört nicht wirklich. Aber weil ich mit dem Wissen durchs Leben marschiere, dass Mobiltelefone inzwischen Fotos mit höherer Auflösung knipsen können als einigermaßen handelstaugliche Digicams, gibt es dennoch Situationen, in denen ich mir wünsche, einfach elegant mein Handy aus der Hosentasche zücken zu können, um Kurioses, Lustiges oder Informatives für die Nachwelt festzuhalten. Wüsste der Mensch nicht, dass der Mond existiert, wäre er schließlich auch noch nie dort gelandet.

Dieser Post trägt den Namen "In der verbotenen Stadt". Bis jetzt macht der Titel keinen Sinn, aber keine Angst, die Kurve kommt sofort: Ich war heute in Köln. Das kommt wahrlich nicht oft vor. Was sollte mich als Niederrheiner, der zwischen Krefeld und Mönchengladbach wohnt, auch rheinaufwärts ziehen? Köln sieht zwar immer noch schöner aus als KR und MG. Aber selbst ein Dackel kann sich optisch eher sehen lassen als ein Mops. Düsseldorf ist versnobt bis zum Himmel, hat fürs Auge jedoch immer noch mehr zu bieten als Kölle am Ring. Sogar die Fortuna ist ganz nett, da kann der FC sowieso nicht mithalten.

Ich hatte es noch nie bis auf die Spitze des Doms geschafft. Heute war es soweit: 509 Stufen, 100 Meter, haufenweise Engländer, die auf der Innenbahn die Wendeltreppe hinunter schreiten (also links) und den Verkehr kilometerlang stauen. Briten können verdammt stoisch sein. Noch viel mehr als die Aussicht auf die schwankende Millionenstadt hat mich jedoch ein kleines Schild am Beginn der Treppe beeindruckt: "Auf- und Abstieg in 30 Minuten" stand dort. 'Nicht schlecht', dachte ich mir. 'Das schafft selbst der FC nicht.'

Entschuldigung fürs niveauvolle Köln-Bashing. Aber es ist nun einmal rein gar nichts los derzeit. Die Recherchearbeiten über den FK Saturn Ramenskoje sind mir zu mühsam und mein Verein hält sich auf dem Transfermarkt zurück wie seit Jahren nicht mehr. Ich hätte an dieser Stelle etwas über das Nachmittagstraining der Borussia von letztem Donnerstag erzählen können. Doch was machten die Herren: Laufen - eine Stunde lang, bei strömendem Regen. Dann hatte selbst der leidgeprüfteste Anhänger genug. Ach ja, Marko Marin redete die ganze Zeit wie ein Wasserfall vor sich hin, Sascha Rösler hörte ihm mehr oder weniger aufmerksam zu, während Karim Matmour an der Spitze einsam seine Runden drehte. Ich sagte ja, es ist partout nichts los.

Sonntag, 6. Juli 2008

All I want for Christmas is Heimspiel

Die Borussia fährt am ersten Augustwochenende nach Bielefeld. Zwar auf die "Alm", aber nicht zur Arminia. VfB Fichte Bielefeld heißt der Gegner in der ersten Hauptrunde des DFB-Pokals - ein Siebtligist und der unterklassigste Verein im Wettbewerb.

Die Auslosung zur 1. Runde des DFB-Pokals ist für Funktionäre und Fans immer wieder eine schöne Gelegenheit, den Stellenwert des eigenen Vereins zu messen. Wenn das Wort "Traumlos" fällt, kann man getrost ins Bett gehen. Mit der Gewissheit, dass man gerade viele, viele Leute glücklich gemacht hat, indem der Vereinsname samt Logo in einer kleinen Plastikkugel platziert worden ist. Zumal Amateurvereine in der ersten Hauptrunde nicht so vermessen sind und sich möglichst einen schwachen Zweitligisten wünschen - mit dem Weiterkommen im Hinterkopf. Da geht es um Zuschauer, Medienrummel und - vor allen Dingen - um Geld. Man kann es ihnen kaum verübeln. Gerade für einen Landesligisten wie den VfB Fichte Bielefeld könnte das zweite Augustwochenende eine Once-in-a-lifetime-Angelegenheit werden.

Borussia Mönchengladbach dürfte ihnen all das geben, was sie wollen. Bis auf den Sieg vielleicht, der dann doch ganz weit hinten im Kopf zwischen Kleinhirn und Okzipitallappen herumschwirrt (dass ich seit fast 19 Jahren einen Okzipitallappen mit und in mir herumtrage, habe ich auch erst vor ein paar Minuten erfahren - Wikipedia sei einmal mehr gedankt). Bayern, Dortmund, Bremen, Schalke - alle Paarungen der großen Klubs (was hier nicht ausschließlich auf deren Leistungen der letzten Jahre bezogen ist) wurden in den Nachrichten genannt. Ganz unten in der Liste tauchte dann auch die Borussia auf.

Als leidgeprüfter Borusse Jahrgang 1989 vergisst man manchmal, dass der Name "Borussia Mönchengladbach" noch heute in vielen Teilen Europas ein Zungeschnalzen hervorruft. Nicht nur bei Leuten, die alle Torschützen der WM-Geschichte parat haben, sondern genauso bei jenen, die sich lediglich für Fußball interessieren. Der Zusatz "bei Düsseldorf" wird vollkommen überflüssig, sorgt im Ausland unter Umständen sogar für unnötige Verwirrung. Denn "Mönchengladbach", der Hinweis auf den ungefähren Wohnort reicht vollkommen.

Der VfB Fichte Bielefeld hat in ein paar Wochen vor allen Dingen für eines zu sorgen: Ich will verdammt noch mal das erste Pokal-Heimspiel seit Anfang 2004, das erste überhaupt im Borussia-Park, das erste meines Lebens. Da wird ein Sieg auf der "Alm" unumgänglich. That's all I want for Christmas.

Samstag, 5. Juli 2008

In de Kull

Über die Rückkehr an einen Ort, an dem einst Geschichte geschrieben wurde. 85 Jahre lang – von 1919 bis 2004.

Den Weg werde ich nie vergessen: An der Elisabeth-Kirche rechts, die nächste links, dann ungefähr 300 Meter geradeaus und schon ist man da. Die Sonne lässt an diesem heißen Juli-Tag das Gras auf den Hängen in einem satten Grün erstrahlen. Blanke Steintreppen führen von oben nach unten. Die Szenerie hat etwas von Sanssouci und Montmartre. Nur die Touristen fehlen. Es ist still, so ruhig war es hier seit 90 Jahren nicht. Wenn es nicht Sommer wär’, hätte die Atmosphäre fast etwas Beängstigendes an sich.

Das Straßenschild mit der Aufschrift „In de Kull“ verweist auf einen kleinen Schotterweg, der in der Wüstenlandschaft voller Kies und Sand kaum auszumachen ist. Neugier hat mich hierhin getrieben. So etwas wie Heimweh war mit Sicherheit auch im Spiel. Montmartre ist in Wirklichkeit nämlich „Mont Bökel“ – der sterbliche Überrest von einem der geschichtsträchtigsten Stadien, die Deutschland je gesehen hat.

Mitten in Mönchengladbach, wo früher Vogts, Netzer, Heynckes und Co. um deutsche Meisterschaften spielten, regiert vier Jahre nach Ende der Ära Bökelberg das Nichts. Die „Hänge“ von heute waren früher „Ränge“ – steil in die Luft gebaut und von Moos bewachsen. Die angepriesenen „Top-Grundstücke“ zwischen den ehemaligen Strafräumen dagegen sind allesamt noch unbebaut. Keiner will dort wohnen, wo sich alle zwei Wochen bis zu 34500 Zuschauer Bundesliga-Spiele anschauten. Wer sich in der Nachbarschaft umsieht, wird zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass es sich schlichtweg niemand leisten kann.

Im Prinzip erinnert nur noch der Wall der ehemaligen Süd- und Haupttribüne an die historische Vergangenheit dieses Ortes. Eine Hälfte der altehrwürdigen Nordkurve zeichnet sich auch noch ab. Doch ein wenig Fantasie genügt, um das alte Stadion vors innere Auge zu zaubern. Im Vergleich zu den riesigen Arealen, die die hypermodernen Arenen der Neuzeit einnehmen, wirkt die Fläche des Bökelbergstadions geradezu winzig. Mit dem Auto fahre ich dahin, wo bis vor vier Jahren ungefähr die Mittellinie verlaufen sein muss. Von der Straße bis zur alten Haupttribüne sind es geschätzte 150 Meter – ein Katzensprung.


Es hat etwas von der Rückkehr an eine alte Eiche im Westerwald, in die man vor 25 Jahren die eigenen Initialen und die der großen Geliebten eingeritzt hat – schöne Erinnerungen kommen hoch, etwas Wehmut macht sich breit. In meinem Leben gibt es keine derartige Eiche im Westerwald. Schließlich bin ich noch nicht einmal 25 Jahre alt. Aber wenn die Borussia aus fußballerischer Sicht eine große Liebe ist, dann gebührt dem Bökelberg im übertragenen Sinne die Rolle jener Eiche.

29 Spiele habe ich hier gesehen. Nicht unbedingt viele, wenn man bedenkt, dass der Bökelberg alleine um die 600 Bundesligaspiele kommen und gehen sah. Und dennoch weckt dieser Ort – im Jahre 2008 eigentlich nicht mehr als ein kahles, tristes Feld in Mönchengladbach-Eicken – Erinnerungen an viele schöne Stunden bzw. 90 Minuten: An ein 5:2 gegen Hansa Rostock, das vor zehn Jahren den Grundstein für den Klassenerhalt legte. An ein 6:1 gegen Alemannia Aachen in Liga Zwei, als die Borussia alle Treffer nach der Pause erzielte. An eine 0:1-Pleite gegen Werder Bremen bei Temperaturen, die man sonst nur vom Polarkreis kennt (übrigens eine von nur vier Niederlagen, die ich in diesem Stadion erlebt habe). An die Aufstiegsgaudi gegen Chemnitz im Jahr 2001, als das Stadion aus allen Nähten platzte und – davon gehe ich fest aus – sich mindestens 40000 auf die Ränge quetschten. An ein 3:0 gegen den HSV, als der Wind so stark wehte, dass der Ball beim Abstoß kaum den Strafraum verließ. Und natürlich an den Abschied vor vier Jahren, als Gladbach gegen 1860 München mit 3:1 gewann und der Bökelberg nach 85 Jahren von der Fußballbühne abtrat.

Ihre besten Tage hat die „Kull“ zwar in den 70ern erlebt. Doch vermutlich gerade deshalb, weil in den letzten 13 Jahren Borussia nicht immer nur eitel Sonnenschein herrschte, hat dieser Ort solch eine Anziehungskraft auf mich ausgeübt. Der „Mythos“ schert sich nicht um Erfolge oder Misserfolge. Er lebt tapfer vor sich hin. Auch wenn im Prinzip nur noch ein Straßenschild verrät, dass an diesem Ort Fußballgeschichte geschrieben wurde – „In de Kull“.


(Quelle: EWMG)

Freitag, 4. Juli 2008

EM-Tagebuch (45) -
Schlussstrich

Das Finale von Wien liegt eine gefühlte Ewigkeit zurück. Bundesligaspielpläne werden bereits sorgfältig gewetzt, um auch bloß keinen Samstagnachmittag leichtfertig zu verplanen. Der Fußball-Alltag nimmt also seinen gewohnten Lauf. Was auch sonst? Deshalb ist es an der Zeit, in Sachen EM 2008 endgültig einen Schlussstrich zu ziehen.

Obwohl ihr Glanz und ihr Stellenwert verhältnismäßig schwinden, haben Olympische Spiele auf jeden Fall eine gute Sache an sich: Am Ende der Veranstaltung zieht der IOC-Präsident in seiner Abschlussrede in der Regel ein Fazit, dass einerseits die Qualität der aktuellen Ausgabe bestimmt und als Gradmesser für folgende Spiele dient.

Als reiner Kontinentalwettbewerb mit ganzen 368 aktiven Sportlern rangiert die Fußball-EM mittlerweile in den oberen Gefilden der Liste der wichtigsten Sportveranstaltungen. Doch ein offizielles Resümee fehlt einer Europameisterschaft und dieser Tage wünscht man sich, die Frage, ob die Ausgabe von 2008 wirklich die „beste aller Zeiten“ gewesen ist, könne endlich eine finale Antwort erhalten. Ganz so einfach ist das nicht, denn was macht ein Turnier zum besten seiner Art? Das spielerische Niveau, bahnbrechende Innovationen, einzelne herausragende Momente, eine perfekte Organisation?

Rein fußballerisch gesehen hatte die EM in Österreich und der Schweiz sicherlich einiges zu bieten. Spiele wie das der Russen gegen Holland oder Spaniens Demontage der „Sbornaja“ in der Vorrunde ließen jeden Beobachter mit der Zunge schnalzen. Doch was ist beispielsweise mit den Grottenkicks in der K.o.-Runde, Kroatien-Türkei oder Italien-Spanien, lassen sich die grottenschlechten Auftritte der Griechen, Franzosen und Rumänen einfach so unter den Teppich kehren? Unterm Strich hatte die EURO 2008 nämlich nicht mehr Schmankerl am Start als ihre Vorgänger. Viele Partien ragten heraus – in beide Richtungen, nach oben und unten.

An der Organisation der beiden Gastgeber gibt es derweil wenig auszusetzen. Weitgehend tadellos richteten Österreich und die Schweiz als zweites Länderduo in der Geschichte das Kräftemessen der europäischen Fußballmächte aus. Allein die Stadien ließen zu wünschen übrig, was ihre Größe angeht. 30000 Plätze sind nun einmal nicht annähernd genug, wenn geschätzte 200000 Fans aus einem Land nicht „nein“ zu einer Karte sagen würden. Immerhin gibt sich die UEFA in dieser Hinsicht lernfähig. Ach ja, eines noch: Vielleicht sollte man die Regelung einführen, dass nur noch Länder eine EM ausrichten dürfen, die sich in fast 50 Jahren schon einmal auf ehrliche Art und Weise für ein Turnier qualifiziert haben. Macht irgendwie Sinn, wir sind ja nicht beim Tennis und werfen mit Wildcards um uns.

Die großen, Aufmerksamkeit erregenden Zwischenfälle neben dem Platz blieben Gott sei Dank aus. Hier und da ein paar Unverbesserliche, aber im Prinzip verlief das Turnier auf den Fanfesten friedlich. Die berüchtigte „Volksfeststimmung“ musste immer wieder für eine atmosphärische Wasserstandsmeldung herhalten. Womit wir beim ersten wahren Problem angelangt wären, das nur bedingt organisatorischer oder fußballerischer Natur ist, sondern vielmehr bereits gesellschaftwissenschaftliche Züge annimmt: Die Übernahme des (deutschen) Fußballs durch die Spaß- und Partygesellschaft. Erschreckende Bilder lieferte der Empfang der deutschen Mannschaft am Brandenburger Tor vergangenen Montag. Früher haben wir uns vor schweren Ausschreitungen, rechtsradikalen Aufmärschen und Wasserwerfereinsätzen gefürchtet. Heute sind es Zahnspangenträger, Kreischungeheuer und Anhänger der Fraktion „Verloren – scheißegal, Hauptsache Party“, die uns – also mich zumindest – zunehmend in Angst und Schrecken versetzen.

Vorbei die Zeiten, als Fußballer noch „Katsche“, „Loddar“ , „Icke“ oder allemal – das war spitznamentechnisch schon ein großer Ausreißer – „Tante Käthe“ hießen. Poldi, Schweini, Micha und Miro lauten die bedeutendsten Namen der Gegenwart. Damit könnte man noch leben, wenn sie nicht zu allem Übel vorzugweise in ohrenbetäubender Kreischlautstärke zum Besten gegeben würden. Das hier ist weder eine Geschlechts- noch eine Altersfrage. Niemand wird gezwungen, den Kicker zu abonnieren. Dauerkarten und Auswärtsreisen gehören nicht zum Pflichtprogramm, genauso wenig wie der Name des WM-Torschützenkönigs von 1958 oder die Zuschauerzahl beim UEFA-Cup-Endspiel 2004.

Ich verlange ja gar nicht viel, zeige mich noch toleranter als eigentlich angebracht. Ich will doch nur, dass endlich ein Ball, 22 Spieler (nicht deren Freundinnen) und zwei Aluminiumgehäuse wieder in den Mittelpunkt rücken. Ich könnte das Gekreische vielleicht sogar noch in Maßen tolerieren, wenn es beim popeligen Länderspiel gegen Belgien immer noch jemanden gäbe, der dieses freundschaftliche Aufeinandertreffen um die Goldene Ananas und ein bisschen Prestige mit derselben Inbrunst wahrnehmen würde wie eine Public Viewing-Veranstaltung im städtischen Jugendheim oder auf dem Marktplatz in Idar-Oberstein. Doch wie es so ist, genießen amerikanische Vorabendserien auf dem Niveau eines österreichischen Erstligaspiels dann in der Zeit nach einem großen Turnier wieder voll und ganz die Zahnspangen tragende Aufmerksamkeit. So ohne Leinwand und 40 000 Mitgucker müsste man sich dann ja tatsächlich für das Spiel interessieren. Und Eintrittskarten kosten auch noch Geld. Public Viewing war dagegen immer umsonst. Blöd aber auch.

Dieser Trend scheint Michael Ballack, in diesem Falle stellvertretend für seine Nationalspielerkollegen, genauso auf den Geist zu gehen. Dabei geht es nicht direkt um Rumgekreische oder liebkosende Spitznamen, sondern um eine Parallelentwicklung in der Nationalmannschaft. Wir haben live gar nichts davon mitbekommen, aber der Kapitän Ballack und Manager Bierhoff müssen sich am Rande der spanischen Siegesfeier auf dem Rasen im Ernst-Happel-Stadion mächtig in die Haare geraten sein. Ballack habe die Nase voll von Event-Fußball, Verwöhnungsphilosophie und werbetechnischer Bevormundung, heißt es. Wenn dem denn tatsächlich so ist, gebe ich ihm vollends Recht. Hierin sehe ich nämlich so etwas wie den Quell unserer derzeitigen Probleme – unsere Nationalspieler sind verwöhnt, bekommen – wie es so schön heißt – den Arsch nachgetragen und vergessen darüber, worum es eigentlich geht.

Nicht nur Michael Ballack scheint das bemerkt zu haben. Auch Torsten Frings verzog auf der „Siegesfeier“, alias „Leichenschau“, am Brandenburger Tor das Gesicht, als müsse er sich nach einem überraschenden Abstieg aus der Bundesliga den wütenden Fans stellen. Der Auftritt der Nationalmannschaft vom Montag war mit Sicherheit einer der peinlichsten Momente der jüngeren DFB-Geschichte – auch wenn es nicht gerade viele einsehen wollen. Rudi Völlers Wutausbruch auf Island war wenigstens noch amüsant, die EM 2000 allein fußballerisch eine Farce. Doch die Catwalk-Veranstaltung in Berlin war schlimmer, ein Mekka des Fremdschämens: Ein singender Oliver Pocher, der die These widerlegt, dass man etwas auf dem Kasten haben muss, um es zu etwas zu bringen; kreischende Teenies, die nicht kapieren, dass man den Nachnamen des Spielers ruft, wenn ein Stadionsprecher seinen Vornamen vorgibt; das Plakat „Ihr seit die Besten!“; Nationalspieler, die sich deutlich anmerken lassen, dass ihnen die ganze Prozedur mächtig auf den Senkel geht.

Wie heißt es immer so schön: Der letzte Eindruck bleibt haften. Zuletzt haben eine Endspielpleite und eine grauenvolle Danksagungsaktion am Brandenburger Tor nachhaltig Eindruck hinterlassen. Allein deswegen schon kann die Ausgabe anno 2008 eigentlich nicht die „beste aller Zeiten“ gewesen sein. Da sind ein deutsches Vorrundenaus und Griechenland als Europameister ja besser zu ertragen. Womit die Frage vom Anfang zumindest eine halbwegs akzeptable Antwort erhalten hätte.

Dass diese EM dennoch Spaß gemacht und ein paar schöne Momente bereitet hat, ist dennoch nicht zu leugnen. Wir sind ins Finale gekommen, dürfen uns zweitbeste Mannschaft vom Mutterkontinent des Fußballs nennen. Dieses Wissen allein kann helfen und über die Momente dieser EM hinwegtrösten, die wir lieber jetzt als gleich vergessen möchten. Bald ist ja auch wieder Bundesliga: Da hat das Gekreische Gott sei Dank vorerst ein Ende. Und Oliver Pocher lässt sich zum Glück nur in Hannover blicken. Es geht doch.

EM-Tagebuch (44) -
Zeugnisübergabe

Kuranyi und Odonkor bleiben sitzen - hoffentlich mit Konsequenzen für ihre Laufbahn beim DFB. Gleich mehrere werden gerade so versetzt. Nur wenige überzeugten im gesamten Turnierverlauf. Alles andere hätte auch überrascht - bei dieser Achterbahnfahrt durch Österreich und die Schweiz. Dass am Ende dennoch der zweite Platz heraussprang, grenzt in Anbetracht der Noten an ein Wunder. Dabei fielen die das ein oder andere Mal noch viel zu großzügig aus.


*Der Notenschnitt beinhaltet nicht das Serbien-Spiel. Nur Auftritte bei der EM fließen in die Endnote mit ein. 30 Minuten Einsatzzeit waren stets für eine Bewertung vonnöten.

Donnerstag, 3. Juli 2008

EM-Tagebuch (43) -
Projekt Kassandra: Gescheitert

Als die EM-Gruppen im November 2007 noch nicht einmal ausgelost waren, versuchte ich mich leichtgläubig im Hellsehen. Man kann's ja mal probieren. Zweites Gruppenspiel gegen Kroatien, Tor von Philipp Lahm im Halbfinale, Bernd Schneiders Ausfall, Ballacks Verletzung im Endspiel - einiges ist tatsächlich so eingetreten, wie vor 8 Monaten prophezeit. Vieles aber auch nicht - vor allen Dingen das Happy End ließ auf sich warten.

Donnerstag, 22. November 2007

Von ominösen Töpfen, abtrünnigen Österreichern und Lehmanns Pläte

In 10 Tagen rollen in Luzern die Kugeln. Am 2.Dezember steht fest, wen die deutsche Nationalmannschaft aus dem Weg räumen muss, um zum vierten Mal Europameister zu werden. Und weil wir nicht mehr warten können, heute schon exklusiv die Ergebnisse der Auslosung.

Weil die Wartezeit bis zum 7. Juni so unfassbar lang ist, hier auch noch der genaue Verlauf des EM-Turniers aus deutscher Sicht. (Achtung, Spoiler!)

Ein lupenreines 5:0 gegen Co-Gastgeber Österreich hatte im Februar zunächst auf ein großartiges EM-Jahr hingedeutet. Miro Klose steuerte alleine vier Treffer bei. Doch nach dem kläglichen 0:2 in der Schweiz schwante der Fußballnation schon Böses. Jogi Löw versuchte vehement zu deeskalieren: "Warten Sie ab, zur EM sind wir in Topform." Die unmittelbareVorbereitung, die mit dem Trainingslager auf Mallorca begann, verlief zufrieden stellend. Gegen Ungarn gab es einen ungefährdeten 3:1-Erfolg. Gegen harmlose Engländer, die das Freundschaftsspiel zur Einstimmung auf die eigens ins Leben gerufene BM (Britische Meisterschaft) nutzten, stand am Ende ein 1:0 zu Buche. Im Finale der BM besiegte Schottland die Kollegen aus Nordirland übrigens mit 2:1.

Und so begann die EM frohen Mutes mit dem Auftaktspiel gegen Top-Favorit Frankreich.

7. Juni 2008 - Genf: 1. Vorrundenspiel

Deutschland spielt zum Auftakt gleich gegen den ärgsten Konkurrenten in Gruppe A - den zweimaligen Europameister Frankreich. Die Schweiz hat gegen Kroatien ein paar Stunden zuvor im Eröffnungspiel 1:1 gespielt. Das Team von Jogi Löw beginnt furios und führt nach sechs Minuten mit 1:0 - Michael Ballack hatte den Ball aus 18 Metern mit einem satten Schuss ins rechte untere Eck gesetzt. Kurz vor der Pause gleicht Samir Nasri verdient aus. Mit einem Remis geht es in die Halbzeit. Die zweite Hälfte verläuft über weite Strecken ereignisarm. Allein der eingewechselte Neuville hat in der 78.Minute das goldene Tor auf dem Fuß, vergibt jedoch aus kurzer Distanz. Aufregung in der Nachspielzeit: Ribéry trifft mit einem genialen Freistoß den Pfosten. Glück gehabt. Das Unentschieden geht jedoch in Ordnung.

11. Juni 2008 - Genf: 2. Vorrundenspiel

Nach dem Hammer zum Auftakt wartet im zweiten Spiel der Angstgegner aus Kroatien. Das bittere 0:3 im WM-Viertelfinalspiel 1998 liegt noch immer schwer im Magen und irgendwie merkt man der Löw-Elf das zu Beginn fast an. Petric scheitert per Kopf an Jens Lehmann, der das sichere Tor mit einem Weltklasse-Reflex verhindert.

Allmählich kommt Deutschland besser ins Spiel. Klose passt in der 32. klasse auf den freistehenden Kuranyi, der jedoch leichtfertig vertändelt. Torlos geht es in die Pause. In der zweiten Hälfte legt Deutschland los wie die Feuerwehr. Podolski lässt im Mittelfeld drei Kroaten stehen und hat in vollem Lauf noch das Auge für Klose, der Pletikosa ausspielt und einschiebt zum erlösenden 1:0. Das zweite Tor lässt nicht lange auf sich warten: Nach einer scharfen Hereingabe von Bernd Schneider ist erneut Klose mit dem Kopf zur Stelle und zieht durch sein 43. Länderspieltor mit Uwe Seeler gleich.

Die Jungs von Jogi Löw spielen wie im Rausch und könnten, nein müssten, eigentlich 5:0 führen. Zehn Minuten vor dem Ende sorgt der eingewechselte Gomez für die Entscheidung. Trotz des Gala-Auftritts nach der Pause gibt es einen Wermutstropfen: Bernd Schneider fällt mit einem Riss des Syndesmosebandes für den Rest des Turniers aus. Frankreich unterliegt überraschend der Schweiz mit 0:1. Deutschland reicht damit ein Punkt gegen die Gastgeber im abschließenden Gruppenspiel.

15. Juni 2007 - Basel: 3. Vorrundenspiel

Die Angst vor der "Schmach von Basel" geht durchs Land. Beiden Teams würde ein Punkt reichen, doch Jogi Löw beruhigt die Nation und verspricht, dass seine Mannschaft "motiviert wie immer an die Sache herangehen wird". Das nimmt man dem Bundestrainer nach einer Viertelstunde voll ab. Die Jungs hängen sich rein. Clemens Fritz, der für den verletzten Schneider spielt, macht mächtig Dampf auf rechts. Bastian Schweinsteiger ersetzt auf links den mit gelb vorbelasteten Podolski. Frankreich führt derweil schon mit 2:0 gegen Kroatien.

In Basel bleibt es bis kurz vor dem Ende torlos. Fünf Minuten vor Schluss wird es dann dramatisch: Schweinsteiger trifft per Freistoß zur deutschen Führung. Die DFB-Elf zu dem Zeitpunkt mit 7 Punkten auf Platz eins, Frankreich führt nur noch 2:1 gegen Kroatien, ist punktgleich mit den Schweizern aber trotzdem Zweiter mit einem ausgeglichenen direkten Vergleich. Das Torverhältnis der Eidgenossen (2:2) ist nur einen Hauch schlechter, als das der Franzosen (3:3). Die Partie in Basel ist schon abgepfiffen, die deutsche Mannschaft feiert den sicheren Einzug ins Viertelfinale, die Schweizer sitzen bedröppelt auf dem Rasen, als Kroatien gegen Frankreich in letzter Sekunde ausgleicht. Der Baseler St.Jakob-Park explodiert, der Gastgeber hat sich in letzter Sekunde eine Runde weiter geduselt. Frankreich ist draußen.

19. Juni 2007 - Basel: Viertelfinale

Der Gegner heißt nicht Italien, nicht Spanien, sondern Polen. Die haben sensationell den favorisierten Weltmeister ausgeschaltet, Spanien Gruppensieger, Österreich mit 0:9 Toren auf dem letzten Rang.

Oliver Neuville kündigt für die Nachspielzeit den Siegtreffer an, fügt jedoch hinzu: "Hoffentlich ist das gar nicht mehr nötig, weil wir bis dahin hoch führen." Die deutsche Nationalelf tut sich zunächst schwer. Gomez spielt für Kuranyi, der bisher vollends enttäuschte. In der 28.Minute pfeift Schiedsrichter Peter Rasmussen Elfmeter für Deutschland, nachdem der polnische Keeper Boruc Miro Klose von den Beinen geholt hatte. Michael Ballack versenkt den Ball wuchtig im Tor und krönt sein bisher überragendes EM-Turnier. Jens Lehmann vereitelt im Gegenzug eine polnische Doppelchance. Ebi Smolarek schießt den Ball frustriert in die Wolken und sieht gelb.

Nach der Pause erhöht die Elf von Wandervogel Leo Beenhakker den Druck. Die deutsche Abwehr wankt, fällt aber nicht. Nach einer Stunde bremst Smolarek den gestarteten Philipp Lahm unsanft mit einer Grätsche und fliegt vom Platz. Polen riskiert trotzdem immer mehr, Podolski nutzt die Überzahl und verwertet einen großartigen Konter zum 2:0. Dabei bleibt es am Ende.

Euphorisch pilgern bis zum Halbfinale 60.000 Deutsche über die Grenze nach Basel. Auf den Autobahnen staut es sich bis Karlsruhe.

25. Juni 2007 - Basel: Halbfinale

Im Halbfinale geht es erneut gegen die Schweiz, die sich im Viertelfinale mit 1:0 im Elfmeterschießen gegen die bisher überragenden Spanier durchgesetzt hatte. Basel war bisher ein gutes Pflaster für die Löw-Elf. Nun geht es bereits zum dritten Mal im St.Jakob-Park um die Wurst. Die Schweiz spricht inzwischen selbstbewusst vom Titel, in Deutschland ist man spätestens seit dem furiosen 3:0 gegen Kroatien überzeugt vom vierten EM-Erfolg.

Die Anfangsphase verläuft äußerst mau. Allein Alex Frei hat in der 13.Minute eine gute Chance für den Gastgeber. Dann nimmt das Spiel langsam Fahrt auf. Nach einer halben Stunde erzielt Ludovic Magnin das verdiente 1:0 für die Schweiz. Béla Réthy konstatiert im Fernsehen schon einen "Linksverteidigerkomplex der deutschen Elf in Halbfinalspielen". Philipp Lahm lässt den immer noch freudetrunkenen Magnin nach dem Wiederanpfiff eiskalt stehen, zieht in den Strafraum und anstatt den Ball auf den wild gestikulierenden Gomez abzulegen, schießt der kleine Münchener von der Grundlinie den Ball unter die Latte, von wo aus die Kugel zum 1:1 ins Netz springt. Nun konstatiert Béla Réthy ein "Weltklassetor à la Marco van Basten".

Kurz nach der Pause geht die Schweiz erneut in Führung. "Oiropamaischter" hallt es von den Rängen. In der 68.Minute bringt Jogi Löw seinen WM-Helden Neuville, der den glücklosen Fritz ersetzt. Deutschland setzt alles auf seine Karte, was anscheinend nicht belohnt werden soll. Der vierte Mann an der Linie zeigt mit seiner LED-Tafel zwei Minuten Nachspielzeit an, als Thorsten Frings den Ball in die Gasse auf den startenden Neuville spielt. Der lässt Diego Benaglio keine Chance und rettet die deutsche Elf in die Verlängerung. Béla Réthy konstatiert ein "Déjà-Vu-Erlebnis".

Deutschland zeigt sich keineswegs müde und stürmt entschlossen aufs Schweizer Tor. Klose, Ballack, Mertesacker und Podolski haben die Führung auf dem Fuß, doch es bleibt beim Unentschieden. In der 119. Minute gibt es Eckball, Neuville zieht den Ball von rechts vom Tor weg. Per Mertesacker stürmt heran und wuchtet den Ball zum goldenen 3:2 ins Tor. Die deutsche Bank, der deutsche Block, die Massen vor dem Basler Rathaus (zumindest die mit dem Adler auf der Brust) überschlagen sich. Allein Andi Köpke ist gefrustet und wirft den mühsam fürs Elfmeterschießen verfassten Zettel mit der Aufschrift "Hotel Giardino Relais & Chateaux" auf den Rasen.

29. Juni 2007 - Wien: Finale

Zehntausend deutsche Fans haben die Mannschaft drei Tage zuvor zusammen mit 5.000 Österreichern am Wiener Flughafen empfangen. Bundeskanzler Gusenbauer verkündet feierlich: "Heute drückt ganz Österreich unseren Freunden aus den Nordalpen die Daumen". Fast 10.000 seiner Landsleute haben die Alpenrepublik inzwischen verlassen und ihren Wohnsitz nach Bayern verlegt. "Ist doch fast wie zuhause - nur eben mit einer richtigen Fußballmannschaft", begründet ein Abtrünniger seine Entscheidung. Uli Hoeneß leckt sich die Finger. Diese frustrierten Ösis sind mit Sicherheit bereit, mehr als sieben Euro für einen Platz in der Südkurve hinzublättern, um endlich wieder ein gutes Fußballspiel zu sehen.

Die österreichische Hoffnung Martin Harnik wird umgehend von Werder Bremen verpflichtet, im Tausch gegen Lukas Podolski. Toni Polster übernimmt den vakanten Cheftrainerposter beim deutschen Rekordmeister. Finalgegner sind übrigens Ottos Griechen, die mit 2:0 Toren ihre Vorrundengruppe als Sieger abgeschlossen hatten. Im Viertelfinale bissen sich offensive Holländer am Rehhagel'schen Abwehrbollwerk die Zähne aus. In der Vorschlussrunde waren die Portugiesen machtlos. Deren Präsident brach daraufhin alle diplomatischen Verbindungen zu Griechenland ab, nachdem die Hellenen schon 2004 auf dem Weg zum EM-Titel zweimal die Oberhand gegen sein Nationalteam behalten hatten.

Das Ernst-Happel-Stadion ist natürlich ausverkauft, vor dem Anpfiff spielen die Sportfreunde Stiller ihren Nummer-eins-Hit "72, 19-80, '96 und '08". Bernd Schneider hat eine wunderhafte Rekonvaleszenz hinter sich, sitzt zumindest wieder auf der Bank. DFB-Arzt Müller-Wohlfahrt erhält als Anerkennung eine eigene Gesundheitssendung im Bayerischen Rundfunk mit dem Titel "Bayernspieler bekommen die Praxisgebühr geschenkt".

Die Partie verläuft in den ersten Minuten wie so viele Endspiele zuvor: Beide Mannschaften spielen verhalten, keiner will den berühmten ersten Fehler machen. Der griechische Bundesliga-Sturm mit Charisteas in der Mitte, Gekas und Amanatidis als hängenden Spitzen, bleibt blass. Auch das deutsche Erfolgsduo Klo-Go kommt noch nicht zum Zuge.

Das Finale geht torlos in die Halbzeit. Hansi Flick gibt im Pausen-Interview bekannt, dass Michael Ballack leider verletzt passen müsse. Lukas Podolski ersetzt ihn und spielt im Mittelfeld erstmals in diesem Turnier Seite an Seite mit Kumpel Schweinsteiger. Bisher hatte Jogi Löw die beiden munter rotieren lassen.Die DFB-Elf findet aber immer noch kein bewährtes Mittel gegen die hellenische Betondefensive. Schneider feiert kurz vor Schluss sein Comeback, kann jedoch keine entscheidenden Akzente mehr setzen. Ein an Höhepunkten armes EM-Endspiel wird frühestens nach 120 Minuten entschieden.

In der Verlängerung offenbart sich dasselbe Bild wie über 90 Minuten zuvor. Dellas trifft mit dem Kopf die Latte, die deutschen Titelträume schienen beinahe zu zerplatzen. Vier Minuten vor dem Ende fordert die deutsche Mannschaft vehement einen Elfmeter. Die Fernsehbilder zeigen, dass Miro Klose den Strafstoß "zu sehr wollte", wie auch Reinhold Beckmann findet. Andi Köpke steht verdutzt am Spielfeldrand, als die Verlängerung vorbei ist. Einen Zettel hat er diesmal nicht im Petto. Schweinsteiger und Schneider verwandeln zum Auftakt für Deutschland, auch die Griechen treffen sicher. Als dritter deutscher Schütze schreitet Thorsten Frings selbstbewusst zum Elfmeterpunkt. Genauso selbstbewusst landet der Ball im Wiener Abendhimmel. Frings sichert sich einen Platz in den Geschichtsbüchern, als zweiter deutscher Spieler nach Uli Hoeneß, der bei einer EM vom Punkt verschießt.

Amanatidis scheint das EM-Finale von 1976 gut zu kennen und mimt den Panenka, was Lehmann, der '76 schon eingeschult wurde, jedoch antizipiert. Der EM-Ball mit dem Namen "Hoffnung" landet in den Armen des 38-jährigen Torhüters von Aston Villa. Podolski und Ballack für Deutschland, Basinas für Griechenland erhöhen auf 4:3. Gekas muss treffen, um den Traum von der Titelverteidigung am Leben zu halten.

Starr schaut Lehmann dem Leverkusener in die Augen, der zeigt sich wenig beeindruckt und bringt den Ball hart und platziert aufs Tor. Lehmann ahnt die Ecke, der Ball prallt vom Pfosten an seinen fast haarlosen Hinterkopf und von da aus ins...Feld. Deutschland ist Europameister!Jens Lehmann dankt Oliver Kahn über die Stadionmikrofone für "alles, was er mir beigebracht hat". Jogi Löw verkündet seine Hochzeit mit Monika Lierhaus. Philipp Lahm seinen Wechsel zu Real Madrid. Am nächsten Tag feiern 80.000 Menschen die siegreichen 23 auf dem Frankfurter Römer, darunter geschätzte 4.000 Österreicher.