Freitag, 31. Oktober 2008

Einer wie keiner

Schon vor einigen Monaten hat Manni Breuckmann seinen Abschied vom Mikro bekannt gegeben. Jetzt naht das Jahresende und damit der Moment, in dem es endgültig wird: Die aktuell bekannteste Stimme der ARD-Samstagskonferenz sagt "bye bye Bundesliga, willkommen Altersteilzeit". Eine Hommage an den Mann, der den Fußball im Radio personifiziert, seit ich denken kann.

Neuss gegen Wattenscheid, Regionalliga West, 1972 – mittlerweile haben sich die Eckdaten von Manni Breuckmanns erstem Live-Kommentar im Radio herumgesprochen. Wenn im Dezember vollendet wird, was vor mittlerweile 36 Jahren begann, werden die Protagonisten auf dem Platz jedoch nicht mehr für ein Anhängsel von Düsseldorf und einen Bochumer Vorort spielen. Mit Neuss und Wattenscheid muss er sich höchstens noch auf der Autobahn rumschlagen, wenn es ihn samstags in eines der großen NRW-Stadien zieht, wo Schalker ihn dann wieder als BVB-Fan abstempeln und wo er in Dortmund als Königsblauer durchgeht.

Die "Stimme des Westens" - obwohl dieser Titel ja eher Kurt Brumme gebührt - ist längst zur Legende am Mikro aufgestiegen. Breuckmann reiht sich ein in den erlauchten Kreis jener Reporter, die mit ihrer Stimme noch posthum CDs verkaufen und verkaufen werden. Der 57-jährige WDR-Mann hängt seine Stimme an den Nagel – "bye bye Bundesliga, willkommen Altersteilzeit". Da kennt auch der WDR kein Erbarmen.

Man vergisst leicht, dass Leute, die ihr Geld verdienen, indem sie über Fußball reden, irgendwann auch älter werden. Es ist zwar längst noch nicht zu befürchten, dass Manni Breuckmann mit seinen 57 Lenzen in geraumer Zeit hinter dem Mikro kollabiert. Doch sein Abschied aus dem aktiven Geschäft scheint ihn ebenso wenig in eine Lebenskrise zu stürzen. Er nimmt es relativ gelassen, obwohl sein Angebot, die passive Zeit etwas aktiver als rechtlich vorgesehen zu gestalten, den WDR nicht gerade in Jubelstürme versetzt hat. „DerWesten“ sagt, Sabine Töpperwien habe bei dieser Entscheidung eine tragende Rolle gespielt. Ausgerechnet die Frau, die wie Breuckmann ebenfalls mit von der Partie ist, seitdem der Fußball für mich überhaupt existiert. Mit beiden bin ich also groß geworden. Doch allein „Manni“ hat sich in mein Herz geredet. Und ich kann nicht behaupten, dass viele Reporter, sei es im Radio oder im Fernsehen, solch einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben.

Der Mann hat es mit seinen Reportagen sogar so weit gebracht, dass er den Job des Radiokommentators für mich geradezu personifiziert. Breuckmann ist das Tempo-Taschentuch seiner Zunft. Die Nivea-Crème unter den Sportreportern. Wie ein Haribo-Goldbär am Mikrofon – einzigartig, authentisch und geradezu stilbildend. Einfach „Kult“ eben. Ein würdiger Nachfolger ist jedoch nicht in Sicht. Wie auch? Schon vor mehr als vier Jahren hat Breuckmann selbst bemängelt, dass die neue Generation kaum Chancen habe, ein eigenes Profil zu entwickeln. Kürzere Schaltungen, kompaktere Berichterstattung. Alles eher gebündelt wie eine Platte mit Canapés. Nicht mehr das üppige Buffet alter Tage mit Buletten und Bockwürsten. „Wir sind Roboter geworden“, sagte er damals dem „Spiegel“.

Verdiente Fußballer erhalten zum Abschluss ihrer Karriere ein echtes Abschiedsspiel – mit einer Mannschaft namens „XY & Friends“ auf der einen, dem Stammverein auf der anderen Seite, mit Andrea Bocelli und einem bombastischen Feuerwerk. Manni Breuckmann sollte dieselbe Ehre zuteil werden. Er am Mikrofon, irgendwer auf dem Platz, vielleicht auch niemand. Denn einer wie Breuckmann könnte mit Sicherheit ein ganzes Spiel improvisieren.

Donnerstag, 30. Oktober 2008

Mission 40/10: Zahnlos in Wolfsburg

Gladbach geht saftlos in Wolfsburg unter und spielt dabei über weite Strecken wie unter Vollnarkose. Was Bradley zu einem echten Friend noch fehlt und warum eine Weisheitszahn-OP im Vergleich zu Gladbachs Auftritten in der Fremde wahres Zuckerschlecken bedeutet.

Gerade in Krisenzeiten klammert man sich ja gerne an alles, was auch nur im Entferntesten positiv erscheint. Und sei es der gute, alte Galgenhumor, der jede noch so demoralisierende Schmach halbwegs erträglich macht. Auf diese Art und Weise geht selbst nach einem 0:3 in Wolfsburg am nächsten Morgen die Sonne wieder auf. Man mag es kaum für möglich halten.

Im Prinzip bin ich sogar ein wenig dankbar für Gladbachs saftlosen Auftritt in der VW-Stadt. Wer sich das für 90 Minuten angetan hat, den kann eine Weisheitszahn-OP am darauffolgenden Morgen kaum aus den Latschen hauen. Selbst ohne Vollnarkose, ach, sogar ohne jegliche Betäubung und im Handstand bei -20°C auf dem Pitztaler Gletscher wäre das Entfernen von Einsacht, Zweiacht, Dreiacht und Vieracht noch besser auszuhalten gewesen als die neunte Gladbacher Auswärtspleite in den letzten 10 Spielen. Das Remis in Bochum besitzt bereits jetzt historischen Wert, denn wer weiß schon, wann die Borussia auswärts überhaupt einmal wieder punkten wird.

Nach Hans Meyers erfolgreichem Einstand gegen Karlsruhe – zumindest auf dem Papier – wollte ich mich noch nicht so recht zu Jubelarien hinreißen lassen. Heute, zwei Tage nach Meyers zweitem Auftritt, haben wir eine ähnliche Situation, nur in Grün: Trotz einer enttäuschenden Leistung, einem Spiel praktisch ohne jede Torchance ist das Kind nicht gleich in den Brunnen gefallen. Doch wer schon einmal einen Eimer vor den Kopf bekommen hat, wird wissen, dass der tiefe Sturz in den Schacht nicht viel schlimmer sein kann.

Wolfsburg mag zwar eine Spitzenmannschaft sein, gegen die ein Punktgewinn nicht unbedingt Pflicht ist. Doch es wird mit Sicherheit nicht genügen, allein gegen die derzeit sechs unmittelbaren Konkurrenten im Abstiegskampf zu punkten. 6x2x3 ergibt nämlich nur 36. Und gegen Hannover und Bochum hat die Borussia bereits fünf Zähler liegen gelassen. Rechnet man den Sieg gegen die Bremer hinzu, die momentan ja scheinbar jeder schlägt, stünden am Saisonende 34 Punkte zu Buche, falls die zahnlosen Fohlen jeden ihrer Konkurrenten konsequent schlagen und den Rest der Spiele verlieren. Dass das nicht zwangsläufig genügt, muss eigentlich niemandem gesagt werden. Allein ein Eilschreiben an die Hennes-Weisweiler-Allee 1 in 41069 Mönchengladbach erscheint lohnenswert.

Bei der Borussia unterliegt mittlerweile selbst die Rotation dem Rotationsprinzip. Nach nur einer verletzungsbedingten Änderung gegen Karlsruhe, tauschte Meyer gegen Wolfsburg zweimal aus. Nicht Christofer Heimeroth kehrte für den angeschlagenen Gospodarek zurück zwischen die Pfosten, sondern U23-Keeper Frederik Löhe wurde von Meyer ins kalte Wasser geworfen. Dazu feierte Johannes van den Bergh sein Startelf-Debüt in der Bundesliga. Beide waren nicht maßgeblich für die Niederlage verantwortlich, sie waren aber auch nicht in der Lage sich in irgendeiner Weise dagegen zu stemmen. Der 20-jährige Keeper Löhe brachte seinem Trainer immerhin die Erkenntnis, dass er einer für Zukunft sei, aber keiner, den die Borussia in der Gegenwart gebrauchen kann. Van den Bergh begann ordentlich, tauchte spätestens nach der Pause jedoch vollkommen unter. Gladbachs eingesetzte Spieler Nummer 25 und 26 in dieser Saison werden in den nächsten Wochen wohl wenig Gelegenheit bekommen, sich in den Mittelpunkt zu spielen.

Warum ein Mann wie Marko Marin mehr als eine Stunde auf der Bank schmorrte und warum Oliver Neuville wieder nur gegen Ende der Partie, als alles längst gegessen war, ran durfte, den Fragen muss sich Meyer stellen. Der dreimalige Nationalspieler Marin mag zwar in der Defensive Defizite aufweisen. Unterm Strich wiegen seine Offensivqualitäten diese Schwächen jedoch mehr als auf. Neuvilles Zeit mag genauso gut abgelaufen sein, was einen Einsatz über 90 Minuten angeht. Doch warum darf er nicht mehr von Beginn an zeigen, dass seine Erfahrung gepaart mit dem immer noch im Überfluss vorhandenen Spielwitz Gold wert sein kann? Wohl dem, der es sich leisten kann, ohne zwei Nationalspieler aufzulaufen. Da kommt es auch nicht darauf an, dass die Zeit des einen noch kommen wird und die des anderen langsam verrinnt.

Stattdessen stolpert Rob Friend weiter durch den Angriff wie ein Elch mit Hüftprothese in der kanadischen Prärie. Zu allem Übel ging die Variante mit den langen Bällen auf den langen Kanadier zuletzt gegen Karlsruhe auch noch auf. Friend steht demnach bis zur Winterpause unter Naturschutz. Spätestens dann werden Colautti und Neuville die Flinte im Anschlag haben. Neuzugang Bradley absolviert derweil ein Praktikum beim einsamen „Ranger Rob“. Dem US-Amerikaner fehlen allein sechs Zentimeter Körpergröße zum perfekten Friend-Double. Immerhin sorgte er am Dienstag für den so ziemlich einzigen wohltuenden Adrenalinausstoß beim leidenden Beobachter. Man munkelt, er habe eine Torchance gehabt.

Wo wir vorhin schon beim Thema Galgenhumor waren, sei noch angefügt, dass die Borussia immerhin der vierten 0:1-Pleite dieser Saison entging. Wird sich auch Michael Bradley gedacht haben, als er Madlung so frei zum Kopfball kommen ließ. Gal Alberman entschied sich kurz danach ausnahmsweise für das Bein des Gegners anstatt für den Ball. Es folgte der zweite Elfer der Partie, der insgesamt siebte gegen die Borussia im 12. Pflichtspiel. So manch einer wird nun wie das quengelnde Kind an der Wursttheke erwähnen, dass wir dagegen nie einen Elfmeter zugesprochen bekommen. Stimmt sogar. Doch es sei an Regel 14 des DFB erinnert: „Ein Strafstoß ist gegen eine Mannschaft zu verhängen, deren Spieler im eigenen Strafraum und während der Ball im Spiel ist, eine der zehn Regelübertretungen begeht, die mit direktem Freistoß zu bestrafen sind.“ Welche zehn Regelübertretungen hier relevant sind, ist vollkommen irrelevant. Wer nicht in des Gegners Strafraum kommt, kann keinen Elfmeter rausholen. Und wer keine Schinkenwurst auf die Hand möchte, der bekommt beim Metzger eben gar nichts.

„Dass wir bis zum Tor ein ordentliches Spiel gemacht haben“, möchte man Alex Voigt gar nicht absprechen. Doch genau hier liegt das Problem: Sobald die Borussia auswärts das 0:1 kassiert, ist die Partie so gut wie gelaufen. Ich sagte ja bereits: Vom 2:2 in Bochum, als Gladbach nach dem 1:2-Rückstand postwendend zurückschlug, werden wir noch unseren Enkeln erzählen. 39-mal hat die Borussia in den letzten 107 Auswärtsspielen gepunktet, macht eine Quote von 36%. Das ist selbst für die CSU in Bayern zu dürftig. Der Siegesanteil sieht noch um einiges schlechter aus: Wer zu zehn Auswärtsspielen fährt, darf nicht davon ausgehen, zwangsläufig einem Dreier in der Fremde beizuwohnen.

Die Borussia hatte in Wolfsburg wenig zu verlieren. Geschafft hat sie es dennoch. Somit sorgte ein Interview nach Spielende für den einzigen Lichtstrahl am Ende des Tunnels: Alex Voigt wurde kurzerhand als Herr Vogts vorgestellt. Für einen Moment wähnte ich mich im Jahr 1975, sah Gladbachs alten Abwehr-Haudegen den UEFA-Pokal in die Luft recken. Dann schlief ich ein. Das Narkosemittel hatte zugeschlagen.

Mittwoch, 29. Oktober 2008

Hierarchie der (Schaden-)Freude

Wenn es für den eigenen Klub ums nackte sportliche Überleben geht, dann rücken selbst tief verwurzelte Rivalitäten manchmal in den Hintergrund. Nicht bei jedem ist das bislang angekommen.

Anhänger eines Bundesligavereins gehen einen Spieltag mit einer konkreten Prioritätenliste an. Über allem steht der Erfolg des eigenen Teams – wer hätte es gedacht? Danach folgt in der Hierarchie – und hier besteht bei einigen augenscheinlich noch Nachholbedarf - nicht der Misserfolg der größten Rivalen an zweiter Stelle. Zunächst einmal kommt es einzig und allein darauf an, dass die direkten Konkurrenten um was auch immer – Klassenerhalt, UEFA-Cup, Meisterschaft, Platz im Niemandsland – Punkte liegen lassen.

Dementsprechend stößt es bei mir auch auf Unverständnis, wenn 40.000 im Stadion aufspringen und sich vor Freude beinahe ihrer Kleidung entledigen, weil Bochum bei den Bayern zum 3:3 ausgleicht, während die Borussia auf dem Platz einen Offenbarungseid abliefert. Rivalitäten müssen nicht gleich unter den Teppich gekehrt, sondern dürfen gerne berücksichtigt werden. Jedoch tauchen sie erst auf Platz drei der Prioritätenliste auf, weshalb Siege gegen Erzfeinde, mit denen man sich in ähnlichen Tabellenregionen bewegt, auch am meisten wert sind.

Aus den gerade genannten Gründen war es bis zur 63. Minute heute Abend eine – mit Verlaub gesagt – beschissene Bundesliga-Konferenz. Der neutrale Betrachter konnte sich zwar an einem Rückstand der Bayern in Frankfurt ergötzen und Traditionalisten und sich über das lange währende 1:0 von Bochum gegen Hoffenheim freuen. Fans von Mannschaften, die gegen den Abstieg kämpften, mussten dagegen festhalten, dass so ziemlich nichts nach Plan lief. Doch dann brach die 63. Minute an und damit neun Minuten, in denen sich das Blatt sozusagen von jetzt auf gleich wendete.

Hertha ging gegen Hannover in Führung (gut so, obwohl man der Hertha selten Tore wünscht). Dann drehte Hoffenheim in der ihm mittlerweile eigenen Manier das Spiel in Bochum zu seinen Gunsten. Die Bayern benötigen fünf Minuten, um aus einem 0:1 bei der Eintracht ein 2:1 zu machen. Dazu gesellte sich Dortmunds Führungstreffer in Köln, der ausnahmsweise zwei Fliegen mit einer Klatsche schlug – von wegen Rivalitäten und Abstiegskampf.

Und so ist es für Gladbach weiterhin nur ein Punkt zum rettenden Ufer anstelle von zwischenzeitlich zwei Zählern. Hinzu kommt, dass Frankfurt mit einem Sieg im nächsten Heimspiel in der Tabelle zu überflügeln ist. Das „beste“ abstiegsbedrohte Team bleibt also in Reichweite, die Liga zweigeteilt. Und wehe, jemand springt am Sonntag auf, falls Bochum in Dortmund ein Tor erzielt.

Pride & Prejudice

Wenn das Aufeinandertreffen von Werder Bremen II und Dynamo Dresden abgebrochen wird, dann setzt niemand ausgiebige Brainstormings-Sitzungen an, sondern wird den jüngsten und auch nicht mehr so jungen Ereignissen zufolge konsequente Schlüsse ziehen.

Ist dann zusätzlich von "Nebel" die Rede, ergeben 1 und 1 ganz fix 2. Ganz so einfach war es dann wohl doch nicht.
Deshalb ein kleiner Auszug aus der Wikipedia: "Stereotype sind des Weiteren [...] vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie oft besonders distinkte und offensichtliche Eigenschaften karikierend hervorheben und z. T. falsch verallgemeinern."

Wahre Lügen

"Wir haben ein gutes Team, die Liga ist sehr ausgeglichen. Ich denke, dass viele Mannschaften die Chance haben, Meister zu werden, und für mich gehört Köln auch dazu."

Kölns Neuzugang Armando Goncalves Teixeira Petit, der auf dem Trikot ganz bescheiden mit dem französischen Adjektiv vorlieb nimmt, zeigt sich im Interview mit spox.com weitaus weniger bescheiden. Manchmal ist die Wahrheit eben nicht mehr das, was sie einmal war.

Dienstag, 28. Oktober 2008

Themenwoche Kokain - Fortsetzung folgt

In Deutschland werden Bundestrainer in spe nach einer Kokain-Affäre ihres Amtes enthoben, das sie noch nicht einmal angetreten hatten. In Argentinien läuft das genau andersherum. Erst koksen, dann auf den Trainerstuhl.

Dementsprechend bricht auf der Südhalbkugel auch gerade der Sommer an - alles auf links gedreht. Den Kalauer, dass der winterliche Niederschlag Maradona eher auf den Leib geschneidert wäre, verkneife ich mir an dieser Stelle. Das Leben ist eben keine Metapher.

Übrigens hat George Best nach seiner aktiven Serie nie als Trainer gearbeitet. Nicht einmal seine Nordiren durfte er coachen. Selbst bei den trinkfesten Briten kommt Pädagogik scheinbar noch vor Prestige. Nur in Argentinien nicht.

Sogar die Tagesthemen reichen fix noch die Meldung rein, dass Maradona zukünftig die Albiceleste coacht. Im Wetterbericht soll Claudia Kleiner uns nun mitteilen, dass bald schon Schnee fallen könne. Kein Witz. Aber das Thema hat derzeit ohnehin Hochkonjunktur.

Montag, 27. Oktober 2008

Mission 40/9: Hans im Glück

Gladbach zwingt den KSC per Raum-Zeit-Kontinuum in die Knie. Wie die Borussia auf dem Phrasenschwein den zweiten Saisonsieg feiert, Patrick Paauwe der Verblüffung trotzt und Thomas Kleine den Quarterback mimt.

Hans Meyer überlässt vor dem Spiel wirklich nichts dem Zufall. Selbst Maskottchen Jünter wird per Handschlag begrüßt. Vorsichtshalber schaut er dem Gaul gleich ins Maul, um sicherzugehen, dass wirklich nicht Jos Luhukay, der viel zitierte „junge Mann“ der letzten Tage, im Fohlenkostüm steckt. Meyer scheint alles im Griff zu haben. Allein das Blitzlichtgewitter lässt er ungern über sich ergehen. Ansonsten jedoch genießt der 65-jährige das Bad in der Menge, die ihn empfängt wie einen Sibirien-Heimkehrer anno ´53: Mit offenen Armen und letzten Zweifeln, ob der Heilsbringer im Ruhestand wirklich der Richtige ist. Skeptische Vorfreude, erwartungsfrohe Skepsis – ganz nach Belieben und Weltbild.

Spiel eins der Gladbacher Retro-Ära soll schließlich gleich einmal den Weg in eine bessere Zukunft weisen. Niemand erwartet stürmischen Angriffsfußball gepaart mit solider Defensivarbeit. Das Ziel heißt kurz und knapp: Drei Punkte. Fußball könnte ja so einfach sein, wenn das Ziel nicht diesen lästigen Weg hätte, der zu ihm hinführt. Der KSC kommt mit zwei Last-Minute-Pleiten im Gepäck an den Niederrhein. Selbstbewusstsein macht sich also rar auf dem Rasen im Borussia-Park. Von Beginn an zeigen beide Teams auch nur bedingten Willen, diesen Eindruck zu widerlegen.

Die Borussia geht mit nur einer Änderung in die Partie. Steve „Günter“ Gohouris Verletzung verhindert die Einstellung des bisherigen Negativrekordes dieser Saison. Nur nach dem Sieg gegen Bremen hatte Jos Luhukay die Fohlenelf unverändert gelassen. Der Mann war offenbar Fan altbekannter Parolen: „Never change a winning team“ interpretierte er nihilistisch als „Change a losing team“. Kettenhund und Diplom-Ballabluchser Alberman ersetzt also den Heilsbringer von der Elfenbeinküste. Svärd macht dafür Platz im defensiven Mittelfeld und rückt auf die rechte Abwehrseite – nach Ndjeng, Levels und Gohouri bereits die vierte Variante der Saison für hinten rechts. Kein Wunder, wenn Meyers Vorgänger die Startelf im Schnitt auf 3,3 Positionen umkrempelten.

Nach einer Viertelstunde wähne ich mich irgendwie beim American Football: Massierte Abwehrreihen so weit das Auge reicht, lange Bälle en masse und viele verzweifelte Versuche, die gegnerische Defensive in der Manier eines Runningbacks zu überlisten. Allein die Cheerleader fehlen. Doch dafür haben wir ja jetzt Pat & Patachon an der Linie, die bereits zu Beginn in ihrer Coaching-Zone mehr Meter machen als Bradley, Paauwe und Co. zusammen. Wenn die Spielkultur sich also weiterhin nicht blicken lässt, dann haben Meyer und Ziege der Trainerbank wenigstens wieder Leben und Energie eingehaucht. Man kann ja ohnehin nicht alles haben.

Nachdem sich VfL und KSC in der Anfangsphase so angriffslustig gezeigt hatten wie Neutronen im Atomkern, sorgen wenigstens die Badener nach knapp 20 Minuten für Alarm im Gladbacher Strafraum. Svärd lässt sich zum ersten, aber gewiss nicht letzten Mal von Iashvili ins Kino schicken. Die Flanke des Georgiers setzt Freis so kompliziert neben das Tor, dass man dem 23-jährigen beinahe schon wieder Weltklasse unterstellen will. Das muss man erst einmal nachmachen.

Der Weckruf zeigt lange Zeit keinerlei Wirkung bei der Borussia, die weiter agiert, als habe man die Uhren im Borussia-Park einen Tag zu früh auf Winterzeit gestellt. In der 26. Minute wähnt sich mit Matmour erstmals ein Gladbacher in der richtigen Zeitzone. Allein an der Zielgenauigkeit hapert es noch. Sein Schuss nach forschem Dribbling macht es sich im Außennetz gemütlich. Geschätzte 25.000 springen trotzdem auf und ballen schon siegessicher die Becker-Faust. Man muss die Tore eben feiern, wie sie (nicht) fallen. In Bremen wäre das nicht passiert. Da springt man mittlerweile nur noch bei jedem zweiten Tor auf. Solch ein Torjubel geht eben auf die Knochen.

Kurz vor der Pause ist der provisorische Freudenschrei dagegen schon angebrachter. Friends Facharbeit mit dem Titel „Die Geheimnisse der Motorik – für 1,95-Hünen verständlich gemacht“ verdient sich jedoch keine Bestnoten – im Gegenteil. Der Kanadier schlittert unaufhaltsam einem blauen Brief entgegen, Versetzung arg gefährdet. Wenn das so weiter geht, werde ich bald den ersten Buchstaben auf meinem Rücken entfernen, stetig so weitermachen und in der Winterpause mit schwarzem Edding „Gohouri“ draufkritzeln. Zu Saisonbeginn hat er wenigstens noch ab und zu einen reingewürgt. Jetzt gelingt ihm nicht einmal mehr das. Es bleibt unerklärlich, wie man in Liga Zwei 18 Tore schießen und dann im Oberhaus derart herum stolpern kann. Wenn ich allein vor dem Tor stehe und den Ball nur hineinschieben muss, ist es doch vollkommen irrelevant, ob ich Kreis- oder Bundesliga spiele. Oder nicht? Zumal sich Ascheplätze und Schlaglöcher, die so manchem Kreisligisten ein Bein stellen, im Oberhaus eher rar machen.

Wie im Raum-Zeit-Kontinuum trägt diese Ansprache, am Sonntag um 21:21 Uhr verfasst, bereits am Samstag um 16:37 Uhr Früchte: Kleine mimt den Quarterback und sucht in 50 Meter Entfernung Wide Receiver Friend. Der macht ausnahmsweise alles richtig (zunächst einmal fängt er den Ball nicht mit den Händen) und leitet per Kopf weiter. Wo letztes Jahr in der Regel Oliver Neuville lauerte und nun selten jemand steht, wenn der Kanadier diese Variante wählt, findet sich diesmal Patrick Paauwe wieder. Der Holländer erstarrt Gott sei Dank nicht vor Verblüffung, weil ihn die Karlsruher Abwehr sträflich allein lässt. Stattdessen zieht er aus vollem Lauf ab und trifft den Ball irgendwie mit Schienbein und Spann zugleich. Schon ist der Ball im Tor.

Gladbachs Treffer über zwei Stationen, der ungefähr fünfte Torschuss der Partie, erweckt erstmals den Eindruck, dass sich doch etwas geändert hat. Normalerweise ist es der Gegner, der gegen den VfL mit derartiger Leichtigkeit zum Erfolg kommt, während die Borussia sich vorne die Zähne ausbeißt. Irgendjemand hat den Spieß umgedreht. Es wäre blauäugig, nach einer Woche im Amt allein Hans Meyer die Verantwortung dafür zu geben. Vielmehr dürfen sich gut 40.000 Zuschauern daran erfreuen, einmal mehr Zeuge des berühmten Effekts eines Trainerwechsels zu werden. Schließlich ist in Wirklichkeit alles beim Alten – bis auf das Ergebnis. Vielleicht hat sich Hans Meyer auf dem DFB-Seniorenkaffee intensiv mit Otto Rehhagel unterhalten und ist ebenso zu dem Schluss gekommen: „Modern ist, wenn man gewinnt“.

Man kann der Borussia nicht einmal vorwerfen, sich in der Folge aufs Kontern zu verlegen. Denn nicht einmal das gelingt ihr. Stattdessen rührt die Fohlenelf Beton an und mauert gewaltig. Für Gospodarek bieten sich daraufhin die ersten richtigen Bewährungschancen. Freis‘ Schuss aus 16 Metern lenkt er glänzend über die Latte. Als ihn der KSC-Stürmer erneut prüft, ist der Heimeroth-Ersatz mit Stammambitionen wieder auf dem Posten und pariert mit einem tollen Reflex. Den Abpraller köpft Iashvili über den Kasten. Allein der eingewechselte Coulibaly sorgt auf der anderen Seite für Furore. Seinen Freistoß zu unterschlagen, würde die Chronistenpflicht arg in Mitleidenschaft ziehen. Schließlich wackelt die Latte noch heute.

Die nächste durchgekaute Fußballweisheit reiht sich also ein in die Gladbacher Liste der Schlüssel zum Erfolg. Nach Rehhagel ist nun Stevens an der Reihe. „Die Null steht“ – bis zum Ende und zum ersten Mal im 11. Pflichtspiel der Saison. Selbst bei Fichte Bielefeld hatte die Borussia einen Treffer kassiert. Eigentlich ein Armutszeugnis, wenn Rehhagels und Stevens‘ Weisheiten als Zutaten des eigenen Erfolgsrezeptes fungieren. Das ist, als würden mit der BILD-Zeitung und Wikipedia nur zwei Einträge im Quellenverzeichnis einer Doktorarbeit auftauchen – die am Ende dennoch mit „befriedigend“ benotet wird.

Seine Worte im Interview nach dem Spiel wählt Hans Meyer so behutsam wie Barack Obama im Fernsehduell. Auch der Rückkehrer will seine Wähler nicht vergraulen. Für die Anhänger sachlicher, fundierter Analysen rattert er die Erkenntnisse des Spiels mit verschwitztem Antlitz herunter. Sein Fazit: „Wir müssen einfach punkten, alles andere kommt später.“

Doch der Meister der Ironie lässt das humoristische Lager freilich nicht im Stich und gibt mit einem Augenzwinkern zu Protokoll: „Ich habe vor ein paar Tagen gesagt, wir müssen einfach gewinnen, wenn nötig mit einem Krampfspiel. Dabei hätte ich nicht gedacht, dass meine Mannschaft das wörtlich nimmt." Falsch waren seine Antworten ja noch nie. In all den Spitzen und Seitenhieben, die Hans Meyer in seiner langen Laufbahn losgelassen hat, steckte eben fast immer ein Fünkchen Wahrheit. Wenn er in Zukunft weiter so geschickt den Spagat zwischen inflationärer Ironie und sachlicher Analyse findet, kann ich durchaus damit leben. Zum-Lachen-in-den-Keller-Geher und Phrasenschweinfetischisten sind mir weitaus weniger lieb.

Realist und Pragmatiker ist Hans Meyer mit Sicherheit. Bleibt er jetzt auch noch „Hans im Glück“ und gewinnt weiter Spiele, die wir sonst stets verloren haben, dann könnte das „i.R.“ hinter dem Heilsbringer mit der Zeit verblassen. Und wer vor einer Woche Bochum und am Samstag Karlsruhe gesehen hat, der glaubt schon wieder eher daran, dass die Borussia auf Teufel komm‘ raus drei Mannschaften finden wird, die am Ende schlechter dastehen. Doch wo wir schon den internationalen Floskel- und Phrasentag feiern, zum Schluss noch eine Warnung, die zugleich ein Hoffnungsschimmer sein könnte: Abgerechnet wird wie immer am Schluss. Drei Euro werden nachgereicht.

Sonntag, 26. Oktober 2008

Im Clinch mit der deutschen Sprache

„Normalerweise ist das eine Verletzung, wo vier Wochen braucht. Aber der Riss hat sehr gut geheilt.“

- Sami Khedira tritt gleich in zwei sprachliche Fettnäpfchen.

Dass Relativsätze im Schwabenland immer etwas mit Geografie zutun haben, dürfte ja bekannt sein. Aber mittlerweile ist der Stuttgarter Raum sogar Schauplatz von medizinischen Wunderleistungen. Kapselrisse verheilen dort nicht mehr mit viel Geduld. Sie heilen sich einfach selbst. Kompliment an den Riss! Der VfB hat kurzerhand die gesamte medizinische Abteilung wegrationalisiert. Nur der Psychologe ist weiterhin angestellt: Der Fortschritt ist nämlich noch nicht im Hirn angekommen.

Mannschaft der Stunde (13)

FC Barcelona: Es ging gar nicht gut los. Josep Guardiolas Pflichtspieldebüt auf der Trainerbank gegen Krakau glückte zwar mit 4:0. Doch im Rückspiel gab es bei den Polen – mit dem hohen Hinspielerfolg im Rücken – schon die erste Pleite. Zum Auftakt in „la liga“ setzte es dann eine Niederlage in Numancia. Zuhause holte Barca nur ein dürftiges 1:1 gegen Santander.

Aber dann drehten die Katalanen mächtig auf. Inzwischen stehen neun Pflichtspielsiege in Folge zu Buche – sechs in der Liga, drei in der Champions League, wo man als einziges Team noch eine blütenweiße Weste hat. Dabei erzielte die Torfabrik um Messi, Eto’o und Henry 38 Tore in 14 Pflichtspielen, gewann je zweimal mit 6:1 und 5:0.

Pep Guardiola hatte es nicht sonderlich schwer als Nachfolger von Frank Rijkaard. Den Holländer hatte man zuletzt regelrecht vom Hof gejagt. Eine Klub-Legende wie Guardiola wird da freilich mit Kusshand empfangen. Mittlerweile hat der Neuling auf dem Trainerstuhl die Sympathien auch gerechtfertigt. Der Erfolg gibt ihm Recht: Barca steht so gut wie im Achtelfinale der Champions League. Unter der Woche wurde der kleine FCB, der Initialienvetter aus Basel, mit 5:0 überrollt. Gestern musste Almeria nach einer guten halben Stunde befürchten, zweistellig in Nou Camp abgefertigt zu werden. Letztendlich war der Torreigen nach 36 Minuten beendet. Barca zeigte sich gnädig mit den Andalusiern. Wer sich’s leisten kann…

Guardiola hat den Klub, bei dem er 17 Jahre als Profi agierte, nicht nur ergebnistechnisch auf die rechte Bahn zurückgeführt. Er hat den Katalanen auch eine große Portion Lässigkeit verpasst. Mit kurzer Krawatte und hochgestelltem Kragen ist er der Bilic von Spanien. Der Torreigen der vergangenen Tage lässt den 37-jährigen jedoch relativ kalt. Nüchtern vermerkt er auf marca.com, dass es allein darauf ankomme, die Spiele zu gewinnen - ein Katalane im Herberger-Pelz.

Barcas Anhänger zeigen sich dagegen weitaus euphorischer. User „leo.messi10“ schreibt, dass die Katalanen „derzeit den besten Fußball zeigen – anders als Madrid, das unter Schuster Langeweile verbreitet“. Damit meint er wohl nicht nur den spanischen Fußball. Ohne Anflug von Größenwahnsinn kann man das Urteil getrost auf ganz Europa und damit auch auf den ganzen Globus ausweiten.

„hewson“ gesteht ein, dass er zu Beginn seine Zweifel an der Lösung Guardiola hatte, weil er glaubte, Barca brauche „einen Trainer mit mehr Erfahrung“. Doch jetzt seien „die anfänglichen Zweifel vollster Überzeugung gewichen“. „Bravo Pep!“ hallt es derzeit bei den Katalanen aus allen Ecken. Manche verzeichnen im Nou Camp bereits die Ankunft des „totalen Fußballs“ und fühlen sich ans Ajax der 70er Jahre erinnert. Iniesta und Xavi lenken das Mittelfeld als kongeniale Partner in Weltklasse-Manier. Messi bringt sich ins Gespräch für die Wahl zum Weltfußballer. Selbst Dani Alves macht sich langsam bezahlt – 30 Millionen hat man für den Brasilianer an den FC Sevilla überwiesen. Im Sturm führt Samuel Eto’o mit neun Treffer die Torjägerliste an.

So sehr man in Barcelona derzeit auch ins Schwärmen gerät: Die Siegesserie hat den 18-fachen spanischen Meister nicht einmal an die Tabellenspitze befördert. Valencia und Villareal sind noch ohne Niederlage und einen Schritt voraus. Auch die Zuschauerzahlen spiegeln Barcas Traum-Serie nicht gerade wider: Im Schnitt kommen nicht mehr als 60.000. Da kann Schalke locker mithalten – obwohl ein Messi dort Altintop heißt.


Siege, Serien, Senkrechtstarter:
Die "Mannschaften der Stunde" im Überblick

Die Dreistelligen

Man kennt sie als "Klub der Hunderter": Die offizielle FIFA-Rangliste, die jeden Fußballer mit mehr als 100 Länderspielen führt. Über traurige Esten, nimmermüde Saudis und eine Lichtgestalt, die sich keinen Listeneintrag entgehen lässt

156 Spieler haben die magische Marke bis heute übertroffen. Sechs Deutsche sind darunter, Lothar "Ein Lothar Matthäus" Matthäus belegt noch immer Rang neun. Führend sind die USA mit 11 Vertretern. Gemeinsam auf Rang zwei folgen Deutschland, Frankreich, Ägypten, Südkorea, Saudi-Arabien und - was mich am meisten überrascht - Estland. Vor 16 Jahren absolvierte der Baltenstaat sein erstes Spiel nach Wiedererlangung seiner Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Das erklärt auch, warum die aktuelle estnische Nationalmannschaft gleich fünf Mitglieder des "Klubs" beherbergt. Überhaupt darf man als Este wohl kaum ein Spiel verpassen, um in 15 Jahren auf 156 Länderspiele zu kommen. Damit ist Martin Reim derjenige Spieler mit den meisten Länderspielen, ohne jemals bei einem großen Turnier gespielt zu haben.

Absoluter Rekordhalter ist übrigens der Saudi Mohammad Al-Deayea. (Damit auch bloß kein Kilobyte im Hirn ungenutzt bleibt.) Seine 181 Einsätze werden in den nächsten Jahren erst einmal nicht übertroffen werden. Iván Hurtado aus Ecuador ist auf Rang 8 am nächsten dran. 26 Spiele fehlen dem 34-jährigen noch.

Man erwartet eigentlich, dass asiatische Verbände die Liste dominieren, weil die Anzahl der Quali-Spiele dort besonders hoch, die der Legionäre in Europa aber eher gering ist, weshalb der Terminkalender mehr Raum für interkontinentale Freundschaftsspiele lässt. Doch der "Klub der Hunderter" erweist sich in Wirklichkeit als sehr ausgeglichen. In der Top 10 finden sich Vertreter aus Europa, Asien, Afrika, Nord-, Mittel- und Südamerika. In die gesamte Liste hat es nicht ein einziger Ozeanier geschafft. Länderspielgegner machen sich zwischen Tonga und Vanuatu ja auch eher rar.

Jüngstes Mitglied ist mit 26 Jahren der Ex-Leverkusener Landon Donovan in Diensten der USA. Englands Billy Wright eröffnete den "Klub" im Jahre 1959. Vor 32 Jahren durchbrach Franz Beckenbauer die Schallmauer als erster Nicht-Brite bzw. Nicht-Skandinavier. Damit war er auch der erste Nachkriegsgeborene. Keine vernünftige Rangliste, die sich der Kaiser entgehen lässt.

Samstag, 25. Oktober 2008

Alte Dame lässt federn

Durch den Sieg gegen Florenz ist der FC Bayern in der internen deutschen Fünfjahreswertung an der Hertha vorbeigezogen. Damit sind die Wochen, in denen Berlin ungewohnte Höhenluft geschnuppert hat, erst einmal vorbei. Derweil befinden sich Schalke und Hamburg auf dem aufsteigenden Ast. Stuttgart dagegen lässt nach. Dagegen hält Werder mit dem dritten Remis immer noch Rang drei.


Für den deutschen Fußball sieht es im Allgemeinen nicht schlecht aus. Für drei Siege, zwei Unentschieden und eine Pleite gab es laut Fünfjahreswertungs-Arithmetik einen glatten Punkt. Der Vorsprung gegenüber den Franzosen ist auf komfortable fünf Punkte angewachsen. Auch der dritte Startplatz in der Champions League ist längst nicht mehr in Gefahr, obwohl die Russen weiter auf dem Vormarsch sind. In der Gesamtwertung dieser Saison führt Spanien mittlerweile vor England und Italien - die üblichen Verdächtigen haben sich also wieder oben etabliert. Zypern hält sich immer noch auf Rang vier, danach folgt die Bundesliga knapp vor Dänemark.

Donnerstag, 23. Oktober 2008

Don Quijote und Rosinante

"Das ist ein Mimosenhaufen geworden, das ist schier unglaublich. Die sollen ihren Mund halten und Fußball spielen."

- Franz Beckenbauer auf Premiere über das eskalierende Hickhack in der Nationalmannschaft

London im Herbst muss verdammt langweilig sein. Erst Recht mit hochgelegtem Bein auf der Wohnzimmercouch. Noch ist nicht klar, ob bei Michael Ballack ein paar Synapsen durchgebrannt sind, oder ob er Löws Devise, sich als Kapitän durchaus auch einmal kritisch zu äußern, einfach falsch verstanden hat.

Es hat schon einige Spieler gegeben, die mit zunehmendem Alter eine Art Fußball-Demenz entwickelt haben. Die nicht nur senil über den Platz rannten, sondern sich abseits desselben genauso äußerten. Doch dafür ist Michael Ballack eigentlich noch nicht alt genug. Sieht er nach dem verlorenen Champions-League-Endspiel, der für ihn unterdurchschnittlichen EM und den zuletzt mäßigen Auftritten in der WM-Quali etwa seine Felle davon schwimmen? Woher kommt das plötzliche Best-friends-forever-Getue mit Torsten Frings? Fragen über Fragen rund um den „Capitano“, der derzeit dünnhäutiger auftritt als Captain Smith von der Titanic. Vielleicht hat er das Schiff mit der neuerlichen Kritik an Jogi Löw endgültig gegen den Eisberg gelenkt.

Frings zeigt derweil die gleichen Symptome wie Ballack. Wenn demnächst jeder mit Rücktrittsgedanken spielt, nur weil er zwei Spiele hintereinander nicht in der Anfangsformation stand, müssen wir bald aus Spielermangel Didi Hamann und Carsten Ramelow reaktivieren. Zu Recht wird dieser Tage immer wieder auf Oliver Kahn verwiesen. Von der Art und Weise, wie der seine weitaus gravierendere Degradierung 2006 ertrug, kann sich ein Frings eine dicke Scheibe abschneiden.

Der DFB hat aus sportlicher Sicht ein mehr als solides Jahr hinter sich. Nur bei der EM hat die Nationalmannschaft Niederlagen einstecken müssen. Mal stimmte das Ergebnis, mal die Spielweise. Und ab und zu auch beides. Unterm Strich konnte man meist damit leben. Das Hickhack dieser Tage ist da mehr als unnötig. Ballack und Frings kämpfen gegen selbstgebaute Windmühlen, die allein Löws forcierter Konkurrenzkampf antreibt. Unter Umständen werden Don Quijote und Rosinante auch aus diesem Kampf als Verlierer hervorgehen.

"Wer spricht von Siegen?
Übersteh'n ist alles!"

Zilina versucht, dem HSV mit Lyrik beizukommen. Der Einsatz eines großen Dichters zeigt Wirkung.

Dienstag, 21. Oktober 2008

Göktan bleibt seiner Linie treu

Es gibt vermeintliche Überflieger, wahre Supertalente, denen bleibt nicht nur der große sportliche Durchbruch verwehrt. Einige stürzen sogar vollkommen ab - nicht allein auf dem Platz, sondern im Leben an sich. Berkant Göktan ist einer von ihnen. Heute hat ihn sein Verein, 1860 München, fristlos entlassen. Eine Urinprobe hatte ihn als Kokainkonsumenten entlarvt.

Acht Jahre und einen Tag ist es her, dass Christoph Daum des Kokainmissbrauchs überführt wurde. Eine Haarnanalyse sorgte nach einem wochenlangen Spießrutenlauf für Gewissheit. Uli Hoeneß hatte seinerzeit Verdacht geschöpft und mit einer unbedachten Aussage den ersten Stein ins Rollen gebracht. Erst ließ Daum sich vom Steinschlag der positiven Probe jedoch nicht in die Knie zwingen und beteuerte erst einmal seine Unschuld. Doch wenig später gestand der damalige Bundestrainer in spe ein: Ja, es stimmt.

Berkant Göktan ist also nicht der erste Mensch auf dieser Welt, der Kokain genommen hat. Nicht der Erste aus dem Fußballgeschäft, der sich aus welchen Beweggründen auch immer hat hinreißen lassen. Doch erstens ist es irgendwie kurios, dass der deutsche Fußball fast auf den Tag genau acht Jahre nach Daums Überführung seinen nächsten - um es ganz boulevardesk auszudrücken - "Kokser-Skandal" hat. Und zweitens fügt sich das aktuellste Kapitel von Göktans Karriere nahtlos ein in die Liste mit vielen Hochs und eindeutig mehr Tiefs.

Vor mittlerweile zehn Jahren debütierte der heute 27-jährige in der ersten Mannschaft des FC Bayern. Die Rückrunde von Gladbachs Abstiegssaison 98/99 erlebte er als Leihgabe am Bökelberg. Ein Treffer gelang ihm in keinem seiner insgesamt sieben Spiele für Bayern und die Borussia. Auch ein Jahr später in Bielefeld lief es nicht viel besser. Der Putz des hoch gehandelten Talents begann zu bröckeln. Immerhin darf Göktan sich Champions-League-Sieger nennen. Im Vergleich dazu war Günter Hermann bei der WM 1990 jedoch ein echter Schlüsselspieler.

Erst in seiner türkischen Heimat schaffte der gebürtige Münchener so etwas wie den Durchbruch. Für Galatasaray gelangen ihm in 41 Ligaspielen neun Treffer. 2002 holte er mit "Gala" die Meisterschaft. Nach einem einjährigen Intermezzo bei Stadtrivale Besiktas zog es ihn 2005 zurück nach Deutschland zum 1. FC Kaiserslautern. Und irgendwie passte ein Spieler wie Berkant Göktan wie die Faust aufs Auge an den Betzenberg anno 2005. Die bunt zusammengewürfelte und gesichtslose Truppe der chronisch klammen Pfälzer stieg am Ende der Saison bekanntlich ab. Da war Göktan schon längst wieder weg - nach sieben Einsätzen und nur einem Treffer.

1860 München gab dem tief Gefallenen eine Bleibe in der 2. Mannschaft. Göktan dankte es ihnen. In der Rückrunde mutierte der selbst ernannte "Chaot" zur (Wieder-)Entdeckung der Saison, traf zehnmal in nur 13 Partien und wurde schließlich zum "Löwen der Saison" gekürt. Letzte Spielzeit verpasste er verletzungsbedingt zehn Spiele in Folge, musste vom 14.-23. Spieltag aussetzen. Davor und danach lief es jedoch weiter rund für ihn bei der Sechz'gern. Wie im Jahr zuvor gelangen Göktan zehn Tore.

Im Sommer passierte dem 27-jährigen das, was jedem von uns schon einmal zugestoßen ist: Er erwischte eine Glasscherbe so, dass an Training erst einmal nicht zu denken war. Was andere für ein paar Tage lahm legt, bis die Fäden raus sind, verhinderte augenscheinlich bis heute Göktans Rückkehr in die Löwen-Startelf. Kein Mensch braucht drei Monate, um eine derartige Verletzung auszukurieren. Drei Monate benötigen nur Menschen, die abseits des Platzes mit Problemen zu kämpfen haben, die kein Chirurg mit Nadel und Faden lösen kann.

Der Achterbahnfahrer Berkant Göktan hat eine derbe Bruchlandung hingelegt. Was uns zum Ende wieder zu Christoph Daum führt. Der stand wieder auf, feierte in der Türkei – dort, wo seine Vergangenheit niemanden interessierte – große Erfolge mit Fenerbahce. Den 1.FC Köln hat er nach Anlaufschwierigkeiten zurück in die Bundesliga geführt. Jetzt steht er relativ komfortabel im Mittelfeld. Mit dem, was vor acht Jahren passierte wird er nur konfrontiert, wenn mal wieder einer dieser Sprüche fällt, die einfach nie alt werden. Vonwegen Spielfeldmarkierung und so.

Göktan ist in das Daum’sche Fettnäpfchen getreten. Das verbindet die beiden. Doch einen bedeutsamen Unterschied gibt es: Daum läuft unbeschadet über Glasscherben.

Sonntag, 19. Oktober 2008

So soll es sein, so kann es bleiben

Die Bundesliga macht da weiter, wo sie vor zwei Wochen aufgehört hat: 31 Tore, ein Aufsteiger auf der Überholspur und ein Rekordmeister, der siegt aber nicht voran kommt.

Dabei ging es am Samstagnachmittag relativ müde los: Sechs Treffer in der ersten Halbzeit, mehr nicht. Obwohl gleich sieben Partien auf dem Programm standen. Doch die Bundesliga anno 2008 lässt den torgeilen Zuschauer/-hörer nicht so einfach im Stich. Neunzehn Treffer in Hälfte zwei sprechen eine deutliche Sprache. Maßgeblich daran beteiligt war unter anderem Hoffenheims 5:2 in Hannover, bei dem der Aufsteiger eine Führung erst aus der Hand gab, um dann fulminant zurückzuschlagen. Das viel zitierte Jeder-schlägt-jeden-Prinzip hat dieser Tage Hochkonjunktur.

Nicht nur von Spieltag zu Spieltag kann sich niemand seiner Favoritenrolle sicher sein. Selbst innerhalb von 90 Minuten torkeln die Spielvorteile hin und her wie ein Kneipengänger mit 1,8 Promille auf dem Nachhauseweg. Erst freut sich Bremen eine Stunde lang über seine weiße Weste gegen den BVB - nach zuvor 16 Gegentoren in sieben Spielen. Dann geht Dortmund aus halbwegs heiterem Himmel in Führung, um kurz danach den Ausgleich zu kassieren. Doch Resignation ist in dieser Liga Gott sei Dank ein Fremdwort. Die Borussia holt sich die Führung schnell zurück. Werder gelingt in der Folge nicht nur der Ausgleich, sondern Pizarro reißt das Spiel per Doppelpack gleich einmal vollends herum. Spätestens jetzt dürfte der Spuk vorbei sein. Doch irgendwie ist Zidans 3:3 in der Nachspielzeit schlichtweg konsequent. Das Wort "ausgerechnet" gehört eigentlich verschmäht. Dennoch kommt man dieses Jahr einfach selten drum herum. Am Ende hat Werder erneut drei Dinger kassiert - und ist so schlau wie nach 60 Minuten.

Die Tabelle erinnert derweil an eine alte Holzleiter: Punkt für Punkt geht es nach oben. Allein zwischen Rang elf und zwölf fehlen ein paar Sprossen. Salopp gesagt, spielen elf Vereine um die Meisterschaft, sieben gegen den Abstieg.

Alles schön und gut. Wenigstens in Liga zwei müsste es doch etwas gesitteter zugehen. Denkste! Das Unterhaus steht dem großen Bruder dieses Wochenende in Nichts nach - im Gegenteil. 31 Bundesligatore ringen Lautern, Rostock, Duisburg und Co. bestenfalls ein müdes Lächeln ab. Das Montagsspiel steht noch aus. Dennoch zeigt der Zähler bislang 39 Treffer in acht Partien an. Gleich neun davon hat Hansa Rostock beigesteuert. Schön und gut, in der 2. Bundesliga scheint das nicht ganz so verwegen. Doch es ist keineswegs so, dass Hansa ein krisengeschütteltes Team mit 9:0 nach Hause geschickt hätte. Koblenz hatte vor zwei Wochen dem FCK gleich eine Hand voll eingeschenkt. Lautern ist ja auch nur Tabellenführer und hat das Überraschungsteam aus Ahlen am Freitag nach 0:1-Rückstand noch mit 4:1 besiegt.

Ein Goldener Oktober für die Anzeigetafeln. Ein Fiasko für alle Verteidiger. Doch die bringen sich sowieso lieber auf der anderen Seite ins Gespräch. Gohouri, Kleine, Baumann, Hummels, Madlung und Höwedes sorgten für sechs Tore von Innenverteidigern. So soll es sein, so kann es bleiben.

Heilsbringer i. R.

Nach mehr als fünf Jahren ist Hans Meyer zurück in Gladbach. Weder ein Super-GAU noch die Ankunft eines innig erwarteten Heilsbringers.

Hans Meyer hat das Rentenalter inzwischen auch offiziell erreicht. Nicht nur gefühlt, wie seit fünf Jahren. Als er sich 2003 von der Trainerbank am Bökelberg zum Rosenzüchten zurückzog, schien die Laufbahn des heute 65-jährigen beendet.

Es folgte der Feuerwehreinsatz in Berlin, der nach getaner Arbeit, nach Erreichen des Klassenerhalts, schon wieder vorüber war. Ein gutes Jahr später holte der 1. FC Nürnberg den Frührentner aus dem erneuten Ruhestand-Intermezzo. Vom letzten ging es innerhalb eines knappen Jahren auf den ersten Tabellenplatz. Meyer führte den Club zum Pokalsieg im Mai 2007 und auf Rang sechs. Als die Franken wieder dort gelandet waren, wo Meyer sie übernommen hatte, zog die Vereinsführung im Februar dieses Jahres die Reißleine. Der Meister der Selbstironie wurde diesmal scheinbar endgültig in Pension geschickt.

Jetzt ist er entgegen aller Erwartungen zurück auf der Bühne Bundesliga. Zum letzten Mal – möchte man meinen. Hans Meyer ist kein Super-GAU für die Borussia. Er ist aber auch nicht die Messias-Lösung. Keiner für die Zukunft, sondern ein Feuerwehrmann auf Raten. Im Zuge des demografischen Wandels ist ein 65-jähriger auf der Trainerbank längst kein Methusalem mehr. Analog hat sich Kalli Feldkamp zurückgemeldet im Geschäft – der ist 74 und damit mehr als acht Jahre älter.

Dennoch braucht Gladbach nach den Greisen Köppel und Heynckes, dem stillen Strippenzieher Luhukay alles andere als einen in die Jahre gekommenen Selbstdarsteller wie Hans Meyer. Ein Vertreter der neuen Trainergeneration um Thomas Doll, Mirko Slomka und Dieter Eilts wäre diesmal an der Reihe gewesen. Entweder hat man das an der Hennes-Weisweiler-Allee nicht kapiert. Oder aber es hat sich niemand gefunden.

Besonders Präsident Königs hat sich in den vergangenen Tagen als Befürworter von Hans Meyer hervorgetan. Im kurzlebigen Fußballgeschäft hat es durchaus Seltenheitswert, wenn ein Vereinsoberhaupt innerhalb von vier Jahren fünf Trainer verschleißt, bereits den dritten Sportdirektor anstellt und noch immer im Amt ist. Königs' Tage sind der Dynamik des Geschäfts zufolge schon lange gezählt. Doch der Fußball-Laie klammert sich wacker an seinen Stuhl. Überhaupt wird seine Personalie überraschend wenig diskutiert.

Angesichts des Weges, den dieser Verein in den vergangenen zehn Jahren größtenteils selbstverschuldet zurückgelegt hat, muss man fast dankbar sein, dass Matthäus in Israel, Vogts in Aserbaidschan und Neururer auf der Wohnzimmercouch geblieben ist.

Die Dauerkarte wird nicht, wie vor zwei Wochen angedroht, auf den Gleisen landen. Der Erfolg gibt letztendlich jedem Recht, solange er sich zügig einstellt. Doch ein munteres, optimistisches Stück Plastik sieht anders aus.

Samstag, 18. Oktober 2008

Mission 40/8: Das Revier markiert

Warum Gohouri plötzlich Günter hieß, Bochum beinahe die Finanzkrise aus der Welt schaffte und Ndjeng im Strafraum „Halli Galli“ spielte.

Bochum liegt im Herzen des Ruhrpotts. Wer das nicht weiß, der merkt es nach nicht allzu langer Zeit. Hier setzen die Leute das Wörtchen „Revier“ noch auf eine Stufe mit dem „Paradies“. Hier sind Straßenbahnen noch für völkerverbindende Maßnahmen zuständig – zwischen Gelsenkirchen und Bochum. Hier im Pott bilden Trinkhallen und Kioske noch einen eigenen Wirtschaftszweig. Hier heißt ein Stadion noch Stadion und nicht Arena, obwohl die Ruhr und die Castroper Straße dem Trend entsprechend an Bedeutung verloren haben.

Im Prinzip ist Bochum also der perfekte Ort für 8000 Fußballreisende aus der Provinz, um einmal im Jahr einen Trip in eine scheinbar andere Welt zu unternehmen, die sich von der eigenen jedoch gar nicht so sehr unterscheidet. Um ein „Heimspiel in der Fremde“ zu veranstalten. Um eine „schwarz-weiß-grüne Invasion“ zu starten. Um mit verwurzelter Überzeugung und jede Menge Selbstironie bei der Ankunft am Bahnhof zu schreien: „Kniet nieder, ihr Bauern! Gladbach ist zu Gast!“.

Und so trottet ein circa 3000 Mann und Frau starker Pulk um halb acht vergnüglich vom Hauptbahnhof zum Stadion. Dass dabei kurzerhand der Verkehr der sechzehntgrößten Stadt Deutschlands lahm gelegt wird, fällt mittlerweile unter den Tatbestand der Brauchtumspflege. Dass Gladbach die Nummer 26 in der Liste der deutschen Großstädte ist und Bochum flächenmäßig sogar übertrifft, merkt man den marschierenden Anhänger kaum an.

Seit geraumer Zeit wird offen darüber diskutiert, die Vereine an den Kosten für die enormen Polizeieinsätze bei Bundesligaspielen zu beteiligen. Wer die langen Schlangen an den Trinkhallen sieht, wird diese Idee mitunter schnell wieder verwerfen. An Abenden wie diesen machen einige Ladenbesitzer das Geschäft ihres Lebens. Der Einzelhandel floriert. Vielleicht werden einige gar vor der Insolvenz bewahrt. In Zeiten der Finanzkrise sind Fußballfans reine Wohltäter.

Zudem gehen der Stadt Bochum gefühlte 500 Milliarden durch die Lappen. Würde man Wildpinkler gnadenlos zur Rechenschaft ziehen und von jedem 30 Euro kassieren, könnte die Stadt das Rettungspaket des Bundes an einem Abend wieder in die Haushaltskassen spülen. Der Staat wäre grundsaniert, die Finanzkrise aus der Welt. An alle Marienkäfer und sonstige Insekten an dieser Stelle ein wichtiger Hinweis: Es ist nicht alles Tau, was glänzt. Bochums Sträucher erstrahlen wohl heute noch in einem goldigen Glanz.

Anstatt den Staat zu sanieren, zeigt sich Bochum sogar von einer äußerst spendablen Seite. Vor den Bahnhofstoiletten hat man so genannte Geldvermehrungsanlagen installiert. „Ein Bier wegbringen“ kostet dort 60 Cent. Wer einen Euro einwirft, dem fegt ein wahrer Wirbelsturm aus 10- und 20-Cent-Münzen um die Ohren. In der Hand liegen am Ende 1,20 Euro.

Der Bannermarsch zum Stadion hat etwas von den Leipziger Montagsdemonstrationen. Fehlt nur noch, dass jemand „Wir sind das Volk“ ruft. Die Polizei ist schließlich auch mit einem Großaufgebot unterwegs. Äußerst friedlich zeigen sich die Damen und Herren in dunkelblau. Das Wie-du-mir-so-ich-Dir-Prinzip hat hier Vorrang. Nur einmal wird einer von ihnen etwas ungeduldiger, als sich ein geparkter Polizeiwagen auf einmal nicht mehr am Rand des Geschehens, sondern mittendrin wiederfindet. Vehement, aber dennoch sanft schiebt er die geduldigen Wanderer von hinten an, als wolle er eine Polonaise starten. Erst wollen wir spontan Gottlieb Wendehals anstimmen. Das ominöse „gleich fliegen hier die Löcher aus dem Käse“ schlucken wir dann aber doch runter.

Die Flutlichtmasten des RewirPowerStadions weisen uns schon aus der Ferne den Weg (warum ist die Namensvielfalt von städtischen Strom- und Gasanbieter eigentlich so eingeschränkt?). Das ist das Gute an den scheinbar dekadenten Lichtquellen. Nachher wären wir in Wattenscheid gelandet. Die Galgenhumoristen haben sich derweil etwas Besonderes ausgedacht: Den Kindern haben sie die sorgfältig in der Grundschule gebastelten Martinslaternen abgeluchst. Trendfarbe ist (tabellen-)standesgemäß rot.

Am Eingang suche ich minutenlang die Schlitze des elektronischen Ticketautomaten, bis mir der lange Zeit geduldige Ordner die Arbeit abnimmt. Mit einer gekonnten Bewegung entwertet er die Karte manuell und erinnert mich darin, wo wir hier eigentlich sind. Nicht, dass das irgendwie schlecht wäre. Nach dem Spiel wird ihm die Ehrennadel der IDB, der Innung Deutscher Kartenabreißer, verliehen. Meine war die 100000. seiner Laufbahn. Mein Plädoyer für den Zivildienst muss ich erst gar nicht vortragen. Anscheinend erwecken meine Augenringe den Eindruck, ich sei noch immer Schüler. Einen Ermäßigungsnachweis will niemand sehen.

Irgendwie ziemlich romantisch das ganze. Genauso wie der liebliche Geruch von Urin in der Nase. Aufwendig gekachelte Urinoasen sucht man hier noch vergeblich. In Bochum könnte man seine Notdurft noch ungestraft unter der unbeleuchteten Tribüne verrichten. Wer die Toiletten aufsucht, dem werden an den Wänden ganze Lebensgeschichten erzählt. Wer weiß, wie viele Büchner- und Pulitzer-Preisträger hier verloren gegangen sind.

Auch von innen erweist sich das RewirPowerStadion alias Ruhrstadion aka Stadion an der Castroper Straße als äußerst sympathisch. Anders als die Gladbacher Startaufstellung. Obwohl: Die versprüht ihren ganz eigenen Charme auch eher durch ihren Geruch. Es riecht nach Kampf. Im Tor steht ein Uwe. Nicht „der“ Uwe, sondern Herr Gospodarek. Der Kurve ist es egal. Jeder Atemzug des ehemaligen Bayern-, Bochum-, Lautern- und Burghausenkeepers wird mit den obligatorischen „Uwe, Uwe“-Sprechchören begleitet. Gladbacher sind eben traditionsbewusste Fans. Würde Steve Gohouri mit Vornamen Günter heißen, wären ihm die entsprechenden Gesänge ebenso sicher.

Ziege setzt auf ein 4-2-1-2-1 mit einem Mittelfeld, das in etwa aussieht wie die Zahl fünf auf einem handelsüblichen Würfel. Friend spielt als einsamer Eisbrecher in der Spitze. Außer auf dem Spielberichtsbogen taucht er in den folgenden 90 Minuten selten auf.

Die A-Cappella-Version der „Elf vom Niederrhein“ übertönt vor dem Spiel Grönemeyers „Bochum“, das eigentlich ein perfektes Vereinslied mit dem nötigen Pathos und der angebrachten Heimatliebe wäre – wenn denn auch alle mitsängen. Die Gladbacher Gästeschar hat sich die Bezeichnung „Kurve“ derweil redlich verdient. Vom Südwesten bis Nordwesten haben die Fans in schwarz-weiß-grün die gesamte Tribüne hinter dem Tor annektiert. Die Schalker fabrizieren dasselbe seit Jahren. Bezeichnend für einen Verein, wenn das Stadion eigentlich nur voll wird, weil der Gast mit Kind und Kegel angereist ist. Der Gesang „Wir haben ein Heimspiel ein Bochum“ zeugt damit keineswegs von Größenwahnsinn, sondern eher von ausgeprägter Realitätswahrnehmung.

Bewegende Momente machen sich rar in der Anfangsphase. Bochum ist aktiver, taucht aber zu selten gefährlich vor „Uuuuuwes“ Tor auf. Alles, was auf seinen Kasten zufliegt, schaufelt Gospodarek sicher über die Latte oder guckt es in bester Kamps-Manier mit geschultem Auge am Tor vorbei. Nach 30 Minuten Ringelpietz mit Anfassen wird es wie aus dem Nichts geradezu ekstatisch: Marin bringt einen Freistoß hoch hinein. Aus 120 Meter Entfernung sehe ich eine schwarze Abrissbirne heran rauschen. Das Netz zappelt. Augenblicklich wird es dunkel um mich herum. Der Block schwappt von links nach rechts, vor und zurück. Dann bricht die Welle der Begeisterung und schwappt mich auf den blauen Hartschalensitz. Dessen Lehne spielt kurzerhand „Ballade pour Adeline“ auf meiner Brustwirbelsäule. Reihe sieben tauscht die Plätze mit Reihe neun. Nach 37 Sekunden ist alles vorbei. Alle unverletzt. Alles jauchzt vor Glückseligkeit und die Borussia führt aus heiterem Himmel. Im fünften Auswärtsspiel, das ich in der Bundesliga verfolge, erzielt die Fohlenelf zum ersten Mal ein Tor. Etappenziel erreicht.

In der Halbzeit nehmen Monti, Nils, Chrissi und ich uns erst einmal eine Auszeit. Das in Hamburg eingeführte Pausenschläfchen bleibt diesmal aus. Wir meditieren mit offenen Augen. Bochumer Nachwuchskicker schießen währenddessen orange Gummibälle auf die Ränge. Ob für Durchgang zwei etwa Schnee angesagt ist?

Weiter geht’s mit einem Schock: Günter… äh, pardon… Steve sieht verdammt blass aus. Der Stadionsprecher beruhigt die Lage. Es ist Marcel Ndjeng. Gohouri musste verletzt passen. Der Mann ist also doch verwundbar. Seit wann kann Titan so einfach brechen?

Hilflos muss der „Mann mit der Machete“ nach 55 Minuten mit ansehen, wie sein unwürdiger Nachfolger Ndjeng in einem Lehrfilm mit dem Titel „Wie verhalte ich mich als Außenverteidiger – nicht“ mitwirkt. Eine Freier-Flanke rauscht von rechts in den Strafraum. Alle verpassen – auch Ndjeng, der am Elfmeterpunkt mit Sestak „Halli Galli“ spielt. Dabrowski durfte nicht mitspielen und rächt sich mit einem satten Schuss, an dem Gospodarek irgendwie dran ist, irgendwie aber auch nicht. Spätestens mit dem Ausgleich manifestiert sich der Eindruck, dass der 35-jährige zwar souveräner auftritt als Heimeroth. Unterm Strich verheißt er aber keine Besserung. Torhüter gewinnen eben keine Spiele mit abgefangenen Flanken und einem breiteren Brustkorb.

Eine knappe Viertelstunde vor dem Schlusspfiff wechselt Interimscoach Christian Ziege zum zweiten Mal. Brouwers kommt für Voigt und geht in die Innenverteidigung. Dafür rückt Daems nach links. Kleine Anmerkung: Das Spiel ist zu diesem Zeitpunkt halbwegs offen. Bochum zwar am Drücker, aber nicht erdrückend. Unweigerlich entsteht der Eindruck, dass Ziege in Wirklichkeit nur ein Luhukay im Schafspelz ist. Sein wenig nachvollziehbares Wechselspiel ist schuld daran. Verletzt war Voigt jedenfalls nicht, höchstens rotgefährdet. Aber das ist er stets, sobald er den Platz betritt.

Roel Brouwers hat noch keinen Fuß am Ball gehabt, da bleibt ihm nur das Nachsehen in einem scheinbar spielentscheidenden Zweikampf. Bochum spielt auf links einen Ball in Ndjengs Rücken. Gladbachs Deutsch-Kameruner befindet sich mitten in den Dreharbeiten zu Teil II seines Schulungsvideos. Fuchs flankt in die Mitte, wo Kaloglu eine Etage höher steigt als der besagte Brouwers. Der falsche VfL liegt vorne, während der Verein für Leidensübungen vom Niederrhein der fünften Bundesligapleite in Folge entgegen schlittert. Noch vor zwei Wochen hätte es an diesem Punkt wohl kein Zurück gegeben, keinen Hauch einer Wende. Doch die berüchtigte Eigendynamik eines Trainerwechsels belehrt zwei Minuten später jeden eines Besseren.

Marin holt im Gegenzug eine Ecke heraus. Die Hereingabe verwertet Kleine mit dem Kopf. Fernandes im Bochumer Tor verbrennt sich die Finger am Ball, der sich irgendwie über die Linie rettet. Der Linienrichter wedelt vor uns wild mit seiner Fahne – danach setzt meine Wahrnehmung erneut aus. Links-rechts-vor-und-zurück, „Ballade pour Adeline“, Menschenhaufen – die alte Leier. 2:2.

Gladbachs sechstes 2:2 in den letzten 13 Aufeinandertreffen mit dem VfL Bochum sollte mich eigentlich zufrieden stellen. Zumal die Borussia den Ausgleich in drei dieser Partien erst in letzter Sekunde kassiert hatte. Diesmal drehte sie das Ruder überraschend selbst herum. Doch wie das so häufig ist: Da stellt man eine bescheidene Forderung, die am Ende gar übertroffen wird. Und dennoch stellt sich am Ende nicht so recht ein wohliges Gefühl ein.

Die rote Laterne ist man vorerst los. Die letzten sieben Mannschaften trennt jeweils nur ein Punkt – zwei Siege und die Welt könnte ganz anders aussehen. Doch das sagt sich so einfach. Gladbach hat jetzt vier Zähler aus acht Spielen geholt. Aus den nächsten 26 Partien braucht man nach der alten Faustregel 36 Punkte. Macht einen Schnitt von 1,38 – Mannschaften, die dieses Niveau über eine ganze Saison halten, kommen am Ende auf 47 Zähler. Damit haben einige schon ums internationale Geschäft mitgespielt.

Letztendlich steht ein großes Fragezeichen hinter diesem aufreibenden Abend im Revier: Hat sich die Stimme zu Recht in den wohlverdienten Urlaub verabschiedet, hat es die Mannschaft verdient, dass ich heiser nach Hause fahre? Oder sind meine Stimmbänder nur lädiert, weil ich mich trotz zweier Tore und eines Remis immer noch ausgiebig aufregen musste?

Dabei genießt das scheinbare Ende der Talfahrt durchaus Seltenheitscharakter: Zum ersten Mal nach neun Auswärtspleiten in Folge holte die Borussia überhaupt einen Punkt in der Fremde. Mit Gohouris und Kleines Treffern traf sie doppelt so oft wie in diesem gesamten Zeitraum.

Ab nächster Woche hat die Mannschaft die Gelegenheit, ihre Bundesligatauglichkeit unter Beweis zu stellen. Unter Hans Meyer wird die Qualitäts- und Charakterfrage gestellt werden. Ob der neue Trainer dabei eher behilflich oder gar hinderlich sein wird, muss sich zeigen.

Hoeneß, der Raubtierdompteur

"Wir haben gekämpft wie die Löwen. Oder besser gesagt: Wie die Tiger. 'Löwen' dürfen wir ja nicht sagen."

- Uli Hoeneß im Sportstudio

In Gladbach sagt man dafür auch nicht: "Wir haben keinen Bock mehr". Der Bock wird hier durch die/den Ziege ersetzt. Denn der ist vorerst wirklich weg - von der Trainerbank. Da sitzt jetzt ein Meyer. Wobei der irgendwie doch ein Bock ist - ein echter Greisbock.

Freitag, 17. Oktober 2008

Der Kreis schließt sich

Ein kleiner Hinweis für alle Liebhaber von Tippspielen und Konsorten

Meine Auswärtsspiele in der Bundesliga:

15.12.06: Bochum - Gladbach 2:0 (2x69,8 km von Anrath aus)
17.02.07: Dortmund - Gladbach 1:0 (2x86,2 km)
07.04.07: Schalke - Gladbach 1:0 (2x80,7 km)
26.09.08: Hamburg - Gladbach 1:0 (2x415 km)
17.10.08: Bochum - Gladbach ?:? (2x69,8 km)

Macht heute Abend um 22:18 Uhr unterm Strich 1443 vergeudete Reisekilometer (vereinfachend wurde die kürzeste Autostrecke von Anrath in die jeweilige Stadt genommen).

Dachte, ich werd' das schnell noch los. Falls jemand Oddset tippen wollte.

Im DFB-Pokal sieht es nicht besser aus:

31.10.07: Bayern - Gladbach 3:1

Wenigstens ein Tor gesehen.

Dafür hab' ich's in der 2. Liga so richtig krachen lassen:

04.05.08: Offenbach - Gladbach 1:7

Selbst wenn uns das Schicksal bald zurück ins Unterhaus führen sollte. Ich werde nie mehr "nach auswärts" fahren. Die Bilanz von 3 Punkten und 7 Toren pro Spiel lasse ich mir nicht kaputt machen.

Dementsprechend bescheiden setze ich mich gleich in den Zug, stimme die alte Leier vom "Heimspiel in Bochum" an und marschiere in froher Erwartung mit 5.000 Leidensgenossen zum Stadion. Mit einem Tor würde ich mich ja schon zufrieden geben. Schießt uns meinetwegen mit 7:1 nach Hause, aber lasst mich bitte ein gottverdammtes Tor für Gladbach miterleben. Die Chancen stehen gar nicht so schlecht. Schließlich haben wir in den letzten neun Auswärtsspielen genau eins erzielt. Wir sind also statistisch gesehen mal wieder dran.

PS: Damit das niemand falsch versteht - ein 0:0 wäre immer noch besser als ein 1:7.

Donnerstag, 16. Oktober 2008

Posthumer Zwischenruf

57. Minute, das Stadion schweigt gerade. Auf einmal grölt es aus einer Ecke:

"Keviiin Kuraaaaanyi!"

Schade, dass der Name nicht den Buchstaben S beinhaltet. Man hätte ganz leicht sagen können, ob es der gute Kevin selbst war.

Simple Life

Fußball kann so einfach sein: Ein bisschen Lineker, ein wenig Rehhagel, dazu eine Prise Existenzialismus, einen Hauch von Unsinn und schon hat man ein schnödes 1:0 gegen Wales in der Tasche. Klappt fast immer - wenn da nicht dieser Rummenigge dauernd in die Suppe spucken würde.

Der Fußballgott ist ein intelligenter Mensch. Also wird er sich etwas dabei gedacht haben, als er den walisischen Fußballverband schuf. Schließlich hat er jeder Fußballnation einen Sinn der Existenz gegeben. Italiener spielen Catenaccio. Holländer den „totalen Fußball“ – wenn auch wenig erfolgreich. Spanier scheiden – eigentlich – immer im Viertelfinale aus. Schweden und Tschechen meistern in der Regel jede Qualifikation mit links, um dann beim großen Turnier keine Rolle zu spielen. Engländer verlieren jedes Elfmeterschießen, während die Deutschen in dieser Disziplin stets das bessere Ende für sich behalten – was grundsätzlich für jedes Spiel gilt (--> Lineker, Gary).

Da dieses Prinzip immer Gültigkeit hat, gewann Deutschland gestern auch mit 1:0 gegen Wales (--> Arbeitssieg, der). Italien hätte 0:0 gespielt, Holland trotz erdrückender Überlegenheit verloren. Die Schweden und Tschechen wären mit einem Kantersieg vom Platz gegangen, während die Engländer in ihren Angstanwandlungen vor dem möglichen Elfmeterschießen zwei Tore kassiert hätten – bis ihnen jemand erfreulicherweise mitgeteilt hätte, dass es definitiv nicht zur Entscheidung aus elf Metern kommen wird. Am Ende wäre die Partie 2:2 ausgegangen.

Deutschlands Sieg war nicht schön, aber auf gut Fußballdeutsch nennt man es schlichtweg „ergebnisorientiert“ (--> Rehhagel, Otto). 10:2 Chancen verzeichnet der Kicker heute (--> Übergewicht, das). Auf Seiten der Waliser ist das relativ übersichtlich. Welcher der gefühlten 469 Schüsse auf das Tor von Hennessey (--> Whiskey, der) jedoch in die Statistik einfloss und welcher nicht, bleibt noch zu klären. Schließlich hatte so oft ein Waliser ein Bein, eine Rippe oder ein Körperstück in der Schussbahn, das er geschickt auf dem Platz geschmuggelt hatte (--> Körperwelten, die), dass man meinen könnte, das Abblocken von Schüssen definiere den Sinn des Waliser Lebens (--> Existenzialismus, der).

Es muss nicht gerade erquickend sein, für Wales zu spielen. Heldenstatus erlangst du allemal über ein kriegerisch erkämpftes 0:0 in Deutschland. Heißt der Gegner einmal Aserbaidschan und du schickst ihn mit 1:0 nach Hause, juckt das in Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch (--> längster Städtename der Welt) niemanden sonderlich. Folglich wuchtest du Training für Training das Kopfballpendel gen Horizont oder bugsierst Baumstämme über die Latte (--> Highland Games, die). All das nur, um für Hitzlspergers, Schweinsteigers und Trochowskis Schüsse der Verzweiflung gewappnet zu sein. Und am Ende kapitulierst du einmal mehr vor dem Gesetz der großen Zahl (--> Stochastik, die) und siehst ein, dass mit jedem Schuss die Wahrscheinlichkeit auf ein Gegentor steigt. Dass der Winkel zum Tor, die Geschwindigkeit des Balles, der Luftzug im Stadion, das Stellungsspiel, der Standort der Torhüters und die Präzision des Schussen bei eben jenen gefühlten 469 Schüssen einmal perfekt harmonieren müssen. Die Mathematik schlägt dir ein Schnippchen und du kannst nur hoffen, dass 1+1 irgendwann einmal etwas anderes als 2 ergibt (--> Unsinn, der).

Waliser zu sein bzw. für Wales zu spielen kann nicht schön sein. Zumal es ja auch schon von der Tribüne ein elendiges Schauspiel ist. Doch der Fußball und gerade jene Quali-Spiele zwischen David und Goliath verlaufen eben ab und zu in Rummenigge’scher Manier (à Hitzfeld, Ottmar). Dann erhebt der Fußballgott den Zeigefinger und ermahnt die Beteiligten lauthals: „Fußball ist keine Mathematik.“

Ist dies der Fall, schlägt Luxemburg die Schweiz (--> Waterloo), spielt Deutschland nur 0:0 gegen Wales und verliert Frankreich in Österreich (--> Seltenheitswert, der). Dennoch: Was ist das für ein Leben, wenn ein erhobener Zeigefinger allein dein Schicksal bestimmt? (--> Scheißleben, das)

Sonntag, 12. Oktober 2008

Auf der Flucht

Er ließ die Playstation noch abholen. Dann war das Kapitel Nationalmannschaft für Kevin Kuranyi beendet. „Endlich“, sagen die einen. „Gott sei Dank“, meinen die anderen. Über Kämpfe mit der Objektivität, Fehden mit der Motorik und langes Ü.

Einsicht, Selbstmitleid, Größenwahnsinn oder doch nur ein Missverständnis? Berücksichtigt man den Zeitpunkt, zu dem Kevin Kuranyi sein Nationalspielerdasein de facto beendete, erscheint Erklärung Nummer eins am plausibelsten - eigentlich. Wer noch einmal den Namen des Protagonisten überfliegt, dem wird Nummer zwei und drei viel mehr zusagen.

Es war Halbzeit. Die Elf auf dem Platz hatte eine richtig gute, eine erfrischende, wenn auch nicht perfekte erste Hälfte hingelegt und führte mit 2:0. Kuranyi dürfte spätestens jetzt gemerkt haben, dass diese Sportart nicht seine ist.

Lukas Podolski brachte Deutschland nach einer schnellen und sehenswerten Kombination in Front, die schwer an das gepflegte Direktspiel der Klinsmann-Ära erinnerte. Schweinsteigers Weiterleitung mit der Sohle, Kloses hochklassiges Abschirmen im Stile eines Centers beim Basketball, der tödliche Pass auf Podolski, dessen rasante Drehung, der geschmeidige Wackler mit der Hüfte, der ansatzlose und präzise Schuss in die kurze Ecke – allesamt Szenen, die Kevin Kuranyi bereits anatomisch mit schier unlösbaren Herausforderungen konfrontiert hätten.

Soviel Einsicht und Realitätssinn sind der Nummer 19 (!) der ewigen DFB-Torschützenliste leider kaum zuzutrauen, weshalb bezeichnenderweise weder eine Erklärung noch ein Lebenszeichen des gebürtigen Brasilianers vorliegt - aufgewachsen in Panama, mit deutscher Mutter, deutschem Pass, einem Großvater aus Ungarn und einem Sprachfehler, den man niemandem wünscht.

Der Mensch ist geneigt, bei besonders krassen Fällen kaum noch objektiv urteilen zu können. Wiederum zeigt er auch die Tendenz, ein allzu einseitiges – aber dennoch objektives – Urteil nicht als solches anzuerkennen. Außer ein paar in seinem Fall unbrauchbaren Torstatistiken findet sich aber schlichtweg kein gutes Haar, das man an Kevin Kuranyi lassen könnte. Selbst der gütigste, sozialste und barmherzigste Mensch, so jemand wie Mutter Teresa, müsste bei dieser Suche mit erhobenen Händen kapitulieren und den Glauben an das Gute im Leben verlieren. Selbst „Auf Schalke“ ist man nicht so verblendet.

Und wo wir schon bei menschlichen Neigungen und Tendenzen sind – eine variable Berichterstattung, die mehr als einen Brennpunkt im Zentrum abdeckt, erscheint fernab der Möglichkeiten. Kuranyis Abgang stellt 90 Minuten Fußball und einen unterm Strich glücklichen, aber verdienten Sieg gegen Russland vollkommen in den Schatten. Da wird das nötigste einfach abgehakt – weil es nun einmal immer so gemacht wird. Adlers starkes Debüt, Westermanns Kampf mit Navigation und Motorik, Trochowskis allmähliche und überraschende Manifestierung in der Startelf – reine Randnotizen in einem Spiel, dass diese Unterordnung nicht verdient hat.

Deutschland spielte gut, weckte gerade in Hälfte eins zeitweise Erinnerungen an Tage offensiven Hurra-Fußballs, die eben mehr als nur gut waren. „Gut“ war die EM. „Sehr gut“ muss es sein, um mehr zu werden als nur Zweiter. Doch schon damals hatte das „Hurra“ mit dem „Oh Gott“ einen treuen und unliebsamen Begleiter gefunden. Das Hauptsache-den-Vorsprung-über-die-Zeit-retten-Prinzip hat gestern in Dortmund wieder Einzug gehalten. Zum Glück treffen sich „sehr gut“ und „noch ausreichend“ irgendwo im Zweierbereich. Zum Glück war Russland lange Zeit nicht das Russland der EM. Zum Glück haben wir einen Keeper, der die Glanzparaden noch auspackt, wenn die Fahne des Linienrichters bereits seit einer Minute im Wind weht.

Und zum Glück ist gestern Abend ein großer Block von schwarzen Eisberg des Rumpelfußballs abgebrochen und am Abgrund bzw. im Westfalenstadion verschwunden. Jetzt noch einen Innenverteidiger basteln, Per Mertesacker eindringlich erklären, wie das mit dem Stellungsspiel und der Spieleröffnung nochmal funktioniert und ihn gemeinsam mit Mario Gomez zur Krankengymnastik schicken, dann sieht es ziemlich gut aus. Mit Südafrika 2010.

Spätestens Ballacks Finger vor den Lippen nach seinem 39. Länderspieltreffer wird auch die letzten Zweifler überzeugt haben, dass eine Nationalmannschaft ohne den 32-jährigen nicht sein muss und einfach nicht geht. Dazu ein erfreulich geradliniger, aber weiterhin unbeschwerter Bastian Schweinsteiger. Ein Lukas Podolski, der keinen Gala-Tag braucht, um sich Gerd Müller einen weiteren Schritt zu nähern. Und ein Miro Klose, der zeigt, dass höchstens italienische Stürmer hüftsteif sind. Unterm Strich war es eben genug, um das teilweise fatale Bild zu übertünchen, das die deutsche Defensive besonders in Hälfte zwei abgegeben hat – wobei das Wort „Defensive“ den Torwart bekanntlich ausschließt, wenn von Deutschland die Rede ist. René Adler hat ein weiteres Mal bewiesen, dass ein Kahnbeinbruch keineswegs zum Genickschaden werden muss.


Das Arbeitsprotokoll – ohne Noten, mit Kevin:


René Adler: Mit einer Premiere nach Maß. Ihm war die Vorfreude schon bei der Hymne anzumerken, als er andächtig die Augen schloss und das „üüüüüü“ von „Blüh‘ im Glanze“ aufsaugte wie ein AEG-Hochleistungsgerät. Im Spiel dann nach außen nicht nervös, sondern souverän und ruhig. Dass er die Spiele liebt, „wenn am Ende noch einmal alles auf dein Tor zuläuft“, war ihm förmlich anzusehen. In der wackligen Schlussphase war er der Fels in der Brandung.

Philipp Lahm: Setzte zweimal zur Kopie des Costa Rica-Treffers an. Hatte anscheinend im Bus die Kevin-Kuranyi-Gedächtnis-DVD eingelegt und sein Schuss erreichte mit Ach und Krach das Toraus. Hinten mehrmals mit diesem unsäglichen Spreizschritt, der mehr an Disco Fox als an gelungene Abwehrarbeit erinnert. Dadurch einer der Protagonisten in der Fehlerkette vor dem Anschlusstreffer der Russen.

Per Mertesacker:
Per, wo drückt der Schuh? Bei jedem Ballkontakt sprangen einmal mehr alle Orthopäden vor dem Fernseher auf – in der Angst, gleich einen offenen Knöchelbruch mit ansehen zu müssen. Putzte zwar so einiges weg, dennoch nicht der Mertesacker, der er schon einmal war. Mitunter eher ein echter Westermann.

Heiko Westermann:
Der etatmäßige Innenverteidiger, der angeblich viel zu oft auf Außen aushelfen musste und aktuell ein Mittelfeldspieler ist, der Kevin Kuranyi „auf Schalke“ in den Schatten stellt, ist gefährlich wie eine Flasche Salzsäure im Milchregal. Wenn es ihm gelingt, den Ball zu klären, dann sind neben dem Ball meist seine Nebenleute arm dran, während sich der Gegner herzhaft freut. Ob nun die Felix-Magath-Frisur Schuld ist oder hier ein echter Talentmangel vorliegt, ist noch nicht endgültig geklärt. Eins ist jedoch klar: Geheimratsecken verursachen keine Gegentore.

Arne Friedrich: Im Vergleich zur Abteilung des Inneren ein echter Ruhepol. Die Chancen der Russen in Hälfte eins wurden zwar über seine Seite eingeleitet. Das Gegentor fiel am Ende jedoch über links. Eigentlich bezeichnend für Arne Friedrich, bei dem kalkuliertes Risiko irgendwie dazugehört – nicht, weil er ein Draufgänger ist, sondern weil er weiß, dass seine limitierten Fähigkeiten von Zeit zu Zeit nicht mehr zulassen. Dennoch ein akzeptables Länderspiel des Herthaners. Vorne sogar mit einer guten Flanke und drei tauglichen Ballannahmen. Allein die Tatsache, dass seine Anwesenheit uns Clemens Fritz ersparte, bringt ihm 500 Payback-Punkte ein.

Thomas Hitzlsperger: Ballacks Nebenmann, dabei hätte dem Capitano ein Schattenmann wie Simon Rolfes wohl noch besser getan. Ohne Schuss aus dem Stand und übers Tor ging es auch diesmal nicht. Beim 1:0 mit öffnendem Pass auf Schweinsteiger. Ansonsten solide, mehr nicht. Autodidakten wie Hitzlsperger gibt es immer wieder. Dennoch sind sie irgendwie immer einen halben Schritt hinterher.

Michael Ballack: Mit Länderspieltor Nummer 39 und einem sehenswerten Comeback. Wurde als Führungskraft gefordert und den Anforderungen besonders in Hälfte eins gerecht. Wenn er auf die Socken bekam, ließ Schiri Fröjdfeldt laufen. Verfehlte ein Gegenspieler seine Wade einmal, ging Ballack auf Tauchgang. Der Mann hat eine Aura, die sich ein Hitzlsperger weder auf der Psychologencouch noch im Kraftraum aneignen kann. Deswegen ist Ballack auch Ballack – nicht Bierhoff.

Bastian Schweinsteiger: Wie schon erwähnt, behielt er seine erfrischende Spielweise bei, spielte jedoch erfreulich geradlinig. Wenn mit Hacke, Spitze, 1-2-3, dann war’s auch angebracht und erfolgreich. Und das, obwohl auf seinen Schuhen neuerdings „Sarah“ steht – aber Schweinsteiger kann’s eben auch mit High-Heels.

Piotr Trochowski: Auf dem besten Weg zur Institution in der Startelf. Beteiligt am 2:0, traf nach der Pause mit einem Philipp-Lahm-Schuss die Latte (mit dem echten Philipp-Lahm-Schuss, wohlgemerkt). Im Rausch gewann er sogar ein Kopfballduell. Was für eine Leistung. Als wenn der Ball innerhalb der EU-Grenzen bliebe, wenn Kevin Kuranyi ihn annimmt.

Lukas Podolski: Noch 37 – dann hat er gleichgezogen. Mit Gerd Müller. Mathematisch gesehen, erzielt Podolski Ende 2013 sein 68. Länderspieltor. Mit 28. Warum ich nur über Zahlen und nicht über seine Leistung schreibe? Weil außer einem Tor und zwei gewohnt wuchtigen Schüssen wenig zu sehen war. Einer wie Podolski braucht nicht wirklich eine Chance für ein Tor. Dabei ist er jedoch anders als ein van Nistelrooy, der aus dem Nichts trifft. Podolski benötigt den Ball allein auf dem linken Fuß, auf einer Fläche, die circa 100 m² groß ist – dann ist der Ball mit außergewöhnlich hoher Wahrscheinlichkeit im Tor. Ende der Ansage.

Miroslav Klose:
Fußball spielen kann der Mann. Genau deshalb braucht er keine eigenen Tore, um auf sich aufmerksam zu machen. Da reicht schon ein gut abgeschirmter Ball, ein kluger Pass in die Gasse und eine daraus resultierende Torvorlage. Viel mehr war auch von Klose nicht zu sehen. Es reichte. Drei Tore sind eben nicht immer drin.

Mario Gomez: Setzte gut einen Fuß vor den anderen, hielt sich geschickt aus dem Geschehen raus und gab den Ball möglichst schnell wieder ab. Ob Mitspieler, Gegner, Seitenaus – einen Abnehmer fand er immer. Obwohl er es war, der eingewechselt wurde, und nicht der jüngst hoch gehandelte Patrick Helmes, ist er mit Kuranyis Abgang vorerst am Ende der Stürmerhierarchie angelangt. Der spielte 2004 übrigens sein erstes Turnier – ohne Erfolg. Zwei Jahre später war er dann schon nicht mehr dabei. Gomez war dieses Jahr zum ersten Mal mit von der Partie. Zwei Jahre später wird er…

Torsten Frings:
Eieiei – in der 83. erst eingewechselt. Frings ist eben kein Ballack. Von wegen Aura und so…

Simon Rolfes: Solider Auftritt über 60 Sekunden.

Kevin Kuranyi: Der Kurs der EA Sports-Aktien sackte mächtig ab, obwohl die Börsen gar nicht offen waren. Grund: Kuranyis Konterfei ziert den Titel des neusten Computerspiels FIFA 09. Günter Netzer erklärte sich spontan bereit, für ein neues Cover herzuhalten. Die Mundwinkel von Ronaldinho, mit dem Kuranyi sich bislang den Platz teilte, sanken daraufhin unter NN. Das Frisuren-Duell mit Kuranyi hatte er noch hauchdünn gewonnen. Jetzt bekommt er kalte Füße.

Donnerstag, 9. Oktober 2008

Widmungen und Bankrotterklärungen

Nette Geste vom DFB: Die Auszeichnung Ehrungspielführer ist zwar abgeschafft worden.

Aber abgetretenen Nationalmannschaftsgrößen wird von nun an zum Beispiel eine Verletzung gewidmet. Robert Enke erlitt im Training also keineswegs zufällig einen Kahnbeinbruch. Zwei Titanschrauben sollen den Bruch nun stabilisieren.

Bezeichnenderweise hat Jens Lehmann nur eine bankrotte Bank abbekommen.

Foto: Fund aus dem USA-/WM 2006-Archiv

Für jeden was dabei - aus den Fanshops dieser Welt (4)











Aus dem Fanshop des FC St. Pauli: Aus dem Kofferradio am Badewannenrand dröhnt AC/DC. Das Quietscheentchen mit dem Totenkopf drauf headbangt im Takt der Musik. Der St. Paulianer in der Wanne macht Angus Young auf seiner Luftgitarre aus dem Fanshop alle Ehre. Das Wasser schwappt über. Nach zehn Minuten ist die Wanne leer, das Bad beendet. Und das Quietscheentchen liegt im Trockenen.

PS: Seit wann kann man Luftgitarren a) anpacken und b) kaufen?

Dienstag, 7. Oktober 2008

Heureka!

Diese elende Leere. Dieses Übermaß an Freizeit. Was ist nur los heute? Warum läuft nirgendwo Fußball?

Und warum habe ich keine serbischen Freunde? Hätte mit ihnen Borac Cacak gegen Banat Zrenjanin gucken können. Ober gibt es kein serbisches PayTV?

Ach ja, die Nationalmannschaft hat trotz der Herbstferien in NRW nur 21.500 Zuschauer zum öffentlichen Training in die LTU-Arena gelockt. Übrigens gab es dennoch Zündstoff: Ballack scheißt Bierhoff wegen der unsäglichen Trikotbeflockungsaffäre an. Die DFB-Telenovela findet also ihre wohlverdiente Fortsetzung. Na wenigstens etwas am fußballfreien Tag.

Erstens ist die Geschichte wahrlich abgelutscht. Zweitens hat der DFB einen genialen Einfall gehabt. Der Kicker schreibt: "Im Gepäck des Verbandes befindet sich extra eine 25 Kilogramm schwere Beflockungs-Maschine, mit der noch bis kurz vor dem Anpfiff die Beschriftung der Trikots vorgenommen werden kann."

Zeugen berichten, dass aus den DFB-Gebäuden auf der Otto-Fleck-Schneise vor ein paar Tagen ein begeistertes "Heureka!" zu vernehmen war. Anschließend wurde Marschmusik gespielt und laut applaudiert. Das Schulterklopfen war derweil noch in Offenbach zu hören. Schade, dass die alternativen Nobelpreise gerade erst vergeben wurden. Doch die Herren von der Akademie werden für diesen genialen Einfall mit Sicherheit eine neue Kategorie ins Leben rufen. Wer weiß, ob Theo Zwanziger nicht sogar einen Neffen in Stockholm sitzen hat.

Ein Bild spricht Bände

Der Schlüsselbund fiel. Der Rasenmäher ratterte unaufhaltsam weiter. Ein Geräusch wie tausend kreischende Katzen. Auf dem satten Grün vier gekappte Schlüssel und ein arg ramponierter Anhänger. Besonders letzterer bot ein martialisches Bild der Verwüstung. Zwei Monate später steht er Modell für einen Verein, der sich so präsentiert, wie der Schlüsselanhänger aussieht. Es will sich nicht einmal mehr drehen das Bild.

Nun weiß ich, was mir der Rasenmäher mitteilen wollte. Wie kann man nach 13 Jahren noch so blauäugig sein?

Montag, 6. Oktober 2008

Keine Null für Spalte vier

Sieben Spiele sind rum, drei Mannschaften standen schon ganz oben, ein Trainer ist bereits raus. Die Bundesliga zehrt von ihrer Ausgeglichenheit und geizt weder mit Toren noch mit Zuschauern. Über eine Achterbahnfahrt mit ungewissem Ende

Schon der Blick auf eine ganz bestimmte Spalte der Bundesligatabelle spricht Bände: Kein einziges Team ist noch ungeschlagen. Das gab es zuletzt vor acht Jahren. Genau gesagt steht in jener Spalte mit dem v. für „verloren“ bereits seit letzter Woche keine einzige Null mehr, als Wolfsburg und Schalke jeweils die erste Saisonniederlage einstecken mussten. Eine ähnliche Abstinenz weißer Westen war letztmals zum Auftakt der Spielzeit 91/92 zu beobachten. Damals vollbrachten gleich 20 Mannschaften das Kunststück.

Ihre Ausgeglichenheit ist das schlagkrätigste Argument der Bundesliga. Längst erlauben nicht nur Partien mit Beteiligung der Bremer Torfabrik ernsthafte Hoffnungen auf ein Schützenfest. In 14 Spielen, also in 2 von 9, sind mindestens fünf Tore gefallen (4x 3:2, 3x 4:1, 2x 5:2, 2x 3:3, 1x 4:2, 1x 5:1, 1x 5:4 - dennoch war Werder viermal beteiligt). Der Schnitt liegt mit 3,13 Treffern so hoch wie lange nicht mehr. Die Schießbude der Liga heißt kurioserweise an beiden Enden des Platzes Werder Bremen: 19 eigene Treffer sind ebenso Spitze wie 16 Gegentore.

Freilich findet das ganze Spektakel nicht vor leeren Rängen statt. Mit 41 182 Zuschauern im Schnitt ist die Bundesliga in diesem Jahr erneut auf Rekordkurs.

Eine weitere Statistik untermauert eindrucksvoll das Jeder-kann-jeden-schlagen-Prinzip: Auf den ersten fünf Plätzen tummeln sich drei Vereine, die noch nie in der Bundesliga Meister geworden sind. Berücksichtigt man die letzten 45 Jahre, sind es in England dagegen 45 Meisterschaften, in Spanien 32 und in Italien immerhin noch 10. Chelsea, Liverpool, Arsenal und Barcelona, Real, Valencia – bei den Marktführern des europäischen Fußballs stehen die alten Bekannten vorne, während bei uns ein Aufsteiger wie Hoffenheim Rang zwei belegt (na gut, hier können die Engländer mit dem Überraschungsteam Hull City auf der drei noch annähernd mithalten).

Den 1. FC Köln auf Rang 10 trennen nur drei Zähler vom zweiten Platz. Der HSV steht mit drei Punkten Vorsprung derzeit nahezu uneinholbar an der Tabellenspitze – und das, ohne den Charme eines echten Spitzenteams zu versprühen. Wobei vier knappe Siege mit einem Tor Vorsprung, dazu zwei gedrehte und ein egalisierter 0:2-Rückstand durchaus in Indiz von Klasse sind.

Das Beispiel des HSV zeigt, dass man in der Bundesliga derzeit alles nach Belieben drehen und wenden kann – am Ende kommt stets etwas Positives heraus. Schwächelnde Bayern mag der eine mit dem Kommentar versehen, dass wir „weit genug unten angelangt sind, wenn nicht einmal mehr der Rekordmeister zu überzeugen weiß“. Andere werden behaupten, dass die Bundesliga in der Breite so stark besetzt ist, dass selbst der letztes Jahr noch übermächtige FCB vor keiner Krise gefeit ist.

Für den neutralen Beobachter ist es bislang eine Saison zum Zurücklehnen Zungeschnalzen. Jeder halbwegs Infizierte erlebt dagegen Woche für Woche eine Achterbahnfahrt der Gefühle, in der vom Totalschaden bis zur Schwerelosigkeit alles drin ist. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Sonntag, 5. Oktober 2008

Mission 40/7: C’est le Geschäft

Erst ein Fieber mit Folgen, dann die erste Derbypleite seit 16 Jahren – am Ende alles nebensächlich. Gladbachs vierte Niederlage in Serie wird überschattet von der ersten Trainer-Entlassung der Saison und einer fatalen Hubschrauberlan- dung im Traum.

„Derbyfieber“ diagnostizierte das FohlenEcho auf dem Titelblatt. Schon vor dem Anpfiff war klar, dass das Krankheitsbild bei einigen Chaoten viel fataler ausfällt. „Tollwut gepaart mit Paranoia im Endstadium“ trifft die Sache wohl etwas genauer. Die tiefen Wunden der Rivalität, erlitten im Zuge der Fahnen-Kapriolen aus dem Frühjahr, sind nicht annähernd verheilt. Im Gegenteil. Waren die Fronten zwischen Borussen und FC-Fans in den vergangenen Jahrzehnten schlichtweg verhärtet, die Lager sportlich verfeindet, ist nun scheinbar eine Wortneuschöpfung vonnöten, um das Verhältnis der rheinischen Rivalen treffend zu umschreiben.

So wurde zum ersten Mal, seit Stadionbesuche mein Leben bereichern, der Anpfiff nach hinten verschoben. Die Tollwütigen auf Seiten beider Teams hatten im Umfeld des Borussia-Parks für Szenen gesorgt, die wir – ums im Kommentatoren-Deutsch zu sagen – so nicht sehen wollen. Die beleidigten Beklauten (Gladbach) beschossen die Busse der provozierenden Diebe (Köln) mit Raketen. Man kann sich leicht ausmalen: Während das reine Wettrüsten im Laufe des Kalten Krieges schon die Angst vor einem Dritten Weltkrieg schürte, werden ein paar Leuchtraketen unter schmalhirnigen Hooligans zwangsläufig zur Eskalation führen. Die Kölner befreiten sich mit den roten Notfallhammern aus der Schusslinie. Daraufhin marschierten sie Richtung Fanhaus der Borussia, um dort mit Fäusten für Vergeltung zu sorgen. Die Eskapaden legten in der Folge den Verkehr lahm. „Rien ne va plus“ hieß es nicht nur für Shuttle-Busse und Autos, sondern auch für den Mannschaftsbus des FC.

Ich könnte jetzt loswettern mit Begriffen wie „hirnverbrannt“ oder „hirnamputiert“ und redundant betonen, dass derartige Ausschreitungen „vollkommen überflüssig“ seien. Doch abgedroschener Tadel wird rein gar nichts bewirken. Am Ende der Kette einer solchen Entwicklung steht für mich persönlich ein Schlussstrich – entweder die oder ich. Wir sind von italienischen Verhältnissen vergleichsweise und Gott sei Dank noch meilenweit entfernt. Aber jedes Ende hat einen Anfang. Und jener Anfang liegt mittlerweile weit hinter uns. 16 von 17 Heimspielen verlaufen ohne Nebenerscheinungen, wie sie den Derby-Samstag geprägt haben. Dennoch ist das allein ja kein Grund, sie einfach so hinzunehmen.

Fünf Minuten nachdem des Spiel dann endlich begonnen hatte, brannte es bereits lichterloh im Borussia-Park. Auf der einen Seite war Christofer Heimeroth nicht in der Lage, ein harmloses Tischfeuerwerk von Vucicevic zu entschärfen. Ehret staubte ab und erzielte sein erstes Tor im 56. Ligaspiel für den 1. FC Köln. Wen wundert’s, dass ihm der Premierentreffer ausgerechnet gegen Gladbach gelungen ist? Der FC-Gästeblock nahm auf der anderen Seite Revanche für die Ereignisse vor der Partie. Ein Feuerwerkskörper sorgte für verfrühte Neujahrsstimmung und ein Trommelfell zerberstendes Pfeifkonzert. Wir sind Tabellenletzter, unser Trainer steht stand auf der Abschussliste und Systemänderungen sind unser System – sich mit Problemen dieser Art rumzuschlagen, steht da nicht gerade auf Platz eins der Prioritätenliste. Vielleicht ist es aber auch nur ein bezeichnendes Bild für einen arg gebeutelten Verein, der derzeit nicht einmal in der Lage ist, ein paar Tausend Fußballfans am Eingang ordentlich abzutasten.

„Abzutasten“ war das letzte Wort, das ich bis Sonntag, 16 Uhr geschrieben hatte. Dann kam die Hiobsbotschaft über den Äther. Um halb sechs hat mir mein redaktionsinterner Korrespondent Nils die Nachricht „Jos ist raus“ geschickt. Jetzt sitze ich hier vor einem Scherbenhaufen und einem begonnenen Spielbericht, in dem zumindest die Spielminuten 6 bis 87 schlagartig überflüssig geworden sind. Entscheidend bleibt Novakovic‘ Freistoß in der 88., Heimeroths verzweifelter Versuch, mehr als nur ein paar Finger an den Ball zu bekommen und mein prompter Kommentar, frei von jeglicher Ironie: „17:24 Uhr, Gladbach ist seinen Trainer los“. Exakt 24 Stunden danach ist Vorahnung Wirklichkeit geworden.

Im Gedächtnis bleiben wird Luhukays letzte Amtshandlung, die unfreiwillig zum Sinnbild für seine Harakiri-Arbeit der letzten Wochen geworden ist: In der Nachspielzeit brachte er Colautti für Alberman – die Betonung liegt auf „Nachspielzeit“. Normalerweise nutzt das führende Team diesen letzten Augenblick, um Zeit zu schinden. Doch in Gladbach ticken die Uhren anscheinend anders.

„Ohne System zum Gewinn“ hieß das einzige erkennbare Motto. Eine Stammformation war genauso fremd wie Punkte. Dabei hatte Borussias Coach vor dem Derby nur zwei Spieler ausgetauscht. Ndjeng musste Neuville weichen. Marin kam für Callsen-Bracker. Wobei sich das mit dem Kommen und Gehen so einfach gar nicht sagen lässt, wenn aus einem 5-2-2-1 plötzlich ein 4-4-2 wird. Jos Luhukay hat es fertig gebracht, in sieben Partien 23 Spieler einzusetzen und sämtlich Zahlenkombinationen abzuarbeiten, deren Summe zehn ist.

Jos Luhukay fehlte letztendlich wohl nur ein Quäntchen an fachlicher Stärke, an Robustheit und Ausstrahlung, um in der Bundesliga zu bestehen. Doch allein sein Wechselspiel hatte zuletzt noch Konstanz und offenbarte gnadenlos die Hilflosigkeit des 45-jährigen Niederländers. „Die Anderthalbligisten“ titelte die Rheinische Post nach der Pokalpleite von Cottbus – den Trainer werden die Herren damals nicht außen vor gelassen haben.

Anfang 2007 kam er als neuer Assistent von Jupp Heynckes. Schon am 20. Spieltag schwang Luhukay als Cheftrainer das Zepter bei der Borussia und beschwerte den Fohlen prompt einen Auswärtssieg in Bielefeld – den einzigen in den letzten zwanzig Partien auf fremdem Platz. Doch seine Bundesligabilanz wurde in den folgenden 21 Spielen im Oberhaus nur noch um zwei Siege bereichert. Berlin musste im Abstiegsjahr dran glauben. Der Erfolg gegen Bremen vor ein paar Wochen war Luhukays dritter und letzter Dreier als Coach der Borussia. 13 Punkte aus 22 Spielen sind unterm Strich ein wahres Armutszeugnis. Seine tadellose Zweitligabilanz mit souveränem Wiederaufstieg verdeutlich eindrucksvoll, dass der Grenzgänger aus Venlo wahrhaftig ein Wanderer zwischen den Ligen war – eben ein echter „Anderthalbligist“. Genau aus diesem Grund geht er nicht als Buhmann, sondern als Aufstiegstrainer, für den es im ganz großen Geschäft einfach nicht gereicht hat. Seine Entlassung ist ein unvermeidlicher Teil eben jenes Geschäfts. Trotz allem also ein kräftiges „Danke, Jos!“.

Dabei hätte er frohen Mutes nach Bochum fahren können: Bielefeld, Berlin, Bremen – ein Sieg an der Castroper Straße hätte die Luhukay’sche Alliteration wunderschön vollendet. Zumal die darauffolgende Reise erneut nach Bielefeld gegangen wäre.

Diese Umstände – Luhukays Entlassung, Zieges Interims-Übernahme – überschatten natürlich das Derby mit all seinen Facetten. Der 7. Spieltag der Saison 2008/2009 wird nicht als Tag in Erinnerung bleiben, als Gladbacher mit Raketen auf Kölner Busse geschossen und die Fohlen zum ersten Mal seit 16 Jahren zuhause gegen den FC den Kürzeren gezogen haben. Vielmehr wird das Ende einer Ära hängen bleiben, die dort endete, wo sie begann – im Keller. Es ist logisch, dass Trainer von Vereinen wie Borussia Mönchengladbach in denselben Situationen geschasst werden, die sie einst in ihr Amt befördert hatten. Dennoch hat Luhukay mit einem Abstieg, einem Aufstieg und einem Salto rückwärts ans Tabellenende innerhalb von 20 Monaten durchaus Außergewöhnliches vollbracht.

Womit am Ende nur noch eine Frage zu beantworten wäre: Wer kommt jetzt? Zum Glück haben wir gerade erst einen Coach mit Schnäuzer entlassen. Peter Neururer sieht gegen Jos Luhukays smarten Oberlippenteppich ohnehin ziemlich alt aus. Mit Schrecken wurde derweil vernommen, dass Dick Advocaat sich im fernen St. Petersburg nach seiner Familie sehnt. Von Holland nach Gladbach – leider ein Katzensprung.

Zu guter letzt wäre da noch eine grausame Vision: In der Nacht nach dem Derby ist in meinem Traum noch einmal der Film des Nachmittages abgelaufen – darunter auch die kreisenden Hubschrauber über dem Borussia-Park. Auf einmal sinkt einer von ihnen unaufhaltsam gen Boden und landet gemächlich im Mittelkreis. Die Luke öffnet sich, ein Raunen geht durchs weite Rund und hinaus stolziert… Lothar Matthäus. Zwanzig Minuten später hört ein Lokführer in Nähe des Rheydter Hauptbahnhof ein kurzes Klackern auf den Gleisen – am nächsten Tag finden spielende Kinder die Splitter einer zertrümmerten Dauerkarte.