Samstag, 28. Februar 2009

Unentschieden ins Achtelfinale

Über Bremer Remiskönige, das rigorose K.o.-System und rekordverdächtige Bayern

Die Tabelle lügt nicht. Immer noch nicht. Die Bundesliga hat am Donnerstag zwei ihrer fünf nach der Winterpause verbliebenen Starter verloren - die drei letzten Mohikaner führen folgerichtig die interne deutsche Fünfjahreswertung an.

Der VfL Wolfsburg, nach einer starken Gruppenphase noch als potentieller UEFA-Cup-Sieger gehandelt, musste nach seinen beiden ersten Niederlagen im laufenden Wettbewerb prompt die Segel streichen. In der K.o.-Runde ist eben kein Platz mehr für Ausrutscher.

Von den besagten Ausrutschern hat sich Werder Bremen im Laufe der Saison eigentlich schon so viele geleistet, dass der Achtelfinaleinzug der Grün-Weiß beinahe die Züge der berüchtigten "Wunder von der Weser" trägt. Acht Europacupspiele hat Werder absolviert und nur eines gewonnen (gegen Inter Mailand).

Weil der Tabellenelfte der Bundesliga jedoch auch nur einmal verloren hat (gegen Panathinaikos Athen), steht er jetzt in der Runde der letzten Sechzehn und wird dort auf AS St.-Etienne treffen. Der Dominator der 60er- und 70er-Jahre in Frankreich weilt in der Ligue 1 derzeit nur auf Platz 18 - Werder winkt mit nicht allzu geringer Wahrscheinlichkeit der Einzug ins Viertelfinale.

Aus deutscher Sicht übernimmt der Hamburger SV bislang die Rolle des FC Bayern im UEFA-Cup: Sechs Siege, ein Unentschieden und nur eine Niederlage brachten den souveränen Durchmarsch und aktuell Rang zwei in der ultimativsten aller ultimativen Tabellen. Auch hier ist der Titel greifbar - neben der Bundesliga, dem DFB-Pokal und dem UEFA-Cup tanzt der HSV demnach auf vier Hochzeiten.

Und die gerade schon erwähnten Bayern? Fertigen Sporting Lissabon auswärts mit 5:0 ab, landen den höchsten Sieg ihrer Champions-League-Historie und müssen sich ausnahmsweise man dafür rechtfertigen. Der Kantersieg in Portugal war gleichzeitig der dritthöchste in allen K.o.-Spielen der Champions League seit 1993 - Manchester United gewann einst mit 7:1 gegen AS Rom, Werder Bremen unterlag Olympique Lyon mit 2:7.

Das Titelrennen an dieser Stelle ist demnach weiterhin offen. Bremen müsste den UEFA-Cup jedoch wohl schon gewinnen, um am Ende ganz vorne zu landen.


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Mittwoch, 25. Februar 2009

Mission 40/21: Jecker Befreiungsschlag

Gladbach setzt das verzweifelt erwartete Zeichen mit einem 3:2 gegen Hannover und lässt wieder Hoffnung im Tabellenkeller aufkeimen. Was Marko Marin mit Alberto Tomba verbindet, warum die Kathedrale des Aberglaubens stabiler dasteht als je zuvor und Logan Bailly (noch) kein Uwe ist.

Ein Jahr ist bekanntlich so voll gepackt mit Festen, Feiertagen und sonstigen Abzweigungen vom Alltag, dass man manchmal nicht weiß, wo einem der Kopf steht. Man schleppt sich von Weihnachten über Silvester bis Karneval, um irgendwie bis Ostern zu kommen, und reißt ein Kalenderblatt nach dem anderen ab, als sei es dreilagiges Klopapier.

„Tanz in den Mai“, Christi Himmelfahrt, Fronleichnam – freie Tage, schönes Wetter, alles wunderbar. Irgendwann hat der Mensch dann auch noch Geburtstag, begeht die Gedenkfeiertage im Oktober und November, bastelt Laternen zu St. Martin und stellt am 6. Dezember seine Stiefel, Sneaker, Adiletten vor die Tür. Und schon geht alles wieder von vorne los.

Den Fußball juckt es in der Regel nicht allzu sehr, ob nun Tannen mit brennenden Kerzen oder Birken mit buntem Krepppapier die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Er steckt voll und ganz in seinem Trott, feiert Anfang August die neue Saison, schickt die alte Ende Mai in den Urlaub und rückt nur davon ab, wenn die Jahreszahl durch zwei teilbar ist. Mit Weihnachten hat er gemeinhin ausschließlich in seinem Mutterland etwas am Hut. Ansonsten haben sich die Feste nach ihm zu richten. Fällt der eigene Geburtstag auf einen Samstag, stellt sich demnach nicht die Frage, wie sich neben den Geburtstagsfeierlichkeiten noch ein Stadionbesuch einrichten lässt, sondern wie zum Teufel man die Sahnetorte durch die Abtastkontrolle bekommt, ohne dass die Marzipanglasur Risse davonträgt.

Nun hatte ich am Wochenende leider nicht Geburtstag. Dafür kam die Zeit von Donnerstag bis Dienstag aber in etwa dem gleich, was mir vorschwebt, wenn Leute behaupten, Weihnachten und Ostern würden auf einen Tag fallen: Karneval. Wortwörtlich übersetzt „Fleisch, lebe wohl!“ und beim Stadionbesuch am Nelkensamstag in der Regel mit der Nebenbedeutung „her mit den drei Punkten!“ behaftet. Nach einer guten halben Stunde sah es im Borussia-Park jedoch noch nicht unbedingt danach aus, dass die bislang genau ein Spiel andauernde Heimsiegesserie am Karnevalssamstag ausgebaut werden würde (am 24. Februar 2001 hatte es eine 6:1-Demontage für Alemannia Aachen gegeben, by the way).

Dabei hatte ich – wie so oft – nichts dem Zufall überlassen und gleich mehrere erfolgsversprechende Grundsteine gelegt, so dass die Kathedrale des Aberglaubens auf einem unerschütterlichen Fundament stand. Das Ritual, stets Eingang Nummer drei oder vier zu benutzen, hatte nach fünf sieglosen Heimspielen in Folge ausgedient. Dafür ging es zum zweiten Mal in dieser Saison und zum fünften Mal überhaupt seit der Eröffnung des Borussia-Parks mit dem Auto ins Stadion (zuvor 4:2 gegen Augsburg, 2:0 gegen Aue, 4:2 gegen Valencia und 1:0 gegen Karlsruhe). Eine Petition für freies Parken auf Lebenszeit ist in Arbeit. Zu guter Letzt hatte ich diesmal in der Nacht vor dem Spiel auf das 1:1-bringende Trikot verzichtet. Dass es – mal wieder – funktioniert hat, mag manch einer Glück nennen – je nach Konfession vielleicht sogar Hartnäckigkeit.

Hinzu kam ein kleines Jubiläum: Mein 50. Heimspiel in Folge, also ein weiterer Grund zum Anstoßen. Marin und Matmour setzten gleich einmal ein Zeichen und fingen auf Pfiff des Schiedsrichter an damit.

Nach den besagten gut dreißig Minuten vor Geisterkulisse im Borussia-Park bin ich also bereits ein wenig desillusioniert in meinem Sitz zusammengesackt. Das Spiel plätschert vollkommen unkarnevalistisch vor sich hin. Hans Meyer hat bereits einmal gewechselt, oder vielmehr wechseln müssen. Christian Dorda ist von Jiri Stajner mehrfach schwindelig gespielt worden wie ein Bonbon in der Kamellekanone. Sein Vorgesetzter tut das einzig Richtige und erlöst ihn nach 24 Minuten. Obwohl es vom „kicker“ die Note 6 gibt, keineswegs eine Schande für Dorda, sondern wohl eher ein Erlebnis der Kategorie „extrem lehrreich“ – solange er sich bei der nächsten Gelegenheit geschickter anstellt. Erste Schlüsselszene.

Die Borussia hat sich bislang weitestgehend von Robert Enkes Tor ferngehalten, als Alexander Baumjohann etwas unmotiviert 30 Meter vor dem Tor die Strecke des Veilchendienstagszuges abschreitet. Die Aufforderung „schieß doch“ kommt so uninspiriert von den Rängen, dass es sich nicht einmal lohnt, ein Ausruhezeichen dahinter zu setzen. Doch der Bayer in spe fasst sich einmal mehr ein Doppelherz und sorgt für einen Paukenschlag, der die gut 36.000 im Nu von Toten- in Tulpensonntagsstimmung versetzt. Der Ball dreht sich höchstens zweimal um die eigene Achse, bevor er unhaltbar im Winkel einschlägt – ein Strich wie aus dem Lehrbuch. Und weil sich Weitschusstore Baumjohanns kurz vor der Halbzeit mittlerweile häufen, auch diesmal für alle gelangweilten Mathe-Grundkursler die Funktion seines Tores: f(x)=0,091x. Weil’s so schön war, ausnahmsweise keine Hausaufgaben. Zweite Schlüsselszene.

Drei Tore hat Alexander Baumjohann damit in dieser Saison erzielt – allesamt auf die Südkurve, allesamt Marke „Tor des Monats“. Es hat ganz den Anschein, dass der 22-jährige, den der Stadionsprecher beim Freundschaftsspiel in Schiefbahn letzten Mai noch mit unnachahmlicher Penetranz „Baumjosef“ nannte, sich seinen Once-in-a-lifetime-Vertrag beim FC Bayern nachträglich verdient. Nicht nur seine Tore sorgen für Furore. Mittlerweile nimmt er sichtlich das Heft in die Hand und schwingt sich zum absoluten Führungsspieler in der Offensive auf. Eine Qualität, mit der Marko Marin – bei aller Lobhudelei an anderer Stelle – bislang noch nicht aufgetrumpft hat. Das Alter taugt im Vergleich zu Baumjohann diesmal eben nicht als Ausrede.

Dennoch ist es eben jener Marko Marin, der sich nicht lange bitten lässt und nur sieben Minuten nach dem Führungstreffer nachlegt. Wie Alberto Tomba im Slalom-Dschungel windet er sich durch die 96-Abwehr und vollendet mit einem Schlenzer, der so trocken-kunstvoll ist wie ein Picasso-Gemälde in Mauretanien. Egal ob er in der Zweiten oder der Ersten Bundesliga, im DFB-Pokal, in der U21 oder in der A-Nationalmannschaft trifft – jedes seiner zehn Tore, die ich aus dem Stehgreif zusammenbekomme, war sehenswert. Die Tatsache, dass ich überhaupt zehn zusammenbekomme, dürfte diese These zu Genüge untermauern. Dritte Schlüsselszene – und der erste Nicht-Baumjohann-Treffer auf die Südkurve in dieser Saison.

Bei aller Unberechenbarkeit in der Defensive sollte die Borussia meines Erachtens sowieso mehr Wert legen auf das Hauptsache-vorne-einen-mehr-schießen-als-hinten-reinkriegen-Prinzip. Mit sechs Gegentoren in vier Rückrundenspielen – das Hannover-Spiel schon eingeschlossen – sieht der Schnitt inzwischen zwar etwas besser aus. Dennoch zeigt vor allem die Anfälligkeit bei Standards, dass ein halbwegs kapitaler Bock immer drin ist – Logan Bailly hin oder her.

Die vierte Schlüsselszene, Pintos Anschlusstreffer zum 1:2, holt Gladbachs Teufelskerl im Tor zudem wieder auf den Boden des Menschlichen zurück und versinnbildlicht das ständige In-der-Luft-Liegen eines folgenschweren Fehlers. Den Schuss mit der bumerangförmigen Flugbahn wollte der Belgier scheinbar in Uwe-hat’s-geseh’n-Manier vorbeigucken – mit 23 Jahren wohl ein zu gewagtes Unternehmen. Doch hinter dieser Feststellung soll in keinster Weise ein Vorwurf stecken. Lieber 745 vereitelte Chancen in Bremen und eine zu wenig gegen Hannover, als 744 gegen Werder und dafür eine mehr gegen „die Roten“. Für derartige Kompromisse wäre unsere Lage nämlich weiterhin viel zu prekär. Außerdem war es erst Marko Marins Nachlässigkeit im Zweikampf gegen Pinto, die diesen fulminanten Schuss an den Innenpfosten ermöglichte.

Die nächste Schlüsselszene (Nummer fünf – für alle, die nicht mitzählen) liefert jedoch nicht sofort Klarheit, ob sie nun den Schlüssel zum Erfolg darstellen oder das Tor zum Niedergang öffnen wird. Nach 71 Minuten ist Marko Marins Arbeitstag beendet. Es kommt Oliver Neuville – 16 Jahre älter und zum zweiten Mal in Folge unter gellenden Pfiffen im Borussia-Park eingewechselt. Doch niemand hat seine Hände wegen einer grünen 27 auf der Anzeigetafel des vierten Mannes zwischen die Finger gelegt, sondern ausschließlich aufgrund einer roten 11. Ich kann bekanntlich nicht pfeifen. Und wenn, dann hätte ich es nicht getan, weil ich der Meinung gewesen wäre, Marin hätte um alles in der Welt durchspielen müssen, sondern weil ich langsam nicht mehr durchblicke, mit welcher Berechtigung Karim Matmour schon acht Saisonspiele über die volle Distanz und vierzehn über mindestens 75 Minuten absolviert hat. Einem Tor steht kein einziger Assist gegenüber. Auch enorme Laufbereitschaft und Defensivarbeit können bei einem etatmäßigen Außenstürmer nicht über diese Bilanz hinwegtrösten.

An der sechsten Schlüsselszene tragen jedoch weder das Drinbleiben Matmours, noch die Hereinnahme Neuvilles und die Auswechslung Marins eine Schuld. Es ist Michael Bradley, in Bremen noch Heilsbringer mit der Brust, der nach einer Ecke von Bruggink nicht nah genug bei Schulz ist und den damit die Hauptschuld am Ausgleich der Hannoveraner trägt. Im vierten Rückrundenspiel setzt es den vierten Treffer nach einer Standardsituation. Doch ausgerechnet Schlüsselszene sechs hält gleichzeitig so etwas wie den Schlüssel zum Erfolg bereit.

Denn nach dem 2:2 steht die Borussia vor einer richtungsweisenden Schlussphase, einer wahren Hopp-oder-Top-Situation. Entweder sie bäumt sich auf und holt sich die drei Punkte, die ihr nach einer ordentlichen Leistung zustehen, oder sie gibt zwei bzw. gar drei Zähler aus der Hand, deren Verlust die Fohlenelf in eine Lage mit Tendenz zur Aussichtslosigkeit versetzen würde.

Gladbach, allen voran Oliver Neuville, entscheidet sich für „Tor 1“ und setzt damit ein Zeichen, wie es im Abstiegskampf bitter vonnöten gewesen ist: Nach einem Abpraller von Friend und einer Kerze von Fahrenhorst wuchtet Neuville den Ball mit aller Kraft und Macht ins Tor. 36.000 jubeln für 63.000. Der Sieg ist perfekt und wird in den verbleibenden sieben Minuten kaum noch in Frage gestellt. Schlüsselszene Nummer sieben ist es, die aus zuvor acht Partien ohne Sieg eine Serie von drei Spielen ohne Niederlage werden lässt – zum ersten Mal in dieser Saison. Ein lang ersehnter Befreiungsschlag mitten hinein ins jecke Treiben, der die Borussia wieder atmen lässt. Die Talsohle der schwarzen November-, Dezember- und Januarwochen scheint erst einmal durchschritten. Im Februar ist die Borussia noch unbesiegt.

Aus durchschnittlich drei Punkten Abstand zu den Plätzen 15, 16 und 17 sind innerhalb eines Wochenendes zwei geworden. Mit einer beherzten Leistung, einer guten Chancenauswertung und etwas Trotz hat die Borussia ihr Leid sozusagen um ein Drittel verringert. Dennoch zeigt der Trend, dass die Vermutung, 30 Punkte könnten zum Klassenerhalt reichen, sich langsam aber sicher als Trugschluss erweist. Nach der Hinrunde hatte der Fünfzehnte Kurs genommen auf 26 Punkte. Von Spieltag zu Spieltag hat sich die Kurve seitdem nach oben gearbeitet. Die aktuellen Hochrechnungen für den ersten Nichtabstiegsplatz stehen bei 30,8 Punkten nach 34 Spieltagen, was aufgerundet 31 macht.

Dafür müsste die Elf vom Niederrhein 15 Punkte aus den verbleibenden 13 Spielen holen – und dazu wäre nicht einmal der Schnitt vonnöten, den sie in den ersten vier Partien nach der Winterpause vorgelegt hat. Die Hoffnung keimt am Horizont.

Sonntag, 22. Februar 2009

Schale zu verleihen

Bayern München wird nicht Deutscher Meister. Nehmen wir jetzt einfach mal an.

Und um die Sache etwas philosophisch anzugehen: Es muss demnach ein anderer werden.

Die heißesten Kandidaten, mit jeweils höchstens sechs Punkten Rückstand zur Tabellenspitze, wären:

1899 Hoffenheim: im Falle einer Meisterschaft der zweite Aufsteiger in 46 Bundesliga-Spielzeiten, dem der Titelgewinn gelingt

Hertha BSC Berlin: zuletzt 1931, vor 78 Jahren, Deutscher Meister - die zweitlängste Durststrecke aller aktuellen Bundesligisten, die in ihrer Geschichte schon einmal den Titel holten (12); führend ist der Karlsruher SC, der 1909 jedoch noch den Vor- und Zunamen "Phönix" trug

Hamburger SV: seit mehr als einem Vierteljahrhundert ohne Schale, seit 1987 ohne Titel

Bayer Leverkusen: bekanntlich noch ohne Meisterschaft in der 105-jährigen Vereinsgeschichte, dafür mehrfach nah dran

VfL Wolfsburg: die Wikipedia notiert bei "Erfolge" unter anderem Wolfsburgs Errungenschaft,"Gründungsmitglied der 2. Bundesliga: 1974" gewesen zu sein; mehr sei an dieser Stelle nicht gesagt

Sollten die Bayern also tatsächlich nicht den Titel holen - obwohl Christoph Daum gestern ja angeblich beim "kommenden deutschen Meister" gewonnen hat -, dürfte der stellvertretende Titelträger auf jeden Fall die Adjektive "überraschend" und "unerwartet" auf sich ziehen, vielleicht sogar "sensationell". In einigen Fällen könnte auch ein seufzendes "endlich" zu vernehmen sein.

Falls ein anderer, an dieser Stelle nicht genannter Verein am Ende die Nase vorn hat, gilt der erwähnte Adjektivkatalog übrigens erst Recht. Nach 21 Spieltagen sieben und mehr Punkte im Hintertreffen? Da wird dann doch eher die Hertha Meister.

Samstag, 21. Februar 2009

Mannschaft der Stunde (15)

Manchester United

Eigentlich ist der FC Barcelona – am 26. Oktober, also vor fast vier Monaten, zur „Mannschaft der Stunde“ gekürt – noch immer nicht endgültig weg vom Fenster in dieser Kategorie. Seit nunmehr 22 Ligaspielen sindwaren die Katalanen ungeschlagen, der Vorsprung auf Platz zwei liegt bei sieben Punkten, obwohl Real Madrid als Verfolger einen ebenfalls überragenden Lauf erwischt hat. Barca hat das Stadtderby gegen Espanyol heute jedoch mit 1:2 verloren, weshalb es an der Zeit ist, den Status einer Mannschaft vom anderen Stern erst einmal ad acta zu legen.

Mit mittlerweile neun Siegen in Serie bei einem Torverhältnis von 22:2 wäre der „königliche“ Erzrivale aus Madrid ein würdiger Nachfolger – wenn es nicht eine Mannschaft in England gäbe, die derzeit sowas wie die oberste aller Übermannschaften repräsentiert. Manchester United hat nicht nur die letzten zehn Premier-League-Spiele allesamt für sich entschieden (was an sich schon genügen würde, um Real Madrids Argumente zu überbieten), sondern wettbewerbsübergreifend nur eines der letzten 24 Pflichtspiele verloren und 13 von 15 Ligapartien gewonnen.

„Nur“ 26 erzielte Tore in jener Zeit beeindrucken in Relation zu den anderen Errungenschaften nicht unbedingt. Vielmehr ist es die United-Defensive, die seit November 2008 für Furore gesorgt und Rekorde am laufenden Band gebrochen hat. Roque Santa Cruz sorgte heute mit dem 1:1-Ausgleich seiner Blackburn Rovers in Old Trafford dafür, dass das dominierende Thema in Sachen ManU von nun an wieder ein anderes sein kann.

1334 Minuten, mehr als 22 Stunden oder fast genau 15 Partien hat es gedauert, bis das Team von Sir Alex Ferguson wieder einen Anstoß ausführen durfte, der weder zu Beginn der ersten noch zu Beginn der zweiten Halbzeit stattfand. Der Europarekord von Dany Verlinden – jawoll, der „Riese“ oder auch „die Wand“ aus Belgien – wurde damit auf den ersten Blick um 56 Minuten verfehlt. Doch Edwin van der Sar hat trotz des Gegentores durch Santa Cruz weiterhin die Möglichkeit, sich zum kontinentalen Rekordhalter aufzuschwingen: Heute Abend wurde er geschont und vom Polen Tomasz Kuszczak vertreten – als habe es Ferguson drauf angelegt, die Minutenzählerei zu beenden, ohne gleichzeitig Punkte liegen zu lassen.

Premier League, England, Großbritannien und demnächst vielleicht ganz Europa – Edwin van der Sars Feldzug in Sachen Gegentorlosigkeit ist noch nicht vorbei. Zur Belohnung gibt es einen Platz in der ehrwürdigen Sidebar dieses Blogs für ihn und seinen Verein als „Mannschaft der Stunde“.

Sonntag, 15. Februar 2009

Mission 40/20: Mehr Bailly als Verstand

Gladbach holt in Bremen einen Punkt und wird sich noch lange fragen, wie das nur passieren konnte. Warum Rolf Zuckowski es diesmal ernst meint, Deo-Roller nur bedingt zum Telefonieren taugen und Logan Bailly nicht allein für einen sauberen Kasten, sondern für SED-Verhältnisse im Internet sorgt.

Halbzeit in Krefeld. Der TV Boisheim liegt gegen die Gastgeber aus Oppum mit 8:9 im Hintertreffen. Vierzehn Handballer zwischen 19 und 52 Jahren schleppen sich japsend zur Bank, während die geschätzten 18 Zuschauer sich auf eine schnelle Pausen-Kippe nach draußen verziehen. Auch in der Kreisliga D herrscht in Sporthallen striktes Rauchverbot, selbst in kargen Gebäuden wie der Halle an der Schmiedestraße, gegen die jedes halbwegs in Schuss gehaltene Gefängnis noch einladend wirkt.

Plötzlich stiehlt sich der Spieler mit der Nummer 9 unbemerkt davon. Erst wühlt er ein paar Sekunden lang scheinbar desorientiert in seiner Tasche, dann zückt er ein kleines, schwarzes Handy und legt beim Entriegeln der Tastensperre eben jene Schnelligkeit an den Tag, von der in den dreißig Spielminuten zuvor rein gar nichts zu sehen war. „Mama“ hat geschrieben, um 16 Uhr 12 und 34 Sekunden. „Meyer merkt nach 40 Minuten, dass man nur mit einem Tor gewinnen kann und nimmt Jantschke raus. Olli kommt“, vermeldet der heimische Ergebnisdienst von der Wohnzimmercouch die Neuigkeiten aus Bremen. Zur Pause steht es 0:0.

Schon dreizehn Minuten zuvor hatte es geheißen: „Bisher ermauern wir uns einen Punkt – ohne Marin, mit Colautti, Jantschke und viel, viel Glück“. Um sieben nach vier, nach einer guten halben Stunde im Weserstadion, dann ein erster Hinweis auf den Hauptdarsteller eines merkwürdigen Fußballspiels: „Ohne Bailly könnten wir schon nach Hause fahren“. Wohl dem, der eine Mutter hat, die man nicht vor den Fernseher zerren und mit Instruktionen über die Funktionsweise eines Premiere-Decoders versorgen muss. Im Gegenteil.

Klingt irgendwie nach einer schnulzigen Hommage aus einem Rolf-Zuckowski-Lied (‚Wenn ihr so eine Mami habt, dann nehmt sie in den Arm…‘), spiegelt aber aufrichtige Dankbarkeit gegenüber meiner temperamentvollen Sitznachbarin aus dem Stadion wider, ohne die ich sicherlich nie so verrückt geworden wäre, sonntagabends nach Rouladen mit Sauerkraut seitenlange Abhandlungen über die Spiele meiner, ihrer und unserer Borussia zu verfassen.

Immerhin wären die ersten Absätze dieses Textes ohne sie nie zustande gekommen (die folgenden im Prinzip auch nicht). Und ausführliche Beschreibungen der zweiten Halbzeit aus der Gefängnishalle in Krefeld-Oppum will nun wirklich niemand lesen. Auch wenn der TV Boisheim trotz seines motorisch wenig begabten Linkshänders im rechten Rückraum das Spiel mit 21:19 für sich entscheiden und damit auf einen vorderen Mittelfeldplatz springen wird – als Dritter von sieben.

Es ist durchaus als positives Zeichen zu werten, dass der besagte Spieler mit der Nummer 9 keine weitere SMS auf seinem Handy vorfindet, als er ein paar Minuten vor Schluss völlig entkräftet den Platz verlässt und erneut in seiner Tasche kramt. Um 16:47 Uhr ist das Festival des feinen Kreisligahandballs vorbei. An der Weser nichts Neues.

In der Kabine vibriert es erst wieder um 17:01 Uhr. Die Nummer 9 kommt gerade vom Duschen und zeigt sich erleichtert über die anhaltende Torlosigkeit im hohen Norden. Die Idee vom mit Klebeband am Körper befestigten Mini-Radio war relativ schnell verworfen worden. Ein wenig Schwitzen war ja doch nicht verkehrt, worüber sich das Radio nicht allzu sehr gefreut hätte.

Bremen hat laut Ergebnisdienst mittlerweile 20:3 Torschüsse und nähert sich auch beim Eckenverhältnis unaufhaltsam der Dreistelligkeit. Nur zwei Minuten später heißt es erneut „Sie haben Post“ und diesmal kippt unser Hauptdarsteller beinahe aus den Adiletten. Zwei Zahlen, getrennt durch ein Leerzeichen, erscheinen auf dem Bildschirm. Alleine die Reihenfolge sorgt für Entsetzen: „1 0“. Es musste ja so kommen. Nach 67 Minuten in Stuttgart dürfte das antike Bollwerk um Mittelläufer Galasek diesmal bis eine Viertelstunde vor dem Ende standgehalten haben. Das Zu-Null in der Fremde lässt demnach noch mindestens zwei Gastspiele oder auch 82+8+90 Minuten auf sich warten.

In Bremen scheint die Partie um 17 Uhr also gelaufen zu sein. Bei bislang drei Torschüssen wird wohl kaum der vierte zum postwendenden Ausgleich führen. Doch nur weitere zwei Minuten später vibriert es erneut in der ominösen Sporttasche. Die Nummer 9 sucht zunächst völlig entgeistert die grüne Taste und merkt erst nach wenigen Sekunden, dass sie den Deo-Roller in der Hand hält. Aber der Griff zum kleinen Schwarzen erfolgt gerade noch rechtzeitig, um die frohe Botschaft in Kabine und Dusche zu verbreiten: „Bradley, Brust, Ausgleich“. Selten war ein Trikolon so wohltuend. Die Fernsehbilder am Abend lassen den Konservatismus dreimal hochleben. Denn zum Glück ist Bradley Brustwarze nicht gepierct – der Ball wäre unter Umständen vorbei gegangen.

Noch acht Minuten sind im Weserstadion zu spielen, als die Nummer 9 im Auto Platz nimmt und sich der Schlusskonferenz auf WDR 2 widmet – mit der Gewissheit, erstmals seit September 2006, erstmals seit 83 Ligaspielen weder im Stadion noch vor dem Fernseher sitzen zu können. Nicht einmal für wenige Sekunden. Seinerzeit hatte der Ergebnisdienst die Botschaft von einer 2:4-Pleite in Aachen überbracht – in der Berliner S1, irgendwo zwischen Potsdamer Platz und Friedrichstraße.

Wenige Augenblicke vor dem Schlusspfiff taucht Steve Gohouri – angeblich – frei vor dem Tor von Tim Wiese auf. So richtig will ich es dem Mann im Radio nicht abnehmen. Selten habe ich mich so blind und hilflos gefühlt. Die offizielle Kunde vom endgültigen Abpfiff gibt es erst nach ein bisschen WDR-Weichspülmusik, als Sven Pistor die Ergebnisse verliest. Ein Punkt in Bremen – allem Anschein nach mit mehr Bailly als Verstand. Selbst ohne herausragende Reflexe wäre es bemerkenswert, sich gleich im Dutzend anschießen zu lassen. Doch Gladbachs neuer Keeper hat eine Leistung auf den Rasen gezaubert, für die sogar Hans Meyer das Prädikat „Weltklasse“ zückt.

Zur Sicherheit kann man die titanische Leistung des Belgiers auf der Borussia-Homepage noch offiziell absegnen. Die Frage nach dem besten Defensivspieler gegen Bremen beantworteten bis Sonntag, 20:25 Uhr, genau 13471 Besucher mit „Logan Bailly“. Die anderen drei Kandidaten kommen zusammen auf 426 Stimmen – SED-Verhältnisse mit der Glaubwürdigkeit eines notariell geprüften Lügendetektors. Den Hochrechnungen zufolge schwankte Baillys Stimmanteil zwischen 97,0 und 98,7 Prozent und hat sich mittlerweile bei ordentlichen 97,4 eingependelt. Steve Gohouri, derzeit Zweitplatzierter, plant dennoch eine millionenschwere Kampagne, um bis Donnerstag 20.000 Stimmen zu sammeln.

Bochums Sieg gegen Schalke und Karlsruhes Punktgewinn in Köln dämpfen die Freude über den geschenkten Auswärtszähler jedoch gehörig. Das 1:1 hat somit den Wert eines Brotlaibs für einen Ausgehungerten: Zum Sterben zu viel, zum Überleben zu wenig.

Auf Premiere lässt man zunächst in aller Seelenruhe die fünf anderen Partien Revue passieren, bevor das Gastspiel der Ausgehungerten bei den Durstigen auf dem Programm steht. Man munkelt, es sei im Ü-Wagen vor dem Weserstadion zu mehreren Kollapsen beim Schnitt der Zusammenfassung gekommen sein. Gut Ding will Weile haben. Doch sowohl dem Pay-TV als auch der Sportschau gelingt es nicht annähernd, das Duell „Bailly gegen den Rest der Welt“ greifbar zu machen.

Erst eine Art Schnelldurchlauf des Bremer Torchancentaifuns im Sportstudio lässt erahnen, was die Borussia sich in der Winterpause für einen Teufelskerl geangelt hat. Fans aus Genk werden demnächst die ganze Südkurve des Borussia-Parks annektieren, um die Wundertaten Baillys weiterhin zu bestaunen. Bleibt die Frage, ob sich zu sehr ausgeprägte Reflexe nicht nachteilig auf die Gesundheit auswirken können?

Am Sonntag gelingt es Bielefeld (bzw. Hamburg) wenigstens halbwegs, den Spieltag aus Borussensicht noch zum Guten zu wenden – trotz eines Punktgewinns in Bremen aus dem heitersten aller heiteren Himmel fällt das ziemlich schwer. Denn das Unentschieden von Cottbus in Dortmund vergrößert die Lücke zum Tabellensiebzehnten zeitgleich auf vier Zähler. Optimistisch stimmt es, dass Platz 17, 16 und 15 gleich weit weg sind. Dennoch verdunkelt sich der Himmel am Niederrhein von Spieltag zu Spieltag. Zwei Zähler zum rettenden Ufer haben sich in drei Spielen verdoppelt. Aus Punktgleichheit mit dem Siebzehnten ist ein Rückstand von vier Punkten geworden.

Jetzt kommt mit Hannover 96 eine Mannschaft in den Borussia-Park, die in dieser Saison eine Auswärtsseuche am Fuß hat, von der selbst der VfL in „besten“ Tagen nur hätte träumen können: ein Punkt, 4:24 Tore – was den Druck auf den gebeutelten Fohlenschultern nicht unbedingt in Luft auflöst. Für die Borussia geht es am Nelkensamstag um mehr als nur drei Zähler. Gefühlte zwölf stehen auf dem Spiel. Dazu lockt die Aussicht, mit Hannover einen weiteren Verein in unmittelbare Abstiegssorgen zu stürzen.

Auf das Trikot als Schlafanzugersatz werde ich nächsten Freitag getrost verzichten. Gegen Hoffenheim und Bremen brachte die kleine Reform des Aberglaubens jeweils ein 1:1. Und das würde gegen Hannover den Anfang vom Ende bedeuten. Samstag geht es schon fast um alles – am 21. Spieltag.

Franck und frei

25 Millionen Euro hat der FC Bayern im Sommer 2007 für Franck Ribéry überwiesen - ein Haufen Geld, der sich absolut bezahlt gemacht hat und dennoch seine Schatten wirft.

Und so hat er es mittlerweile geschafft, in den Mittelpunkt zu rücken, auch wenn er mal nicht einen seiner Über-Tage erwischt hat, an denen ihn kein Abwehrspieler der Welt so richtig zu stoppen vermag. Denn ein Ribéry, der nicht auffällt: das fällt auf.

Deshalb gilt beim 25-jährigen Franzosen durchaus die Faustregel "je mehr Erwähnungen im Spiel, desto herausragender seine Leistung". Solide Leistungen im Verborgenen, im Stile eines Didi Hamann oder Frank Baumann, sind beileibe nicht sein Ding.

In den letzten anderthalb Jahren ist er bei den Bayern der personifizierte Erfolg geworden und hat seinen Verein in ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis gebracht. Die Lichtgestalt hat es schon immer gewusst, aber es wollte ja mal wieder keiner auf ihn hören: Der Rekordmeister ist ohne seine Nummer sieben nicht ein und derselbe.

Die Statistik zeigt sogar, dass ein wirkungsloser Ribéry für die Bayern schlechter ist als ein verletzter oder gesperrter. Dabei treffen sie ohne ihn noch häufiger, kassieren aber 50 Prozent mehr Gegentore.

Ohne Ribéry:
6 Sp. – 2S 3U 1N – 14:11 Tore – 9 Punkte – 1,5 Pkt. pro Spiel

Mit Ribéry:
14 Sp. – 9S 2U 3N – 29:17 Tore – 29 Punkte – 2,07 Pkt. pro Spiel

Mit Torbeteiligung von Ribéry:
8 Sp. – 7S 1U 0N – 22:9 Tore – 22 Punkte – 2,75 Pkt. pro Spiel

Mit Ribéry, aber ohne Torbeteiligung:
6 Sp. – 2S 1U 3N – 7:8 Tore – 7 Punkte – 1,17 Pkt. pro Spiel

Samstag, 14. Februar 2009

Leverkusen, wie es singt und lacht...

...und warum der moderne Fußball in Hoffenheim sich selbst ein Bein stellt.

Die TSG "1899" Hoffenheim liegt 1:4 zurück, in der Rhein-Neckar-Arena herrscht Totenstille - und das nicht erst seit dem vierten Treffer der Gäste durch Gonzalo Castro. Leverkusens Fans werden selbst verblüfft gewesen sein - zum ersten Mal in der 105-jährigen Vereinsgeschichte kam die Welt in den Genuss längerer Auszüge aus dem Bayer-Gesangskanon. Danksagungen nach Sinsheim-Hoffenheim!

Dafür gab es aber auch Aufruhr bei der DFL: Alle Zuschauer, die das Konfirmationsalter noch nicht erreicht haben, warfen heute hektisch verfasste Protestschreiben in den Briefkasten, weil sie noch nie davon gehört hatten, dass Bayer (04) Leverkusen den Vornamen "TSV" im Personalausweis trägt und nun einen Fanputsch witterten.

Das Wunder vonProjekt Hoffenheim steckt abseits des Platzes noch gehörig in den Kinderschuhen. Die beinahe ungeteilte Aufmerksamkeit Fußball-Deutschlands wird dem Retortenbaby dennoch zuteil. Selbst beim Länderspiel in Düsseldorf, in der Montagsdemo-artigen Menschenmasse auf dem Weg zum Parkplatz, versuchen sich die Leute einen vermiesten Abend mit ein wenig Hoffenheim-Bashing schönzulachen.

(Jetzt bitte nicht mit Eiern werfen, ich halte mich nur an die gängige Chronistenpflicht.)

Ein Mittzwanziger in grauer Michelinmännchen-Gedächtnisdaunenjacke zu seinem Freund (Ende 20, gleiche Jacke, andere Farbe): "In Hoffenheim ist wirklich gar nichts echt, alles gekauft."
Michelin-Jacke II: "Warum das denn?"
Michelin-Jacke I: "Da schmuggelt niemand Bengalos ins Stadion, dafür haben die extra Nebelmaschinen."

Und selbst die Anhänger des fleischgewordenen modernen Fußballs tun sich mit den Gepflogenheiten desselbigen noch etwas schwer, wie ein Video im 11Freunde-Blog beweist.

Das Retortenkind ist also neben dem Platz und inzwischen sogar auf dem Platz etwas wacklig auf den Beinen. In der Regel ist es nur so, dass Retortenbabys mit ihrer Geburt von "traditionell" und völlig "romantisch" gezeugten Kindern nicht mehr zu unterscheiden sind.

Rekordmeister im Sechserpack - von Leipzig über Nürnberg bis München

Die Geschichte kaum eines anderen Fußballverbandes dieser Welt dürfte sich so zerstückelt lesen wie die des DFB. Politische, gesellschaftliche und sportliche Veränderungen gab es in den letzten 109 Jahren zu Hauf. Seit 1900 hat der größte Sportverband der Welt alleine sechs verschiedene deutsche Staatsformen miterlebt und überlebt (nach 1945 dauerte es jedoch vier Jahre, bis er seine Wiedergeburt feierte).

Die Antwort auf die Frage nach dem Rekordmeister ist so bekannt wie die Bundeskanzlerin. Doch wer dominierte eigentlich zu Kaisers Zeiten - nein, nicht in den 60ern und 70ern, sondern von der Gründung bis 1918? Wer hatte in der Weimarer Republik eine sportlich herausragende Zeit? Wer war oben auf von 1933 bis 1945, als auch der Fußball dunkle Jahre durchmachte? Wer hatte in den Nachkriegsjahren vor der Gründung der BRD die Nase vorn? An wem kam im geteilten Deutschland bis 1989 niemand vorbei? Und wer ist seit der Wiedervereinigung das Nonplusultra? Sechs Abschnitte in der Geschichte Deutschlands - sechs Rekordmeister.

Jahreszahlen beziehen sich auf die Meisterschaftsentscheidungen in jener Zeit

Deutsches Reich (1903-1914):
VfB Leipzig (3x)
Berliner FC Viktoria 1889 (2x)

1. Weltkrieg -
keine Austragung von 1915-1919

Weimarer Republik (1919-1932):
1. FC Nürnberg (5x)
SpVgg Fürth, Hamburger SV, Hertha BSC (je 2x)

Drittes Reich (1933-1944):
Schalke 04 (6x)
Dresdner SC (2x)

2. Weltkrieg und Nachkriegszeit -
keine offizielle Austragung von 1945-1947

Besatzungszeit (1948):
1. FC Nürnberg (1x)

Bundesrepublik Deutschland (1949-1989):
Bayern München (10x)
Borussia Mönchengladbach (5x)
Hamburger SV (4x)
VfB Stuttgart, 1. FC Köln, Borussia Dortmund (je 3x)
Werder Bremen, 1.FC Kaiserslautern (2x)

Wiedervereinigtes Deutschland (1990-2008):
Bayern München (10x)
Borussia Dortmund (3x)
VfB Stuttgart, 1. FC Kaiserslautern, Werder Bremen (je 2x)

PS: Demnach habe ich in meinem Leben erst fünf verschiedene Vereine mit der Schale in der Hand gesehen. In den letzten 40 Jahren holten gar nur acht verschiedene Klubs den Titel - alle mindestens zweimal. Da beschwere sich nochmal einer über die Top Four in England. Seit 1968 gab es dort übrigens gleich zehn verschiedene Meister.

Freitag, 13. Februar 2009

Krisengeschüttelt, wachgerüttelt

"...mit den wenigen Zuschauern, die wir weiterhin immer noch nicht haben."

Für alle, die sich in ihrer Freizeit gerne mit ägyptischen Hieroglyphen beschäftigen, ist dieses Satzende ein wahrer Augen- und Ohrenschmaus. So etwas kommt dabei herum, wenn man sich als Präsident von Greuther Fürth über die mauen Zuschauerzahlen beschweren will und mitten im Satz bemerkt, dass die 7.000 treuen Seelen zwischen den Zeilen nicht gerade enorme Wertschätzung herauslesen werden.

Wenn man bedenkt, dass zwei Drittel dieser Menschen Jahrgang 1920 und älter sein werden, sieht die Zukunft an den Fürther Ticketschaltern nicht gerade rosig aus. Immerhin war die SpVgg Fürth zu Zeiten der Weimarer Republik eine ganz große Nummer im deutschen Fußball. 1929 gab es den letzten Titel, die letzte von drei Meisterschaften - genau dann also, als die Welt in eine tiefe Depression stürzte und die größte Wirtschaftskrise bis heute durchmachte. 2009 könnte damit das Jahr der SpVgg werden. Zumindest Platz vier dürfte also sicher sein.

Donnerstag, 12. Februar 2009

Die Fünf-Prozent-Hürde gerissen

0:1 gegen Norwegen, die sechste Niederlage im 35. Länderspiel der Ära Löw. Fünf der sechs Bezwingerteams spielten in roten Trikots. Wer der Nationalelf jetzt einen Farbkomplex einreden will, liegt jedoch falsch. Gestern zum Beispiel waren es angeblich nur "fünf bis zehn Prozent", die den Unterschied machten.

Mittwochabend, 19:07 Uhr, irgendwo zwischen A44 und LTU-Arena. Uneingeweihte könnten leicht auf die Idee kommen, Düsseldorf bewerbe sich für die kommende Loveparade. Auf den Parkplätzen wimmelt es von Menschen in Neon-Regenjacken mit roten Leuchtstäben in der Hand (dafür sind sie jedoch mindestens 30 und sowohl clean als auch nüchtern). Hektisch weisen sie Hunderten von LED- und Xenon-Augenpaaren den Weg, bis alles wirklich an seinem Platz ist.

Diese Akribie könnte darauf hinweisen, dass sich Düsseldorf so sehr über 45.000 Zuschauer freut, weil ansonsten selten mehr 15.000 zum Fußball in die LTU-Arena pilgern. Doch wer Jahr für Jahr Zehntausende Grönemeyer-, Genesis- und Alles-was-sonst-noch-Rang-und-Namen-hat-Fans abfertigt, wird es wohl leicht mit ein paar Fußball-Zuschauern aufnehmen. Ihre Leuchtstäbe strahlen Ruhe und Routine aus, Düsseldorfs Parkplatzeinweiser verstehen etwas von ihrem Werk.

Warum all die Lobhudelei für ein paar Männer in orangen Westen? Es soll ja wenigstens etwas Positives von diesem Länderspielabend zu lesen geben. Denn schon beim Schließen der Autotür geht es los mit der Flut schlechter Nachrichten. Die erste kommt sofort von oben – es regnet in Strömen. Mein schwarzer Regenschirm aus dem 1-Euro-Laden, der schon beim reinen Betrachten die Frage aufwirft, wie man für einen Euro einen vernünftigen Regenschirm herstellen kann, liefert die passende Antwort gleich mit: Gar nicht. Ein paar Fasern halten tatsächlich das Wasser zurück. Ansonsten ähnelt er eher einem weitmaschigen Netz.

Meine viel zu alte und viel zu kurze Windjacke kapituliert schon nach wenigen hundert Metern. Das zähe Gemisch aus Regen, Schnee und Hagel ist einfach zu viel. Doch durchnässte Kleidung stellt bei weitem das geringste Übel dar, mit dem man sich bei einem Stadionbesuch in Düsseldorf Mitte Februar auseinandersetzen muss. Das Stadiondach war seit Tagen geschlossen geblieben, die Luft mächtig aufgeheizt worden. Von innen ähnelt die Arena einem Urlaubsflieger der namensgebenden Fluggesellschaft. Die angekündigten 18 Grad Lufttemperatur werden zumindest gefühlt um einiges übertroffen. Man könnte meinen, Jogi Löws Sponsor – ein großes Reiseunternehmen mit drei Buchstaben – habe all das veranlasst, um die hartgesottenen und kälteresistenten Norwegen zu schwächen. Aber bloß keine Extras, Herr Löw.

Der geneigte Zuschauer, der sich ursprünglich dafür entschieden hatte, dem Spiel einer Outdoor-Sportart beizuwohnen, fühlt sich also schon nach wenigen Minuten wie ein Hähnchen in der Imbissbude – massive Heizstrahler von allen Seiten, mit dem Unterschied, dass sich (noch) nichts dreht. Doch was bitte soll das für ein Stadionbesuch sein, wenn man sich drinnen (was in Bezug auf Fußball schon ein ziemlich abstraktes Wort ist) mindesten zwei von drei Schichten des gewohnten Zwiebellooks ausziehen muss, um den Anpfiff überhaupt noch mitzubekommen – ohne mit Pommes und Mayo auf einem Plastikteller zu landen?

Und halb neun beginnt dann tatsächlich das, was sich zuvor als Höhepunkt und Main Act des Abends angekündigt hatte: Deutschland gegen Norwegen, das aufgrund der sommerlichen Temperaturen kurz vor der Umbenennung in Südwegen steht. Das, was sich über 90 Minuten auf dem frisch verlegten Rasen abspielt, ist dann schlichtweg die Erfindung der Ereignislosigkeit. Ein Festival der Behäbigkeit. Ein Revival alter, eigentlich längst vergessener und vor allem verdrängter Tage. Es hat etwas von Island 2003, nur ohne Völler und ohne Weißbier, dafür mit Zuschauern im Stadion.

Die großzügig gerundeten 45.000 machen sich jedoch schon nach zwanzig Minuten auf die mentale Heimfahrt. Pfiffe sind zwar „populistische Scheiße“. Aber es gibt eben auch Tage, an denen sie zum einzigen Ventil angestauter Wut und Verständnislosigkeit werden. Ich selbst kann gar nicht pfeifen. Aber an Abenden wie diese könnte ich es problemlos lernen. Übung macht den Pfeifer.

Kurz vor der Halbzeit hat Deutschland seine beste Szene des Spiels. Der schmächtige Akteur mit der Nummer 20 auf dem Rücken fasst sich endlich ein Herz und zieht aus 30 Metern ab. Unaufhaltsam nähert sich das Spielgerät seinem Ziel, huscht an etlichen Verteidiger-Beinen vorbei und trudelt langsam dahin. Nach 34 Sekunden Flugzeit landet der Papierflieger schließlich im Mittelkreis, nur Zentimeter vom Anstoßpunkt entfernt. Welch ein Wurf! Welch ein Flugobjekt! Die Kurve tobt, der Werfer mit der herausragenden Falttechnik und dem beeindruckenden Auge fürs Spielgeschehen wird auf Händen getragen. ‚Michi K. Papierfliegerbastelgott‘, hallt es durchs weite Rund. Dann ertönt der erlösende Halbzeitpfiff. Es wird still. Alle schlafen wieder ein oder vertreten sich die Beine – reine Thrombose-Prophylaxe.

Selbst ein paar Hacker, ansonsten die personifizierte Umtriebigkeit, sterben am heimischen PC vor Langeweile. Was tun? Auf die ZDF-Homepage zugreifen und beim Politbarometer die Umfragewerte von CDU und SPD vertauschen? Auf SpOn vermelden, dass sich Bayern von Deutschland abspalten will? Oder vielleicht doch auf der Schalke-Website die Entlassung von Kevin Kuranyi ankündigen?

In Düsseldorf ist die deutsche Nationalmannschaft derweil keinen Schritt weiter gekommen. 71 Prozent Ballbesitz für Schwarz-Rot-Gold. Dank Grindheims 1:0 weist Norwegen einen unglaublichen Wert von sieben Ballkontakten pro Treffer auf. Bezeichnend, dass Keeper Jarstein so oft am Ball ist wie kein anderer seiner Kollegen. Bezeichnend, dass es selten Torchancen des Gegners sind, die ihn an den Ball kommen lassen. Bezeichnend, dass sich die anwesenden Fortuna-Fans kurz vor dem Gegentreffer den Gesangskanon unter den Nagel reißen und lauthals ihre 95er nach vorne treiben. „Fortuna“ heißt im Norwegischen wohl ungefähr soviel wie „auf geht’s ihr Roten, schießt ein Tor und setzt diesem Grottenkick die Krone auf“. Die Mannen in Rot gehorchten brav.

Klischees sind ja vermeintlich falsch, überflüssig und in Bezug auf Frauen und Mädchen häufig chauvinistisch angehaucht. Mehr als 70 Minuten lang habe ich mich also dafür gegeißelt, dass ich mich gefragt habe, ob die drei jungen Damen hinter mir nicht gerade viel lieber „Desperate Housewives“ gucken würden als dieses unterirdische Fußballspiel mitanzusehen. Doch dann ergreift eine von ihnen plötzlich das Wort und konstatiert mit frustrierter Stimme: „Da hätte ich auch zuhause bleiben können – ‚Desperate Housewives‘ gucken“. Puh, ich bin doch kein Unmensch.

Wenige Minuten vor dem Ende macht es Jogi Löw dann auf die türkische Art und bindet Mesut Özil bis an sein Lebensende an die deutsche Nationalmannschaft. Die Zukunft wird zeigen, ob dieser Abend der schlechten Nachrichten und Fügungen nicht doch etwas Positives an sich hatte. Zur zweiten Halbzeit war Andreas Beck gekommen und hatte ebenfalls sein Debüt gefeiert. Seine Leistung war nicht gerade hauptverantwortlich für diese Erkenntnis, aber er könnte endlich das Lahm-Pendant sein, das wir im Prinzip seit Erfindung der Viererkette suchen und bislang nicht annähernd gefunden hatten.

Jener hochgelobte Philipp Lahm verpasste dem Spiel im Interview sogar noch eine brisante verbale Note. „Fünf bis zehn Prozent“, ließ er verlauten, „fehlen bei einem solchen Spiel immer.“ Nicht unbedingt erleichternd, dass selbst 90 Prozent gegen zweitklassige Norweger, die zudem mit einer besseren B-Elf antraten, nicht zum Sieg reichen.

Heute bei der Arbeit bin ich dem Spar-Prinzip ausnahmsweise auch einmal gefolgt und habe alles 5 bis 10 Prozent langsamer gemacht. Ich fuhr also noch mit dem Kaffeewagen über den Stationsflur, als plötzlich meine Kollegen an mir vorbeizogen, wortlos ausstempelten und sich auf den Nachhauseweg machten. Was? Schon vier Uhr? Tatsächlich! Und das alles, weil es heute keine Sahnetorte zu verteilen gab, nur trockenen, abgepackten Kuchen von ALDI. Und wenn der auf dem Rollwagen liegt, kann ich mich irgendwie nie so richtig motivieren.

Mittwoch, 11. Februar 2009

Tja, warum?

18 Grad Lufttemperatur, geschlossenes Dach - "Warum fahrt ihr denn dahin? Wird doch im Fernsehen übertragen!", lässt mein Großvater heute Vormittag verlauten.

Dazu ein Platz hinter dem Tor, Oberrang, Reihe 12 - selbst im Fernsehen sieht man da irgendwie besser. Kostet auch nichts, GEZ-Gebühren sind längst bezahlt. Warum also Mittwochabends nach Düsseldorf fahren, sich mehr als zwei Stunden auf einem Plastikschalensitz niederlassen und dabei dasselbe Spiel beobachten, an dem man auf der heimischen Couch genauso nahe dran ist? Im Raum sind es dort sogar um die 22 Grad, das Bier wäre billiger, der Sitznachbar unter Umständen nicht ganz so cholerisch.

Johannes B. Kerner wäre ein schlagkräftiges Argument gegen einen Fernsehabend. Doch es übertragt die ARD. Tom Bartels, Gerhard Delling und Günter Netzer sind nicht ganz so übel, allein Monica Lierhaus wird fehlen.

Stadion, warum also? Wegen vier Grad weniger auf dem Thermometer, 15 Euro weniger im Portemonnaie? Oder ist es der schlauchende Fußweg bei Nieselregen und ein Parkplatz auf der Wiese, im knöcheltiefen Schlamm? Nein. Aber das zu erklären, sprengt den Rahmen. Ich muss los. Vielleicht morgen.

Mein Großvater war übrigens zum letzten Mal vor knapp 35 Jahren im Stadion. Wir schrieben das Jahr 1974, es regnete in Strömen und im Rheinstadion siegte Deutschland, Weltmeister in spe, mit 4:2 gegen Schweden.

Montag, 9. Februar 2009

Wort mit D, acht Buchstaben?

Kevin-Prince Boateng ist beileibe kein Kind von Traurigkeit. Manch einem genügen schon seine Vornamen und seine Tätowierungen für dieses Fazit. Und ehrlich gesagt konnte ich mir bis gestern Abend kaum vorstellen, mich in irgendeiner Situation einmal schützend vor den Ex-Berliner, Ex-Londoner und Neu-Dortmunder zu stellen.

Aber so bin ich. Ein Herz für die Kleinen, die Untergebenen – besonders, wenn sie von der (Fußball-)Obrigkeit haltlos und vorschnell verurteilt werden. Franz Beckenbauer wird von den einen ehrfürchtig als „Lichtgestalt“ bezeichnet. Andere dagegen füllen ganze Blog-Kategorien damit, den unbestritten bekanntesten deutschen Fußballer aller Zeiten als „Dummschwätzer“ zu deklarieren. Spätestens seit gestern stehe ich vorbehaltslos auf der Dummschwätzer-Seite. Gebetsmühlenartige Plädoyers à la „Der hat uns doch die WM ins Land geholt“ hin oder her.

Man kann schon darüber streiten, ob es die feine englische Art ist, selbst bei der eindeutigsten aller nicht geahndeten Tätlichkeiten eine Sperre zu fordern. Ganz Rafinha-like. Ich denke, wer Diego Karlsruhes Eichner würgen sieht, der darf ohne schlechtes Gewissen und ohne eine Stellungnahme des DFB abzuwarten sein Urteil fällen.

Boateng hat niemanden gewürgt, per Tritt zu Fall gebracht, geohrfeigt, geschubst, gecheckt oder geirgendwast. Er ist Klose lediglich und irgendwie unvermeidlich auf den Oberschenkel getreten. Genauso unvermeidlich, wie wir alle im Laufe des heutigen mit Sicherheit drei bis fünf Staubmilben totgetreten haben. Boateng konnte einfach nicht anders, weil er a) zum freistehenden Ribéry eilen und damit b) ein Tor verhindern wollte, c) im Affekt höchstens registriert hat, dass Klose vor ihm liegt und deshalb d) sein Hirn an die Nervenstränge im Bein nur das Signal „langer Schritt, genaue Schrittlänge unbekannt“ weitergeleitet hat.

Zum Glück hat Klose sich dann doch noch von diesem schweren Attentat erholt und seine Torchancen sieben und acht verwandelt. Nachher hätte die „Lichtgestalt“ mit der Auffassungsgabe eines 128MB-USB-Sticks noch ein Wiederholungsspiel gefordert. Patrick Wasserziehr wäre erst Recht nicht mehr aus dem Staunen heraus gekommen. Und Jürgen Klopp hätte seinen Schützling Boateng nicht nur aufs Blut verteidigt, sondern vermutlich die deutsche Staatsbürgerschaft abgegeben.


Die Gräueltat gibt es ab 5:30 min. in Zeitlupe.

Sonntag, 8. Februar 2009

Mission 40/19: Unglück im Glück

Gladbach gibt einen Überraschungscoup gegen Spitzenreiter Hoffenheim kurz vor Schluss aus der Hand und holt dennoch einen Punkt. Warum Frau Hermanns, 84, den Grund für die anhaltende Misere kennt, das rettende Ufer jetzt an der Spree liegt und ich die Nacht umsonst im Gladbach-Trikot verbracht habe.

„Moin, Jannik. Wie isset? Allet jut überstanden?“, begrüßt mich Frau Hermanns am Sonntagmorgen beim Dienst im Altenheim.
„Joa, denke schon. Gestern in Gladbach beim Fußball gewesen. Gegen den Tabellenführer 1:1 gespielt, das Tor eine Minute vor Schluss reingekriegt. So'n Driss, kann ich Ihnen sagen.“
„Ui, dat war ja bestimmt'n Klassespiel. Gladbach war ja früher immer so jut, dat weiß ich noch.“
„Stimmt, aber die Zeiten sind vorbei, Frau Hermanns. Gladbach is' Letzter.“
„Wat? Spielt d'r eine denn nicht mehr? Mit die blonden langen Haare?“
„Netzer?“
„Jaaaa, d'r woar doch so jut.“
„Nene, Frau Hermanns, der spielt schon lange nicht mehr.“
„Dann is' dat ja auch kein Wunder, dat dat nicht mehr so lüppt wie damals.“


Als die Borussia zum fünften und bislang letzten Mal Deutscher Meister wurde, war Frau Hermanns schon über 50. Vermutlich schwirrten ihr bei Erwähnung des Wortes „Tabellenführer“ die Bayern, der HSV oder der 1.FC Köln durch den Kopf. Wenn sie in jungen Jahren ein offenes Ohr hatte, vielleicht auch Schalke 04. Von Hoffenheim wird sie jedoch noch nie im Leben etwas gehört haben. Darauf verwette ich meinen Sold. Aber wie zum Himmel erklärt man einem Menschen jenseits der Achtzig das Phänomen Hoffenheim, wenn der Gesprächspartner die glorreichen Gladbacher Zeiten noch für aktuell hält?

Als ich circa siebzehn Stunden nach Abpfiff mit Frau Hermanns über Netzer und Co. sinniere, sitzt der Stachel des späten Ausgleichs und des verpassten Befreiungsschlages schon nicht mehr ganz so tief. Der innere Zwiespalt, mit dem 1:1 einerseits gut leben zu müssen, weil der Gegner nun einmal 17 Plätze und 27 Punkte über uns steht, andererseits aber den verlorenen zwei Zähler nachzutrauern, weil sie so elendig knapp vor dem Ende aus der Hand gegeben wurden, ist mittlerweile einem Hauch von Zufriedenheit gewichen (Cottbus hat zu diesem Zeitpunkt ja schließlich noch nicht gegen Hannover gewonnen).

Gladbachs Unentschieden gegen Hoffenheim war einer dieser Deals, wie wir ihn so oft erleben: Vorher hätte man im Nu eingeschlagen, im Nachhinein versinkt der eine gewonnene Punkt im Morast der zwei vergebenen.

Knapp anderthalb Jahre ist es her, dass Hoffenheim erstmals im Borussia-Park gastierte. Die neue Bezeichnung „1899“ war noch ganz frisch. Das „TSG“ klang einem noch in den Ohren und lag auf der Zunge. Gladbach, abgestiegen aus der Bundesliga, musste sich mit einem torlosen Remis gegen den Aufsteiger aus der Provinz zufrieden geben. Doch irgendwelche Vergleiche bezüglich der Spielweise beider Mannschaften damals und heute erübrigen sich im Prinzip. Denn auf Seiten der Borussia liefen am Samstag nur noch fünf der vierzehn im August 2007 eingesetzten Akteure in weißen Trikots auf.

Genauso verhält es sich mit den Hoffenheimern, die jedoch einen in ihren Reihen haben, der in der Zwischenzeit die Fronten gewechselt hat. Zu Beginn der letzten Saison kam der Gladbacher Marvin Compper für Marcel Ndjeng ins Spiel. Am 07. Februar 2009 steht er für die TSG in der Startelf und ruft sich bereits nach dreieinhalb Minuten mit einem Foul an Marko Marin ins Gedächtnis seiner alten Kollegen. Compper sieht Gelb.

Rezession in Sachen Rotation - nur zwei Änderungen

Gegenüber dem Herberger-Gedächtnisauftritt in Stuttgart hat Hans Meyer die Mannschaft nur auf zwei Positionen verändert. Neben Marin für Paauwe heißt es Dorda für Brouwers – oder auch 39 für 60 Jahre. Zwei Wechsel in der Startelf sind für Gladbacher Verhältnisse verschwindend wenige. Die Rezession hält scheinbar auch die Rotation in Schach. Auf dem Papier liest sich die Formation, mit der Meyer seine Jungs aufs Feld schickt, wie ein 3-3-1-3 (1-2-2-1-1-2-1 für die ganz Peniblen). Manch einer mag das verrückt nennen, manch anderer dagegen flexibel oder kreativ. Ausnahmsweise enthalte ich mich an dieser Stelle.

Aus Sicht des Tabellenschlusslichts beginnt das Spiel so, wie es zu beginnen hat: Die Fohlen stehen tief, sind nah am Mann und passen sich der Beschaffenheit des Rasens an. Im Borussia-Park hält schon nach wenigen Minuten der Kampf Einzug, wie gefordert. Trotzdem sehen gut 42000 Zuschauer (Rezession, die Zweite) einen Gastgeber, der sich nicht nur in der eigenen Hälfte einigelt und zu gröberen Mitteln greift. Das Umschalten von Abwehr auf Angriff funktioniert bestens. Keine Viertelstunde ist rum, als mit Ibertsberger der zweite Hoffenheimer verwarnt wird.

In der Defensive konzentriert sich die Borussia vornehmlich darauf, die Trumpfkarte der TSG – ihr blitzschnelles Kurzpassspiel – zu unterbinden. Dass das nicht immer klappen kann, beweist die 15. Minute. Gohouri lässt sich von Salihovic auf der linken Seite zur Tanzstunde einladen. Nach ein paar Schritten und geschmeidigen Hüftwacklern liegt Gladbachs Innenverteidiger japsend auf dem Parkett. Die Flanke von der Grundlinie setzt Kapitän Teber jedoch per Direktabnahme knapp am langen Pfosten vorbei.

Bei langen Bällen des Tabellenführers behält Filip Daems meist die Oberhand. Zeitweise muss sich der Belgier um Demba Ba und Sanogo gleichzeitig kümmern, weil Steve Gohouri sich intensiv auf eine weitere Tanzstunde mit Salihovic vorbereitet und seine Gegenspieler mehr als einmal aus den Augen verliert. Hans Meyer schickt Roel Brouwers zum Warmmachen – eine Maßnahme, die sofort etwas bewirkt. Gohouri hängt plötzlich nicht mehr in den Seilen, sondern klärt die Bälle in 1,50 Metern Höhe – wohlgemerkt horizontal in der Luft liegend. Der Mann senkt die Lebenserwartung der Leute am Niederrhein mit jedem Ballkontakt um zwei Monate.

Salihovic scheut von nun an die Tanzeinlagen an der Außenlinie und ist dem Führungstreffer dennoch ziemlich nahe, als sein Freistoß aus 25 Metern von Bailly um den Pfosten gedreht wird. Es soll beileibe nicht die letzte Großtat des neuen Gladbacher Keepers bleiben, der aus seiner belgischen Heimat gleich ein ganzes Rudel Groupies mitgebracht hat.

Nach einer guten halben Stunde tauchen seine Vorderleute dann erstmals gefährlich vor dem Hoffenheimer Tor auf. Doch Hildebrand-Ersatz Daniel Haas entschärft Matmours Schuss aus spitzem Winkel sicher. Im weiten Rund steigt bereits die Vorfreude auf ein zufriedenstellendes 0:0 zur Halbzeit, als die 42000 jäh aus ihren Pausenplanungen gerissen werden. Galasek – alias Tommy, der Libero – passt auf Baumjohann, der sich gleich drei bis fünf Herzen fasst und Haas aus 25 Metern mit einem wuchtigen und perfekt getimeten Schuss überlupft. Klingt paradox, war aber so.

Für jeden, der gerade an seinen Mathe-Hausaufgaben sitzt und trotzdem hier mitliest, gibt es mal was zur Abwechslung. Die Funktion von Baumjohanns euphorisierendem 1:0 lautet folgendermaßen: f(x) = -0,014x²+0,43x. Frage: Wie weit stand der Torwart vor seinem Kasten? (Tipp für alle, die das jetzt wirklich ausrechnen: Der Schuss wurde im Ursprung abgegeben und erreichte seinen höchsten Punkt genau über Haas' Handschuhen.)

Merkwürdige Nebengeräusche: Es gibt zur Pause Applaus

Während Haas also grübelnd in die Kabine schreitet, wird der VfL mit merkwürdigen Nebengeräuschen gewürdigt: Es gibt Applaus. So gute Laune herrschte im Borussia-Park nach 45 Minuten letztmals am 3. Spieltag, als es mit einem 2:0 gegen Bremen in die Pause ging.

Der zweite Durchgang knüpft nahtlos an den ersten an. Tiefstehende Borussen verlegen sich aufs Kontern. Bei Ballbesitz Hoffenheim entwickelt sich das Spiel der Borussia gegen den Spitzenreiter immer mehr zu einem Duell Bailly gegen den Rest der Welt. Mit seinen 114 Privatfans im Rücken wächst er allmählich über sich hinaus und entschärft alles, was irgendwie mit Menschenhänden zu stoppen ist – Schüsse von Hoffenheims Salihovic bewegen sich bekanntlich von Natur aus am Rande des Machbaren für einen Torhüter.

Eine gute Stunde ist rum, als der Borussia-Park einem weiteren angsteinflößenden Auftritt seines zynischen Marionettenspielers beiwohnt. Meyer nimmt Marin viel zu früh vom Platz, was das Stadion mit einem Pfeifkonzert quittiert. Weder gegen Marin noch gegen den bereitstehenden Neuville, sondern einzig und allein gegen seinen Trainer. Selbst Mitglieder des Marko-Marin-Fanclubs werden sich zwar eingestehen, dass der 19-jährige in 62 Minuten nur wenig Berauschendes auf den Rasen gezaubert hat. Dennoch stellt sich die Frage, ob ein Auftritt über wenigstens 80 Minuten trotz 1:0 Führung und gerade wegen seines ständigen Gefahrenpotentials nicht gerechtfertigt wäre.

Zu diesem Zeitpunkt und unter diesem Umständen wirkt seine Auswechslung jedoch wie ein weiterer herrschsüchtiger Schachzug Meyers, der sich innerlich wohl am liebsten vor die Nordkurve gestellt und triumphierend verkündet hätte: ‚Ich hab‘ es doch gesagt – der Junge hat's nicht drauf!‘. Als sei seine Entscheidung, ihn runter zu nehmen, rein provisorisch gewesen – nachher hätte der Junge seinen Trainer noch Lügen gestraft. Hans Meyer schwimmt nicht nur vorzugsweise gegen den Strom. Er buddelt sich gleich sein eigenes Flussbett, füllt es mit dem Wasser seines Zynismus und planscht im trüben Nass seiner eigenen Welt.

Doch es ist wahrlich kein Spiel, das man an einer Auswechslung knapp eine halbe Stunde vor dem Ende aufhängen sollte. Dass dieser Bericht keine triumphale Kapitulation eines großen Überraschungserfolges darstellt, hat wahrlich andere Gründe. Die Privatfehde Meyer vs. Marin ist dennoch eine Randnotiz, die mehr und mehr zum Schwelbrand wird.

Votum gegen Obasi - Wagner revidiert Elfmeterpfiff

Lange Zeit hat es den Anschein, als sei das Glück ganz auf Borussenseite. In der 69. Minute schießt Tausenden bereits ein resignierendes „das war's“ durch den Kopf. Aus gut 120 Metern Entfernung ist solch eine Situation nicht immer korrekt zu beurteilen, aber als Galasek abtaucht und dem eingewechselten Obasi den Ball vom Fuß grätscht, denke ich ehrlich gesagt nicht einen Augenblick daran, dass dieser Rettungsversuch strafstoßwürdig gewesen sein könnte.

Umso größer ist daher die Überraschung, als ein Pfiff ertönt und Schiri Lutz Wagner unmissverständlich auf den Punkt zeigt. Wagner und Obasi sind bereits mit den Kapiteln 1 bis 13 aus dem „Almanach der Flüche, Band I-III“ belegt worden, da ist der Spuk auf einmal vorbei. Schiedsrichter und Linienrichter tauschen sich kurz aus, dann deutet Wagner in die andere Richtung und zückt Gelb für Obasi.

Nach einem Votum von Premiere, der Sportschau, dem Aktuellen Sportstudio und meiner Wenigkeit erhält die Variante „klarer Elfer“ eine Stimme (ZDF). Für „Schwalbe und demnach Gelb“ stimmt ebenso einer (ARD). Zwei entscheiden sich für „kein Elfer, aber auch kein Täuschungsversuch“ (Premiere, E-i-a-P). Wagners Entscheidung ist demokratisch also annähernd legitimiert. Das dürfte genügen für ein Ende der Diskussion – vorerst.

Definiere: Leidenschaft - Gladbach als Straßensperre

Leidenschaft ist einerseits ein vielzitiertes Wort, eine Grundtugend im Abstiegskampf. Andererseits aber auch eine relativ nichtssagende Bezeichnung für etwas, das grundsätzlich jeder Anhänger von seiner Mannschaft verlangt, aber kaum einer punktgenau beschreiben kann. Das, was die Borussia in den verbleibenden zwanzig Minuten zeigt, kommt einer passenden Definition jedoch ziemlich nah. Sie kämpft, sie ackert. Sie schmeißt sich in Laufwege und Schussbahnen, agiert demnach als lebende Straßensperre, die sich dem drohenden Ausgleich tapfer entgegenstemmt. Demba Ba gelingt es beinahe, der leidenschaftlichen Ganzkörperarbeit mit hoher Kunst beizukommen. Doch sein Fallrückzieher fällt auf die Latte. Das Glück scheint diesmal wirklich auf Seiten der Borussia zu sein.

Man kann der Gladbacher Straßensperre nicht unbedingt vorwerfen, am Ende doch noch nachgegeben zu haben. Ein Gegentor gegen pausenlos anstürmende Hoffenheimer ist noch immer (so gut wie) optimal. Wenn man jedoch weiß, dass der Gegner erst zweimal in dieser Saison ohne eigenen Treffer geblieben ist, müsste man logischerweise schlussfolgern, dass – komme, was wolle – ein zweites Tor vonnöten ist.

Genau hier liegt im Prinzip der einzige Vorwurf an den VfL: Aus 18 Torschüssen – und damit fünf mehr als Hoffenheim – muss man einfach zwei Treffer machen. Zumal Friend, Neuville und Stalteri mehrmals kurz davor stehen. Nahezu jeder Konterversuch der Borussia hat Erfolg. Sie versucht es nur zu selten. Auf Rob Friends Rolle in diesem System möchte ich ausnahmsweise nicht eingehen. Ein kleiner Hinweis am Rande: Ich laufe Gefahr, mich zu wiederholen.

Ein Tor, kein Vorwurf - es kommt, wie es kommen muss

Und so kommt es, wie es zwangsläufig kommen muss: Gegen Terrazzino packt Bailly noch einen Reflex aus, der ganz ohne Größenwahnsinn das Prädikat „weltklasse“ verdient. Wenig später, es läuft die 89. Minute, bekommt Hoffenheim einen Freistoß auf rechts. Salihovic bringt ihn herein, Compper verlängert und Wellington – nicht zu verwechseln mit Neuseelands Hauptstadt – köpft ein. Die Bände IV bis VII des besagten Fluch-Mehrteilers hallen von den Rängen. Einen richtigen Adressaten finden sie nicht.

Denn wie gesagt: Dass sie einen Gegentreffer kassiert, kann man der Borussia keinesfalls vorwerfen. Es ist der Zeitpunkt, der das rautenförmige Herz so schwer trifft. Und im Nachhinein natürlich auch die Fahne des Linienrichters, die reglos bleibt, anstatt wild gewedelt zu werden. Wellington stand bei Comppers Kopfballverlängerung mehr als nur hauchdünn im Abseits. Da sein Weg zum Ball dadurch eher weiter wurde, war dies nicht unbedingt von Vorteil. Doch seit wann spielt das bei Anwendung der Abseitsregel eine Rolle?

Während sich die Gladbacher Spieler vor der Nordkurve ihren wohlverdienten Applaus abholen – leider nicht mehr als eine Art Trostpreis –, erzielt Karlsruhe in wortwörtlich letzter Sekunde das 3:2 gegen Hamburg. Vier Minuten zuvor hatte die Borussia noch zum rettenden Ufer aufgeschlossen, war punktgleich mit dem Fünfzehnten Bochum. Zwei Kopfballtore, 343 Kilometer voneinander entfernt, verlegen das rettende Ufer kurzerhand von der Ruhr an die Spree. So ist Fußball. So erbarmungslos. Und selten gerecht.

Regel-Revolution gefällig? - Herberger reloaded

Für Spiele wie diese müsste es eine Zwei-Punkte-Regel geben. Verlängerung mit Golden Goal, zwei Zähler für den Sieger, einen für den Unterlegenen – wie beim Eishockey. Dieses Jahr ist jeder Punkt für Gladbach eine Welt für sich. Und mit ein paar Monaten Abstand möchte ich mich selbst dafür ohrfeigen, beim Derby gegen Köln – beim Stand von 1:1 – trotzige Sprüche losgelassen zu haben wie „jetzt soll'n se auch noch das 1:2 reinkriegen, so eine Scheiße“. In derartigen Situationen hat der Fußballgott komischerweise immer ein offenes Ohr und erfüllt jeden „Wunsch“ im Handumdrehen.

Übrigens habe ich die Nacht vor dem ersten Heimspiel dieses Jahres im Gladbach-Trikot verbracht. Als wir um kurz nach vier Uhr morgens bei meinem redaktionellen Mitarbeiter Nils einkehrten und ich in meine Sporttasche griff, hatte ich es plötzlich in der Hand. Also Trikot an, Augen zu – irgendetwas Neues musste ja her. Hätte die Gladbacher Mauer vier Minuten länger durchgehalten, wäre ich prompt vom Fußballgott zum Apostel des Aberglaubens auserkoren worden. Dann eben nicht.

Verblüffend ist es auch, wie proportional sich Bierkonsum und Optimismus zueinander verhalten. Mit beinahe jedem Bier wächst die Zuversicht. Vor dem ersten: Derbe Klatsche, mindestens 0:3. Nummer vier: Naja, vielleicht eine knappe Niederlage. Nummer neun: Hmm, mit viel Glück ein Punkt. Nummer zwölf: Ok, mit ganz, ganz, ganz viel Glück ein Überraschungscoup. Nummer Ich-hab-aufgehört-zu-zählen-beziehungsweise-kann-es-nicht-mehr: Ganz sicher, 4:1.

Wie gesagt, schon ein 1:1 gegen Hoffenheim hätte im Vorfeld der Partie sicher nicht nur ich dankend angenommen. Im Nachhinein übertünchen zwei verlorene Punkte jedoch den letztlich immer noch überraschenden Gewinn von immerhin einem. Aus 67 Minuten gegen Stuttgart, die die Borussia gut mithielt, sind am Samstag 89 geworden. Und erneut ist es Sepp Herberger, der uns das Genick bricht. Denn der wusste schon damals: „Ein Spiel dauert 90 Minuten“. Wohl war.

Mittwoch, 4. Februar 2009

Wenn aus Virtuosen Vandalen werden

Der Deutsche mag es am liebsten kraftvoll und zielgenau, und er achtet zudem penibel darauf, wem er mit diesen Tugenden Schaden zufügt. So oder so ähnlich dürfte die Charakterisierung lauten, wenn das "Tor des Jahres" in einem jeden Land stellvertretend für die Mentalität der Menschen dort stünde.

Michael Ballacks kraftvoller und zielgenauer Freistoß gegen Österreich (vgl. "wem er mit diesen Tugenden Schaden zufügt") ist zum "Tor des Jahres 2008" gewählt worden. Auf Platz zwei: Hamburgs Ivica Olic mit seinem Strich in den Winkel. Erzielt gegen: Werder Bremen. Und da jedem bei der Verwendung von "Hamburg" und "Bremen" in einem Atemzug ein Licht aufgehen müsste, ist es naheliegend, zu vermuten, dass den HSV-Fans das "Opfer" von Olic' Sonntagschuss besonders zugesagt hat.

Da kommt nur die Frage auf, was für ein Volk von Virtuosen und Filigrantechnikern wir in den 70ern und 80ern gewesen sein müssen, als ein gelungener Fallrückzieher mit einer Wildcard fürs "Tor des Jahres/Jahrzehnts/Jahrhunderts" gleichzusetzen war. Klaus Fischer lässt grüßen.

Auch für Alexander Baumjohanns 70-Meter-Solo aus dem vergangenen August konnten sich nicht so viele begeistern, wie zunächst erwartet. Womöglich ist das Abstimmungsergebnis als Denkzettel der Borussenfans zu werten, die nicht die Muße aufbrachten, für den zukünftigen Bayern-Spieler zu stimmen.

Also bleibt festzuhalten: Fallrückzieher sind out – und selbst einem Sturmlauf à la Maradona wird ein 122-Stundenkilometer-Freistoß vorgezogen. Wobei die Superzeitlupe mehr als überzeugend aufgezeigt hat, dass bei dieser Anspannung von "technischer Finesse" oder "Zielgenauigkeit" kaum noch die Rede sein kann. Glück gepaart mit Gewalt - das trifft es schon besser.


PS: Ich habe übrigens viermal für Baumjohann abgestimmt. Falls hier noch jemand meint, dass mir nichts anderes mehr zur Misere der Borussia einfallen würde, als „drüber herzuziehen“.

PPS: Falls jetzt jemand aufschreit, dass man nur einmal pro Person abstimmen kann: Ja, stimmt. Aber meine Eltern und mein Bruder wissen noch nicht, dass sie auch ihre Stimme abgegeben haben.

Dienstag, 3. Februar 2009

Postscriptum:
Die Ära Königs im PDF-Format

Ein Klick öffnet die PDF-Dateien:

Die 53 Neuzugänge unter Rolf Königs

- von Neuville bis Dante, von nix bis 4 Mio.

Alle eingesetzten Spieler (87+1)

- von ALBERMAN bis ZIEGE

Die Top 15 mit den meisten Einsätzen

- vorne Olli und dann lange nichts

Sechs Trainer, zwei Interims und vier Sportdirektoren

- von Fach über Köppel bis Meyer, von Hochstätter bis Eberl

Stand: 29. Januar 2009
Quellen: transfermarkt.de, fussballdaten.de

Montag, 2. Februar 2009

Des Königs' neue Spieler (4)

"Des Königs' neue Spieler" kommt im letzten Teil endlich in der Gegenwart an. Wer ein Ende der Tristesse erwartet und auf ein Happy End hofft, ist fehl am Platze. Für alle, die vom Glück verwöhnt werden wollen - hier entlang. Derweil geht es an dieser Stelle weiter mit der Odyssee einer Fahrstuhlmannschaft in spe, die wie Ödipus vor der Sphinx steht: Links herum, rechts herum - oder am besten sofort aufgeben?
Eine Zeitreise in vier Akten - Teil 4.

Kaum war der Kopf nach den Aufstiegsfeierlichkeiten wieder klar, schon kehrte er zurück: der alte Teufelskreis. Einerseits herrschte erneut das Verlangen nach Kontinuität vor. Fast alle hielten es für richtig, auf die Aufstiegshelden zu setzen und das erfolgsverwöhnte Grundgerüst beizubehalten. Andererseits nagten leichte Zweifel im Hinterkopf, ob das Niveau der Mannschaft, die so eindrucksvoll den Wiederaufstieg geschafft hatte, wirklich zur Daseinsberechtigung in der Bundesliga genügen würde. Ziege, Luhukay und Co. wählten auf den ersten Blick einen Mittelweg. Fünf Neuzugänge sollten den Kader fundiert verstärken und dort ansetzen, wo sich offensichtlich Risse im Mannschaftsgefüge offenbarten.

Der Saisonstart ging bekanntlich in die Hose. Beim 1:3 zuhause gegen Stuttgart zahlte die Borussia mächtig Lehrgeld, während das knappe 0:1 in Hoffenheim angesichts der explosiven Entwicklung des späteren Herbstmeisters rückblickend fast als Erfolg zu werten ist. Am dritten Spieltag feierte der Aufsteiger vom Niederrhein seine endgültige Ankunft im Oberhaus. Das 3:2 gegen Werder Bremen versetzte den Borussia-Park bei 30 Grad in absolute Ekstase und schrieb ein Kapitel, wie es eigentlich nur die Geschichte von „des Königs' neuen Spielern“ schreiben kann.

Alexander Baumjohann, ein paar Monate zuvor noch ganz weit oben auf der Prioritätenliste mit der Überschrift „muss noch irgendwie verkauft werden“, setzte zu einem Solo an, das man bisher nur von den Messis und Maradonas dieser Welt kannte. Nach 70 Metern endete sein unaufhaltsamer Sturmlauf mit dem Tor zum 3:0, dem Tor des Monats August. Baumjohanns erste und bis heute so gut wie letzte Sternstunde sprach sich zumindest bis München rum, wo der 21-jährige bald unterschreiben wird – nicht bei 1860, sondern beim allmächtigen FC Bayern.

Diese Story zeigt: Bei der Borussia ist alles möglich. Gladbach ist so etwas wie das Outback der fußballerischen Naturgesetze, will sich partout nicht daran orientieren. Schon fünf Wochen nach dem ekstatischen Nachmittag gegen Bremen war der VfL am Gegenpol der Gefühle angelangt. Sechs Pleiten in den ersten sieben Saisonspielen bedeuteten das frühe Aus für Jos Luhukay, der das aktuelle Hauptproblem der Borussia eindrucksvoll repräsentiert: Zu gut für Liga Zwei, vermutlich zu schlecht fürs Oberhaus.

Die Verpflichtung von Hans Meyer stand keineswegs für einen „Schritt in die Zukunft“, wie es die Vereinsführung bei Trainerwechseln in den Jahren zuvor so häufig proklamiert hatte. Vielmehr war es ein Schritt zurück, der dafür sorgen soll, dass die Borussia zumindest in der Gegenwart Fuß fasst. Sieben Punkte aus den ersten fünf Partien unter dem Rückkehrer weckten zunächst Hoffnungen auf baldige Besserung. Doch mittlerweile weilt Gladbach wieder dort, wo man sich im Oktober letzten Jahres von Jos Luhukay getrennt hat – am Tabellenende. Fünf Pleiten in Serie stehen zu Buche, das Stuttgart-Spiel schon eingerechnet.

Die rekordverdächtig schwache Hinrunde der Saison 98/99 wurde fast noch unterboten. Mannschaften, die in den ersten siebzehn Spielen nur elf Zähler holen, sind dem Untergang eigentlich stets so gut wie geweiht. In dieser Spielzeit ist es allein die Schwäche der Anderen, die sich als Borussias einzige Stärke herauskristallisieren könnte.

Sowohl die Zahlen der Gegenwart als auch die der Vergangenheit sprechen eine Sprache, die jeden einzelnen bedrückt, der sich einst in die schlicht-romantisch-verruchte Kulisse des Bökelbergs verliebt hat und sich zumindest nach soliden, halbwegs sorglosen Zeiten sehnt. Nach Bundesliga-Zeiten. So um Platz zehn, das wär' doch was. Auch wenn der Boulevard mit seinem Wortspiel-Repertoire nicht mehr merklich über Spitznamen wie „Kaufhaus des Westens“ hinauskommt, zeugt das ungebremste Medieninteresse keinesfalls von reiner Schadenfreude, sondern von ernsthafter Sorge um den Verein, dessen Name noch heute die Menschen in ganz Europa ins Schwärmen geraten lässt.

87 Spieler, 53 Neuzugänge, 61 Abgänge, 6 Trainer, 2 Interimstrainer, 4 Sportdirektoren – aber nur ein Präsident. Das Identifikationspotential der Mannschaft – oder besser gesagt: der Mannschaften – hat sich in den letzten fünf Jahren unaufhaltsam dem Nullpunkt angenähert. Alleine die Fohlen aus dem eigenen Stall konnten die Massen nachhaltig begeistern. Marcell Jansen war Publikumsliebling und ein ohne göttlichen Segen installierter Fußballgott. Marko Marin befindet sich auf einem ähnlichen Weg. Doch schon jetzt wirkt der 19-jährige in Gladbach geradezu unterfordert wie ein Hochbegabter beim Erlernen des Einmaleins. Steigt die Borussia dieses Jahr erneut ab, wird er mit großer Sicherheit den Verein verlassen. Selbst der Klassenerhalt wäre kein sicheres Argument für einen Verbleib des größten Talents, das man am Niederrhein seit langer, langer Zeit gesehen hat.

Bis auf die verheißungsvolle Jugend haben nur vereinzelte Spieler der Gattung „Typ“ nachhaltig Eindruck hinterlassen. Kasey Keller war einer davon. Und ehrlich gesagt ist die Liste hier auch schon zu Ende. Als „Typ“ geht Oliver Neuville sicherlich nicht durch. Seine Tore und seine Treue waren es, die ihm über die Jahre einen Platz in den Herzen derer gesichert haben, die dort die Raute tragen.

Außer seinen 125 Einsätzen hat er es außerdem zu einem weiteren Rekord der Ära Königs gebracht. Zusammen mit Zé Antonio ist er der einzige, der mindestens einmal alle 34 Spiele einer Saison absolvierte. Dass dies bislang kein Torhüter fertiggebracht hat, erscheint nicht allzu verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Logan Bailly schon der vierte eingesetzter Keeper dieser Spielzeit ist.

Im Schnitt blieben jene 30 Spieler, die unter Rolf Königs erst verpflichtet und inzwischen wieder abgegeben wurden, nur 1,54 Spielzeiten, also gerade einmal drei Runden. Mit durchschnittlich 28 Einsätzen kamen sie damit nur in gut der Hälfte aller möglichen Spiele im Einsatz.

Die aktuelle Saison sollte endlich für die vielzitierte und lang ersehnte Kontinuität sorgen. Rückblickend ist genau das Gegenteil eingetreten. Die sieben Spieler, die Hans Meyer bislang aussortiert hat, absolvierten im Aufstiegsjahr insgesamt 147 Spiele. Rösler, Voigt und Ndjeng waren Stützen mit jeweils mindestens 30 Einsätzen. Das Trio hat sich mittlerweile nach München, Fürth und Hamburg verstreut.

Laut transfermarkt.de, wo sich neuerdings sogar die Bild-Zeitung bedient und in der Regel mächtig verrechnet, kosteten die 53 Neuzugänge seit Königs' Amtsantritt exakt 36,21 Mio. Euro. Neunzehn Spieler kamen zum Nulltarif, macht also fast genau eine Million pro Neueinkauf, für den die Borussia Ablöse zahlte. So viel wie die Neuen kosteten, brachte sie dem Verein jedoch nicht annähernd ein. Die 30 bereits wieder Abgegebenen haben zusammen 16,96 Mio. gekostet, ihr Wiederverkaufswert betrug jedoch nur 11,32 Mio. – macht gut fünf Millionen Verlust. Der Schluss, dass Borussias Transferbilanz durch die Jansen-Millionen mächtig geschönt wird, liegt demnach relativ nahe.

Ausgerechnet die sieben teuersten Spieler, allesamt für mehr als zwei Millionen an den Niederrhein geholt, enttäuschten reihenweise. Heinz, Sonck, Insúa – vom Hof gejagt. Matmour, Bradley – mittelmäßig bis enttäuschend. Bailly, Dante – brandneu und unbefleckt. Besonders die Bilanz des kostspieligsten Borussen aller Zeiten, Federico Insúa, kann sich sehen lassen – oder auch nicht. 2452 Minuten stand der in der Bundesliga auf dem Platz. Macht bei einer Ablösesumme von vier Millionen Euro genau 1631,32 Euro für eine Minute, 27,19,- pro Sekunde (ungefähr eine Eintrittskarte).

Unter Königs wurden desweiteren nur vier Spieler gewinnbringend verkauft. Es ist wohl alleine mexikanischem Größenwahnsinn zu verdanken, dass ausgerechnet Federico Insúa zu jenem Quartett gehört. CF América überwies im Sommer 2007 wahnwitzige 4,2 Millionen.

Das chronische Danebengreifen auf dem Transfermarkt ruft geradezu danach, eine Rangliste der zehn größten Flops zu erstellen. Doch es blieb bei einem Versuch: Schließlich müsste man gleich mehreren Spielern Unrecht tun und sie nicht berücksichtigen. Und hinter dem Entschluss steckt ehrlich gesagt mehr Pragmatismus als Ironie.

Jedes Transferfenster nutzt die Borussia im Übrigen für 5,3 Neuverpflichtungen. Ist kurz zuvor der Trainer gewechselt worden, darf der Neue im Schnitt sogar siebenmal zuschlagen. Bei sechs verschiedenen Cheftrainern mehren sich logischerweise die Auswüchse der Kauflust. Hans Meyer war sogar noch der bescheidenste. Jeder Königs-Coach saß im Schnitt nur ungefähr 27 Spiele auf der Bank. Jos Luhukay mit einem Jahr, acht Monaten und vier Tagen am längsten. Dick Advocaat feierte mit fünf Monaten und achtzehn Tagen das kürzeste Gastspiel.

Man könnte noch weiter in den Statistiken wühlen, noch mehr Zahlen ans Licht befördern – der Effekt bliebe derselbe, ein abschreckender. Es fällt selbst objektiv gesehen schwer, ein gutes Haar an der Transferpolitik zu lassen. Kaum eine einzelne Strähne erscheint in einem ordentlichen Licht. Und wenn doch, dann sind die vereinzelten Früchte guter Arbeit gleich wieder zunichte gemacht worden. Die Degradierung der Aufstiegsmannschaft sei als treffendstes Beispiel genannt.

Die Borussia steht am Scheideweg wie einst Ödipus vor der Sphinx. Diesmal lautet das Rätsel: Wer ist auf dem besten Weg, die Fahrstuhlmannschaft des neuen Jahrtausends zu werden, wenn sie nicht endlich die Kurve kriegt? Ob der VfL darauf kommt, dass er selbst gemeint ist, erscheint höchst fraglich. Wie gesagt, allein das ebenfalls dürftige Niveau der restlichen Abstiegskandidaten nährt derzeit die Hoffnung. Doch während die Spieler in Bochum, Bielefeld und Cottbus schon mit ihrer Unterschrift auf Abstiegskampf geimpft werden, befindet sich die Borussia in einer schier endlosen Selbstfindungsphase – seit mittlerweile fünf Jahren. Das Personal wechselt ständig, die Probleme bleiben beständig.

Gladbach hat anscheinend vergessen, dass Rekordgewinne noch lange keine Punkte einbringen. Fußballvereine im neuen Jahrtausend sind zwar auch mittelständische Unternehmen mit Millionenetats und dreistelligen Angestelltenzahlen. In erster Linie sind sie jedoch weiterhin Dienstleister und teilweise lebenswichtige Organe einer ganzen Region.

Es wird weiter haargenau mitgezählt. 54, 55, 56 – bis die 100 Neueinkäufe voll sind. Und hoffentlich denkt die Borussia dann daran, ihren Jubilar gebührend zu würdigen. Mit Blumenstrauß, Präsentkorb und Geschenkgutschein.

Teil 1
Teil 2
Teil 3

Morgen noch: Die kompletten Listen - alle Neuzugänge, alle Spieler, alle Trainer im Überblick und zum An-die-Wand-Hängen

Sonntag, 1. Februar 2009

Mission 40/18: Wie zu Herbergers Zeiten

Gladbach verliert nach einem „sehr, sehr ordentlichen Spiel“ (O-Ton Meyer) mit 0:2 in Stuttgart und knüpft nahtlos an die verkorkste Hinrunde an. Warum die Borussia Angst vor Popcornwerfern hat, Sepp Herberger mit der Zunge schnalzen lässt und Roel Brouwers auf der Torlinie Schuhplattler tanzt.

Exakt 50 Tage nach dem letzten Bundesligaauftritt der Borussia – und damit auch 50 Tage nach der letzten herben Enttäuschung – war es wieder so weit. Die vorerst letzte Winterpause in epischer Länge fand ihr Ende. Sieben Wochen mit Martin Schmitt, Maria Riesch und Magdalena Neuer sind irgendwann auch genug. Zudem endete die Handball-WM aus deutscher Sicht bereits am Donnerstag und damit gerade rechtzeitig, um keinerlei Interessenskonflikte bei Liebhabern von Ballsportarten zu verursachen. Und mit dem DFB-Pokal hat die Borussia ja zu dieser Jahreszeit in der Regel sowieso nichts am Hut. Auf diese Art kann man sich selbst diese Misserfolge schön reden.

Etwas schneeblind nahm ich also zur gewohnten Zeit auf dem heimischen Sofa Platz. Genau an der Stelle, von der ich Gladbachs einzigen Auswärtssieg gegen Bielefeld frenetisch bejubelt hatte. Damit konnte ich gleich einmal einen weiteren unerfüllten Vorsatz von der langen Neujahrsliste streichen. „Den Aberglauben nicht mehr so penibel zum Zug kommen lassen“: Failed.

Spiele der Borussia reißen den mitleidenden Beobachter zwar gewöhnlich nie mit ihrem atemberaubenden Tempo vom Hocker. Aber nach zwei Wochen Handball wirkte das Geschehen auf dem holprigen Platz gleich noch einen Tick gemächlicher. Passend dazu hatte sich Hans Meyer auf eine Taktik aus den Nachkriegsjahren festgelegt. Neuzugang Tomas Galasek rückte schnurstracks von der FrontTransferliste auf eine Art Mittelläuferposition, die Sepp Herberger – Gott hab‘ ihn selig – in seinem Grabe lauthals mit der Zunge schnalzen lässt. Paauwe mimte den Sechser (unter Herberger noch so utopisch wie Orwells „1984“), während Baumjohann sich als Marin-Double versuchen durfte. Zwei Jungs, die wirklich was am Ball können und obendrein noch Torgefahr ausstrahlen – das war dem selbsternannten Trainerfuchs Meyer dann doch zu riskant. Man will die nötigen Punkte ja auch nicht zu früh einfahren. Deshalb nahm Marin zunächst auf der Bank Platz.

Trotz – oder vielleicht gerade aufgrund – der resolut eingehaltenen Offensivaskese verlief die erste Hälfte nicht unbedingt schlecht aus Borussensicht. Brouwers und Gohouri bewährten sich im Ballwegschlagen. Rob Friend – wie gehabt allein auf weiter Flur – verlängerte die Befreiungsschläge mehrmals geschickt. Dass seine Ableger selten einen Abnehmer fanden, kann man nicht unbedingt dem Kanadier in die Schuhe schieben. Für seine zwei vertändelten Torchancen im ersten Durchgang muss jedoch einzig und allein er selbst gerade stehen. Mit ein bisschen mehr Entschlossenheit hätte sich die Borussia über eine eigene Pausenführung nicht beschweren dürfen. Aber auf einen Friend ist eben Verlass.

Dort, wo Tore in Wirklichkeit verhindert werden, strahlte Gladbachs neuer Keeper Logan Bailly viel Sicherheit aus und rettete kurz vor der Pause in Kahn-Manier gegen Mario Gomez. Sein Versuch, den Stuttgarter dabei mit seinem Metall-Haarband zu erdolchen, scheiterte jedoch kläglich. Gomez bekam lediglich etwas Haargel ins Auge, konnte aber weiterspielen.

Mit einem 0:0 zwischen Konnte-Nicht und Wollte-Nicht ging es in Kabine. Eine Mannschaft mit dem Selbstbewusstsein eines gesicherten Tabellendreizehnten hätte aus der Verunsicherung einer Truppe, die vier Tage zuvor von den Bayern deklassiert worden war, sicher Kapital geschlagen. Ein kopf- und elanloser Träger der roten Laterne freilich nicht.

Hälfte zwei brachte außer dem Seitenwechsel kaum Änderungen. Längst quittierten die Schwabenfans die dürftige Leistung ihrer Mannschaft mit gellenden Pfiffen. Und als wollte sie das Pfeifkonzert auf die eigene Kappe nehmen, passte sich die Borussia dem schwachen Auftritt ihres Gegners weiter an (vielleicht könnte das die Jury am Saisonende berücksichtigen, wenn es um die Auszeichnung als fairste Mannschaft der Bundesliga geht). Dann kehrte jedoch plötzlich Leben zurück in die grauen Fohlenzellen. Baumjohann versuchte sich aus der Distanz, Friend am Toreschießen im Allgemeinen. Beide scheiterten knapp.

Wenn drei von elf Spielern in der Startelf Neuzugänge sind (also circa 27 Prozent), dann muss sich die neue Spielweise ja zwangsläufig auch um 27 Prozent von der alten unterscheiden – so Pi mal Daumen. In der 67. Minute bestätigten Marica und Brouwers in unfreiwilliger Zusammenarbeit diese These. Die Lethargie war um 27 Prozent gewachsen, das Gefahrenpotential der Offensive um 27 Prozent gesunken – das Resultat sollte dasselbe bleiben (zumindest zu 73 Prozent, sonst ging es ja immer 1:3 aus).

Gohouri übte sich als Nordseerobbe im Schwabenland und jonglierte den Ball auf der Nase durch den Strafraum. Ein Windzug machte ihm jedoch einen Strich durch die Rechnung und beförderte den Ball zum erwähnten Marica, der sofort abzog. Brouwers versuchte noch, mit einer Schuhplattler-Einlage zu retten, was nicht mehr zu retten war. Doch schon zappelte der Ball im Netz. Pech, Instinkt und motorische Probleme hatten den Traum von einem Punktgewinn zum Rückrundenauftakt von jetzt auf gleich zunichte gemacht. Denn natürlich hatte die Borussia nun wenig entgegenzusetzen.

Für Marica war es übrigens das dritte Saisontor – das erste seit Ende September, das zweite gegen die Borussia. Die hofft nun auf eine Finanzspritze der Bundesregierung für ihre Dienste als Integrationshelfer.

Und auf einmal hatte es den Anschein, als sei Hans Meyer von einem sandigen Bolzplatz im Schatten des zerstörten Dresdens zurück in die Gegenwart gebeamt worden. Schnell wollte er den Trümmerfohlen Beine machen. Binnen neun Minuten brachte er mit Neuville, Marin und Colautti alles, was sich auch nur annähernd dem Toreschießen verschrieben hat. Jenes Trio sollte nun dafür sorgen, dass Gladbach die letzten fünfzehn Minuten gegen den VfB mit 1:0 für sich entscheidet. Fragt sich nur, warum sie es angeblich von Beginn an nicht wenigstens zu einem 1:1 oder 2:2 bringen können.

Vier Minuten vor dem Ende machte Gomez dann per Abstauber den Deckel zu. Und irgendwie merkte man Meyer einen Hauch von Enttäuschung an, dass seine Einwechslungen die knappste aller möglichen Niederlagen unter Umständen verhindert hatten. Trotzdem will er ein „sehr, sehr ordentliches Spiel“ gesehen haben. Dabei weiß man inzwischen, dass äußerster Euphemismen-Alarm angesagt ist, wenn Meyer einem Adjektiv die Worte „sehr, sehr“ voranstellt. Die Vorstufe von „schlecht“ ist eben leider nicht „gut“. Ein „System“ war dafür tatsächlich „erkennbar“. Da muss man ihm Recht geben. Leider grenzte das, was das Auge dort „erkennen“ musste, geradezu an Leugnung der Evolutionstheorie. Die Erde dreht sich? Wir leben nicht in der Vergangenheit? Pah! Der Trainer weiß es besser.

Immer mehr kristallisiert sich heraus, dass sich nicht nur Meyers Ergebnisse dem Niveau von Jos Luhukay annähern. Auch seine Arbeit wirkt längst so konzeptlos wie die seines Vorgängers. Derzeit ist es allein Meyers Wesen, das sich vom farblosen Luhukay unterscheidet. Inzwischen beherrscht er die Medienvertreter (zumindest jene, mit denen er persönlich spricht), den Verein und vor allem seine Spieler in der Manier eines Diktators. Ein sichtbar enttäuschter und degradierter Marin bekam im Interview bei Premiere gerade noch die Kurve und rettete sich in all seinem Unverständnis in die üblichen Floskeln à la „was der Trainer entscheidet, muss ich akzeptieren“.

Jetzt kommt der Tabellenführer aus Hoffenheim in den Borussia-Park. Wenn die Schießbude VfL – die gestern erstmals seit Ende Oktober ohne eigenen Treffer blieb – jetzt auch noch jegliche Angriffsbemühungen einstellt, ist anstelle der Redewendung „dann seh‘ ich schwarz“ eine Neuerfindung der Dunkelheit vonnöten. In Stuttgart wirkte die Borussia nämlich wie ein schüchterner Kinogänger, der sich selbst in der letzten Reihe noch ängstlich nach hinten wendet – aus Angst, es könne jemand mit Popcorn werfen.

Des Königs' neue Spieler (3)

Zwischen Himmel und Hölle - eine Wendung, die die vergangenen zwei Spielzeiten der Borussia treffend umschreibt. Erst der Abstieg 2007, dann der sofortige Wiederaufstieg, ein versöhnliches Ende des unliebsamen Intermezzos im Unterhaus. Zwei Trainer, zwei Sportdirektoren waren in zwei Jahren am Werk - aber weiterhin nur ein Präsident, dessen Amtszeit in einer "Nacht- und Nebelaktion" verlängert wurde.
Eine Zeitreise in vier Akten - Teil 3.

„Spitzenreiter, Spitzenreiter! Hey, hey!“. Es ist der Auftakt zum fünften Spieltag der Saison 2006/2007, ein lauer Freitagabend im Borussia-Park, als Gladbachs Anhänger zum wohl letzten Mal in jener Spielzeit (positiv) in Wallung geraten. Ihre Mannschaft hat gerade die Namenscousine aus Dortmund mit 1:0 nach Hause geschickt. Der dritte Heimsieg in Serie, der dritte ohne Gegentor. Den Siegtreffer hat ein gewisser Carlos Eduardo Kahê erzielt, dem an diesem Abend – wohl ebenfalls zum letzten Mal in jener Spielzeit – die Sprechchöre der Nordkurve gebühren.

Für neunzehn Stunden weilte der VfL damals an der Tabellenspitze. Zuletzt hatte es das in der Bundesliga sieben Jahre zuvor gegeben, was die Abergläubligen der Abergläubigen sofort wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Denn am Ende jener Saison stand der erste Abstieg der Borussia aus der Bundesliga. Dass Geschichte sich nur allzu gerne wiederholt, davon wollte am 22. September 2006 um 22:19 Uhr jedoch (noch) niemand etwas wissen.

Auch das vierte Heimspiel entschied die Borussia wenig später für sich. Gegen den VfL Wolfsburg lag sie dabei erstmals im eigenen Stadion zurück. Doch Kluge, Neuville und Degen drehten das Spiel. Mit vier Siegen (zuhause) und drei Niederlagen (auswärts) stand Gladbach nach dem siebten Spieltag auf Rang fünf – mit 12 Punkten und nur einem Zähler Rückstand zur Tabellenspitze.

Trotz des glänzenden Saisonstarts – zumindest rein punktetechnisch – mehrten sich jedoch schon die kritischen Stimmen, die der Borussia bis dahin wenig überzeugende Leistungen und eine gehörige Portion Glück bescheinigten. Zudem legte die chronische Auswärtsschwäche die Stirn der Niederrheiner in Sorgenfalten. Und die vermeintlichen Nörgler sollten schon bald Recht behalten: Die nächsten fünf Spiele nach dem Wolfsburg-Dreier gingen allesamt verloren. Darunter das peinliche Pokalaus beim Regionalligisten aus Osnabrück und zwei Heimpleiten gegen Leverkusen und Schalke, die deutlich machten, dass Cottbus, Bielefeld, Dortmund und Wolfsburg (die ersten vier Heimgegner) schlichtweg nicht von großem Kaliber gewesen waren.

Und so ging es als Tabellenvierzehnter in die letzten sechs Spiele der Hinrunde. Mittlerweile deuteten sich bereits eine Vorliebe für 0:1- oder 0:2-Niederlagen und eine eklatante Offensivschwäche an. Dementsprechend holte die Borussia bis zur Winterpause noch ganze drei Pünktchen – alle per 1:1-Remis – und erzielte dabei nicht mehr als drei Tore. Die Konsequenz: Weihnachten auf einem Abstiegsplatz und ein brennender Baum am Niederrhein.

Dreiundzwanzig Gegentore zeugten dabei nicht gerade von einer Schießbude. Die wirklichen Probleme wurden im Angriff, im Kopf und im Mannschaftsgefüge deutlich. Ein Rückstand bedeutete von nun an das sichere Ende der Siegesambitionen. Die Mannschaft kriegte schlichtweg nicht mehr die Kurve im Abstiegskampf, war unfähig sich aufzurappeln und dem drohenden Untergang etwas entgegenzusetzen.

Den Tiefpunkt stellte ironischerweise kein 0:6- Debakel dar, sondern ein torloses Remis gegen den 1. FC Nürnberg Ende Januar 2007. Jupp Heynckes hatte in der Winterpause mit Jos Luhukay, früher beim KFC Uerdingen und beim 1. FC Köln tätig, einen neuen Assistenten ins Boot geholt. Dazu kamen drei neue Spieler: Alexander Baumjohann – „für die Zukunft“, Steve Gohouri – kantiger Schwarzafrikaner mit Erfahrungen im deutschsprachigen Raum, Mikkel Thygesen – Offensivtalent vom FC Midtjylland aus Dänemark, der unter anderem Mohamed Zidan hervorbrachte.

Wie so oft passte sich das Trio der gesamten Transferbilanz der Ära Königs an und steht heute als aussagekräftige Stichprobe aus bislang 53 Neuzugängen da: Thygesen lief fünfmal für die Borussia auf und kehrte nach einem halben Jahr zurück in die Heimat. Steve Gohouri etablierte sich einigermaßen, wurde jedoch bis heute häufig von Verletzungen geplagt und sorgte vermehrt abseits des Platzes für Schlagzeilen. Baumjohann packte den Durchbruch in anderthalb Jahren nicht, stand bereits auf dem Abstellgleis und schlug von jetzt auf gleich ein wie ein Meteorit in der Eifel – mit Tor des Monats und neuem Vertrag bei den Bayern.

Doch zurück zum besagten Spiel gegen Nürnberg. Der „Kicker“ ist als bisweilen gnadenloser Richter bekannt, wenn es um die Bewertung von Spielern, Spielen und Schiedsrichtern geht. Bei der Note 5,5 für die Partie der Borussia gegen den Club zeigte man sich jedoch vergleichsweise gnädig. Es war der fleischgewordene Grottenkick – bei eisigen Temperaturen, an einem Dienstagabend, vor der Minuskulisse von nur 33000 Zuschauern. Selbst Schiedsrichter Babak Rafati erwischte einen gebrauchten Tag und war mit einer eigentlich erschreckend harm- und konfliktlosen Partie restlos überfordert. Bester Spieler des Spiels: Nürnbergs Nikl. Note: Drei. Chancenverhältnis: 1:1 – mit viel Wohlwollen.

Am nächsten Morgen war Jupp Heynckes dann seinen Job los. Entlassen, zurückgetreten (worden)? Dogfood brachte es damals bei Allesaussersport „auf den Punkt“: „Jupp Heynckes entlassen, nicht entlassen, geht, wird gegangen, ist nicht gegangen worden, wird zurückgetreten worden sein dürfen, oder so.“

Einmal mehr machte sich der Verein lächerlich und war dem Boulevard ein gefundenes Fressen. Kopflos ging es in die Pressekonferenz, um dort die ominösen „persönlichen Gründe“ des (Ex-)Trainers in den Vordergrund zu rücken, Mitleid zu heucheln und den angeblichen Zusammenhalt zu beschwören. Egal wer den ersten Schritt bei der Trennung machte, egal ob Verein oder Trainer: Der Zeitpunkt war ein denkbar ungünstiger. Schließlich war man nach zwei Rückrundenspielen nicht wirklich schlauer als vor Weihnachten und hatte zudem eine ganze Vorbereitung samt Testspielen und Trainingslager geradezu verplempert.

Der Kurzzeit-Co Jos Luhukay setzte also zum Kopfsprung ins kalte Wasser an. Prompt gab es beim 2:0 in Bielefeld den ersten Auswärtssieg der Saison. Zum ersten Mal seit dreizehn Spielen traf die Borussia zudem mehr als einmal. Hoffnungsträger und Identifikationsfigur Marcell Jansen war nach langer Verletzungspause zurückgekehrt. Eine Woche lang schien die Welt wieder in Ordnung, der Eisberg in letzter Sekunde umkurvt.

Die Borussia blieb zumindest vorerst auf Tuchfühlung zu den Nichtabstiegsrängen, der Rückstand betrug selten mehr als drei Punkte. Anfang März musste Sportdirektor Peter Pander trotzdem gehen und die Konsequenzen aus seiner verkorksten Personalpolitik ziehen. Siebzehn Neueinkäufe fielen in seine Amtszeit, Ausgaben von mehr als 12 Millionen Euro. Größtenteils in den Wind geschossen. Management-Neuling Christian Ziege übernahm. Das erste Spiel unter seiner sportlichen „Leitung“ wurde gleich gewonnen. Das 3:1 gegen die Hertha am 25. Spieltag sollte dennoch Gladbachs letzter Sieg der Saison gewesen sein.

Der Eisberg tauchte also erneut auf. Diesmal ein Frontalzusammenstoß, der endgültige Untergang. Fünf der folgenden sechs Spiele gingen verloren, vier davon mit 0:1. Nach der 0:1-Niederlage gegen Stuttgart und einen Tag, bevor der Niedergang ins Unterhaus Gewissheit wurde, bestätigte der Aufsichtsrat den Präsidenten in seinem Amt – in einer „Nacht- und Nebelaktion“, wie die Rheinische Post titelte. Königs hatte zuvor mit Rücktrittsgedanken gespielt. Es blieb bei einem Spiel. Die Mitglieder mussten dazu nicht einmal befragt werden. Jener Satzungsänderung hatten sie einst selbst zugestimmt und damit viel Entscheidungsgewalt aus der Hand gegeben. Am darauffolgenden Tag besiegelte Bielefeld, das gegen Titelaspirant Bremen gewann, wie gesagt den endgültigen Abstieg. Und fast hätte es keiner bemerkt.

Bis zum Saisonende knüpfte die Borussia den Bayern noch zum zweiten Mal in dieser Saison einen Punkt ab. Mit 26 Punkten und 23:44 Toren ging es als Schlusslicht in die Zweite Liga. Nur Tasmania Berlin stieg mit weniger erzielten Treffern ab. Kein Absteiger der Bundesligahistorie kassierte weniger Gegentore als Gladbach in der Saison 06/07.

Mit Jos Luhukay, dem der Verein früh das Vertrauen ausgesprochen hatte, ging es hinein ins Projekt Wiederaufstieg – zumindest lautete so langfristig die Zielsetzung. Denn an eine baldige Rückkehr der Borussia in die Bundesliga glaubten sowohl am Niederrhein als auch im Rest des Landes nur die wenigsten. Gladbachs Saisonstart im Unterhaus war gleich einmal Wasser auf den Mühlen der unkenden Kritiker. Nur zwei Zähler aus den ersten drei Spielen und ein Offenbarungseid beim 1:4 in Mainz sägten bereits Ende August an Luhukays Stuhl. Ausnahmsweise war es allein der Verein, der hier die Ruhe behielt.

Sportdirektor Ziege und Luhukay selbst vertrauten der Mannschaft offenkundig voll und ganz, die sie im Sommer gemeinsam zusammengestellt hatten. Sieben der elf Neuzugänge waren aus deutschen Ligen gekommen. Der Rest – bis auf den Israeli Colautti – aus unmittelbaren Nachbarligen wie der Ehrendivision oder der Ligue 1. Gut fünf Millionen Euro wurden dafür locker gemacht. Kein Problem für den Zweitligisten, da Marcell Jansen die Rekordsumme von zwölf Millionen in die Vereinskasse gespült hatte.

Und tatsächlich: Schon in den folgenden Woche wurde die Geduld mehr als belohnt. Gladbach gewann von nun an sechsmal am Stück und grüßte nach dem neunten Spieltag und einem furiosen 5:0 in Koblenz plötzlich von der Tabellenspitze. Marcel Ndjeng wirbelte als bester Vorbereiter der Liga mächtig Staub auf. Rob Friend traf am laufenden Band, genau wie Oliver Neuville, mittlerweile dienstältester Borusse. Dazu gesellte sich mit Patrick Paauwe ein unentbehrlicher Ruhepol vor der Abwehr. Sascha Rösler kurbelte mit seinem Temperament das Angriffsspiel an, das zudem in Marko Marin eine Lebensversicherung in spe besaß.

Das Leid der vergangenen Jahre war von jetzt auf gleich passé. Die Zweite Liga entwickelte sich für die Anhänger der Borussia wie ein selbstgestrickter Schal, den man von Oma zu Weihnachten bekommt: Erst kritisch begutachtet, aus Mangel an Alternativen höflich angenommen und letzten Endes überraschend schnell ins Herz geschlossen. Als Herbstmeister ging es in die Winterpause. Seit Jahren gab es am Niederrhein aus fußballerischer Sicht wirklich wieder etwas zu feiern.

Nach einem kleinen Luftloch mit vier sieglosen Spielen nach der Winterpause zeigte die Formkurve kurz darauf wieder nach oben – mit Kurs auf die Bundesliga. Als die Borussia Ende März sogar begann, die Spiele in unnachahmlicher Bayern-Manier durch ein Eigentor in letzter Sekunde zu gewinnen, flogen die letzten Zweifel peu à peu von dannen. Eine Galavorstellung gegen Fürth und ein 7:1 in Offenbach stellten die Weichen auf Aufstieg. Das 3:0 gegen Wehen an einem sonnigen Maiabend unter der Woche besiegelte dann endgültig die Rückkehr ins Oberhaus – nach einem einjährigen Abenteuer, das sich vom unliebsamen Zwischenhalt zur wohltuenden Kur der geschundenen Borussenseele gewandelt hatte.

Teil 1
Teil 2

In Teil 4: Die Ankunft in der Gegenwart, ein Ausblick in die Zukunft und jede Menge Zahlen aus der Vergangenheit