Warum die TSG 1899 Hoffenheim auf dem besten Weg ist, zum neuen Hassobjekt des deutschen Fußballs aufzusteigen. Warum dabei keinerlei Neid im Spiel ist und ein Elch im Kraichgau als Sinnbild für einen Fußballverein herhalten muss, den keiner braucht. Teil 1
Der deutsche Fußball kennt eigentlich genügend Feindbilder. Wobei man es etwas exakter ausdrücken müsste: Die einzelnen Mitglieder des Makrokosmos „Deutscher Fußball“ - sprich Fans, Spieler, Trainer, Funktionäre, Journalisten - kennen genügend Feindbilder. Zwar sind sie sich dabei selten im Kollektiv einig. Doch sobald sich zumindest drei Sphären der Fußballwelt gemeinsam auf ein Objekt der Begierde eingeschossen haben, kann man getrost von einem Neuzugang im erlauchten Kreis der personae non gratae sprechen.
Häufig entlädt sich der Unmut auf die Nationalmannschaften Englands und Hollands, was jedoch eher hämischer Natur entstammt (ihre Stärke beim Elfmeterschießen und Sommerurlaube an allerlei Orten, nur nicht bei Welt- und Europameisterschaften, zeigen sich vermehrt verantwortlich dafür).
Dann polarisiert der FC Bayern als Rekordmeister nun einmal so sehr wie kein anderer Verein. Wenn Uli Hoeneß den Mund öffnet, knien sie seit der legendären Wutrede auf der letzten Jahreshauptversammlung nicht einmal mehr an der Säbener Straße nieder. Sobald der fränkische Wurstverkäufer wieder eine Verschwörung heraufbeschwört (worin sein Berliner Bruder sich ebenfalls sehr ansehnlich behauptet) oder im Gegensatz dazu persönlich eine Revolte anzetteln will, versetzt sein hochroter Kopf ganz Deutschland in Kopfschütteln, Fieberträume und Lachanfälle zugleich.
Fifa-Präsident Sepp Blatter erfreut sich ebenfalls stark eingeschränkter Beliebtheit. Goleo VI. ist in diesem erlauchten Kreis der angesagtesten Empfänger kollektiver Unbeliebtheit in deutschen Fußballlanden dagegen eher ein wehrloser Sandsack, der im Prinzip doch niemanden ernsthaft stört bzw. gestört hat. In ähnlichen Regionen hausieren das Golden Goal und sein silberner Kollege, an die allein eingestaubte Einträge in Geschichtsbüchern (und Oliver Bierhoff) lobend erinnern. Tofik Bachramows Namen kann kein Mensch buchstabieren. Trotzdem kennt ihn jeder als den Mann, der Fußballgeschichte schrieb, als er England zum bisher einzigen Titel verhalf, Deutschland einen weiteren verwährte und ein Tor nach dem Stadion benannte.
Zu guter letzt raufen sich Fans, Spieler, Trainer und Medienkollegen einhellig die Haare, wenn die BILD-Zeitung einmal mehr durch ihre reflektierte Berichterstattung besticht, die vor allen Dingen der Spielerfraktion Sonntag für Sonntag den Angstschweiß in die Stirn treibt, wenn nach einem Grottenkick einmal mehr durch die Bank die Note 6 vergeben wird.
Holland, England, Bayern, Hoeneß, Blatter, Golden Goal, Bachramow, Goleo, Bild – genau wie der Nordpol einen Südpol braucht, benötigt die Welt der Fußballliebhaber Raum für Unmutsbekunden, Spott und Rivalität. Menschen, Länder, Vereine und Dinge, die mit den Buchstaben B, H oder G beginnen, spielen sich dabei anscheinend vermehrt ins Rampenlicht.
Irgendwo zwischen diesen teils mehr, teils weniger geschichtsträchtigen Feindbildern, die ironischerweise die „Liebe zum Spiel“ in Form ihres Gegenteils metaphorisieren, postiert sich seit geraumer Zeit ein aussichtsreicher Neuling. Dem Alphabet nach wäre er zwischen Hoeneß und Holland anzusiedeln. Einmal mehr also das verflixte H.
Dabei könnte Hoffenheim auch Sauensiek oder Lüttelbracht heißen. Und vielleicht würde es das auch, wenn sich Dietmar Hopps Mutter auf einer Pfadfinderreise in den Landkreis Stade oder an den Niederrhein unsterblich in einen Dorfjungen aus einer fremden Region verliebt hätte. Dann wäre in einem dieser winzigen Dörfer ein zukünftiger Milliardär aufgewachsen und nicht in eben jenem Hoffenheim im Rhein-Neckar-Kreis, einem 3272 Einwohner zählenden Stadtteil von Sinsheim bei Heidelberg.
Der Aufstieg der TSG 1899 Hoffenheim erscheint so ziemlich im Licht des Zufalls (nie umschrieb das Wort „Aufstieg“ passender eine rasante Reise von 0 auf 98, von der Kreisliga A in die Zweite Bundesliga). Hoffenheim ist im Vergleich zu Uli Hoeneß und zum holländischen Fußball im wahrsten Sinne ein (dem Fußballfan sehr böhmisch wirkendes) Dorf. Dennoch ist der ortsansässige Fußballklub samt SAP-Gründer Dietmar Hopp auf bestem Wege, sich zum Vizemeister in der „Liga der Vereine, die man eigentlich nur hassen kann“ aufzuschwingen. Vorerst.
In meiner persönlichen Rangliste rangieren sie zwar noch auf Platz drei, aber der 1.FC Köln wird sich bald warm anziehen müssen. Vor allen Dingen, wenn Hoffenheims Coach Ralf Rangnick seine Diplomarbeit mit dem Titel „Von drei nach eins“ fertig stellt und mit der TSG den zweiten Verein nach dem SSV Ulm schnurstracks von der Regional- in die Bundesliga führt, während die Geißböcke unter Umständen ein weiteres Jahr im ungeliebten Unterhaus versauern (müssen/sollen/dürfen).
Doch warum zieht ein Dorfklub, der keine Fans, kein richtiges Stadion, keine Tradition, keinen Wert, sondern einzig und allein Geld hat, derart die Verwünschungen einer ganzen Fußballnation auf sich? „Neid“, würde ein Bayern-Fan wie aus der Pistole geschossen antworten. „Purer Neid, genauso wie sie auch uns alle beneiden.“
Dabei verfehlt das Verhältnis eines x-beliebigen Fußballfans (jedoch vorzugsweise Anhänger eines Traditionsklubs im bezahlten Fußball) zur TSG Hoffenheim all das, was auch nur annähernd auf ein gehöriges Maß an Neid schließen lässt. Diese Debatten habe ich schon zigmal aufs Verderben geführt. Jedoch noch einmal: Neid impliziert für mich, dass ich dem Beneideten seinen Status nicht nur nicht gönne, sondern auch danach strebe, denselbigen zu erreichen.
Wollte ich, dass mein Verein zum Abbild des FC Bayern mutiert, dann hätte ich mein Zimmer längst rot streichen, mir ein Toni-Trikot besorgen und eine Bayern-Fahne im Garten hissen können. Sprich, ich hätte 13 Jahre Borussia hinter mir lassen können und wäre der Einfachheit halber übergelaufen zum früheren Feind. Ich verachte den FC Bayern (wie ich ihn seit 13 Jahren kenne) nicht wegen seines beachtlichen Festgeldkontos, sondern vielmehr aufgrund der Art und Weise, wie er damit umgeht. Wie er seinen unangefochtenen Status als Branchenführer erreicht hat, das ist mir mittlerweile schnuppe. Die Geschichte von der geschenkten Goldmine Olympiastadion, während die Borussia samt veraltetem Bökelberg nach den glorreichen 70ern langsam aber sicher dem Abgrund entgegenschlitterte, ist doch längst alter Tobak.
Vielleicht ertönt Gleiches auch in zwanzig Jahren aus meinem Mund, wenn ich mich über den sechsmaligen deutschen Meister und aktuellen Champions-League-Sieger Hoffenheim auslasse. Vielleicht werde ich trotzig und salopp sagen, Dietmar Hopp und seine Milliarden seien mir im Prinzip egal, Hoffenheim gehöre einfach grundlegend zu den „Scheißvereinen“. Vielleicht werde ich eine Hand voll deutscher Nationalspieler dann ebenfalls an 351 Tagen im Jahr nicht ausstehen können, weil sie berufsbedingt ein blaues Trikot mit dem SAP-Schriftzug tragen und sie nur vergöttern, wenn die Nationalmannschaft eines ihrer jährlich circa vierzehn Länderspiele bestreitet. (Wobei ich Lahm, Podolski, Klose, Schweinsteiger und Jansen eigentlich ganz gut leiden kann, sie teilweise sogar ausgesprochen mag. Früher mit Tarnat, Nerlinger, Kahn, Effenberg und Strunz verhielt sich das ganz anders.)
Doch anders als heutzutage beim FC Bayern werde ich dann den Anfang des Weges kennen, der einen Klub zum Minuspol der einen Hemisphäre einer Fußballnation und zum Pluspol der anderen mutieren lässt. Viele Dinge im Leben erscheinen erst aus der Nähe in einem schlechten Licht. Immer wieder muss man das bei Menschen erkennen, für die man aus der Ferne noch Sympathien empfunden hatte. Bei genauerem Hinsehen verlieren sie ihre Anziehungskraft jedoch vollständig. Im übertragenen Sinne ist die TSG 1899 Hoffenheim eine jener Personen.
Teil 2
Samstag, 29. März 2008
Willkommen im Klub (1/2)
Eingestellt von Jannik um 17:30
Labels: Einwurf, Zweite Bundesliga
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Ich finds trotzdem lustig, dass Deutschland jetzt auch nen Abramowitsch hat ;)
AntwortenLöschengruß chrissi