Erst ein Fieber mit Folgen, dann die erste Derbypleite seit 16 Jahren – am Ende alles nebensächlich. Gladbachs vierte Niederlage in Serie wird überschattet von der ersten Trainer-Entlassung der Saison und einer fatalen Hubschrauberlan- dung im Traum.
„Derbyfieber“ diagnostizierte das FohlenEcho auf dem Titelblatt. Schon vor dem Anpfiff war klar, dass das Krankheitsbild bei einigen Chaoten viel fataler ausfällt. „Tollwut gepaart mit Paranoia im Endstadium“ trifft die Sache wohl etwas genauer. Die tiefen Wunden der Rivalität, erlitten im Zuge der Fahnen-Kapriolen aus dem Frühjahr, sind nicht annähernd verheilt. Im Gegenteil. Waren die Fronten zwischen Borussen und FC-Fans in den vergangenen Jahrzehnten schlichtweg verhärtet, die Lager sportlich verfeindet, ist nun scheinbar eine Wortneuschöpfung vonnöten, um das Verhältnis der rheinischen Rivalen treffend zu umschreiben.
So wurde zum ersten Mal, seit Stadionbesuche mein Leben bereichern, der Anpfiff nach hinten verschoben. Die Tollwütigen auf Seiten beider Teams hatten im Umfeld des Borussia-Parks für Szenen gesorgt, die wir – ums im Kommentatoren-Deutsch zu sagen – so nicht sehen wollen. Die beleidigten Beklauten (Gladbach) beschossen die Busse der provozierenden Diebe (Köln) mit Raketen. Man kann sich leicht ausmalen: Während das reine Wettrüsten im Laufe des Kalten Krieges schon die Angst vor einem Dritten Weltkrieg schürte, werden ein paar Leuchtraketen unter schmalhirnigen Hooligans zwangsläufig zur Eskalation führen. Die Kölner befreiten sich mit den roten Notfallhammern aus der Schusslinie. Daraufhin marschierten sie Richtung Fanhaus der Borussia, um dort mit Fäusten für Vergeltung zu sorgen. Die Eskapaden legten in der Folge den Verkehr lahm. „Rien ne va plus“ hieß es nicht nur für Shuttle-Busse und Autos, sondern auch für den Mannschaftsbus des FC.
Ich könnte jetzt loswettern mit Begriffen wie „hirnverbrannt“ oder „hirnamputiert“ und redundant betonen, dass derartige Ausschreitungen „vollkommen überflüssig“ seien. Doch abgedroschener Tadel wird rein gar nichts bewirken. Am Ende der Kette einer solchen Entwicklung steht für mich persönlich ein Schlussstrich – entweder die oder ich. Wir sind von italienischen Verhältnissen vergleichsweise und Gott sei Dank noch meilenweit entfernt. Aber jedes Ende hat einen Anfang. Und jener Anfang liegt mittlerweile weit hinter uns. 16 von 17 Heimspielen verlaufen ohne Nebenerscheinungen, wie sie den Derby-Samstag geprägt haben. Dennoch ist das allein ja kein Grund, sie einfach so hinzunehmen.
Fünf Minuten nachdem des Spiel dann endlich begonnen hatte, brannte es bereits lichterloh im Borussia-Park. Auf der einen Seite war Christofer Heimeroth nicht in der Lage, ein harmloses Tischfeuerwerk von Vucicevic zu entschärfen. Ehret staubte ab und erzielte sein erstes Tor im 56. Ligaspiel für den 1. FC Köln. Wen wundert’s, dass ihm der Premierentreffer ausgerechnet gegen Gladbach gelungen ist? Der FC-Gästeblock nahm auf der anderen Seite Revanche für die Ereignisse vor der Partie. Ein Feuerwerkskörper sorgte für verfrühte Neujahrsstimmung und ein Trommelfell zerberstendes Pfeifkonzert. Wir sind Tabellenletzter, unser Trainer steht stand auf der Abschussliste und Systemänderungen sind unser System – sich mit Problemen dieser Art rumzuschlagen, steht da nicht gerade auf Platz eins der Prioritätenliste. Vielleicht ist es aber auch nur ein bezeichnendes Bild für einen arg gebeutelten Verein, der derzeit nicht einmal in der Lage ist, ein paar Tausend Fußballfans am Eingang ordentlich abzutasten.
„Abzutasten“ war das letzte Wort, das ich bis Sonntag, 16 Uhr geschrieben hatte. Dann kam die Hiobsbotschaft über den Äther. Um halb sechs hat mir mein redaktionsinterner Korrespondent Nils die Nachricht „Jos ist raus“ geschickt. Jetzt sitze ich hier vor einem Scherbenhaufen und einem begonnenen Spielbericht, in dem zumindest die Spielminuten 6 bis 87 schlagartig überflüssig geworden sind. Entscheidend bleibt Novakovic‘ Freistoß in der 88., Heimeroths verzweifelter Versuch, mehr als nur ein paar Finger an den Ball zu bekommen und mein prompter Kommentar, frei von jeglicher Ironie: „17:24 Uhr, Gladbach ist seinen Trainer los“. Exakt 24 Stunden danach ist Vorahnung Wirklichkeit geworden.
Im Gedächtnis bleiben wird Luhukays letzte Amtshandlung, die unfreiwillig zum Sinnbild für seine Harakiri-Arbeit der letzten Wochen geworden ist: In der Nachspielzeit brachte er Colautti für Alberman – die Betonung liegt auf „Nachspielzeit“. Normalerweise nutzt das führende Team diesen letzten Augenblick, um Zeit zu schinden. Doch in Gladbach ticken die Uhren anscheinend anders.
„Ohne System zum Gewinn“ hieß das einzige erkennbare Motto. Eine Stammformation war genauso fremd wie Punkte. Dabei hatte Borussias Coach vor dem Derby nur zwei Spieler ausgetauscht. Ndjeng musste Neuville weichen. Marin kam für Callsen-Bracker. Wobei sich das mit dem Kommen und Gehen so einfach gar nicht sagen lässt, wenn aus einem 5-2-2-1 plötzlich ein 4-4-2 wird. Jos Luhukay hat es fertig gebracht, in sieben Partien 23 Spieler einzusetzen und sämtlich Zahlenkombinationen abzuarbeiten, deren Summe zehn ist.
Jos Luhukay fehlte letztendlich wohl nur ein Quäntchen an fachlicher Stärke, an Robustheit und Ausstrahlung, um in der Bundesliga zu bestehen. Doch allein sein Wechselspiel hatte zuletzt noch Konstanz und offenbarte gnadenlos die Hilflosigkeit des 45-jährigen Niederländers. „Die Anderthalbligisten“ titelte die Rheinische Post nach der Pokalpleite von Cottbus – den Trainer werden die Herren damals nicht außen vor gelassen haben.
Anfang 2007 kam er als neuer Assistent von Jupp Heynckes. Schon am 20. Spieltag schwang Luhukay als Cheftrainer das Zepter bei der Borussia und beschwerte den Fohlen prompt einen Auswärtssieg in Bielefeld – den einzigen in den letzten zwanzig Partien auf fremdem Platz. Doch seine Bundesligabilanz wurde in den folgenden 21 Spielen im Oberhaus nur noch um zwei Siege bereichert. Berlin musste im Abstiegsjahr dran glauben. Der Erfolg gegen Bremen vor ein paar Wochen war Luhukays dritter und letzter Dreier als Coach der Borussia. 13 Punkte aus 22 Spielen sind unterm Strich ein wahres Armutszeugnis. Seine tadellose Zweitligabilanz mit souveränem Wiederaufstieg verdeutlich eindrucksvoll, dass der Grenzgänger aus Venlo wahrhaftig ein Wanderer zwischen den Ligen war – eben ein echter „Anderthalbligist“. Genau aus diesem Grund geht er nicht als Buhmann, sondern als Aufstiegstrainer, für den es im ganz großen Geschäft einfach nicht gereicht hat. Seine Entlassung ist ein unvermeidlicher Teil eben jenes Geschäfts. Trotz allem also ein kräftiges „Danke, Jos!“.
Dabei hätte er frohen Mutes nach Bochum fahren können: Bielefeld, Berlin, Bremen – ein Sieg an der Castroper Straße hätte die Luhukay’sche Alliteration wunderschön vollendet. Zumal die darauffolgende Reise erneut nach Bielefeld gegangen wäre.
Diese Umstände – Luhukays Entlassung, Zieges Interims-Übernahme – überschatten natürlich das Derby mit all seinen Facetten. Der 7. Spieltag der Saison 2008/2009 wird nicht als Tag in Erinnerung bleiben, als Gladbacher mit Raketen auf Kölner Busse geschossen und die Fohlen zum ersten Mal seit 16 Jahren zuhause gegen den FC den Kürzeren gezogen haben. Vielmehr wird das Ende einer Ära hängen bleiben, die dort endete, wo sie begann – im Keller. Es ist logisch, dass Trainer von Vereinen wie Borussia Mönchengladbach in denselben Situationen geschasst werden, die sie einst in ihr Amt befördert hatten. Dennoch hat Luhukay mit einem Abstieg, einem Aufstieg und einem Salto rückwärts ans Tabellenende innerhalb von 20 Monaten durchaus Außergewöhnliches vollbracht.
Womit am Ende nur noch eine Frage zu beantworten wäre: Wer kommt jetzt? Zum Glück haben wir gerade erst einen Coach mit Schnäuzer entlassen. Peter Neururer sieht gegen Jos Luhukays smarten Oberlippenteppich ohnehin ziemlich alt aus. Mit Schrecken wurde derweil vernommen, dass Dick Advocaat sich im fernen St. Petersburg nach seiner Familie sehnt. Von Holland nach Gladbach – leider ein Katzensprung.
Zu guter letzt wäre da noch eine grausame Vision: In der Nacht nach dem Derby ist in meinem Traum noch einmal der Film des Nachmittages abgelaufen – darunter auch die kreisenden Hubschrauber über dem Borussia-Park. Auf einmal sinkt einer von ihnen unaufhaltsam gen Boden und landet gemächlich im Mittelkreis. Die Luke öffnet sich, ein Raunen geht durchs weite Rund und hinaus stolziert… Lothar Matthäus. Zwanzig Minuten später hört ein Lokführer in Nähe des Rheydter Hauptbahnhof ein kurzes Klackern auf den Gleisen – am nächsten Tag finden spielende Kinder die Splitter einer zertrümmerten Dauerkarte.
Sonntag, 5. Oktober 2008
Mission 40/7: C’est le Geschäft
Eingestellt von Jannik um 22:33
Labels: Bundesliga, Gladbach
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