Die Borussia schlittert immer weiter dem Abgrund entgegen und nimmt dabei nicht einmal Geschenke an. Selbst der Galgenhumor verschränkt mittlerweile beleidigt die Arme. Was Gladbachs Saisonverlauf mit einer Tour de France-Etappe gemein hat und warum kein Eis der Welt Oliver Neuville zum Lachen bringt.
Wer den reinen Zahlen Glauben schenkt, der könnte zu dem trügerischen Schluss kommen, die Borussia sei nach der Entlassung von Jos Luhukay und der Reinstallation von Hans Meyer auf einem guten Weg. Genau einen Punkt pro Partie hat Borussias Aufstiegstrainer von 2001 bislang eingefahren bzw. einfahren lassen. Unter dem „jungen Mann“ waren es in den ersten sieben Saisonspielen durchschnittlich 0,43 Zähler. Was nach einer Kehrtwende aussieht, steht in Wirklichkeit für eine elegante Drehung um 360 Grad. Ein Trainerwechsel bietet zwar kein Patent auf eine blitzartige Verbesserung. Doch wenn sich eine derartige Maßnahme ihre Wirkung schon verfehlt, dann sollte sich wenigstens die Art und Weise ändern, in der eine Mannschaft Spiel für Spiel die Grenzen aufgezeigt bekommt. Um die Schwarzmalerei auf den Siedepunkt zu bringen: Unterm Strich war das 1:2 gegen Frankfurt noch schlimmer als die Derbypleite gegen Köln mit demselben Resultat.
Die seit Wochen ohnehin prekäre Lage nimmt immer beängstigendere Züge an. Da gelingt der Borussia ausnahmsweise das vielzitierte „frühe Tor“ und dennoch sind die Hände am Ende so leer wie zuvor. An dieser Stelle ist nicht einmal Galgenhumor angebracht à la „jetzt muss der Gegner schon die Tore für uns schießen“. Gladbachs 1:0 durch Russ‘ Eigentor war nach 12 Minuten absolut verdient. Man möchte fast behaupten „erzwungen“. Umso schlimmer, wenn selbst ein verunsicherter Gegner, ein frühes Tor und eine gute Anfangsphase nicht genügend Selbstvertrauen verleihen können, um ein (Heim-!)Spiel wenigstens 45 Minuten lang offen zu gestalten. Zum ersten Mal seit dreieinhalb Jahren gab die Borussia eine 1:0-Führung im eigenen Stadion noch vollkommen aus der Hand. Zum ersten Mal seit 45 Bundesliga-Heimspielen. Im Februar 2005 machte Schalke im Borussia-Park aus einem 0:1 noch ein 3:1. In Liga Zwei ist Gladbach das zumindest einmal passiert. Damals jedoch schlug sie im Derby gegen den FC noch zurück.
Wichtigstes Indiz für die enormen Ausmaße der Gladbacher Probleme: Mittlerweile reicht die Frustration so weit, dass ich mich kaum noch in den Galgenhumor retten kann und will. Es sei allein angemerkt, dass unsere Saisonbilanz dem Profil einer angeblich atemberaubenden Tour de France-Etappe ähnelt, die sich in Wirklichkeit als äußerst öde erweist: Über 120 Kilometer geht es durchs Flachland, dann ein einziger Berg von 1500 Metern (2:2 in Bochum, 1:0 gegen Karlsruhe), dessen Abfahrt erneut im Tal endet. Selbst die Häme, mit der ich Rob Friend in den letzten Wochen überschüttet habe, geht langsam zuneige. Zu dem Thema nur eine nüchterne rhetorische Frage: Hat jemals ein Bundesliga-Stürmer sieben Spiele in Folge, sprich 630 Minuten, ununterbrochen auf dem Platz stehen dürfen, ohne dabei ein einziges Tor zu erzielen?
Wenigstens lassen Hans Meyers Auswechslungen darauf schließen, dass 66 Jahre Lebensjahre nicht automatisch sportliche Altersdemenz bedeuten. Nach Frankfurts Führung durch Fink brachte er erst Bradley für den defensiveren Svärd. Dann kam Neuville für Baumjohann und schließlich van den Bergh für Voigt. Rein taktisch alles nachvollziehbar. Personell müssen wir uns wohl damit abfinden, dass sich Alternativen rar machen. Allein ein Sascha Rösler hätte vielleicht mehr bewirken können als Friends Praktikant Michael Bradley. Der Re-Blondierte reagierte sich nach dem dritten Wechsel und der damit verbundenen Beendigung seines Arbeitstages an der Eckfahne ab. Jedes Lebenszeichen, jeder Anflug von Temperament ist dieser Tage ja herzlich willkommen.
Als direkter Wiederaufsteiger lässt man sich gerne dazu hinreißen, das nicht allzu entfernte Abstiegsjahr mit der aktuellen Situation zu vergleichen. 2006 holte die Borussia 12 Punkte aus den ersten sieben Spielen. Zwei Jahre später liegt ein nahezu perfekter Zahlendreher vor: 7 aus 11. Unter Jupp Heynckes wusste man wenigstens, dass sich auf dem Platz eine dem Untergang geweihte Söldnertruppe abmüht. Heute kann man angesichts der offenbar limitierten Möglichkeiten beinahe im Mitleid ertrinken.
Gladbachs Mannschaft ist derzeit eine einzige Metapher. Im Tor mal der eine, mal der andere, dazwischen wieder ein ganz anderer. Im Sommer schien die Innenverteidigung mit vier brauchbaren Kandidaten überbesetzt. Jetzt muss mit Paauwe schon ein Sechser aushelfen. Derweil torkelt mit Sebastian Svärd einer durchs defensive Mittelfeld, dessen Zeit bei der Borussia schon wenig verheißungsvoll begann. 2006/2007 verpasste er die ersten 22 Partien verletzungsbedingt. Inzwischen ist der Däne zweieinhalb Jahre da und hat ganze 26 Ligaspiele mit einem Kicker-Notenschnitt von 4,12 absolviert. Berücksichtigt man allein die Auftritte in Liga Eins, kommt Gladbachs Nummer 8 sogar nur auf eine 4,55. Wer in anderen Vereinen aufs Abstellgleis verfrachtet wird, erhält bei uns Bewährungschance um Bewährungschance.
Oliver Neuville gehört zwar nicht aufs Abstellgleis. Aufmerksamkeit hat er gestern jedoch nicht wirklich erregt. Früher wollte man den Mann mit dem traurigen Kindergesicht immer an die Hand nehmen und ihm ein Eis kaufen. Mittlerweile dürfte selbst eine ganze Eisfabrik kaum in der Lage sein, ein Lächeln auf das Gesicht von Gladbachs dienstältestem Spieler und erfolgreichstem Torschützen der letzten vier Jahre zu zaubern. Zwischen all den Metaphern für Unvermögen und Vergänglichkeit wuselt Marko Marin sich unverdrossen einen Wolf. Immer wieder will ich ihm in meiner Verzweiflung zurufen: „Marko, komm Jung, nur vier Mann vor Dir. Mach‘ sie nass!“. Doch die Bundesliga ist eben kein C-Jugend-Turnier.
Es gilt, auf Teufel komm‘ raus zumindest zwei Mannschaften zu finden, die schwächer sind als die Borussia. Zumindest zwei, die am Ende weniger Punkte auf dem Konto haben. Wobei es mir momentan selbst vor einem Relegationsspiel gegen Freiburg oder Mainz graut. Nach dem Spiel verwies Hans Meyer darauf, dass „wir derzeit nicht in der Lage sind, eine Mannschaft wie Frankfurt problemlos an die Seite zu spielen.“ Fragt sich nur, wenn schon nicht ein von Verletzungen gebeuteltes und trotz zweier Siege aus drei Spielen wenig selbstbewusst auftretendes Team, wen dann? Anstatt Geschenke dankbar anzunehmen, zeigt sich die Borussia gegenüber ihren Gegner doppelt so spendabel.
Zum Schluss ist es bezeichnend, dass das Überschriftenbrainstorming bereits nach 16 Minuten abgeschlossen war – während des Spiels wohlgemerkt. Nachdem Frankfurt die frühe Führung der Borussia bereits vier Minuten darauf egalisiert hatte, waren die Weichen bereits so auf Untergang gestellt, dass ich mir relativ sicher sein konnte: Eigentor stinkt! Demnächst kann ich die Posts also getrost vor dem Anpfiff verfassen. Auffallen wird’s eh keinem.
Montag, 3. November 2008
Mission 40/11: Eigentor stinkt
Eingestellt von Jannik um 12:53
Labels: Bundesliga, Gladbach
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