Donnerstag, 29. Januar 2009

Des Königs' neue Spieler (1)

In den letzten fünf Jahren hat sich bei der Borussia so ziemlich alles verändert: Ein neues Stadion, 87 eingesetzte Spieler, 53 Neuzugänge, 6 Trainer, 4 Sportdirektoren - aber ein und derselbe Präsident. Anlass genug, dessen Amtszeit Jahr für Jahr zu rekapitulieren und dem sportlichen Niedergang des fünffachen Deutschen Meister ins Gesicht zu blicken. Eine Zeitreise in vier Akten - Teil 1.

Einen Blumenstrauß? Vielleicht eine Schachtel Pralinen? Oder doch einen Restaurantgutschein? Ob Tomas Galasek zu seiner Ankunft in Gladbach vor ein paar Wochen überhaupt ein besonderes Präsent erhalten hat, ist nicht genau überliefert. Verdient hätte er es. Denn immerhin ist der Tscheche der 50. Spieler bei der Borussia, der in der Ära von Präsident Rolf Königs verpflichtet wurde. In nur viereinhalb Jahren.

Unter Umständen hat in Gladbach aber auch niemand dieses Jubiläum registriert. Verübeln dürfte man es keinem dort. Schließlich ging die Borussia schnurstracks zur Tagesordnung über. Inzwischen steht der Transferzähler schon bei 53. Paul Stalteri, Logan Bailly und Dante haben die Liste noch vor Weihnachten fortgeführt. Vollzugsmeldungen aus der Personalabteilung gehören am Niederrhein mittlerweile zu den Routineübungen.

Um einen Bogen in der Vereinshistorie zu spannen, der die Metamorphose des fünfmaligen Meisters zum vielzitierten „Kaufhaus des Westens“ beschreibt, genügt es völlig, vor nicht einmal fünf Jahren anzusetzen. Die Geschichte beginnt im Frühjahr 2004. In Gladbach heißt es zu diesem Zeitpunkt „Bye bye, Bökelberg“. Denn der VfL spielt die letzte Saison in seinem altehrwürdigen Stadion und steht kurz vor dem Umzug in den Borussia-Park – eine neue, 54.000 Zuschauer fassende Arena, die für knapp 90 Millionen Euro in Windeseile fertig gestellt worden ist.

Die Verwirklichung dieses Traums – zumal auch noch so fix und preiswert – ist vor allem Adalbert Jordan zuzuschreiben, der die Stadionpläne in seiner Zeit als Präsident der Borussia forcierte und die Weichen stellte für eine hoffentlich rosigere Zukunft. Doch die Eröffnung des Borussia-Parks sollte Jordan nicht mehr erleben. In jenem Frühjahr 2004 verstarb er nach langer und schwerer Krankheit im Alter von 66 Jahren. Und auf die ersehnten rosigen Zeiten wartet man am Niederrhein bis heute vergeblich.

Jordan hatte den Verein trotz schwieriger sportlicher Umstände aus dem Finanz-Schlamassel befreit. Dass die Borussia seit Jahren schwarze Zahlen schreibt und finanziell so gut aufgestellt ist wie nie zuvor, darf getrost dem Wirken des verstorbenen Präsidenten zugeschrieben werden. In seine Amtszeit fielen zwar der erste Bundesliga-Abstieg, aber auch der Wiederaufstieg 2001 und drei letztlich erfolgreiche Spielzeiten im Kampf gegen den Abstieg.

Heute erinnert nur noch eine kleine Straße auf dem Areal des Gladbacher Nordparks an die ehemalige Leitfigur des Vereins. Vielleicht sollte man sich die Arbeit Jordans an der Hennes-Weisweiler-Allee einmal zu Gemüte führen. Denn jeder im Umfeld des zweimaligen UEFA-Cup-Siegers muss sich eingestehen: Trotz eines Stadion, das jahrelang allein von seinem nostalgischern Wert am Leben gehalten wurde, stand die Borussia vor knapp fünf Jahren nicht schlechter da als heute, im Januar 2009.

Nach Jordans Tod hat der damalige Vizepräsident Rolf Königs den Posten als Vereinsoberhaupt übernommen – ein selbsternannter Fußball-Laie, der sein Geld als Geschäftsführer von Europas marktführendem Hersteller für LKW-Sitze verdient. Folgerichtig stammen auch die Auswechselbänke im Borussia-Park von der Firma Isringhausen. Und als wolle er möglichst viele Leute innerhalb kurzer Zeit in den Genuss des Komforts seiner Sitze kommen lassen, hat sich der 67-jährige Königs einem kostspieligen Hobby verschrieben: Spieler kaufen. Und weil es so schön ist, verkauft er sie auch liebend gerne wieder, um dann erneut zuschlagen zu dürfen, zu können oder zu müssen.

Um der Fairness halber eins klar zu stellen: Königs ist kein omnipotenter Mäzen, der den Verein im Stile eines Diktators regiert – im Gegenteil. Sein Amt übt er ehrenamtlich aus. Wobei sich die Frage stellt, ob das automatisch von Vorteil ist. Immerhin fließen jährlich zig Millionen Euro durch den Klub. Im Schnitt setzt die Borussia seit Jahren mehr als 25000 Dauerkarten ab. Zudem ist die Laune der Menschen am Niederrhein keineswegs ans Wetter, an den Milchpreis oder an die Staulänge auf der A52 gekoppelt – seit Jahrzehnten bestimmt die Fohlen-Elf aus Mönchengladbach, ob man zwischen Emmerich und Erkelenz gut drauf ist.

Königs könnte also ganz schnell aus dem Schneider sein – wenn er nicht der einzige weit und breit wäre, der jede Krise zwischen 2004 und 2009 miterlebt und vor allen Dingen schadlos überlebt hat. Seit seinem Amtsantritt am 7. April 2004 beschäftigt die Borussia mittlerweile den sechsten Trainer. In jedem Kalenderjahr gab es genau eine Entlassung. Exakt 87 Spieler haben in dieser Zeit das Trikot mit der Raute übergestreift. Die bereits erwähnten 53 sind gekommen, 30 davon haben den Verein schon wieder verlassen (müssen). Selbst für den Posten des Sportdirektors ist Kontinuität ein Fremdwort: Max Eberl agiert derzeit als insgesamt vierter sportlicher Leiter der Ära Königs. Seit Jahren wechselt man das Personal wie der Kaiser seine Kleider im allseits bekannten Märchen. Die niederrheinische Version von „Des Kaiser neue Kleider“ nennt sich „Des Königs‘ neue Spieler“.

Schon die blanken Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Borussenfans, die erleben, wie der Verein ihres Herzens und ihrer Träume nur noch spöttisch als „Kaufhaus des Westens“ bezeichnet wird, erröten vor Scham und möchten am liebsten im Erdboden versinken. Dank ihrer Leidensfähigkeit ist der Zuschauerschnitt neben der Personalie Königs wenigstens eine zweite – wenn auch sportlich nicht primär entscheidende – Konstante geblieben.

Oliver Neuville hat in seiner Karriere mit zahlreichen und ebenso schönen Toren von sich reden gemacht. Abseits des Platzes ist der 35-jährige eher für sein trauriges Kindergesicht bekannt. Alle Welt will ihn an die Hand nehmen und ihm ein Eis kaufen. Neuville lässt das weitestgehend kalt. Ausführliche Antworten gibt er lieber in Form von Toren. Es ist viel über das ruhige Gemüt des Nationalspielers philosophiert worden. Eine bestimmte Erklärung für sein Schweigen ist dabei wohl eher selten in Betracht gezogen worden: Neuville gibt vielleicht so selten etwas von sich, weil er seit Jahren zu sehr damit beschäftigt ist, sich die Namen seiner Mitspieler bei der Borussia einzuprägen. In der Schreckensliste der verpflichteten 53er-Bande ist er nämlich die Nummer eins. Neuville war der erste Neueinkauf unter Neu-Präsident Königs. Das heißt, er hat sie alle kommen und fast alle wieder gehen sehen. Es bedarf keinerlei Boshaftigkeit, sondern allein eines ausgeprägten Sinns für die Realität, um zu behaupten: Vermutlich war der erste Transfer bis heute der beste.

Als einziger Spieler im aktuellen Kader hat Neuville die Eröffnung des Borussia-Parks miterlebt. Keiner hat in der Ära Königs auch nur annähernd so viele Spiele für Gladbach absolviert. Inzwischen sind es 124 geworden. Auf Rang zwei folgt Peer Kluge mit 88 Einsätzen. Dabei ist es alles andere als schwierig, in dieser Rangliste eine Topposition zu belegen: Marko Marin weilt mit seinen 19 Jahren bereits auf Platz elf. Dreizehn Rückrundenspiele würden ihm genügen für einen Satz auf den sechsten.

Und bevor wir die traurige Transferodyssee von vorne bis hinten aufrollen wollen, noch ein kleiner Hinweis – erneut der Fairness halber: Kaum ein deutscher Profiverein hat sich in den letzten Jahren derart mit seiner Nachwuchsabteilung profiliert und so viele Nationalspieler ausgebildet. Marcell Jansen machte den Anfang und stürmte innerhalb von knapp einem Jahr von der U23 auf die linke Abwehrseite der DFB-Elf. Jan Schlaudraff schaffte den Durchbruch zwar erst, nachdem es ihn nach Aachen verschlagen hatte. Den Feinschliff erhielt jedoch auch er bei der Borussia.

Marko Marin war erst 19, als er letzten Mai gegen Weißrussland sein Debüt feierte. Und Marvin Compper vervollständigte das Quartett beim letzten Länderspiel gegen England. Doch auch er erlebte seine Premiere mit dem Adler auf der Brust nicht als Spieler von Borussia Mönchengladbach. Für 100.000 Euro hatte man ihn im Januar 2008 nach Hoffenheim verschenkt. Die Chancen stehen zudem nicht schlecht, dass aus der Viererbande in absehbarer Zeit ein Quintett wird: Eugen Polanski verließ Gladbach vor dieser Saison ablösefrei in Richtung Getafe. Dort ist er mittlerweile Stammspieler und rechtfertigt langsam aber sicher die Vorschusslorbeeren der Vergangenheit. Sogar von den spanischen Medien wird er in höchsten Tönen gelobt – und die sind ansonsten beileibe nicht zimperlich.

Sätze wie „Dat kricht unsere U23 ja noch besser hin“ zeugen demnach nicht ausschließlich von purer Verzweiflung, wenn sie alle zwei Wochen durch den Borussia-Park gebrüllt werden. Dahinter steckt vielmehr ein veritabler Vorschlag zur sportlichen Umorientierung. Wäre der gesamte Verein sportlich so intakt wie die Nachwuchs- und Scoutingabteilung, hätte die Borussia ganz andere Sorgen. Es ginge nicht darum, die Klasse zu halten. Am Niederrhein würde man stattdessen wieder von legendären Europacup-Nächten träumen.

Doch der letzte Auftritt auf internationalem Parkett liegt inzwischen mehr als zwölf Jahre zurück. Kaum zu glauben, dass der VfL damals in der ersten Runde Arsenal London ausschaltete – und beeindruckend, wie sich das Kräfteverhältnis innerhalb von einem guten Jahrzehnt verschieben kann. Arsenal gehört zu den besten und renommiertesten Klubs der Welt. In Gladbach erinnern höchstens noch ein paar übergroße Aufnahmen in den Katakomben an derart ruhmreiche Zeiten voller Titel und Triumphe.

Zweimal war die Borussia dem international Geschäft in den letzten Jahren vergleichsweise nahe. 2001 zog man im DFB-Pokalhalbfinale den Kürzeren gegen Drittligist Union Berlin. Drei Jahre später hieß die Endstation ebenfalls in der Vorschlussrunde Alemannia Aachen. In beiden Fällen hätte der Finaleinzug zur Teilnahme am UEFA-Cup genügt. Seitdem ist man nicht einmal mehr über die zweite Runde hinausgekommen. Der Borussia-Park feiert im Sommer seinen fünften Geburtstag und wünscht sich zum kleinen Jubiläum sehnlichst das erste Pokalspiel seiner Existenz. Die ernüchternde Gegenwart verleitet zu dem schnellen und freilich nicht ganz ernst gemeinten Schluss, dass es 2010 definitiv so weit sein könnte: Bekanntlich genießen Drittligisten stets Heimrecht.

Hinter der Borussia liegt die zweitschlechteste Hinserie der Vereinsgeschichte. Allein das schwache Niveau aller Abstiegskandidaten nährt die Hoffnung auf den Klassenerhalt. Viermal hat der Verein auf dem Transfermarkt zugeschlagen. Ein 36-jähriger Tscheche, ein Kanadier vom Abstellgleis, ein Brasilianer, der sich gleich einmal verletzte, und ein ambitionierter Paradiesvogel aus Belgien sollen den Unterschied machen und am besten doppelt so viele Zähler holen wie in den ersten 17 Partien. 33 Punkte – das dürfte diesmal reichen.


In Teil 2: Von Advocaats Lieblingen und deutschem Gebäck -
die Spielzeiten 04/05, 05/06 und die Rückkehr von Jupp Heynckes

7 Kommentare:

  1. Es ist unglaublich wie der Verein mit dem Geld seiner Fans und Mitglieder umgeht. Ich habe den Kauf von Fanartikeln eingestellt und bin in diesem Jahr aus dem Verein ausgetreten. Die Mannschaft werde ich bei Auswärtsspielen weiterhin unterstützen aber solange der SonnenKönigs da noch regiert bekommt der Verein keinen Cent mehr von mir!

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  2. Ich verstehe diejenigen nicht die den Königs immer noch mit dem Argument verteidigen dass der doch son toller Geschäftsmann ist. Hat unser neues Stadion ja auch richtig gut vermarktet. Dan sollen die ihm einen Posten im Mangement geben aber auf seiner derzeitigen Position ist der doch völlig untauglich. BERTI FOR PRESIDENT!!!

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  3. Sehr guter und bezeichnender Artikel! Das Geschriebene entspricht exakt meiner Wahrnehmung.

    Es fehlt m.E. lediglich der eindeutige Hinweis darauf, dass sämtliche neu geschaffenen finanziellen Möglichkeiten, die direkt oder indirekt mit dem Stadionneubau verbunden waren, letztendlich wirkungslos verpufft sind!

    Wo stehen oder ständen wir ohne die Transfers von Jansen und zukünftig Marin?

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  4. SUPER - ARTIKEL.

    Bin selber Sponsor und erinnere mich noch an die Worthülsen vor dem letzten Abstieg - mit Pander, Heynckes, Schippers und Königs. Es war auf der alljährlichen Reise der Sponsoren zum Trainingslager bei einem "Kamingespräch" wo man noch fest daran glaubte evtl. international zu spielen. Dort wurde über die Vermarktung des Stadions gesprochen. Der Namensgeber sollte gefälligst das zahlen was Glaadbach fordert und wenn es geht sollte der auch noch die Farben haben. Alles sehr löblich , aber in dieser Zeit wurden M/M 15 Millionen verschenkt , mit denen man gute Spieler hätte halten können. Das zu der tollen wirtschaftlichen Kompetenz.
    Natürlich soll man nicht jede Aktion schlecht machen, aber ich als Zugereister aus dem Norden habe mein Herz für Borusssia entdeckt und finde es einfach niederschmetternd, dass hier der Mythos systematisch in Grund und Boden getreten wird. Wenn die Entwicklung so anhält, dann ist Gladbach kaputt und es bleiben nur noch die Erinnerungen.

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  5. Ich sag' nur: "Marke" Borussia und "Ein Team"...

    Hätte eigentlich auch noch reingehört. Zu der Zeit, als er nicht aufhören konnte, von der "Marke Borussia" zu reden, hat er ja auch schon einiges an Kredit verspielt...

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  6. Will da eigentlich nicht mehr viel zu sagen!
    Nur soviel!!
    Ich bin seit über 45 Jahren großer Fan von Borussia Mönchengladbach und kann nur immer und immer wieder mit dem Kopf schütteln warum so ein Traditions Club es einfach nicht schafft eine wirklich gute Manschaft aufzustellen.
    Und warum kann man denn nicht solche Leute wie Netzter, Heynkes,Effenberg, Vogts mit in diesen Club einbinden so wie es bei Bayern oder Werder gemacht wird.
    Aber die könnten ja die Führungsetage kretisieren und das würde denen da oben wohl dann doch nicht passen!!
    Dann lieber wieder runter in die zweite Liga Ja?
    Wie oft bin ich schon nach Gladbach gefahren mal eben 400 KM aber was macht man nicht alles für seinen Verein trotz teilweise Katastrophaler Spiele!
    Aber falls Gladbach wieder runter geht dann werde ich diesen Verein nicht mehr Unterstützen das steht wohl fest, denn dann habe auch ich irgendwann keine Lust meht!!

    Tolles Stadion auch für die zweite Liga na denn....

    Rainer aus Damme

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  7. Ich finde es immerwieder unglaublich aus welchen Teilen Deutschlands, Fans nach Gladbach kommen. Und wofür? Wenn überhaupt gibt es eine Handvoll Spieler die sich mit dem Verein identifizieren. Hinzu kommen noch die Einkäufe eines 36 und 33 Jährigen. Gleichzeitig wird ein neuer Torhüter verpflichtet und ein Gospodarek ausgebootet!!!Wenn es jemanden gibt, der diese Einkauf- und Verkaufpolitik versteht, soll er es bitte verständlich erklären! Dafür gibt es nämlich keine Erklärung. Es gibt einige Ex- oder Altborussen die zu verstehen gegeben haben, als beratende Person zu fungieren. Und was hat man Ihnen entgegen gebracht, eine Arschtritt!!!! Es ist unglaublich was dort in den oberen Etagen abgeht und es tut jedes Wochenende weh zu sehen, wie so ein glorreicher Verein den Bach runtergeht. Es hat sich ein Geschwür festgesetzt und dieses Geschwür muss entfernt werden. Es gibt immer Wege und Lösungen, man muss diese nur Warnehmen...

    YOU`LL NEVER WALK ALONE!!!!

    Gruß aus Viersen

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