Sonntag, 1. Februar 2009

Des Königs' neue Spieler (3)

Zwischen Himmel und Hölle - eine Wendung, die die vergangenen zwei Spielzeiten der Borussia treffend umschreibt. Erst der Abstieg 2007, dann der sofortige Wiederaufstieg, ein versöhnliches Ende des unliebsamen Intermezzos im Unterhaus. Zwei Trainer, zwei Sportdirektoren waren in zwei Jahren am Werk - aber weiterhin nur ein Präsident, dessen Amtszeit in einer "Nacht- und Nebelaktion" verlängert wurde.
Eine Zeitreise in vier Akten - Teil 3.

„Spitzenreiter, Spitzenreiter! Hey, hey!“. Es ist der Auftakt zum fünften Spieltag der Saison 2006/2007, ein lauer Freitagabend im Borussia-Park, als Gladbachs Anhänger zum wohl letzten Mal in jener Spielzeit (positiv) in Wallung geraten. Ihre Mannschaft hat gerade die Namenscousine aus Dortmund mit 1:0 nach Hause geschickt. Der dritte Heimsieg in Serie, der dritte ohne Gegentor. Den Siegtreffer hat ein gewisser Carlos Eduardo Kahê erzielt, dem an diesem Abend – wohl ebenfalls zum letzten Mal in jener Spielzeit – die Sprechchöre der Nordkurve gebühren.

Für neunzehn Stunden weilte der VfL damals an der Tabellenspitze. Zuletzt hatte es das in der Bundesliga sieben Jahre zuvor gegeben, was die Abergläubligen der Abergläubigen sofort wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Denn am Ende jener Saison stand der erste Abstieg der Borussia aus der Bundesliga. Dass Geschichte sich nur allzu gerne wiederholt, davon wollte am 22. September 2006 um 22:19 Uhr jedoch (noch) niemand etwas wissen.

Auch das vierte Heimspiel entschied die Borussia wenig später für sich. Gegen den VfL Wolfsburg lag sie dabei erstmals im eigenen Stadion zurück. Doch Kluge, Neuville und Degen drehten das Spiel. Mit vier Siegen (zuhause) und drei Niederlagen (auswärts) stand Gladbach nach dem siebten Spieltag auf Rang fünf – mit 12 Punkten und nur einem Zähler Rückstand zur Tabellenspitze.

Trotz des glänzenden Saisonstarts – zumindest rein punktetechnisch – mehrten sich jedoch schon die kritischen Stimmen, die der Borussia bis dahin wenig überzeugende Leistungen und eine gehörige Portion Glück bescheinigten. Zudem legte die chronische Auswärtsschwäche die Stirn der Niederrheiner in Sorgenfalten. Und die vermeintlichen Nörgler sollten schon bald Recht behalten: Die nächsten fünf Spiele nach dem Wolfsburg-Dreier gingen allesamt verloren. Darunter das peinliche Pokalaus beim Regionalligisten aus Osnabrück und zwei Heimpleiten gegen Leverkusen und Schalke, die deutlich machten, dass Cottbus, Bielefeld, Dortmund und Wolfsburg (die ersten vier Heimgegner) schlichtweg nicht von großem Kaliber gewesen waren.

Und so ging es als Tabellenvierzehnter in die letzten sechs Spiele der Hinrunde. Mittlerweile deuteten sich bereits eine Vorliebe für 0:1- oder 0:2-Niederlagen und eine eklatante Offensivschwäche an. Dementsprechend holte die Borussia bis zur Winterpause noch ganze drei Pünktchen – alle per 1:1-Remis – und erzielte dabei nicht mehr als drei Tore. Die Konsequenz: Weihnachten auf einem Abstiegsplatz und ein brennender Baum am Niederrhein.

Dreiundzwanzig Gegentore zeugten dabei nicht gerade von einer Schießbude. Die wirklichen Probleme wurden im Angriff, im Kopf und im Mannschaftsgefüge deutlich. Ein Rückstand bedeutete von nun an das sichere Ende der Siegesambitionen. Die Mannschaft kriegte schlichtweg nicht mehr die Kurve im Abstiegskampf, war unfähig sich aufzurappeln und dem drohenden Untergang etwas entgegenzusetzen.

Den Tiefpunkt stellte ironischerweise kein 0:6- Debakel dar, sondern ein torloses Remis gegen den 1. FC Nürnberg Ende Januar 2007. Jupp Heynckes hatte in der Winterpause mit Jos Luhukay, früher beim KFC Uerdingen und beim 1. FC Köln tätig, einen neuen Assistenten ins Boot geholt. Dazu kamen drei neue Spieler: Alexander Baumjohann – „für die Zukunft“, Steve Gohouri – kantiger Schwarzafrikaner mit Erfahrungen im deutschsprachigen Raum, Mikkel Thygesen – Offensivtalent vom FC Midtjylland aus Dänemark, der unter anderem Mohamed Zidan hervorbrachte.

Wie so oft passte sich das Trio der gesamten Transferbilanz der Ära Königs an und steht heute als aussagekräftige Stichprobe aus bislang 53 Neuzugängen da: Thygesen lief fünfmal für die Borussia auf und kehrte nach einem halben Jahr zurück in die Heimat. Steve Gohouri etablierte sich einigermaßen, wurde jedoch bis heute häufig von Verletzungen geplagt und sorgte vermehrt abseits des Platzes für Schlagzeilen. Baumjohann packte den Durchbruch in anderthalb Jahren nicht, stand bereits auf dem Abstellgleis und schlug von jetzt auf gleich ein wie ein Meteorit in der Eifel – mit Tor des Monats und neuem Vertrag bei den Bayern.

Doch zurück zum besagten Spiel gegen Nürnberg. Der „Kicker“ ist als bisweilen gnadenloser Richter bekannt, wenn es um die Bewertung von Spielern, Spielen und Schiedsrichtern geht. Bei der Note 5,5 für die Partie der Borussia gegen den Club zeigte man sich jedoch vergleichsweise gnädig. Es war der fleischgewordene Grottenkick – bei eisigen Temperaturen, an einem Dienstagabend, vor der Minuskulisse von nur 33000 Zuschauern. Selbst Schiedsrichter Babak Rafati erwischte einen gebrauchten Tag und war mit einer eigentlich erschreckend harm- und konfliktlosen Partie restlos überfordert. Bester Spieler des Spiels: Nürnbergs Nikl. Note: Drei. Chancenverhältnis: 1:1 – mit viel Wohlwollen.

Am nächsten Morgen war Jupp Heynckes dann seinen Job los. Entlassen, zurückgetreten (worden)? Dogfood brachte es damals bei Allesaussersport „auf den Punkt“: „Jupp Heynckes entlassen, nicht entlassen, geht, wird gegangen, ist nicht gegangen worden, wird zurückgetreten worden sein dürfen, oder so.“

Einmal mehr machte sich der Verein lächerlich und war dem Boulevard ein gefundenes Fressen. Kopflos ging es in die Pressekonferenz, um dort die ominösen „persönlichen Gründe“ des (Ex-)Trainers in den Vordergrund zu rücken, Mitleid zu heucheln und den angeblichen Zusammenhalt zu beschwören. Egal wer den ersten Schritt bei der Trennung machte, egal ob Verein oder Trainer: Der Zeitpunkt war ein denkbar ungünstiger. Schließlich war man nach zwei Rückrundenspielen nicht wirklich schlauer als vor Weihnachten und hatte zudem eine ganze Vorbereitung samt Testspielen und Trainingslager geradezu verplempert.

Der Kurzzeit-Co Jos Luhukay setzte also zum Kopfsprung ins kalte Wasser an. Prompt gab es beim 2:0 in Bielefeld den ersten Auswärtssieg der Saison. Zum ersten Mal seit dreizehn Spielen traf die Borussia zudem mehr als einmal. Hoffnungsträger und Identifikationsfigur Marcell Jansen war nach langer Verletzungspause zurückgekehrt. Eine Woche lang schien die Welt wieder in Ordnung, der Eisberg in letzter Sekunde umkurvt.

Die Borussia blieb zumindest vorerst auf Tuchfühlung zu den Nichtabstiegsrängen, der Rückstand betrug selten mehr als drei Punkte. Anfang März musste Sportdirektor Peter Pander trotzdem gehen und die Konsequenzen aus seiner verkorksten Personalpolitik ziehen. Siebzehn Neueinkäufe fielen in seine Amtszeit, Ausgaben von mehr als 12 Millionen Euro. Größtenteils in den Wind geschossen. Management-Neuling Christian Ziege übernahm. Das erste Spiel unter seiner sportlichen „Leitung“ wurde gleich gewonnen. Das 3:1 gegen die Hertha am 25. Spieltag sollte dennoch Gladbachs letzter Sieg der Saison gewesen sein.

Der Eisberg tauchte also erneut auf. Diesmal ein Frontalzusammenstoß, der endgültige Untergang. Fünf der folgenden sechs Spiele gingen verloren, vier davon mit 0:1. Nach der 0:1-Niederlage gegen Stuttgart und einen Tag, bevor der Niedergang ins Unterhaus Gewissheit wurde, bestätigte der Aufsichtsrat den Präsidenten in seinem Amt – in einer „Nacht- und Nebelaktion“, wie die Rheinische Post titelte. Königs hatte zuvor mit Rücktrittsgedanken gespielt. Es blieb bei einem Spiel. Die Mitglieder mussten dazu nicht einmal befragt werden. Jener Satzungsänderung hatten sie einst selbst zugestimmt und damit viel Entscheidungsgewalt aus der Hand gegeben. Am darauffolgenden Tag besiegelte Bielefeld, das gegen Titelaspirant Bremen gewann, wie gesagt den endgültigen Abstieg. Und fast hätte es keiner bemerkt.

Bis zum Saisonende knüpfte die Borussia den Bayern noch zum zweiten Mal in dieser Saison einen Punkt ab. Mit 26 Punkten und 23:44 Toren ging es als Schlusslicht in die Zweite Liga. Nur Tasmania Berlin stieg mit weniger erzielten Treffern ab. Kein Absteiger der Bundesligahistorie kassierte weniger Gegentore als Gladbach in der Saison 06/07.

Mit Jos Luhukay, dem der Verein früh das Vertrauen ausgesprochen hatte, ging es hinein ins Projekt Wiederaufstieg – zumindest lautete so langfristig die Zielsetzung. Denn an eine baldige Rückkehr der Borussia in die Bundesliga glaubten sowohl am Niederrhein als auch im Rest des Landes nur die wenigsten. Gladbachs Saisonstart im Unterhaus war gleich einmal Wasser auf den Mühlen der unkenden Kritiker. Nur zwei Zähler aus den ersten drei Spielen und ein Offenbarungseid beim 1:4 in Mainz sägten bereits Ende August an Luhukays Stuhl. Ausnahmsweise war es allein der Verein, der hier die Ruhe behielt.

Sportdirektor Ziege und Luhukay selbst vertrauten der Mannschaft offenkundig voll und ganz, die sie im Sommer gemeinsam zusammengestellt hatten. Sieben der elf Neuzugänge waren aus deutschen Ligen gekommen. Der Rest – bis auf den Israeli Colautti – aus unmittelbaren Nachbarligen wie der Ehrendivision oder der Ligue 1. Gut fünf Millionen Euro wurden dafür locker gemacht. Kein Problem für den Zweitligisten, da Marcell Jansen die Rekordsumme von zwölf Millionen in die Vereinskasse gespült hatte.

Und tatsächlich: Schon in den folgenden Woche wurde die Geduld mehr als belohnt. Gladbach gewann von nun an sechsmal am Stück und grüßte nach dem neunten Spieltag und einem furiosen 5:0 in Koblenz plötzlich von der Tabellenspitze. Marcel Ndjeng wirbelte als bester Vorbereiter der Liga mächtig Staub auf. Rob Friend traf am laufenden Band, genau wie Oliver Neuville, mittlerweile dienstältester Borusse. Dazu gesellte sich mit Patrick Paauwe ein unentbehrlicher Ruhepol vor der Abwehr. Sascha Rösler kurbelte mit seinem Temperament das Angriffsspiel an, das zudem in Marko Marin eine Lebensversicherung in spe besaß.

Das Leid der vergangenen Jahre war von jetzt auf gleich passé. Die Zweite Liga entwickelte sich für die Anhänger der Borussia wie ein selbstgestrickter Schal, den man von Oma zu Weihnachten bekommt: Erst kritisch begutachtet, aus Mangel an Alternativen höflich angenommen und letzten Endes überraschend schnell ins Herz geschlossen. Als Herbstmeister ging es in die Winterpause. Seit Jahren gab es am Niederrhein aus fußballerischer Sicht wirklich wieder etwas zu feiern.

Nach einem kleinen Luftloch mit vier sieglosen Spielen nach der Winterpause zeigte die Formkurve kurz darauf wieder nach oben – mit Kurs auf die Bundesliga. Als die Borussia Ende März sogar begann, die Spiele in unnachahmlicher Bayern-Manier durch ein Eigentor in letzter Sekunde zu gewinnen, flogen die letzten Zweifel peu à peu von dannen. Eine Galavorstellung gegen Fürth und ein 7:1 in Offenbach stellten die Weichen auf Aufstieg. Das 3:0 gegen Wehen an einem sonnigen Maiabend unter der Woche besiegelte dann endgültig die Rückkehr ins Oberhaus – nach einem einjährigen Abenteuer, das sich vom unliebsamen Zwischenhalt zur wohltuenden Kur der geschundenen Borussenseele gewandelt hatte.

Teil 1
Teil 2

In Teil 4: Die Ankunft in der Gegenwart, ein Ausblick in die Zukunft und jede Menge Zahlen aus der Vergangenheit

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