Sonntag, 10. Februar 2008

Fohlengeflüster (14): Waschtag

Trotz der weiterhin bestehenden Tabellenführung fällt das Gezeter über die Niederlage in Hoffenheim nicht allzu schwer. Zu lethargisch, lächerlich, leider wahr – eine sagenhafte Serie ist beendet. Dabei sah es lange Zeit ganz anders aus.

Fußballer können Menschen sein, die unser Leben mit einem einzigen Schuss auf den emotionalen Olymp befördern, die uns die schönsten Stunden unseren Lebens bereiten und für 90 Minuten den Eindruck erwecken, es gebe kein Leid auf dieser Erde. Aber gleichzeitig sind Fußballer auch in der Lage, uns durch ihr pomadiges, überhebliches und einfach nur dummes Gespiele so auf die Palme zu bringen, dass man sich emotional an den Rand des Zumutbaren begibt und mehr denn je davon träumt, einmal persönlich die Kabinenpredigt halten zu dürfen. Die Borussia hat uns in dieser Saison, dem hoffentlich nur einjährigen Abenteuer Unterhaus, mehrheitlich mit dem ersten Verhaltensschema beglückt. Doch die Partie in Hoffenheim hat mehr als ansatzweise angedeutet, dass der VfL durchaus in der Lage ist, all das an den verbleibenden 15 Spieltagen noch zunichte zu machen.

Im Dietmar-Hopp-Stadion zu Hoffenheim sind 45 Minuten absolviert und die Borussia führt mit 2:0, ohne den genauen Grund dafür zu kennen. Diese innere Zufriedenheit gepaart mit leichter Konfusion zur Pause kenne ich eigentlich zu Genüge – aus St.Pauli, aus Koblenz, aus Fürth, aus Freiburg. Und auch heute will ich nicht so recht daran glauben, dass sich an dieser Zufriedenheit bis zum Ende des Spiels noch etwas ändern soll. Dabei zaubert die Borussia im ersten Durchgang eine Leistung auf den Platz, der aufgrund der umgebenden Miniaturtribünen wie ein Kleinfeld wirkt, die man bis auf zwei Szenen besser aus dem Gedächtnis löschen sollte. Hoffenheim tritt von der ersten Minute an mit mehr Biss auf, steht hinten gut und erarbeitet sich auf der anderen Seite Torchancen.

Nach gut zwanzig Minuten versucht es Polanski, für den gesperrten Leitwolf Rösler in der Startelf, aus der Distanz. Von der Strafraumgrenze will Rob Friend den abgeblockten Ball ins Tor schlenzen, doch sein sehenswerter Versuch wird von Özcan zur Ecke abgewehrt. Und die stellt das Spielgeschehen mal eben auf den Kopf. Paauwe schießt Kleine an, der den Ball nach einer brasilianisch anmutenden Pirouette im Hoffenheimer Gehäuse versenkt. Die Borussia ist in Front und muss sich zu diesem Zeitpunkt ernsthaft fragen, wie das nur passieren konnte.

Fünf Minuten vor dem Seitenwechsel lupft Marin den Ball von links gefühlvoll in den Sechzehner. Es ist Gladbachs zweite nennenswerte Offensivaktion. Der freistehende Coulibaly wird von „Rambo“ Özcan einfach umgerannt. Allem Anschein nach wollte Hoffenheims Keeper seinen Spitznamen einmal pantomimisch darstellen. Diese Einlage belohnt Schiedsrichter Wingenbach mit einem Strafstoß für Gladbach. Oliver Neuville – am fünften Spieltag hatte er den bisher einzigen Elfer der Saison verschossen – nimmt Maß und schiebt lässig ein zum 2:0. Und so schlendern elf Borussen zur Halbzeit mit der beschriebenen inneren Zufriedenheit in die Kabine.

Nur zu gerne würde ich wissen, was Jos Luhukay seinen Jungs in der folgenden Viertelstunde mit auf den Weg gegeben hat. Entweder hat er nachgefragt, wie viele Familienmitglieder jeder Spieler gerne zum Aufstiegsbankett mitbringen möchte, oder er hat seiner Truppe von einem verheerenden Erdbeben in Pakistan erzählt, das er sich ausgedacht hat, um die Spieler aus der Fassung zu bringen. Anders kann es unmöglich gewesen sein, so selbstsicher und verängstigt gibt der Tabellenführer das Spiel in der zweiten Hälfte aus der Hand. Der eingewechselte Copado bringt für seine Hoffenheimer viel Wind ins Spiel und die Gladbacher Defensive schnell das ein oder andere Mal in die Bredouille. Als ein abgefälschter Freistoß von Selim Teber im Winkel einschlägt, glaube ich noch an einen Ausrutscher. Als Copado aus ähnlicher Position ins besagte Dreieck trifft, glaube ich daran, dass die Borussia sich auf bestem Weg befindet, hier gewaltig auszurutschen.

Nur drei Minuten nach dem Ausgleich sind alle Träume von einem beruhigenden Abstand auf Platz vier endgültig verflogen und der Angst vor der ersten Punktspielniederlage seit 170 Tagen gewichen. Copado setzt eine Flanke von Teber erst mit dem Kopf an den Pfosten, dann nutzt er die Schläfrigkeit der Borussen beim Abpraller und verwertet denselbigen zur Führung für den Aufsteiger. Sekunden zuvor hatte Jos Luhukay mit Sebastian Schachten einen frischen Mann gebracht, dessen erste Amtshandlung darin bestand, das 3:2 nicht verhindern zu können. Gladbachs einziger Spieler, der wenigstens einen Hauch von Entschlossenheit und Aggressivität versprühte, hatte das Feld geräumt – Eugen Polanski.

In den folgenden Minuten wird genau dieses Problem sichtbar. Der Tabellenführer ist nicht annähernd in der Lage, das Ruder herumzureißen. Die eigene Lethargie wird zum unüberwindbaren Hindernis. Sieben Minuten vor Schluss erzielt der eingewechselte Rafael zwar irgendwie den Ausgleich, doch ihm bleibt die Anerkennung versagt. Bei der Hereingabe von Voigt stehen erst drei Mann im Abseits, dann verlängert ein Gegner den Ball, was den Linienrichter fälschlicherweise dazu bewegt, seine Fahne zu heben. Und somit ist die Entscheidung zwar in diesem Fall nicht korrekt, dafür hätte der Pfiff bereits vorher erfolgen müssen. Irgendwie also nicht so unkorrekt.

Zwei Minuten vor dem Ende macht Obasi den Sack zu. Gladbach kassiert zum zweiten Mal in dieser Saison vier Tore und damit ebenfalls die zweite Niederlage. Es scheint ein statistischer Zusammenhang zwischen der Anzahl der Gegentore und dem Spielausgang zu bestehen.
Gladbacher Fans zerlegen vor Wut ein Fangnetz in seine Einzelteile. So Leid es mir tut und so sehr ich Ausschreitungen verabscheue: Es war wahrhaftig eine Leistung zum randalieren. Mehr als 3272 Fans mit der Raute im Herzen waren in das kleine Dorf gepilgert, das eben jene 3272 Einwohner zählt. Viele davon nahmen stundenlange Strapazen in Bus, Bahn und Auto auf sich und mal wieder stellt sich die Frage, ob die Elf auf dem Platz das überhaupt (zu schätzen) weiß.

Der Kampf um den Aufstieg würde kein Selbstläufer werden, daran hatte niemand gezweifelt. Jede Chance, dass es entgegen aller Erwartungen doch zum Selbstläufer kommen könnte, merzt die Borussia mit derartigen Auftritten vollends aus. Nicht aus realitätsverkennendem Optimismus, sondern aufgrund einer eindeutigen Sachlage bleibt dennoch etwas Positives festzuhalten: Rein tabellarisch hat sich die Lage nicht unbedingt verschlechtert, da Mainz, Freiburg und Co. anscheinend selbst nicht zu sehr am Aufstieg interessiert sind. Der Schuss vor den Bug hat letzten Freitag wohl seine Wirkung verfehlt. Vielleicht muss das Schiff erst mit dem berüchtigten Eisberg kollidieren, um das Team aufzuwecken, welches eigentlich nur 365 Übernachtungen im Gasthaus „Zweite Liga“ gebucht hat.

PS: Morgen ist Waschtag. Trikot „grün“ und Trikot „weiß“ zeigen sich nach beinahe halbjähriger Waschmaschinen-Abstinenz hocherfreut und werden trotz der enttäuschenden Niederlage heute am nächsten Montag beim Heimspiel gegen Mainz wieder mit Stolz getragen.

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