Freitag, 7. März 2008

Die Macht des Augenblicks

Ein einziger Moment kann im Fußball häufig über sportliches Leben oder Tod, über Glück oder Unglück, und über die Rolle als Held oder Sündenbock entscheiden. Frank Mill kann bekanntlich ein Lied davon singen. Portos Tarik Sektioui wird den Ex-Borussen sicherlich in absehbarer Zukunft um psychologischen Beistand bitten.

Wer seine berufliche Laufbahn voll und ganz dem Fußball verschrieben hat und sein Geld mit dem Toreschießen bzw. –verhindern verdient, muss stets der Gefahr ins Gesicht blicken, dass seine Karriere durch eine einzige Szene, ein einziges Spiel oder zumindest ein einziges Turnier eine dauerhafte Prägung erfährt, die bis an sein Lebensende nur unmerklich verblassen wird.

Hätten die Macher von „Familienduell“ einmal 100 Leute nach den Errungenschaften von Frank Mill gefragt, sein legendäres Nicht-Tor im Olympiastadion im BVB-Dress hätte mit überwältigender Mehrheit den Status der „Top-Antwort“ erlangt. Seine durchaus nennenswerten und beachtlichen 123 Bundesliga-Tore wären irgendwo meilenweit dahinter auf der großen LED-Tafel im RTL-Studio aufgetaucht. Noch heute wird er zuerst gefragt, wie das noch mal war, damals in München, bevor ihm die Leute überhaupt „Guten Tag“ sagen.

Und so befiehlt mir mein Gewissen geradezu, einmal die Seiten zu wechseln, was die Perspektive bei der Nachberichterstattung zum „größten Erfolg der Schalker Vereinsgeschichte“ (O-Ton F.v.T.u.T.) angeht. Dass Manuel Neuers lebensrettende Parade gegen den Marokkaner Tarik Sektioui einen Meter vor der Torlinie das Prädikat „atemberaubende Weltklasse“ verdient, daran besteht keinerlei Zweifel. Und zwei Tage danach gilt es nun auch wieder nach vorne zu blicken, nachdem diese Tat in den letzten 40 Stunden – verdienterweise – unentwegt gelobt worden ist. Ebenso wenig dürfte jemand daran Zweifeln – womit wir jetzt einmal die Bundesliga-Brille ausziehen –, dass jener Tarik Sektioui noch lange an dieser Szene zu arbeiten haben wird.

Sein starrer Blick, das fassungslose, fast rhythmische Kopfschütteln, seine Tränen gefüllten Augen – all das bleibt als krasses Kontrastbild zu ausgelassen jubelnden Schalkern in Erinnerung. Und auch der 30-jährigre Angreifer wird sich ein Leben lang der spätestens in drei Monaten lästigen Frage stellen müssen: „Wie war das noch mal, damals im Achtelfinale gegen Schalke?“.

Doch auch auf Seiten der Königsblauen, die über weite Strecken armseligen Fußball geboten haben, gebührt einem der Protagonisten großes Mitgefühl: Mirko Slomka, seines Zeichens Trainer auf Zeit. Wer um ihn herumstand, als Manuel Neuer den entscheidenden Elfer parierte und Jermaine Jones anschließend den Sack zumachte, klagt noch heute, zwei Tage danach, über höllische Fußschmerzen, so schwer war die Last, die in diesem Monat von Slomkas Schultern abgefallen ist. Ironischerweise fiel er kurz darauf genau denen um den Hals, die gespielt hatten, als wollten sie persönlich das berufliche Todesurteil ihres Coaches ausstellen, bis auf Neuer natürlich. Präsident Schnusenberg, wie scheinbar alle Vereinsvorsitzenden dieser Welt adipös, machtsüchtig und mit einem komischen Namen versehen, hatte sich zu dieser Zeit längst von der Ehrentribüne in die Katakomben verkrümelt. Soll man das feige nennen?

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