Auch wenn der letzten Endes souveräne Auftritt der Borussia die geplagten Nerven kaum strapaziert hat, ging der Freitagabend im Borussia-Park erneut nicht ohne Schweißperlen auf der Stirn über die Bühne. Doch diesmal traf die Schuld weder Heimeroth, noch den Schiedsrichter, noch Emma.
Endlich ertönt der erlösende Pfiff meines Sportlehrers. Das neongelbe Leibchen drücke ich ihm schnell in die Hand und konstatiere, dass die letzte Freitagssportstunde meines Lebens seit vier Sekunden der Vergangenheit angehört. Nass geschwitzt wie ein Dachdecker im Hochsommer stürme ich in die Kabine und krame meine Stadionmontur aus dem Rucksack. Die Uhr zeigt 17:15 Uhr, noch eine ganze Halbzeit bis zum Anpfiff. Notdürftig wische ich mir den Schweiß vom Körper. Rollkragenpullover, Sweatshirt, Jacke an, die grün-weiße Trikotkombination darüber und los geht’s.
Schnell mit meinen Freunden Christopher und Nils im Schlepptau auf die Autobahn, die trotz Berufs- und Stadionverkehr relativ verwaist vor uns auftaucht. Erleichtert stellen wir fest, dass Verkehr und Zeit uns heute gut gesinnt erscheinen. Der Wind pfeift durch die Ritzen meines roten Opel Corsa, der beinahe mehr Jahre auf dem Buckel hat als Marko Marin und dementsprechend mich selbst altersmäßig auch kaum unterbietet. Der schwarz-grüne Schal, den wir im Fenster eingeklemmt haben, weht mit stolz geschwellter Brust im Fahrtwind und poliert auf gleichem Wege die rechte Wagenseite.
Gut zwanzig Minuten vor Anpfiff erreichen wir den Borussia-Park. Zum ersten Mal mache ich mit den mehrspurigen Straßen auf dem Weg zu einem der weitläufigen Parkplätze Bekanntschaft, die sich wie die Geraden von Monza durch das Areal schlängeln. Zum ersten Mal in 37 Partien, die ich im neuen Stadion erlebt habe, fahre ich mit dem Auto und nicht mit einem der Shuttle-Busse vor. Wer auch anders, als der verzerrte Zweitliga-Spielplan sollte für dieses Premierenerlebnis verantwortlich sein? Guter Dinge treten wir durch die Eingangsschranke und verteilen uns nach kurzer Tippabgabe in alle Richtungen.
Nach einem kalten Becher Wasser, um meinen Flüssigkeitshaushalt wieder ins lebensfähige Sphären zu befördern, nehme ich die Stufen hoch zu Block 17A in Angriff. Als ich den ersten Blick ins weite Rund werfe, dröhnt aus den Lautsprechern „When you were young“ von den „Killers“. Dasselbe denke ich mir auch und lasse meinen Blick erst einmal mit den Ellbogen auf dem Geländer geruhsam einen Moment schweifen. Seit Ende November, seit dem Spiel gegen Offenbach, habe ich dieses Stadion nicht mehr glücklich und zufrieden verlassen, sondern stets mit einer Mixtur aus Wut, Enttäuschung und Frust im Magen. Das musste sich heute grundlegend ändern.
Jos Luhukay stimmt mir in dieser Hinsicht vollkommen zu, zumindest erweckt seine Aufstellung den Anschein. Voigt und Levels müssen Daems und Bögelund auf den Außenbahnen der Viererkette weichen. Letzterer steht zum ersten Mal seit der Niederlage in Mainz letzten August in der Startelf. Danach hatte er Tobias Levels weichen müssen, mit dem die Borussia 15 Partien in Folge ungeschlagen blieb, womit sich der 21-jährige jedoch kaum alleine rühmen darf. Nach einer Hand voll Spiele ohne Dreier ist es Zeit für eine neue Serie, einen frischen Aufschwung, einen Ruck, der den VfL hoffentlich zurück in die Bundesliga trägt.
In den ersten Minuten brennt die Borussia keineswegs ein Feuerwerk ab, lässt aber dennoch keine Zweifel im Raum stehen, wer hier Herr im Haus ist. Aue, das schwächste Auswärtsteam der Liga, bemüht sich zunächst, die Null möglichst lange auf der Anzeigetafel stehen zu lassen, die heute wieder einwandfrei funktioniert. Nach ein paar Minuten sorgt sie im Gegensatz zum Geschehen auf dem Platz fürs erste Raunen im mit 33.000 Zuschauern besetzten Borussia-Park. Köln führt nach einer Viertelstunde bereits mit 2:0 im Fürth.
Die Jungs von Jos Luhukay stürmen in Hälfte eins auf die Nordkurve, während Sturmtief „Emma“ samt Regenguss langsam aber sich aus allen Löchern pfeift. Rob Friend, nach seinem Doppelpack in Osnabrück eindrucksvoll wieder erstarkt, macht noch am meisten auf sich aufmerksam. Erst entscheidet er sich nach einer Flanke vom Marin fälschlicherweise für den Fuß und nicht für den Kopf. Dann vergibt er nach einer knappen halben Stunde aus spitzem Winkel die erste richtig gute Einschussmöglichkeit.
Gegen tief stehende Erzgebirgler sticht eines der offensichtlichten Gladbacher Defizite erneut ins Auge. Wenn der Gegner nur darauf bedacht ist, bloß nicht das erste Tor zu kassieren, mangelt es der Fohlenelf häufig am Ideenreichtum, an der Schnelligkeit und der Genauigkeit, die sie in den 70ern in ganz Europa bekannt gemacht haben. Als Aues Kapitän Emmerich leichtfertig in Nähe der Mittellinie den Ball vertändelt, blitzen die alten Tugenden jedoch schlagartig auf. Ndjeng spielt den Ball auf Friend, der mit seinem Pass auf Oliver Neuville die gesamte Viererkette des Gegners überbrückt. Aus wenigen Metern lässt der einzige aktive Nationalspieler der Borussia Aues Keeper Keller (weder verwandt noch verschwägert mit Namensvetter Kasey) keine Chance und platziert den Ball sicher in der linken Ecke. Aue, als Fünfzehnter an den Niederrhein gereist, hatte jeglicher Zielsetzung zum Trotz den ersten gravierenden Fehler begangen, den die Borussia eiskalt bestrafte.
Die berechtigte Hoffnung auf einen sich öffnenden Gegner wird jedoch rasch zerschlagen. Die ehemalige BSG Wismut macht nach der Devise „lieber knapp verlieren, als stürmend untergehen“ da weiter, wo sie begonnen hatte. Mit dem 1:0 geht es dann in die Pause, doch das ist gegen Lautern, Hoffenheim und Osnabrück nicht anders gewesen. Am Ende hat die Borussia stets mit leeren oder zumindest spärlich gefüllten Händen dagestanden.
Nach der Pause verflacht das hohe Tempo der ersten Hälfte ein wenig. Der Tabellenführer stürmt dennoch unaufhaltsam aufs zweite und diesmal wohl vorentscheidende 2:0. Erneut bergen eine schnell Passfolge und eine Unachtsamkeit des Gegners den Schlüssel zum Tor von Axel Keller. Rösler hebelt mit einem Anspiel auf Marin die gegnerische Abwehr aus. Der kleine Wirbelwind legt quer auf Friend, der ohne Mühe einschieben kann und sein Konto auf nunmehr 13 Treffer schraubt.
Selbst jetzt zeigt der Ostverein keinerlei Interesse an einer Wende. Als hätten sie die gedemütigten Gesichter der Paderborner Spieler noch im Kopf, die sie letzte Woche beim 6:0 höchstpersönlich ins fußballerische Delirium befördert hatten. Luhukay gibt Sharbel Touma eine neue Bewährungschance, die der Schwede mit libanesischen Vorfahren offensichtlich nutzen will. Eine Hereingabe von Friend setzt er mit dem Kopf an den Pfosten. Rösler per Freistoß und Ndjeng aus der Distanz scheitern dagegen nicht am Aluminium, sondern an Aues Keller. Nun ist es aber nicht so, dass dessen Mannschaft über 90 Minuten überhaupt nicht am Spiel teilnimmt. Die vereinzelten Angriffsversuche über Orahovac oder Curri sind jedoch aus dramaturgischen Gründen absolut nicht nennenswert, weil sie erstens ihren Meister im souveränen Heimeroth finden und zweitens – wie gesagt – äußerst vereinzelt auftreten.
So bleibt es beim 2:0 und beim Eindruck, dass die Borussia diesmal vieles besser, aber noch nicht alles gut gemacht hat. Kurz vor dem Ende bricht auf den Rängen ein weiteres Mal torähnlicher Jubel aus, obwohl die beiden Mannschaften auf dem Platz gerade Leerlauf walten lassen. Auf der Anzeigetafel erscheint ein Stadion mit Playmobil-Figuren und kurz darauf die Wappen der SpVgg Greuther Fürth und des 1.FC Köln – darunter wird ein 2:2 eingeblendet, das – wen überrascht es – vornehmlich für diesen Jubelausbruch verantwortlich zu machen ist.
Zum zweiten Mal in dieser Saison stimmt die Nordkurve ein erleichtertes „Der VfL ist wieder da“ an und in mir kommen Erinnerungen hoch an das Spiel gegen Augsburg in der Hinrunde. Nach fünf sieglosen Partien, einer Portion Pech, einer ganzen Ecke Unvermögen und gerechtfertigter Eigenschelte scheint die Borussia die Kurve nicht gekratzt, sondern gekriegt zu haben. Und die Hoffnung auf eine absehbare Rückkehr in Liga eins lebt wieder auf. Dann könnte es im Mai aus einem anderen Grund erneut durchs Stadion hallen: „Der VfL ist wieder da!“.
Sonntag, 2. März 2008
Fohlengeflüster (17):
Stürmische Wiederbelebung
Eingestellt von Jannik um 22:56
Labels: Gladbach, Zweite Bundesliga
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