Die Ultras Mönchengladbach gibt es nicht mehr. Neben eineinhalb lachenden Augen weint zumindest ein halbes, das dürfte in Ordnung gehen. Warum der Diebstahl einer Zaunfahne Hoffnung auf bessere Zeiten weckt und eine pumpende Frau mein fußballerisches Weltbild geprägt hat.
Seitdem ich die Ultras eines französischen Basketball-Zweitligisten im beschaulichen Saint-Quentin bewundern durfte, haben sich mein Respekt und mein Verständnis für Gruppierungen dieser Art sowieso bis ans Ende der Welt in Luft aufgelöst. Auf ewig werden mir ein vierjähriger Junge und seine Mutter in Erinnerung bleiben, die sich unter dem Banner ihrer jubelnden und keifenden Mitstreiter in der „Gästekurve“ der Turnhalle postiert hatten (nun ja, mehr war es nicht, eine Turnhalle eben).
Der Junior sprang während der gesamten Spielzeit auf und ab wie ein ungeduldiges Kleinkind in froher Erwartung süßen Kamelleregens am Wegesrand eines Karnevalszuges, und beschimpfte dabei die gegnerische Mannschaft mit dem Wortschatz eines 47-jährigen Trinkhallenbesitzers aus Wanne-Eickel (soweit mein Französisch zu diesem Zeitpunkt irgendwelche Schlüsse dieser Art zuließ). Seine Mutter pumpte sich zwei Stunden lang einen wahren Wolf, um eine dieser verdammten, Gas betriebenen Tröten in Gang zu bringen, die bei Länderspielen in Albanien stets Hochkonjunktur haben.
Ihre im Takt der Bewegungen schwingende Oberweite veranlasste meine Mitschüler und mich – wir befanden uns auf Frankreichaustausch – zu den bekannten pubertären Lachanfällen, die so ununterbrochen durch die Halle schallten wie sie selbst unermüdlich pumpte. Ein unvergessliches, banales Erlebnis, das bis heute meine Beziehung zum Thema Ultra-Gruppierungen maßgeblich geprägt hat.
So konnte ich mir das Lächeln kaum verkneifen, als ich Anfang der Woche von der Auflösung der UMG, der Ultras Mönchengladbach, Wind bekam. Fassen wir mal zusammen: Fahne geklaut von kleinen Jungs, keinen Bock mehr, Frust, alles hingeschmissen aufgrund eines Kodex, den anscheinend noch nie jemand so richtig zu Gesicht bekommen hat – hat was von frühkindlichem Sandkastenverhalten.
„Aber Mama, der hat zuerst mit Santeschmissen. Ich will na’ause. Der hat meine Förmchen putte macht“, mit dem Unterschied, dass es sich dabei um erwachsene Männer handelt oder zumindest um Teenager, die sich seit drei Jahren bereits dafür halten. Den zahnlosen Anpeitscher mit Mikro, Megaphon und allem gerüstet, was irgendwie lauter ist als das eigene Organ, werde ich nur begrenzt vermissen. Bin mir nicht einmal hundertprozentig sicher, ob er sich nicht sogar schon ein paar Wochen zuvor verabschiedet hatte.
Irgendwie kann man es aber niemandem Recht machen heutzutage (wobei ich mich selbst wohl dazu zählen muss). Einerseits würde ich alles dafür geben, all die 8-14-jährigen Zahnspangenträger aus der Nordkurve zu verbannen, die dort nur stehen, weil’s eben am billigsten (und coolsten ist), all die Mode- und Eventfans zu verjagen , die wortlos das Spektakel Fankurve erleben wollen, all den Cholerikern den garaus zu machen, denen zur eigenen Mannschaft keine anderen Begriffe als „Flachpfeifen“, „Wichser“ und „Idioten“ einfallen. Anderseits sind mir jedoch auch lautstark singende Herzblutfans ein Dorn im Auge, die ihre grässlichen schwarzen Kapuzenpullover Spieltag für Spieltag durch die Gegend tragen. Was will ich denn eigentlich?
Der geneigte Fußballfan hat die leidige Angewohnheit, sein eigenes Maß an Zuwendung für den Verein und vor allen Dingen die Art und Weise, dies zu übermitteln, stets für optimal zu halten. Kinder mit Marin-Trikots und Ultras mit schwarzen Kapuzenpullovern und konstant schlecht gelaunter Visage machen demnach irgendetwas falsch.
Die Frage nach dem heiligen Gral der Fanunterstützung stellt sich vielmehr so: Muss man sich permanent selbst feiern, um die eigene Mannschaft nach vorne zu treiben? Muss man anderen Herzblutfans das Gefühl vermitteln, dass jeder, der sich nicht unter dem löchrigen und zugigen Dach der Ultras versammelt, nicht für voll genommen und hämisch belächelt wird?
Den Kollegen vom Bolzplatz und sogar von der Kölner Südtribüne stimme ich vollends zu, dass ich dem Mann mit dem Mega-/Mikrophon, der ganzen Schwarzkapuzenmeute, keine Träne nachweinen werde. Allein der niedrigere Geräuschpegel beim Heim- und Auswärtsspielen wird stören. Aber vielleicht bieten die jüngsten Ereignisse tatsächlich die unverhoffte Gelegenheit für neue Grüppchen, unter Umständen endlich sogar fürs Kollektiv, eine neue Bewegung ins Rollen zu bringen. Vielleicht kann die Kurve dann einmal Kurve sein und nicht ein zerstrittenes Konstrukt aus zahlreichen Kürvchen, von denen jede in Anspruch nimmt, die „einzig wahre“ zu sein.
Unter Umständen müssten wir dann gar einem Teenager-Trio aus Köln dankbar sein, dass es mutwillig die Zaunfahne unserer Ultras, der UMG, geklaut hat. An anderen Tagen würde ich für diese Tat leichtfertige und rohe Reformen des StGB fordern. Aber wenn dies das Opfer sein sollte, das der Fußballgott dafür von uns verlangt, werde sogar ich erleichtert zustimmen.
Mittwoch, 26. März 2008
Sandkastenmentalität, schwingende Oberweite und schwerwiegende Opfergaben
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Eieiei - wer auf solch brutale Art von Ultras geprägt wird, der kann verständlicherweise nie wieder *echte* Sympathie aufbauen :)
AntwortenLöschenWas den Mann am Megaphon angeht: Ich bin sicher, dass er früher wieder am Start ist als manchen in der Kurve lieb sein wird...