Ein Revolutionsversuch und die Frage: Wie attraktiv ist die EM tatsächlich? (Bei gewissen Medien würde es jetzt um Sylvie Van der Vaart und Co. gehen, die haben hier übrigens Hausverbot. Schade eigentlich.)
Qualitätsmerkmale für ein Fußballspiel lassen sich selten abarbeiten wie ein Einkaufszettel. Es gibt keinen einheitlichen Erwartungshorizont wie beim Zentralabitur, wo jeder Fan einfach seine Punkte in verschiedene Kategorien einträgt und am Ende ein schlüssiges Ergebnis zustande kommt. Erst- und Zweitkorrektor würden allzu oft blutige Hahnenkämpfe über die Notenvergabe verwickelt, die eine objektive Drittkorrektur wohl kaum schlichten kann. Der Kicker versucht es dennoch – seltener mit übermäßigem Erfolg, aber meist ausreichend. Das soll sich ändern - zumindest, was die Existenz eines Erwartungshorizontes angeht, der Kicker macht ja eh sein eigenes Ding.
Ob es eine bestimmte Marschroute für die Spielnoten bei diesem Turnier gibt, ist mir nicht bekannt. Ob Zensur samt Einzelnoten erst nach zweistündiger Redaktionssitzung inklusive 16 Liter Kaffee, siebzehn Mullbinden und drei Packungen Hansaplast zustande kommen, weiß ich ebenso wenig (in Anbetracht einiger Noten, die da manchmal montags und donnerstags ins Haus flattern, könnte ich mir auch einige Flaschen Hochprozentigem im Sortiment vorstellen).
Relativ einhellig wird derzeit verkündet, dass diese Europameisterschaft mit ihrem Offensivfußball kaum zu überbieten sei. Lob für angriffslustige Spielausrichtungen wird ausgeschüttet wie sonst nur „alles außer Tiernahrung“ bei Praktiker, so dass einem angst und bange wird. Doch hält die EM wirklich, was momentan über sie gesagt wird?
Der Kicker jedenfalls setzt Duftmarken am laufenden Band. Die bisherigen 18 Spiele kommen auf einen Notenschnitt von 2,86, so dass sich folgender Notenspiegel ergibt (auf Schulstandards angepasst):
Note: 1/2/3/4/5/6 Schnitt: 2,86
Häuf.: 3/5/6/2/2/0
Zum Vergleich: In der Bundesligasaison 2006/2007 – bekanntlich eine attraktive und vor allem spannende Ausgabe – hagelte es im Schnitt nur eine 3,39. Das heißt bei dieser EM: Eine 3+ anstelle von einer 3-. Na gut, Wolfsburg und Bielefeld spielen da auch nicht mit, dafür aber Griechenland und Rumänien, die den Schnitt sozusagen von Dachgeschoss in die zweite Etage getrieben haben. Das jeweilige Auftaktspiel der beiden wurde mit einer glatten 5 bewertet. Die Rumänen betrieben in ihrer zweiten Partie gegen Italien wenigstens Wiedergutmachung. Für das Auf und Ab beim 1:1 samt verschossenem Elfer gab es eine 1,5 – sieht schwer nach Abweichprüfung aus für die Rumänen. Auch Frankreich (Gegner Rumäniens beim bisherigen Grottenkick des Turniers) glättete die Wogen, jedoch etwas unfreiwillig. Wohl eher die Holländer erhielten für ihre Galavorstellung gegen den Vize-Weltmeister eine 1,5. Die Franzosen litten in ihrer Statistenrolle.
Überhaupt sitzt das „sehr gut“ bei dieser EM etwas lockerer. Drei Einsen in 18 Spielen, nur sieben Stück in einer ganzen Bundesligaspielzeit. Neben den Noten kann sich auch die Torausbeute nach leichten Anfangsschwierigkeiten sehen lassen. 46 Treffer in 18 Partien bedeuten einen Schnitt 2,56 – derzeit Platz sechs unter dreizehn EM-Endrunden, Platz drei unter den bisher acht Ausgaben mit Gruppenrunde. Und da die Klasse eines Spiel ständig an der Anzahl seiner Tore gemessen wird, ist dies ein weiteres Indiz für das hohe Niveau des kontinentalen Wettstreits anno 2008.
Wobei der Verlauf der meisten Spiele eigentlich nicht für hohen Fingernagelverschleiß spricht. In 13 von 18 Fällen gewann das Team, das in Führung ging, 11-mal davon fiel nicht einmal der zwischenzeitliche Ausgleich, achtmal gab es einen Zu-Null-Sieg. Drei Spiele endeten mit einem Unentschieden, eins davon torlos. In den restlichen beiden Partien drehte die Türkei sowohl einen 0:1- als auch einen 0:2-Rückstand. Doch wenn ein Team schon dominierte, dann in solch einer Art und Weise, dass der geneigte Beobachter vor lauter Zungeschnalzen ein gerade noch erträgliches Schmerzgefühl im Mund verspürte.
Zum Schluss, wie oben angekündigt, der gewagte Versuch, einen Bewertungsbogen für ein Fußballspiel zu erstellen. Der wissenschaftlich völlig unausgereifte "Kicker-Konkurrenzbogen" zum Ausdrucken und Selbsteintragen:
Seite 1
Seite 2
Am besten speichern und in Word einfügen, sonst haut's mit den Rändern nicht hin.
Montag, 16. Juni 2008
EM-Tagebuch (18) -
Bildungsreform
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