Überraschende Einsicht eines türkischen Taxifahrers und Böhmische Berge namens Spanien.
Sonntagmorgen, 5:30 Uhr - Krefeld. Die McDonalds-Filiale hat seit ein paar Minuten selbst die hartnäckigsten und kauintensivsten ihrer Kunden von der Backe. Der Mitbürger afrikanischer Abstammung - laut Diagnose des drogentechnisch eher unerfahrenen Bene "draufer als drauf" - hat letztendlich doch noch seine Jacke gefunden. Der nach eigenen Angaben am Kehlkopf tätowierte Hochseilmechaniker mit dem Stiernacken (dessen Kehlkopf jungfräulich hautfarben in der Morgensonne strahlte) hat ebenso glücklich mit 3000 kcal unterm Arm das "Restaurant" verlassen. Und zu guter letzt strömen sechs Abiturienten erschöpft und dennoch frohen Mutes vom Fast-Food-Intermezzo nach dem Abiball in Richtung Bahnhof, in der Hoffnung möglichst bald nach Hause zu kommen.
Taxifahrer Türcan Özdemir (so oder so ähnlich wird er heißen - ein T, Ö und Ü war auf jeden Fall dabei) ist mit seinem Erdgas betriebenen Touran die Rettung und - jetzt kommt auch endlich etwas Fußball ins Spiel - klärt uns erst einmal auf, dass morgen ja Deutschland gegen Österreich spiele. Sensationell! Wie müssen wir ausgesehen haben, dass der Mann uns nicht einmal mehr zutraute, in dieser Richtung Bescheid zu wissen?
Naja, und wie es dann so kommt, kann das morgendliche Gespräch nicht ohne Schwenk auf die Türkei vonstatten gehen. "Die Tschechen nehmen wir außeinander, dann holen wir den Titel", Ähnliches dürfte man jetzt erwarten, aber weit gefehlt. Türcan mit dem Touran ist zwar dennoch vom Sieg seiner Mannschaft überzeugt, stimmt Sebastian aber überraschend zu, als dieser sich ausgiebig über Huporgien zu später Stunde echauffiert. Feiern sei ja schön und gut, aber diese Hupkonzerte? Nee, das müsse bei bestem Willen nicht sein - sagt der Taxifahrer.
Wir sehen nun wirklich nicht so angsteinflößend aus, dass der arme Mann nicht einen ausführlichen Vortrag über das Wonnegefühl eines Autokorsos hätte halten können, ohne dafür irgendwelche non-verbale Schelte zu erhalten. Dementsprechend wird ihm an dieser Stelle der vor vier Minuten ins Leben gerufene "Preis für fußballerische Nächstenliebe" verliehen - in Personalunion mit dem "Baron-Münchhausen-meets-Pinocchio-Gedächtnispreis". Denn ich wette, bei entsprechendem Ergebnis wird auch er heute Abend nach halb elf seine Hände nicht an der richtigen Stelle seine Lenkrades platzieren können.
Während Türcan heute abend fleißig hupen wird - oder auch nicht -, bereiten mir die Spanier ernsthafte Sorgen. Nicht dass mich der Last-Minute-Sieg gegen Schweden irgendwie beängstigen würde (ich hab' ihn mir ja auch nicht angesehen). Vielmehr plagt mich diese Ungewissheit, bislang kein einziges Spiel des nicht mehr ganz so geheimen Geheimfavoriten gesehen zu haben. Platz eins der inoffiziellen und völlig untauglichen EM-Tabelle nehmen freilich die Niederlande ein. Aber dann? Portugal oder Spanien? Und auf Platz vier? Den Punkten nach folgen dort die Kroaten.
Also: Holland müsste im Viertelfinale den Zweiten der Gruppe D sicher schlagen. Tschechien oder die Türkei gegen Kroatien gestaltet sich noch relativ offen, wobei mit den Kroaten wohl eher zu rechnen ist. Portugal spielt gegen - Deutschland. Wenn ich das nicht mit Selbstbewusstsein sagen kann, dürfte ich auch nicht so fahrlässig davon ausgehen, dass es nachher Abendessen und kein Frühstück gibt. Selbst wenn wir freilich alle "Hosenscheißer" sind. Wer das Wort "Harn" im Namen trägt sollte sich bezüglich Inkontinenz besser zurückhalten, oder nicht, Herr Harnik?
Spanien spielt gegen Wissen-wir-noch-nicht und ich bin immer noch davon überzeugt, dass zwangsläufig wieder ein böses Erwachen auf die Spanier wartet. Apropos Erwachen: Das kam vorhin viel zu früh. Ich mach mich nochmal auf.
Sonntag, 15. Juni 2008
EM-Tagebuch (17) -
"Das find' ich auch nicht gut"
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