Dienstag, 16. September 2008

Mission 40/4: Auf die Mütze an der Leine

Als ob eine 1:5-Pleite in Hannover nicht schon bitter genug wäre. Doch dann heißt es aus Sicht der Sieger auch noch: „Der Erfolg ist am Ende zu hoch ausgefallen“. Vielen Dank. Über die Niederlage einer Samaritertruppe, die sich partout nicht an Gesetzmäßigkeiten halten will.

„Unter Wert geschlagen“, „der Sieg ist am Ende zu deutlich ausgefallen“, „Gladbach war nicht vier Tore schlechter“ – alles Floskeln, die nach einer 1:5-Offenbarung in Hannover wahrhaftig niemand braucht. Im Vergleich dazu besitzt die berüchtigte Wendung „hat sich stets bemüht“ in einem Arbeitszeugnis den Wert der blauen Mauritius.

Gegen eine sang- und klanglose Pleite gegen ein schier übermächtiges Team hätte man vermutlich weniger einzuwenden. Damals zuhause gegen Leverkusen beim 2:8 und bei der 1:7-Schlappe in Wolfsburg eine Woche später wusste man wenigstens: Da geht eine Mannschaft, ein ganzer Mythos den Bach runter. Denen ist nicht mehr zu helfen.

Und was haben wir jetzt? Weder die finale Gewissheit über Glück noch über Unglück. Nach dem Hurra-Spiel gegen Bremen haben sich die Gefühle eiskalt neutralisiert. Seit Sonntag wissen wir: Die Mitte zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt befindet sich auf Platz 15 mit drei Punkten und 5:11 Toren. Rückblickend war die Länderspielpause also Gold wert – immerhin zwei Wochen, genauer gesagt 15 Tage zum Schwelgen in Erinnerungen an einen grandiosen Tag im Borussia-Park, bevor Gladbach ausgerechnet in Hannover auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden ist. Bei einer Mannschaft, die zuvor noch nicht gewonnen, geschweige denn getroffen hatte.

Natürlich glaubt jeder, seine Mannschaft sei die Samaritertruppe der Liga, wenn es nicht nach Plan läuft und großzügig Geschenke verteilt werden. Aber wer schon so oft und inständig an Mutter Theresas Thron gewackelt hat wie die Borussia, der hat sich diesen Titel redlich verdient. Gegen uns sorgen gebeutelte Stürmer dafür, dass ihr Name wieder aus dem Lexikon gestrichen wird, wo er zuvor achtzehn Spieltage lang unter dem Stichwort „Chancentod“ zu finden war. Gegen uns schwimmen sich fast entlassene Trainer, denen das Wasser zuvor bis Oberkante Unterlippe stand, so sehr frei, dass sie zwei Wochen später verdursten. Gegen uns reißen Jahrzehnte alte Serien, über die Herbert Zimmermann anno dazumal höchstpersönlich berichtet hat.

Da ich auf beschwichtigende Floskeln wie „unter Wert geschlagen“ getrost verzichten kann, will ich jetzt auch gar nicht mit ebenso unnützen Phrasen wie „dabei ging es gar nicht so schlecht los“ anfangen. Luhukays Jungs begannen irgendwo zwischen „verhalten“ und „kontrolliert“. Hannover wirkte verunsichert. Doch die Borussia konnte daraus kein Kapital schlagen – im Gegenteil. Mitte der ersten Hälfte wurde der Ballbesitz eingeblendet: 64 Prozent für Hannover. Dass da nicht mehr viel für die andere Mannschaft übrig bleibt, kann sich jeder selbst ausmalen.

Sinnbildlich genug war es, dass Hannovers verschossener Elfer der moralische Schlüssel zum Sieg wurde (zur Erinnerung: Hannover, das sind die, die vorher weder gewonnen noch getroffen hatten und in der ersten halben Stunde über den Platz kauerten wie Neu-Gymnasiasten am ersten Schultag über den Schulhof). Jene Szene lieferte dem derzeit viertbesten Keeper der Liga, nach Kicker-Noten, zumindest eine Bühne, um sich erneut zu beweisen. Christofer Heimeroth hielt Husztis Elfer glänzend und war unterm Strich bester Borusse. So blöd das bei fünf Gegentoren auch klingen mag. Früher war er bei zwei Gegentreffern gefühlt schon an dreien Schuld. Jetzt beweist er in einer Truppe voller chronischer Lehrgeldzahler eindrucksvoll, dass das ewige Unken ungerechtfertigt war.

Heimeroths taktischem Gegenpol, Rob Friend, ergeht es derweil ähnlich gut. Er trifft nicht nur weiterhin, sondern benötigt dafür auch noch weniger Chancen. Gegen Hannover erspielte sich die Borussia insgesamt fünf Torchancen. Zuvor waren so viele allein aufs Konto des Kanadiers gegangen, der bislang in jedem Spiel, das er von Anfang an bestritt, ein Tor erzielt hat. Im Pokal war er 90 Minuten draußen geblieben, gegen Hoffenheim genau eine Stunde.

Am Ende war es wieder einmal eines dieser Spiele, nach denen man wenigstens einen Augenblick lang mit dem Gedanken spielt, das nächste Heimspiel zu boykottieren oder gar in Hungerstreik zu treten. Doch dann denkt man reflexartig ein paar Wochen zurück. An die ekstatischen Momente gegen Bremen, an das Hochgefühl in den Stunden danach. Und schon ein paar Minuten nach Abpfiff ist man sich sicher: Spätestens Donnerstag fängt die Dauerkarte im Portemonnaie vor Vorfreude an zu glühen. Freitag brennt sie ein Loch die Gesäßtasche, bevor sie dann Samstag endlich wieder, zum dritten Mal in dieser Saison, entwertet wird. Wobei kindliche Vorfreude bei Heimspielen ja eine Leichtigkeit ist. Mit der Anrüchigkeit eines Mode- und Eventfans kann man sich schließlich zumindest auf das Drumherum freuen. Und sei es nur ein Streuseltaler (quatsch, die sind doch gestrichen).

Bei Auswärtsfahrten – und die wird es in zwei Wochen mit dem Ziel Hamburg wieder geben – ist das Verhältnis von Entbehrung und Erfüllung weitaus weniger ausbalanciert. Für eine bittere Niederlage ist es da ein Leichtes, siebzehn Stunden der durchaus wertvollen Lebenszeit mal eben ins Jenseits zu befördern. Und wer weiß, wie bitter neunzig Minuten mit fünf Gegentoren in Hannover vor dem Fernseher sind, der wird verstehen, welch apokalyptisches Ausmaß eine Auswärtspleite nach siebenstündiger Zugfahrt annehmen kann.

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