Sonntag, 21. September 2008

Mission 40/5: Es geht noch Hertha

Schadenfroh trudelt die Borussia dem Tabellenende entgegen. Doch Bayerns höchste Heimpleite der letzten 29 Jahre und Kölns Niederlage in Bielefeld können nicht wirklich über die eigene Misere hinwegtrösten. Über ein Spiel, in dem es Gladbach nicht einmal gelang, den einfachsten Blumentopf zu gewinnen.

0:1, 0:2, 0:3, 0:4, 0:5 – nach 70 Minuten hat es den Anschein, die Einblendungen auf der Videowand sind Teil des Deeskalationsprogramms, das auf den Rängen für Ruhe und Gelassenheit sorgen soll. Bremen verpasst den Bayern die höchste Heimniederlage seit 1979. Bei jedem Tor geht mehr als nur ein Raunen durch den gut gefüllten Borussia-Park. Spätestens als Köln fünfzehn Minuten vor dem Ende in Bielefeld baden geht, kennt die (Schaden-)Freude keine Grenzen mehr – obwohl die Borussia selbst auf dem Platz gerade Reminiszenzen an die Abstiegssaison 06/07 weckt. Erst zuhause und zumindest beim ungläubigen Telefonieren nach dem Spiel wird allen klar: Alles doch nicht fake, Bayern und Köln sind tatsächlich die Deppen des Tages. Nicht mal ein Blumentopf, den sich die Fohlenelf gegen die Hertha sichern kann.

Zurück also zu den erwähnten Erinnerungen ans triste Jahr des Niedergangs. Nach elf Minuten geht Berlin mit seinem ersten Torschuss in Führung. Kacar hatte sich einen Pass geschnappt, der so gar nicht für ihn gedacht war. Daems ist derweil genau in die andere Richtung unterwegs, Kacar hat freie Bahn, Heimeroth keine Chance. Fünfzehn Mal verlor Gladbach im Abstiegsjahr mit 0:1 oder 0:2. In acht Fällen fiel das erste Gegentor in Hälfte eins. Viermal bog die Borussia bereits in der Anfangsviertelstunde auf die Straße des Verlierers ein – genau wie gegen Hertha.

Doch nicht nur Statistik und Historie lassen früh Böses erahnen. Der Eindruck auf dem Platz spricht ohnehin schon Bände. Anders als beim fulminanten Heimerfolg gegen Werder vor drei Wochen, als Bremen den Ballbesitz mit fast 70 Prozent fast für sich beanspruchte, ist diesmal die Elf von Jos Luhukay öfter in der Hälfte des Gegners als in der eigenen. Dabei springt herzlich wenig heraus. Debütant Bradley bringt den Ball nach feiner Neuville-Flanke immerhin aufs Tor. Danach taucht Gladbach erneut nach Vorarbeit des EM-Fahrers gefährlich vor dem Tor der Hauptstädter auf. Friend nimmt den Ball zwar klasse an. Im Abschluss fehlen ihm dann aber der Biss und die Durchschlagskraft. Drobny dürfte sich innerlich ins Fäustchen gelacht haben. Bei Gladbachs nächster Gelegenheit hat der dann weitaus weniger zu lachen. Mit Glück springt ihm Neuvilles Pfostenknaller nach einer Ecke an die Schulter und von dort ins Aus. Wer sich die Spielernamen in diesem Abschnitt ansieht, dem wird auffallen, dass Neuville, Gladbachs Rückkehrer in die Startelf, noch am meisten auf sich aufmerksam macht. Nach 64 Minuten ist das Spiel für ihn beendet. Warum, weiß keiner so richtig. Warum Luhukay den unbeweglichen Sascha Rösler für den immer noch wendigen Aufstiegshelden rein bringt, erst Recht nicht.

Gladbach ist unterm Strich im Chancenplus. Hertha mauert jedoch nicht wie wild. Doch die vereinzelten Torgelegenheiten resultieren zumeist aus Nachlässigkeiten der derzeit schlechtesten Hintermannschaft der Bundesliga. Heimeroth ist einmal mehr ein Garant dafür, dass das Spiel nicht schon vor der Pause endgültig verloren scheint.

Dem Ausgleich ganz nah ist Oliver Neuville bei einem Konter zu Beginn der zweiten Halbzeit. Matmour hatte klasse in den Lauf gepasst. Der Schuss des 35-jährigen Torjägers findet jedoch erneut ein ungeliebtes Ziel – den Pfosten. Friend ist vom Abpraller so überrascht, dass er in den Fünfmeterraum segelt, als habe der Spieler am Playstation-Kontroller aus Versehen die Taste gedrückt, mit der man Schwalben simulieren kann.

Die größte Parallele zum Abstiegsjahr bildet am Ende das Ergebnis. Tore bleiben auf Borussenseite Mangelware. Neben den Galgenhumoristen und Schadenfrohen auf der Tribüne, gehört an diesem Nachmittag besonders eine Gladbacher Müllentsorgungsfirma zu den Glücklichen, die jedesmal auf der Anzeigetafel für sich wirbt, wenn eines der beiden Teams einen Eckball erspielt. 12:2 heißt es in dieser Statistik aus Sicht der Fohlenelf. Dabei rumgekommen ist außer heißer Luft, blauen Flecken beim Herthaner am kurzen Pfosten und Dellen in der gegenüberliegenden Werbebande herzlich wenig.

Jos Luhukay macht nach Spielende weder einen angefressenen noch einen verzweifelten Eindruck. Erklärungsnot scheint ihm fremd. Vielmehr verweist er auf die Vorteile seiner Mannschaft und darauf, dass Berlin nicht gerade das erwischt hatte, was man im Jargon einen Bilderbuchtag nennt. Doch kann man sich damit rühmen, dass der Gegner nicht besser, man selbst aber schlichtweg nicht in der Lage war, dies auszunutzen? Ist es nicht realitätsverkennend, ein Armutszeugnis als Gesellenprüfung zu beglaubigen?

Während das Spiel zeitweise vor sich hin dümpelte, ist mir einmal mehr aufgefallen, was für ein wenig liebenswerter Verein (Achtung: Euphemismus!) die Hertha eigentlich ist. Wie an anderer Stelle bereits erwähnt, ist beim Hauptstadtklub gar nichts echt: Cicero spielt im Mittelfeld, obwohl der gute Marcus Tullius seit mehr als 2000 Jahren unter der Erde weilt. Berlins Kaká hat einen Bruchteil dessen gekostet, was sein Namensvetter kosten könnte, wenn Milan so blöd wäre, ihn irgendwann abzugeben. Manager Hoeneß ist der kleine Bruder, den in Wirklichkeit noch weniger Leute mögen als Uli, den Großen. Dieter bringt es ja nicht einmal fertig, mit Reden über Populismus und Weinheim Geschichte zu schreiben. Und zu guter letzt trägt Herthas langhaariger Ostblock-Angriff scheinbar mehr Fett in seiner Mähne mit sich herum, als eine Frittenbude in einer Woche verbraucht. Jetzt noch kurz „die Stimmung“ und „das Stadion“ erwähnt, dann will ich auch Schluss machen mit Berlin-Bashing. Wollen ja nicht ablenken von der eigenen Misere.

Der Trainer sitzt fest im Sattel. Vier Niederlagen in fünf Partien sollen die Früchte seiner Arbeit nicht gleich verwelken lassen. Dennoch muss sich Jos Juhukay den Fragen stellen, was er mit seinen Systemänderungen, mit seinem System im Allgemeinen bewirken will. Da wird ein Linksverteidiger wie Jaurès erst verhätschelt, dann in Schutz genommen. Kurze Zeit später sitzt er auf der der Tribüne. Der lange verschmähte Voigt überlässt ihm seinen Logenplatz und hüpft vom Lachsbuffet gleich in die Startelf. Ein Levels wird plötzlich in die Startelf gespült, um kurz darauf wieder nahezu spurlos zu verschwinden. Doch eines beruhigt derzeit wahrlich in puncto Trainerdiskussion: Ziege und Co. sparen sich die üblichen Vertrauensbekundungen, lassen die Sache erst einmal laufen. Im Gegensatz zum Wir-stehen-zum-Trainer-Geplänkel wirkt das um einiges authentischer – das hat selbst der ARD-Kerner, Reinhold Beckmann, prächtig analysiert.

Zuhause sind noch 42 Punkte zu vergeben. Nach derzeitigem Stand müsste die Borussia 37 davon einfahren, um die „Mission 40“ zu erfüllen. Denn momentan glaubt man noch an so einiges. Doch am allerwenigsten an Auswärtspunkte. Gerade in Hamburg, wo eine 2:0-Führung so viel Sicherheit verleiht wie ein Regenschirm bei Gewitter.

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