Gladbach geht saftlos in Wolfsburg unter und spielt dabei über weite Strecken wie unter Vollnarkose. Was Bradley zu einem echten Friend noch fehlt und warum eine Weisheitszahn-OP im Vergleich zu Gladbachs Auftritten in der Fremde wahres Zuckerschlecken bedeutet.
Gerade in Krisenzeiten klammert man sich ja gerne an alles, was auch nur im Entferntesten positiv erscheint. Und sei es der gute, alte Galgenhumor, der jede noch so demoralisierende Schmach halbwegs erträglich macht. Auf diese Art und Weise geht selbst nach einem 0:3 in Wolfsburg am nächsten Morgen die Sonne wieder auf. Man mag es kaum für möglich halten.
Im Prinzip bin ich sogar ein wenig dankbar für Gladbachs saftlosen Auftritt in der VW-Stadt. Wer sich das für 90 Minuten angetan hat, den kann eine Weisheitszahn-OP am darauffolgenden Morgen kaum aus den Latschen hauen. Selbst ohne Vollnarkose, ach, sogar ohne jegliche Betäubung und im Handstand bei -20°C auf dem Pitztaler Gletscher wäre das Entfernen von Einsacht, Zweiacht, Dreiacht und Vieracht noch besser auszuhalten gewesen als die neunte Gladbacher Auswärtspleite in den letzten 10 Spielen. Das Remis in Bochum besitzt bereits jetzt historischen Wert, denn wer weiß schon, wann die Borussia auswärts überhaupt einmal wieder punkten wird.
Nach Hans Meyers erfolgreichem Einstand gegen Karlsruhe – zumindest auf dem Papier – wollte ich mich noch nicht so recht zu Jubelarien hinreißen lassen. Heute, zwei Tage nach Meyers zweitem Auftritt, haben wir eine ähnliche Situation, nur in Grün: Trotz einer enttäuschenden Leistung, einem Spiel praktisch ohne jede Torchance ist das Kind nicht gleich in den Brunnen gefallen. Doch wer schon einmal einen Eimer vor den Kopf bekommen hat, wird wissen, dass der tiefe Sturz in den Schacht nicht viel schlimmer sein kann.
Wolfsburg mag zwar eine Spitzenmannschaft sein, gegen die ein Punktgewinn nicht unbedingt Pflicht ist. Doch es wird mit Sicherheit nicht genügen, allein gegen die derzeit sechs unmittelbaren Konkurrenten im Abstiegskampf zu punkten. 6x2x3 ergibt nämlich nur 36. Und gegen Hannover und Bochum hat die Borussia bereits fünf Zähler liegen gelassen. Rechnet man den Sieg gegen die Bremer hinzu, die momentan ja scheinbar jeder schlägt, stünden am Saisonende 34 Punkte zu Buche, falls die zahnlosen Fohlen jeden ihrer Konkurrenten konsequent schlagen und den Rest der Spiele verlieren. Dass das nicht zwangsläufig genügt, muss eigentlich niemandem gesagt werden. Allein ein Eilschreiben an die Hennes-Weisweiler-Allee 1 in 41069 Mönchengladbach erscheint lohnenswert.
Bei der Borussia unterliegt mittlerweile selbst die Rotation dem Rotationsprinzip. Nach nur einer verletzungsbedingten Änderung gegen Karlsruhe, tauschte Meyer gegen Wolfsburg zweimal aus. Nicht Christofer Heimeroth kehrte für den angeschlagenen Gospodarek zurück zwischen die Pfosten, sondern U23-Keeper Frederik Löhe wurde von Meyer ins kalte Wasser geworfen. Dazu feierte Johannes van den Bergh sein Startelf-Debüt in der Bundesliga. Beide waren nicht maßgeblich für die Niederlage verantwortlich, sie waren aber auch nicht in der Lage sich in irgendeiner Weise dagegen zu stemmen. Der 20-jährige Keeper Löhe brachte seinem Trainer immerhin die Erkenntnis, dass er einer für Zukunft sei, aber keiner, den die Borussia in der Gegenwart gebrauchen kann. Van den Bergh begann ordentlich, tauchte spätestens nach der Pause jedoch vollkommen unter. Gladbachs eingesetzte Spieler Nummer 25 und 26 in dieser Saison werden in den nächsten Wochen wohl wenig Gelegenheit bekommen, sich in den Mittelpunkt zu spielen.
Warum ein Mann wie Marko Marin mehr als eine Stunde auf der Bank schmorrte und warum Oliver Neuville wieder nur gegen Ende der Partie, als alles längst gegessen war, ran durfte, den Fragen muss sich Meyer stellen. Der dreimalige Nationalspieler Marin mag zwar in der Defensive Defizite aufweisen. Unterm Strich wiegen seine Offensivqualitäten diese Schwächen jedoch mehr als auf. Neuvilles Zeit mag genauso gut abgelaufen sein, was einen Einsatz über 90 Minuten angeht. Doch warum darf er nicht mehr von Beginn an zeigen, dass seine Erfahrung gepaart mit dem immer noch im Überfluss vorhandenen Spielwitz Gold wert sein kann? Wohl dem, der es sich leisten kann, ohne zwei Nationalspieler aufzulaufen. Da kommt es auch nicht darauf an, dass die Zeit des einen noch kommen wird und die des anderen langsam verrinnt.
Stattdessen stolpert Rob Friend weiter durch den Angriff wie ein Elch mit Hüftprothese in der kanadischen Prärie. Zu allem Übel ging die Variante mit den langen Bällen auf den langen Kanadier zuletzt gegen Karlsruhe auch noch auf. Friend steht demnach bis zur Winterpause unter Naturschutz. Spätestens dann werden Colautti und Neuville die Flinte im Anschlag haben. Neuzugang Bradley absolviert derweil ein Praktikum beim einsamen „Ranger Rob“. Dem US-Amerikaner fehlen allein sechs Zentimeter Körpergröße zum perfekten Friend-Double. Immerhin sorgte er am Dienstag für den so ziemlich einzigen wohltuenden Adrenalinausstoß beim leidenden Beobachter. Man munkelt, er habe eine Torchance gehabt.
Wo wir vorhin schon beim Thema Galgenhumor waren, sei noch angefügt, dass die Borussia immerhin der vierten 0:1-Pleite dieser Saison entging. Wird sich auch Michael Bradley gedacht haben, als er Madlung so frei zum Kopfball kommen ließ. Gal Alberman entschied sich kurz danach ausnahmsweise für das Bein des Gegners anstatt für den Ball. Es folgte der zweite Elfer der Partie, der insgesamt siebte gegen die Borussia im 12. Pflichtspiel. So manch einer wird nun wie das quengelnde Kind an der Wursttheke erwähnen, dass wir dagegen nie einen Elfmeter zugesprochen bekommen. Stimmt sogar. Doch es sei an Regel 14 des DFB erinnert: „Ein Strafstoß ist gegen eine Mannschaft zu verhängen, deren Spieler im eigenen Strafraum und während der Ball im Spiel ist, eine der zehn Regelübertretungen begeht, die mit direktem Freistoß zu bestrafen sind.“ Welche zehn Regelübertretungen hier relevant sind, ist vollkommen irrelevant. Wer nicht in des Gegners Strafraum kommt, kann keinen Elfmeter rausholen. Und wer keine Schinkenwurst auf die Hand möchte, der bekommt beim Metzger eben gar nichts.
„Dass wir bis zum Tor ein ordentliches Spiel gemacht haben“, möchte man Alex Voigt gar nicht absprechen. Doch genau hier liegt das Problem: Sobald die Borussia auswärts das 0:1 kassiert, ist die Partie so gut wie gelaufen. Ich sagte ja bereits: Vom 2:2 in Bochum, als Gladbach nach dem 1:2-Rückstand postwendend zurückschlug, werden wir noch unseren Enkeln erzählen. 39-mal hat die Borussia in den letzten 107 Auswärtsspielen gepunktet, macht eine Quote von 36%. Das ist selbst für die CSU in Bayern zu dürftig. Der Siegesanteil sieht noch um einiges schlechter aus: Wer zu zehn Auswärtsspielen fährt, darf nicht davon ausgehen, zwangsläufig einem Dreier in der Fremde beizuwohnen.
Die Borussia hatte in Wolfsburg wenig zu verlieren. Geschafft hat sie es dennoch. Somit sorgte ein Interview nach Spielende für den einzigen Lichtstrahl am Ende des Tunnels: Alex Voigt wurde kurzerhand als Herr Vogts vorgestellt. Für einen Moment wähnte ich mich im Jahr 1975, sah Gladbachs alten Abwehr-Haudegen den UEFA-Pokal in die Luft recken. Dann schlief ich ein. Das Narkosemittel hatte zugeschlagen.
Donnerstag, 30. Oktober 2008
Mission 40/10: Zahnlos in Wolfsburg
Eingestellt von Jannik um 12:38
Labels: Bundesliga, Gladbach
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