Donnerstag, 16. Oktober 2008

Simple Life

Fußball kann so einfach sein: Ein bisschen Lineker, ein wenig Rehhagel, dazu eine Prise Existenzialismus, einen Hauch von Unsinn und schon hat man ein schnödes 1:0 gegen Wales in der Tasche. Klappt fast immer - wenn da nicht dieser Rummenigge dauernd in die Suppe spucken würde.

Der Fußballgott ist ein intelligenter Mensch. Also wird er sich etwas dabei gedacht haben, als er den walisischen Fußballverband schuf. Schließlich hat er jeder Fußballnation einen Sinn der Existenz gegeben. Italiener spielen Catenaccio. Holländer den „totalen Fußball“ – wenn auch wenig erfolgreich. Spanier scheiden – eigentlich – immer im Viertelfinale aus. Schweden und Tschechen meistern in der Regel jede Qualifikation mit links, um dann beim großen Turnier keine Rolle zu spielen. Engländer verlieren jedes Elfmeterschießen, während die Deutschen in dieser Disziplin stets das bessere Ende für sich behalten – was grundsätzlich für jedes Spiel gilt (--> Lineker, Gary).

Da dieses Prinzip immer Gültigkeit hat, gewann Deutschland gestern auch mit 1:0 gegen Wales (--> Arbeitssieg, der). Italien hätte 0:0 gespielt, Holland trotz erdrückender Überlegenheit verloren. Die Schweden und Tschechen wären mit einem Kantersieg vom Platz gegangen, während die Engländer in ihren Angstanwandlungen vor dem möglichen Elfmeterschießen zwei Tore kassiert hätten – bis ihnen jemand erfreulicherweise mitgeteilt hätte, dass es definitiv nicht zur Entscheidung aus elf Metern kommen wird. Am Ende wäre die Partie 2:2 ausgegangen.

Deutschlands Sieg war nicht schön, aber auf gut Fußballdeutsch nennt man es schlichtweg „ergebnisorientiert“ (--> Rehhagel, Otto). 10:2 Chancen verzeichnet der Kicker heute (--> Übergewicht, das). Auf Seiten der Waliser ist das relativ übersichtlich. Welcher der gefühlten 469 Schüsse auf das Tor von Hennessey (--> Whiskey, der) jedoch in die Statistik einfloss und welcher nicht, bleibt noch zu klären. Schließlich hatte so oft ein Waliser ein Bein, eine Rippe oder ein Körperstück in der Schussbahn, das er geschickt auf dem Platz geschmuggelt hatte (--> Körperwelten, die), dass man meinen könnte, das Abblocken von Schüssen definiere den Sinn des Waliser Lebens (--> Existenzialismus, der).

Es muss nicht gerade erquickend sein, für Wales zu spielen. Heldenstatus erlangst du allemal über ein kriegerisch erkämpftes 0:0 in Deutschland. Heißt der Gegner einmal Aserbaidschan und du schickst ihn mit 1:0 nach Hause, juckt das in Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch (--> längster Städtename der Welt) niemanden sonderlich. Folglich wuchtest du Training für Training das Kopfballpendel gen Horizont oder bugsierst Baumstämme über die Latte (--> Highland Games, die). All das nur, um für Hitzlspergers, Schweinsteigers und Trochowskis Schüsse der Verzweiflung gewappnet zu sein. Und am Ende kapitulierst du einmal mehr vor dem Gesetz der großen Zahl (--> Stochastik, die) und siehst ein, dass mit jedem Schuss die Wahrscheinlichkeit auf ein Gegentor steigt. Dass der Winkel zum Tor, die Geschwindigkeit des Balles, der Luftzug im Stadion, das Stellungsspiel, der Standort der Torhüters und die Präzision des Schussen bei eben jenen gefühlten 469 Schüssen einmal perfekt harmonieren müssen. Die Mathematik schlägt dir ein Schnippchen und du kannst nur hoffen, dass 1+1 irgendwann einmal etwas anderes als 2 ergibt (--> Unsinn, der).

Waliser zu sein bzw. für Wales zu spielen kann nicht schön sein. Zumal es ja auch schon von der Tribüne ein elendiges Schauspiel ist. Doch der Fußball und gerade jene Quali-Spiele zwischen David und Goliath verlaufen eben ab und zu in Rummenigge’scher Manier (à Hitzfeld, Ottmar). Dann erhebt der Fußballgott den Zeigefinger und ermahnt die Beteiligten lauthals: „Fußball ist keine Mathematik.“

Ist dies der Fall, schlägt Luxemburg die Schweiz (--> Waterloo), spielt Deutschland nur 0:0 gegen Wales und verliert Frankreich in Österreich (--> Seltenheitswert, der). Dennoch: Was ist das für ein Leben, wenn ein erhobener Zeigefinger allein dein Schicksal bestimmt? (--> Scheißleben, das)

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