Gladbach unterliegt Leverkusen mit 1:3 und begeht den zweiten Advent mit der roten Laterne in der Hand. Wie Bayer mit Gohouri und Co. Mau-Mau spielte, Bradley und Friend nur knapp einem Ligaverweis entgingen und ein SMS-Wunsch nicht erfüllt wurde.
Wer innerhalb einer Woche zwei Heimspiele mit 1:3 verliert, muss sich zwangsläufig eine entscheidende Frage stellen: Münden stets dieselben Fehler im Misserfolg, oder sind meine Versäumnisse so vielfältig und gravierend, dass sie dennoch zum gleichen Resultat führen?
Als Colautti in der 63. Sekunde nach einem Marin-Freistoß den Außenpfosten trifft, habe wohl nicht nur ich ein trauriges Déjà-Vu-Erlebnis. Gegen Cottbus tauchte Bradley gleich zu Beginn mutterseelenallein vor Tremmel auf und köpfte dem Cottbusser Keeper in die Arme. Der Traum von der frühen Führung platzte schon nach drei Minuten und Bradleys Versagen vor des Gegners Tor blieb für lange Zeit das letzte Lebenszeichen einer apokalyptisch schlecht auftretenden Borussia.
Dass die Fohlen diesen erneuten Nackenschlag zu Beginn als aufmunternden Schulterklopfer interpretieren, gehört zu den deutlichsten Unterschieden zur Niederlage vor einer Woche. Gladbach kontrolliert die ersten 25 Minuten in der Manier eines UI-Cup-Anwärters, erarbeitet sich Chancen, steht hinten vergleichsweise sicher und scheitert erst an den eigenen Nerven, dann jedoch vermehrt an René Adler. Doch ein kleiner Aussetzer genügt bereits, um die gebeutelte Gladbacher Gefühlswelt in die Realität zurückzubefördern. Gohouri befördert einen Ball an der Mittellinie nicht ins Aus, sondern an Dordas Schienbein. Prompt ist Kießling auf und davon und netzt mit der Sicherheit eines amerikanischen Botschaftsgebäudes ein zum 0:1.
Roberto Colautti, zweite Spitze neben Rob Friend, hätte seine Mannschaft nach einer guten Minute nicht nur psychologisch auf die Sonnenseite zurückführen können. Denn bei all dem Moral- und Mentalitätsgeplänkel geht die eigentliche Bedeutung eines Führungstores geradezu unter: Wer das 1:0 erzielt, der liegt erst einmal vorn. Klingt verdammt nach Phrasenschwein, hat angesichts der prekären Gladbacher Lage jedoch unermesslichen Wert. Elfmal geriet die Borussia in dieser Saison bislang mit 0:1 in Rückstand, nur gegen die Bayern holte sie anschließend – sogar nach einem 0:2 – noch einen Punkt. Oder, um es andersherum auszudrücken: Gelang Gladbach unter Luhukay, Ziege und Meyer das erste Tor, gewann man das Spiel in drei von fünf Fällen und ging nur einmal als Verlierer vom Platz.
Doch nach 25 Minuten ist zumindest diese Hoffnung dahin. In der Folge zeigt sich die Elf vom Niederrhein konsterniert und kassiert dementsprechend in der 37. Minute das 0:2, anstatt sich schnell vom überraschenden Rückschlag zu erholen. Während ein Torerfolg bei der Borussia ungefähr so kompliziert anmutet wie ein Sieg gegen einen Schachcomputer, sieht es bei Bayer vielmehr nach der Leichtigkeit von Mau-Mau auf der Rückbank eines Mietwagens im Sommerurlaub aus. Einen großen Anteil daran dürfen Levels und Gohouri für sich beanspruchen. Eine einfache Karo Sieben genügt, um das Verteidiger-Duo den Kürzeren ziehen zu lassen. Kadlec lädt Levels spontan zu einem VHS-Kurs mit dem Titel „Außenverteidigung aus dem Lehrbuch“ ein. In der Mitte lässt Gohouri seinen Gegenspieler Kießling ziehen und beobachtet mit großen Augen dessen zweiten Treffer.
Angesichts der Leichtigkeit und des geringen Aufwandes, mit dem Bayer die Borussen-Abwehr knackt, wird den 44.000 im Borussia-Park schon vor der Pause angst und bange. Manch einer will bereits einen bedrohlichen Schatten auf der Anzeigetafel sehen – 2:8 steht dort, wenn man ganz genau hinsieht. Doch während die Abstiegsmannschaft von 1999 an jenem Freitagabend den kollektiven Niedergang praktizierte, liegen die Probleme des Aufsteigers diesmal eindeutig zwischen der eigenen Torlinie und dem Mittelkreis. Dass Steve Gohouri kurz vor der Pause einmal mehr Torjägerqualitäten unter Beweis stellt, verdeutlicht diese Diskrepanz zwischen „hinten“ und „vorne“ mehr als anschaulich. Den Kopfball des Ivorers kratzt Barnetta von (hinter?) der Linie. Selbst Satellitenaufnahmen bei Google Earth liefern letztendlich keine eindeutige Erkenntnis. Im FohlenEcho-Interview hatte Allrounder Gohouri verlauten lassen, notfalls auch im Sturm auflaufen zu können – in Anbetracht des Gefahrenpotenzials vor dem eigenen und des Gegners Tor eher ein Stellengesuch als eine saloppe Bemerkung.
Zur Halbzeit sieht es also zunächst noch schlechter aus als gegen Cottbus. Das Spiel ist so gut wie gelaufen. Schadensbegrenzung oder Debakel – allein darum scheint es im zweiten Durchgang zu gehen. Wenigstens bewegen sich diesmal die Temperaturen über dem Gefrierpunkt. Auf ein Trikot habe ich trotzdem seit Ewigkeiten zum ersten Mal verzichtet. In den letzten Wochen hatte ich noch beharrlich versucht, den Gegner mit exakt demselben Trikot aus der Reserve zu locken, das die Borussia beim letzten Heimerfolg gegen die jeweilige Mannschaft trug. Was gegen Bayern einigermaßen klappte und gegen Cottbus voll in die Hose ging, wurde gegen Leverkusen schier unmöglich. Denn wer sich im Februar 1989 beim bislang letzten Heimsieg gegen die Werkself noch von Mutterkuchen ernährte, muss zwangsläufig ohne Devotionalien in den Block.
Hans Meyer fühlt sich augenscheinlich ebenso angezogen von den etwas wohligeren Temperaturen und lässt sich bereits nach knapp zehn Minuten wieder draußen blicken. Alexander Baumjohann hört Meyers eindringlichem Vortrag geduldig zu und kämpft derweil noch mit seinem Trikot, das sich vehement gegen einen Einsatz wehrt und partout nicht über den Kopf will. Damit kapituliert der Trainer bereits nach 45 Minuten und versieht seine Anfangstaktik unmissverständlich mit der weißen Fahne. Alberman muss weichen und die Mittelfeldraute der Startaufstellung wird kurzerhand zum gleichschenkligen Trapez umgeformt – mit Marin und Baumjohann als Eckpunkten der Grundseite (hoffe doch schwer, dass sich meine ehemalige Mathelehrerin innerhalb der nächsten Tage bei mir melden wird).
Überhaupt hat Meyer seine Aufstellung einmal mehr fleißig dem Rotationsprinzip unterzogen. Heimeroth vertritt den verletzten Gospodarek, dessen altersgebeutelte Muskulatur bei jedem Abschlag laut aufschreit. Voigt verzieht sich von links hinten schnurstracks auf die Tribüne und soll nun einen eigenen Lift erhalten, der vom Spielfeld direkt ans Lachs-Buffet führt. Levels wählt den umgekehrten Weg und steht trotz nachgewiesener Bundesligauntauglichkeit wieder in der Startelf. Bradley musste Startelfdebütant Jantschke weichen. Zu guter Letzt soll Colautti dem einsamen Friend im Angriff etwas Gesellschaft leisten. Doch wie gesagt – bereits nach 45 Minuten ist Meyers Startelfroulette mit fünf Änderungen wieder Makulatur.
Wie gegen Cottbus – um die Suche nach Parallelen fortzusetzen – kommt die Borussia ganz ordentlich aus der Kabine, agiert jedoch bestenfalls mit der Durchschlagskraft eines Fisher-Price-Spielzeughammers. Dementsprechend behält Leverkusen nach 54 Minuten erneut die Oberhand in der Spielzeugkiste und spielt Mau-Mau mit Gladbachs desorientierter Abwehr. Zu guter Letzt beschließt Helmes das einseitige Kartenspiel mit einem Buben und tunnelt Heimeroth zum 0:3. Kießling hatte beim Doppelpass mit dem Torschützen im Abseits gestanden. Regel ist Regel, Fehlentscheidung ist Fehlscheidung. Wer jedoch mit ansieht, wie weit die Borussia trotz eines ordentlichen Auftritts vorne (und gerade wegen einer Offenbarung hinten) von einem Punktgewinn entfernt ist, der hat nicht einmal mehr die Kraft, sich über eine solche Ungerechtigkeit zu beschweren. Per SMS wünsche ich mir zum Nikolaus eine richtig herbe Klatsche – so voll habe ich die Schnauze. Zum Glück weiß ich zu diesem Zeitpunkt nicht, dass meine Mannschaft gerade mit 40:6 gewinnt (wir reden wohlgemerkt von Handball) und ich eine Pleite gegen Leverkusen gegen einen epischen Kantersieg eingetauscht habe.
Doch leider ist die Borussia nun einmal wie ein verzogenes, kleines Kind, dessen blaue Kulleraugen jede noch so große Unverschämtheit übertünchen. Nach gut einer Stunde schlägt der überragende Marin einen Freistoß aus dem Halbfeld in die Mitte. Jantschke macht den Uwe Seeler und setzt mit dem Hinterkopf seinen Debütantenball fort: Letzte Woche Bundesligadebüt, diesmal Startelfdebüt und Torpremiere. Wie schon gegen Cottbus gilt jedoch auch diesmal: Es gibt schönere und weitaus malerischere Momente für solche Etappenziele in der Karriere eines Fußballers. Wenigstens lässt die unaufgeregte und mehr als ordentliche Leistung des U19-Nationalspielers hoffen, dass ein Kopfball vor aufgewühlter und enttäuschter Kulisse nicht sein letzter großer Auftritt gewesen ist. Immerhin habe ich nun schon das zweite Heimtor in Folge im Sitzen „gefeiert“.
Doch tatsächlich hat Gladbach seine Kulleraugen auch diesmal geschickt eingesetzt. Die Weltuntergangsstimmung weicht vorsichtigen, dann jedoch immer entschlosseneren „VAU-EFF-ELL!“-Rufen. Nichts mehr zu hören, von den eindringlichen „Vorstand raus!“-Forderungen kurz nach dem 0:3. Als Friend dem Anschlusstreffer wenig später so nah ist wie Görlitz der polnischen Grenze, meldet sich für Bruchteile einer Sekunde ein unverwechselbares Hier-geht-noch-was-Gefühl zu Wort. Der Kanadier jedoch dreht jeglicher aufkeimender Hoffnung im Nu den Hals um und scheitert am titanischen René Adler.
Erneut nur wenig später führt der eingewechselte Bradley die Hätte-wenn-und-aber-Theorien gnadenlos fort. Unbestätigten Angaben zufolge erreichen den DFB innerhalb der nächsten zehn Minuten gleich mehrere Petitionen, nordamerikanische Fußballer vom Spielbetrieb auszuschließen. Friend und Bradley bleiben trotzdem, die Hoffnung auf eine Wiederholung der Bayern-Wende schwindet.
Zwei vergebene Großchancen à la Frank Mill drehen der Aufholjagd einen Strick. In der Folge ist das Feuer raus aus Gladbachs Angriffsbemühungen. Die sechste Heimpleite der Saison, die dritte 1:3-Niederlage in Folge nimmt ihren Lauf. Leverkusen ist leicht verunsichert und mit zwei Pleiten im Gepäck in den Borussia-Park gekommen. Die Rückreise an den Rhein können sie dagegen mit gestärktem Selbstvertrauen antreten. Der Sozialanstalt VfL Borussia Mönchengladbach 1900 e.V. sei Dank.
Die Befürchtung, dass Gladbach zum Karnevalswochenende immer noch mit der karnevalistischen Punktzahl 11 dastehen könnte, bleibt bestehen. Hans Meyer dagegen will zum ersten Mal in seiner siebenwöchigen Amtszeit einen Hoffnungsschimmer gesehen haben. Abstreiten lässt sich das mit Sicherheit nicht. Es kommt dennoch arg auf den Standpunkt des Betrachters an. Denn für eine 1:3-Niederlage mit circa 50 beherzten Spielminuten kann man sich nicht erst seit gestern weniger kaufen als für einen 1:0-Sieg dank eines geschenkten Elfmeters.
Auch wenn sich seine Bilanz von sieben Zählern aus acht Spielen nicht gerade sehen lassen kann, glaube ich ironischerweise gerade jetzt daran, dass ein erneuter Trainerwechsel in absehbarer Zeit rein gar nichts bewirken könnte. Dass es mit Meyer entweder in den Himmel oder die Hölle gehen muss. Hopp oder top. Die anhaltende Rotation sieht auf den ersten Blick aus wie ein selbstgedrehter Strick. Dabei erscheint die muntere Wechselei in einem anderen Licht als unter der Regie von Jos Luhukay. Sie ist keine Philosophie, sondern ein verzweifelter Hilfeschrei. Die Medien wollten dieses Wochenende aus Meyers ungewohnt ernstem und akribischem Auftreten der letzten zwei, drei Wochen erste Resignationsschlüsse ziehen. Jeder, der schon zu diesem Zeitpunkt an Meyers Stuhl wackeln wollte, bekam vom Gladbacher Coach einen kräftigen Rüffel. Nicht in gewohnt sarkastischer Meyer-Manier, sondern bestimmt und aufrichtig. Der 66-jährige will durchziehen, was er begonnen hat. Auch wenn er das Ausmaß der Gladbacher Probleme anfangs fatal unterschätzt hat.
In der zweiten Hälfte standen ein 85er, 86er, zwei 87er, ein 88er, ein 89er und ein 90er auf dem Platz. Der Altersdurchschnitt lag am Ende bei 23,1 Jahren. Meyer macht aus der Not eine Jugend – weil er an seine Youngster glaubt und ihre Leistungen zu schätzen weiß. Denn die Jungen gehörten beileibe nicht zu den Schlechtesten. Patrick Paauwe zum Beispiel – 32 Jahre alt und gestern mit der Binde am Arm – bestach gestern höchstens durch Überheblichkeit und mangelnden Einsatz. Der Niederländer lief über den Platz wie Michael Johnson zu besten Zeiten die Stadionrunde absolvierte – als hätte er einen Besenstiel verschluckt. Eine größere Distanz dürfte er dabei kaum zurückgelegt haben und wurde folgerichtig nach einer Stunde ausgewechselt.
Im Winter sollen, werden und müssen zwei oder drei Neue kommen. 28 Spieler liefen bisher mit der Raute auf der Brust auf. Der Kicker kommt deshalb spätestens nach der Winterpause in arge Bedrängnis: Jeden Montag listet er auf einer Doppelseite die eingesetzten Spieler aller Bundesligamannschaften auf. Schon jetzt sprengt die Borussen-Riege fast den Rahmen. Das Lieblingsergebnis dieser Saison unterstreicht derweil die Problemzonen: Schon viermal gab es ein 1:3, zuletzt dreimal in Serie. Immerhin herrscht im Angriff nicht dieselbe Ladehemmung wie in der Abstiegssaison 06/07. Ein Treffer pro Spiel ist jedoch angesichts der vielen Torchancen zu wenig. Nun könnte man von Zeit zu Zeit auch 1:0 oder 1:1 spielen. Wer hinten aber so konsequent versagt (die Torwartdiskussion steht hier nur stellvertretend), der beraubt sich jeder Chance, minimalistisch Erfolg zu haben.
Elf Punkte, Platz 18 – die Borussia ist wieder dort angekommen, wo sie stand, als Hans Meyer seine Zusage zu einer verdammt schwierigen Mission gab. Vor zwei Jahren rangierte Gladbach mit zwei Punkten zum rettenden Ufer auf Rang 15. Dieses Mal könnten die Fohlen mit demselben Abstand, jedoch mit vier Punkten weniger und der roten Laterne unterm Weihnachtsbaum überwintern. Die Schwäche der Anderen ist derzeit Gladbachs größte Stärke. Und so besteht wenigstens die Hoffnung, dass ein erneuter Abstieg nicht so früh feststehen würde wie 1999 und 2007. Kein Quantum Trost.
Sonntag, 7. Dezember 2008
Mission 40/16: Mit Kulleraugen in den Abgrund
Eingestellt von Jannik um 22:46
Labels: Bundesliga, Gladbach
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