Freitag, 30. Januar 2009

Des Königs' neue Spieler (2)

Schon bald nach dem Umzug in den Borussia-Park geriet Gladbach in einen Teufelskreis, aus dem es bis heute kein Entkommen gab. Dick Advocaat übernahm den Posten des Cheftrainers und brachte der Borussia nicht annähernd den erhofften Durchbruch - dafür jedoch sieben neue Spieler auf einen Streich. Weder Horst Köppel noch Jupp Heynckes gelang es, die fallenden Dominos zu stoppen. Im Gegenteil.
Eine Zeitreise in vier Akten - Teil 2.


Es ist mittlerweile wie ein Reflex. Ein Teufelskreis ohne Entkommen. Beinahe Jahr für Jahr soll Umtriebigkeit auf dem Transfermarkt die immer gleichen Probleme lösen. Meist sind es Probleme, die sich selbst in den Schwanz beißen. Einerseits ist man sich in Gladbach einig, dass personelle Kontinuität vonnöten ist. Andererseits würde stoisches Verharren auf diesem Standpunkt die Probleme nur noch verschlimmern. Also heißt es dann erneut: Wer kauft, der bleibt (in der Liga).

Doch jeder Dominoeffekt muss bekanntlich einen Auslöser haben, einen ersten Stein, der alle anderen zu Fall bringt. In Sachen Borussia trägt er den Namen Dick Advocaat – bis heute die personifizierte Kauflust. Nach dem zehnten Spieltag der Saison 2004/2005 hatte Holger Fach seinen Hut nehmen müssen. Ein 0:3 unter Woche in Bochum gab ihm damals den Rest. Neun Punkte bis zu diesem Zeitpunkt genügten nicht annähernd den gewachsenen Ansprüchen. Schließlich arbeitete die Borussia langfristig wieder aufs internationale Geschäft hin.

Vielleicht zwei oder dreimal wurde der VfL in jener Saison seinen Erwartungen gerecht. Doch weder Holger Fach noch Dick Advocaat gelangen diese wenigen Ausrutscher nach oben. Dass die Borussia nicht schon 2005 zum zweiten Mal aus der Bundesliga abstieg, hatte sie vor allem Horst Köppel zu verdanken, der als Interimscoach erst in der Hinrunde die Bayern schlug und dann als Advocaats Nachfolger aus den letzten fünf Spielen sechs Zähler holte – eine Punktlandung im Abstiegskampf und Rang 15 in der Abschlusstabelle.

Das marode und wacklige Haus, das Dick Advocaat nach der Ära Fach vorfand, hatte seiner Meinung nach eine ausgiebige Grundsanierung bitter nötig. Also schlug der neue Coach mit dem großen Namen – er kam als mehrfacher Meistertrainer und erfolgreicher Bondscoach – im Winter kräftig zu und verpflichtete gleich sieben Neue auf einen Streich. Knapp vier Millionen wurden dafür fällig, von denen jedoch alleine Wesley Sonck schon zweieinhalb für sich beanspruchte. Und irgendwie versinnbildlichen jene sieben Akteure aus heutiger Sicht das gesamte Transferfiasko mehr als treffend.

Kasey Keller schlug als einziger sofort ein und hütete zweieinhalb Spielzeiten lang als Stammkeeper den Kasten. Insgesamt kam der Amerikaner auf 78 Spiele. Die könig(s)liche Rangliste der Borussen mit den meisten Einsätzen seit Frühjahr 2004 führt ihn auf Platz drei. Als Filip Daems endgültig im Verein ankam und sich nachhaltig etablierte, waren Kellers Tage bereits gezählt. Nach schier endloser Verletzungspause gehört Daems seit Oktober 2007 zum Stammpersonal. Neuerdings trägt er sogar die Kapitänsbinde.

Doch hier findet die Reihe der nennenswerten Verdienste jener von Advocaat geholten Spieler auch schon ein jähes Ende. Bernd Thijs, wie Daems und Sonck aus Belgien, absolvierte als Abräumer vor der Abwehr immerhin 44 Partien für Gladbach und blieb bis zum Ende der Abstiegssaison 2006/2007. Craig Moore, Advocaats alter Liebling aus Glasgower Zeiten, erlebte nicht einmal das Ende seiner ersten Halbserie bei der Borussia. Gleich in seinem ersten Spiel hatte er noch den Siegtreffer gegen Bielefeld erzielt. Danach erregte der Australier nur noch als wandelnder Platzverweis und mit Alkoholeskapaden derartiges Aufsehen. Er verschwand so schnell, wie er gekommen war.

Anhand der Verpflichtung von Jörg Böhme, der Fünfte im Bunde, könnte man Dick Advocaat ein Faible für resolute Typen nachsagen, die „Enfant terrible“ als Künstlernamen im Personalausweis eingetragen haben. Böhme blieb tatsächlich anderthalb Jahre – und spielte in dieser Zeit ganze 14-mal. Von so vielen Einsätzen hätte Giovane Elber nur träumen können. Seiner fabelhaften Bundesligakarriere setzte er einen wenig ruhmreichen Schlusspunkt. Immerhin kostete der Brasilianer, zu dieser Zeit längst über seinen Zenit hinweg, keine Ablöse. Dafür wird sein Gehalt umso stattlicher ausgefallen sein. Vier Ligaspiele absolvierte Elber für die Elf vom Niederrhein.

Der letzte der zum Großteil unsäglichen Sieben zahlte der Borussia nicht nur rein sportlich wenig zurück. Er kostete auch noch richtig viel Geld. Für 2,78 Millionen Euro durfte der VfL von Januar 2005 bis Juni 2007 die Dienste von Wesley Sonck in Anspruch nehmen. Verletzungsodysseen und mangelnde Professionalität anstelle von Toren, die der Belgier ansonsten akrobatisch zu feiern wusste. Leider kam er viel zu selten dazu. Nach dem Bundesligaabstieg verließ er den Verein für eine Million Euro in Richtung Heimat.

Die Saison 2004/2005 bescherte dem Verein wohl nur eine wegweisende personelle Veränderung: Beim Tiefpunkt vom Tiefpunkt, dem blamablen 0:6 in Berlin, debütierte ein Gladbacher Jung‘ namens Marcell Jansen in der Bundesliga. Innerhalb von zweieinhalb Jahren entwickelte er sich vom Amateurspieler zur Goldgrube für den Klub. Doch dazu später.

Indes wurde Horst Köppel für seine Dienste als Feuerwehrmann im Sommer 2005 mit einer Festanstellung belohnt – in den letzten Jahren gewöhnlich ein Freifahrtsschein für hemmungsloses Treiben auf dem Transfermarkt. Auch Köppel fand auf den Wühltischen der europäischen Ligen sieben neue Spieler. Darunter einerseits alte Haudegen wie Thomas Helveg von (ehemals) internationalem Format. Andererseits aufstrebende Spieler mittleren Alters wie Zé Antonio, Hassan El-Fakiri oder Kaspar Bögelund, von denen man sich eine ordentliche Entwicklung erhoffen durfte. Na ja, und dann war da noch ein gewisser Carlos Eduardo de Souza Floresta, der sich kurz und schmerzlos Kahê nannte und auf den Spitznamen „Shrek“ hörte.

Wer die Raute im Herzen trägt, dem kommen noch heute die Tränen, wenn er an die Zeiten des stümperhaften Brasilianers denkt. Kahê hatte sich gleich einmal in den sagenhaften und unwiderstehlichen Bienenstich seiner neuen Heimat verliebt. Sein voluminöser und keineswegs drahtiger Oberkörper reflektierte dieses Faible für deutsches Gebäck ständig sichtbar für alle Welt.

Schon bald brachte er so die Zyniker regelrecht in Wallung. „Dem springt der Ball weiter weg, als ich schießen kann“, las man von nun an pausenlos in den Vereinsforen. Die kühnsten Wetten wurden seinetwegen abgeschlossen. Stets mit Aussicht auf Erfolg. Doch nachdem Kahê zu Beginn der Saison 2005/2006 kurzzeitig mit vier Treffern die Torjägerliste anführte, stand manch einer, der kühn auf „höchstens fünf Saisontore“ gewettet hatte, am Rande einer Privatinsolvenz. „Shrek“ zeigte sich gnädig und traf bis zu seinem Abschied im Sommer 2007 nur noch einmal. Inzwischen beglückt er die Fans in der Türkei mit seinen Fußballkünsten, die den damaligen Gladbacher Sportdirektor Peter Pander seinerzeit vorbehaltslos überzeugt hatten. Auch in Anatolien versteht man bekanntlich etwas vom Backen.

Köppels Kauforgie zahlte sich wider Erwarten schon bald aus. Nach einem wenig verheißungsvollen Saisonstart empfing die Borussia am sechsten Spieltag mit nur fünf Punkten auf der Habenseite und dem Rücken zur Wand Werder Bremen im eigenen Stadion. Ein Broich-Treffer und ein Eigentor von Frank Baumann drehten den Pausenrückstand noch zu Gunsten des VfL. Gladbach gewann drei der folgenden vier Spiele und kassierte bis zum fünfzehnten Spieltag nur eine weitere Niederlage.

Zu Weihnachten schien gar der UEFA-Cup in Reichweite. Am Niederrhein erlebte man die erste Saison frei von Abstiegssorgen seit genau zehn Jahren. Dementsprechend zurückhaltend zeigte sich die Transfer-Libido. Nando Rafael und Bo Svensson hießen die einzigen Verstärkungen. Mit Ausnahme der Winterpause 07/08 gab es in keiner Transferperiode der letzten fünf Jahre weniger Neuverpflichtungen als in jenem Winter kurz vor der WM im eigenen Land.

Doch kaum hatte man sich an die Ruhe gewöhnt, war es auch schon wieder vorbei mit der Sorglosigkeit. Siebzehn Zähler kamen noch hinzu in der Rückrunde. Der Abstand auf die Abstiegsränge schrumpfte bis zum Saisonende von dreizehn auf neun Punkte. Der siebte wurde gegen den zehnten Tabellenplatz getauscht. Böse Zungen behaupteten, dass die Borussia bereits in dieser Spielzeit abgestiegen wäre – wenn die Saison ein paar Spieltage länger gedauert hätte. Ein Jahr später sollte der Konjunktiv des Jahres 2006 bittere Realität werden.

Eine auf den ersten Blick gelungene Saison, mit der besten Platzierung seit 1996, wurde letztlich doch als verkorkst abgestempelt. Enttäuschung und Unzufriedenheit fanden ihr Ventil erneut in personellen Veränderungen. Horst Köppel musste abdanken. Mit Jupp Heynckes präsentierten die Verantwortlichen der Borussia einen weiteren Bekannten aus den glorreichen 70ern. Die Begeisterung hielt sich in Grenzen – natürlich nicht bei den Entscheidungsträgern. Dort war man sich – einmal mehr – einig, den Richtigen gefunden zu haben. Präsident Königs beteuerte, man wolle „mit Jupp Heynckes in eine gute Zukunft gehen und die kontinuierliche Aufbauarbeit fortsetzen“. Den Begriff „Zukunft“ definierte er an dieser Stelle leider nicht genauer.

Der neue Coach verhielt sich relativ bescheiden, was Neuzugänge anging. Eine Hand voll sollte genügen. Darunter mit Christofer Heimeroth und Michael Delura zwei ehemalige Schalker, die Heynckes aus seiner Zeit bei den Königsblauen bestens kannte und anscheinend sehr schätzte. Dazu gesellte sich ein weiterer Neuer, der – wie sie so viele vor ihm – die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nährte. Federico Insúa verzückte die Fans bereits bei „You Tube“, bevor er überhaupt deutschen Boden betreten hatte. Der kleine, wuselige Messi-Verschnitt, der im Internet einen Freistoß nach dem anderen filigran im Tor versenkte, sollte tatsächlich bald das Trikot mit der Raute überstreifen? Kaum zu glauben.

Circa vier Millionen Euro blätterte die Borussia für den Argentinier hin. Endlich hatte man einen passenden und verheißungsvollen Spielmacher gefunden. Leandro Romagnoli (heute Sporting Lissabon) und Shunsuke Nakamura (Celtic Glasgow) waren ebenfalls hoch gehandelt worden. Warum die Wahl letztendlich auf den schmächtigen Dribbler von den Boca Juniors fiel, der sich in seinen 32 Bundesligaspielen den einen oder anderen Knoten in die Beine machte, ist nicht bekannt. Insúa durchlebte ein kurzes und wenig erfüllendes Gastspiel am Niederrhein. Sein Name steht stellvertretend für eine Saison, die gar nicht so schlecht begann und am Ende schnurstracks in die Zweite Liga führte.

Zu Teil 1

4 Kommentare:

  1. Craig Moore und Alkoholeskapaden? Was hat er denn gelappt?

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  2. Kleine Vokabelfrage: Was genau meist Du mit lappen? Etwas anstellen, verzapfen?

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  3. Ist besoffen zum Training gekommen. Hat sich aber danach gegen diese Darstellung gewehrt. Man weiß nur bis heute nicht, ob er sich schlichtweg nicht mehr dran erinnern konnte.

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