Montag, 2. Februar 2009

Des Königs' neue Spieler (4)

"Des Königs' neue Spieler" kommt im letzten Teil endlich in der Gegenwart an. Wer ein Ende der Tristesse erwartet und auf ein Happy End hofft, ist fehl am Platze. Für alle, die vom Glück verwöhnt werden wollen - hier entlang. Derweil geht es an dieser Stelle weiter mit der Odyssee einer Fahrstuhlmannschaft in spe, die wie Ödipus vor der Sphinx steht: Links herum, rechts herum - oder am besten sofort aufgeben?
Eine Zeitreise in vier Akten - Teil 4.

Kaum war der Kopf nach den Aufstiegsfeierlichkeiten wieder klar, schon kehrte er zurück: der alte Teufelskreis. Einerseits herrschte erneut das Verlangen nach Kontinuität vor. Fast alle hielten es für richtig, auf die Aufstiegshelden zu setzen und das erfolgsverwöhnte Grundgerüst beizubehalten. Andererseits nagten leichte Zweifel im Hinterkopf, ob das Niveau der Mannschaft, die so eindrucksvoll den Wiederaufstieg geschafft hatte, wirklich zur Daseinsberechtigung in der Bundesliga genügen würde. Ziege, Luhukay und Co. wählten auf den ersten Blick einen Mittelweg. Fünf Neuzugänge sollten den Kader fundiert verstärken und dort ansetzen, wo sich offensichtlich Risse im Mannschaftsgefüge offenbarten.

Der Saisonstart ging bekanntlich in die Hose. Beim 1:3 zuhause gegen Stuttgart zahlte die Borussia mächtig Lehrgeld, während das knappe 0:1 in Hoffenheim angesichts der explosiven Entwicklung des späteren Herbstmeisters rückblickend fast als Erfolg zu werten ist. Am dritten Spieltag feierte der Aufsteiger vom Niederrhein seine endgültige Ankunft im Oberhaus. Das 3:2 gegen Werder Bremen versetzte den Borussia-Park bei 30 Grad in absolute Ekstase und schrieb ein Kapitel, wie es eigentlich nur die Geschichte von „des Königs' neuen Spielern“ schreiben kann.

Alexander Baumjohann, ein paar Monate zuvor noch ganz weit oben auf der Prioritätenliste mit der Überschrift „muss noch irgendwie verkauft werden“, setzte zu einem Solo an, das man bisher nur von den Messis und Maradonas dieser Welt kannte. Nach 70 Metern endete sein unaufhaltsamer Sturmlauf mit dem Tor zum 3:0, dem Tor des Monats August. Baumjohanns erste und bis heute so gut wie letzte Sternstunde sprach sich zumindest bis München rum, wo der 21-jährige bald unterschreiben wird – nicht bei 1860, sondern beim allmächtigen FC Bayern.

Diese Story zeigt: Bei der Borussia ist alles möglich. Gladbach ist so etwas wie das Outback der fußballerischen Naturgesetze, will sich partout nicht daran orientieren. Schon fünf Wochen nach dem ekstatischen Nachmittag gegen Bremen war der VfL am Gegenpol der Gefühle angelangt. Sechs Pleiten in den ersten sieben Saisonspielen bedeuteten das frühe Aus für Jos Luhukay, der das aktuelle Hauptproblem der Borussia eindrucksvoll repräsentiert: Zu gut für Liga Zwei, vermutlich zu schlecht fürs Oberhaus.

Die Verpflichtung von Hans Meyer stand keineswegs für einen „Schritt in die Zukunft“, wie es die Vereinsführung bei Trainerwechseln in den Jahren zuvor so häufig proklamiert hatte. Vielmehr war es ein Schritt zurück, der dafür sorgen soll, dass die Borussia zumindest in der Gegenwart Fuß fasst. Sieben Punkte aus den ersten fünf Partien unter dem Rückkehrer weckten zunächst Hoffnungen auf baldige Besserung. Doch mittlerweile weilt Gladbach wieder dort, wo man sich im Oktober letzten Jahres von Jos Luhukay getrennt hat – am Tabellenende. Fünf Pleiten in Serie stehen zu Buche, das Stuttgart-Spiel schon eingerechnet.

Die rekordverdächtig schwache Hinrunde der Saison 98/99 wurde fast noch unterboten. Mannschaften, die in den ersten siebzehn Spielen nur elf Zähler holen, sind dem Untergang eigentlich stets so gut wie geweiht. In dieser Spielzeit ist es allein die Schwäche der Anderen, die sich als Borussias einzige Stärke herauskristallisieren könnte.

Sowohl die Zahlen der Gegenwart als auch die der Vergangenheit sprechen eine Sprache, die jeden einzelnen bedrückt, der sich einst in die schlicht-romantisch-verruchte Kulisse des Bökelbergs verliebt hat und sich zumindest nach soliden, halbwegs sorglosen Zeiten sehnt. Nach Bundesliga-Zeiten. So um Platz zehn, das wär' doch was. Auch wenn der Boulevard mit seinem Wortspiel-Repertoire nicht mehr merklich über Spitznamen wie „Kaufhaus des Westens“ hinauskommt, zeugt das ungebremste Medieninteresse keinesfalls von reiner Schadenfreude, sondern von ernsthafter Sorge um den Verein, dessen Name noch heute die Menschen in ganz Europa ins Schwärmen geraten lässt.

87 Spieler, 53 Neuzugänge, 61 Abgänge, 6 Trainer, 2 Interimstrainer, 4 Sportdirektoren – aber nur ein Präsident. Das Identifikationspotential der Mannschaft – oder besser gesagt: der Mannschaften – hat sich in den letzten fünf Jahren unaufhaltsam dem Nullpunkt angenähert. Alleine die Fohlen aus dem eigenen Stall konnten die Massen nachhaltig begeistern. Marcell Jansen war Publikumsliebling und ein ohne göttlichen Segen installierter Fußballgott. Marko Marin befindet sich auf einem ähnlichen Weg. Doch schon jetzt wirkt der 19-jährige in Gladbach geradezu unterfordert wie ein Hochbegabter beim Erlernen des Einmaleins. Steigt die Borussia dieses Jahr erneut ab, wird er mit großer Sicherheit den Verein verlassen. Selbst der Klassenerhalt wäre kein sicheres Argument für einen Verbleib des größten Talents, das man am Niederrhein seit langer, langer Zeit gesehen hat.

Bis auf die verheißungsvolle Jugend haben nur vereinzelte Spieler der Gattung „Typ“ nachhaltig Eindruck hinterlassen. Kasey Keller war einer davon. Und ehrlich gesagt ist die Liste hier auch schon zu Ende. Als „Typ“ geht Oliver Neuville sicherlich nicht durch. Seine Tore und seine Treue waren es, die ihm über die Jahre einen Platz in den Herzen derer gesichert haben, die dort die Raute tragen.

Außer seinen 125 Einsätzen hat er es außerdem zu einem weiteren Rekord der Ära Königs gebracht. Zusammen mit Zé Antonio ist er der einzige, der mindestens einmal alle 34 Spiele einer Saison absolvierte. Dass dies bislang kein Torhüter fertiggebracht hat, erscheint nicht allzu verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Logan Bailly schon der vierte eingesetzter Keeper dieser Spielzeit ist.

Im Schnitt blieben jene 30 Spieler, die unter Rolf Königs erst verpflichtet und inzwischen wieder abgegeben wurden, nur 1,54 Spielzeiten, also gerade einmal drei Runden. Mit durchschnittlich 28 Einsätzen kamen sie damit nur in gut der Hälfte aller möglichen Spiele im Einsatz.

Die aktuelle Saison sollte endlich für die vielzitierte und lang ersehnte Kontinuität sorgen. Rückblickend ist genau das Gegenteil eingetreten. Die sieben Spieler, die Hans Meyer bislang aussortiert hat, absolvierten im Aufstiegsjahr insgesamt 147 Spiele. Rösler, Voigt und Ndjeng waren Stützen mit jeweils mindestens 30 Einsätzen. Das Trio hat sich mittlerweile nach München, Fürth und Hamburg verstreut.

Laut transfermarkt.de, wo sich neuerdings sogar die Bild-Zeitung bedient und in der Regel mächtig verrechnet, kosteten die 53 Neuzugänge seit Königs' Amtsantritt exakt 36,21 Mio. Euro. Neunzehn Spieler kamen zum Nulltarif, macht also fast genau eine Million pro Neueinkauf, für den die Borussia Ablöse zahlte. So viel wie die Neuen kosteten, brachte sie dem Verein jedoch nicht annähernd ein. Die 30 bereits wieder Abgegebenen haben zusammen 16,96 Mio. gekostet, ihr Wiederverkaufswert betrug jedoch nur 11,32 Mio. – macht gut fünf Millionen Verlust. Der Schluss, dass Borussias Transferbilanz durch die Jansen-Millionen mächtig geschönt wird, liegt demnach relativ nahe.

Ausgerechnet die sieben teuersten Spieler, allesamt für mehr als zwei Millionen an den Niederrhein geholt, enttäuschten reihenweise. Heinz, Sonck, Insúa – vom Hof gejagt. Matmour, Bradley – mittelmäßig bis enttäuschend. Bailly, Dante – brandneu und unbefleckt. Besonders die Bilanz des kostspieligsten Borussen aller Zeiten, Federico Insúa, kann sich sehen lassen – oder auch nicht. 2452 Minuten stand der in der Bundesliga auf dem Platz. Macht bei einer Ablösesumme von vier Millionen Euro genau 1631,32 Euro für eine Minute, 27,19,- pro Sekunde (ungefähr eine Eintrittskarte).

Unter Königs wurden desweiteren nur vier Spieler gewinnbringend verkauft. Es ist wohl alleine mexikanischem Größenwahnsinn zu verdanken, dass ausgerechnet Federico Insúa zu jenem Quartett gehört. CF América überwies im Sommer 2007 wahnwitzige 4,2 Millionen.

Das chronische Danebengreifen auf dem Transfermarkt ruft geradezu danach, eine Rangliste der zehn größten Flops zu erstellen. Doch es blieb bei einem Versuch: Schließlich müsste man gleich mehreren Spielern Unrecht tun und sie nicht berücksichtigen. Und hinter dem Entschluss steckt ehrlich gesagt mehr Pragmatismus als Ironie.

Jedes Transferfenster nutzt die Borussia im Übrigen für 5,3 Neuverpflichtungen. Ist kurz zuvor der Trainer gewechselt worden, darf der Neue im Schnitt sogar siebenmal zuschlagen. Bei sechs verschiedenen Cheftrainern mehren sich logischerweise die Auswüchse der Kauflust. Hans Meyer war sogar noch der bescheidenste. Jeder Königs-Coach saß im Schnitt nur ungefähr 27 Spiele auf der Bank. Jos Luhukay mit einem Jahr, acht Monaten und vier Tagen am längsten. Dick Advocaat feierte mit fünf Monaten und achtzehn Tagen das kürzeste Gastspiel.

Man könnte noch weiter in den Statistiken wühlen, noch mehr Zahlen ans Licht befördern – der Effekt bliebe derselbe, ein abschreckender. Es fällt selbst objektiv gesehen schwer, ein gutes Haar an der Transferpolitik zu lassen. Kaum eine einzelne Strähne erscheint in einem ordentlichen Licht. Und wenn doch, dann sind die vereinzelten Früchte guter Arbeit gleich wieder zunichte gemacht worden. Die Degradierung der Aufstiegsmannschaft sei als treffendstes Beispiel genannt.

Die Borussia steht am Scheideweg wie einst Ödipus vor der Sphinx. Diesmal lautet das Rätsel: Wer ist auf dem besten Weg, die Fahrstuhlmannschaft des neuen Jahrtausends zu werden, wenn sie nicht endlich die Kurve kriegt? Ob der VfL darauf kommt, dass er selbst gemeint ist, erscheint höchst fraglich. Wie gesagt, allein das ebenfalls dürftige Niveau der restlichen Abstiegskandidaten nährt derzeit die Hoffnung. Doch während die Spieler in Bochum, Bielefeld und Cottbus schon mit ihrer Unterschrift auf Abstiegskampf geimpft werden, befindet sich die Borussia in einer schier endlosen Selbstfindungsphase – seit mittlerweile fünf Jahren. Das Personal wechselt ständig, die Probleme bleiben beständig.

Gladbach hat anscheinend vergessen, dass Rekordgewinne noch lange keine Punkte einbringen. Fußballvereine im neuen Jahrtausend sind zwar auch mittelständische Unternehmen mit Millionenetats und dreistelligen Angestelltenzahlen. In erster Linie sind sie jedoch weiterhin Dienstleister und teilweise lebenswichtige Organe einer ganzen Region.

Es wird weiter haargenau mitgezählt. 54, 55, 56 – bis die 100 Neueinkäufe voll sind. Und hoffentlich denkt die Borussia dann daran, ihren Jubilar gebührend zu würdigen. Mit Blumenstrauß, Präsentkorb und Geschenkgutschein.

Teil 1
Teil 2
Teil 3

Morgen noch: Die kompletten Listen - alle Neuzugänge, alle Spieler, alle Trainer im Überblick und zum An-die-Wand-Hängen

2 Kommentare:

  1. Stoßt endlich den König vom Thron.Geschäfte führen ja,- als sehr guter,kompetenter Kaufmann und Hüter des Krals. Aber für das operative Fußballgeschäft muß ein Name her.Geachtet oder geächtet, einer der Ausdruckskraft und Erfahrung hat. Holt Effe...
    die Mannschaft (vor allem die Jungen) das Publikum und die Mitbewerber werden durchatmen.

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  2. Effe? Meinst Du, das wär' der Richtige?
    Na gut, Du sagtst "geachtet oder geächtet" - da wär' Effe ja prädestiniert;)

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