Dienstag, 2. Oktober 2007

Lehmanns Erben - Wer folgt im deutschen Tor?

Im Juli will Jens Lehmann seinen Schlusspunkt unter das Kapitel Nationalmannschaft setzen. Doch wer tritt in seine Fußstapfen? Sieben Kandidaten einmal unter die Lupe genommen.


Seit Monaten ist es schon ein heiß diskutiertes Thema: Wer tritt nach der EM 2008 die Nachfolge von Jens Lehmann im deutschen Tor an?
Die Nationalteams dieser Welt beneiden den DFB inzwischen für sein riesiges Angebot an Klasse-Torhütern. Die Engländer würden das Wembley-Tor annullieren, um einen aus der langen Liste einbürgern zu können. Die konkreten Chancen von sieben Fußballern habe ich aus diesem Anlass einmal unter die Lupe genommen.
Mit dabei sind René Adler, Manuel Neuer, Michael Rensing, Timo Hildebrand, Tim Wiese, Robert Enke und Roman Weidenfeller. Irgendwo musste ja ein Strich gezogen werden – deswegen tauchen Leute wie Markus Pröll oder Markus Miller erst gar nicht hier auf, obwohl sie ebenfalls jedes Wochenende mit klasse Leistungen in der Bundesliga auf sich aufmerksam machen.
Torwart der Nationalelf, das ist nicht irgendein Amt, sondern ein Schritt in große Fußstapfen von deutschen Weltklasse-Keepern in der Historie. Doch wer ist reif dafür, das Erbe von Turek, Maier, Schumacher, Kahn & Co. nach der EM im nächsten Sommer anzutreten?

René Adler:
So traurig es auch damals für ihn gelaufen sein mag, eigentlich müsste man sich im Nachhinein mit einem Blumenstrauß bei Jörg Butt für seinen Fauxpas bedanken. Am 21.Spieltag der vergangenen Saison stürmte er aus seinem Tor, kam mit der Hand an den Ball und sah die Rote Karte. Das abrupte Ende für den Ex-Hamburger bei Bayer nach 150 Spielen in Serie – der Weg war frei für René Adler.
Der sahnte in seinen ersten drei Partien nur Bestnoten ab und blieb im Leverkusener Tor - bis zum 34.Spieltag, als Butt seine Abschiedsvorstellung geschenkt bekam.
Schon im Sommer 2005 hatte Adler, mit 15 Jahren aus Leipzig nach Leverkusen gekommen, durch überragende Leistungen bei der U20-WM in den Niederlanden auf sich aufmerksam gemacht. Es folgte eine lange Verletzungsmisere, acht Monate musste Adler aufgrund einer Rippenverletzung pausieren. Gerade rechtzeitig wurde er fit, um die Gunst der Stunde zu nutzen und sich mit seinen Paraden den Platz im Bayer-Tor zu schnappen.
Super Reflexe, gut am Ball, immer voll konzentriert – so kennt man René Adler mittlerweile. Fehler leistet er sich kaum und mit 22 Jahren darf der 1,89-Mann in dieser Saison erneut international Erfahrung sammeln. Wenn er von weiteren Verletzungen verschont bleibt und sich mit der Hilfe seines Mentors und Torwarttrainers Rüdiger Vollborn, bei dem er insgesamt vier Jahre wohnte, weiter so rasant entwickelt, gehört Adler zwangsläufig zu den Top-Kandidaten für die Nachfolge von Jens Lehmann.
Seine Zukunft im Verein ist schon einmal gesichert: Bis 2012 hat er am Wochenende seinen Vertrag beim UEFA-Cup-Sieger von 1988 verlängert.

Manuel Neuer:
Ähnlich wie Adler katapultierte sich im letzten Herbst ein weiterer Youngster ins Tor eines Top-Klubs. Manuel Neuer ist Schalker seit der F-Jugend und seitdem er Frank Rost aus dem Kasten verdrängt hat, hält er seinen Arbeitsplatz mit Bravour sauber. Ausgerechnet vor dem Spiel gegen den FC Bayern hatte Mirko Slomka den damals 20-jährigen zum Stammkeeper befördert.
Schalke hatte gemeinsam mit Nürnberg die beste Abwehr der letzten Saison, auch ein Verdienst des 1,92 m großen Spielers. In der Nachwuchsmannschaft des DFB darf er inzwischen ebenfalls sein Können unter Beweis stellen, dazu Champions League und die Einladung zum Fitnesscheck der A-Nationalmannschft – Neuer wird überall gebraucht und geschätzt. Mit seiner guten Technik und seiner schnellen Spieleröffnung repräsentiert der Schalker den Torwart der Zukunft, der nicht nur auf der Linie mit seinen Reflexen zur Stelle sein muss, sondern immer mehr zu einem 11. Feldspieler wird. Gegen Bielefeld konnte er so ein Tor vorbereiten, gegen die Hertha leitete er mit einem Abwurf bis über die Mittellinie die Szene ein, die zum Sieg bringenden Elfmeter führte.
Manchen ist er etwas zu lieb, aber vielleicht muss man ja auch nicht in Olli Kahn-Manier durch den Strafraum wüten, um sich Respekt zu verschaffen. Mit seinen 21 Jahren gehört Neuer sicherlich die Zukunft und wenn der Sprung ins Tor der Nationalmannschaft 2008 noch zu früh kommen sollte, kann er sicherlich noch ein wenig warten.

Michael Rensing:
Gospodarek, Scheuer, Wessels – alle verließ irgendwann die Geduld als Ersatztorhüter des FC Bayern, alle suchten ihr Glück mit der Zeit woanders. Michael Rensing ist erst 23, doch auch er wartet seit mittlerweile drei Jahren auf den endgültigen Sprung ins Tor des Rekordmeisters. Im Sommer will Oliver Kahn die Schuhe an den Nagel hängen, bis dahin muss sich der Mann mit 18 Einsätzen für die U21 voraussichtlich noch gedulden.
Dabei hätte Ottmar Hitzefeld allen Grund, in jedem Spiel auf Rensing zurückzugreifen: 16 Pflichtspiele hat der in Bundesliga und Champions League für den FCB bestritten, 16-mal ging der Rekordmeister nicht als Verlierer vom Platz.
Am Samstag durfte er sich wieder einmal beweisen, ausgerechnet beim Spitzenspiel in Leverkusen. Rensing spielte zu null und kassierte vom „kicker“ prompt eine 1,5. Nun sieht es so aus, als könnten wir ihn in den nächsten Wochen häufiger bewundern: Kahn muss operiert werden und fällt erst einmal aus.
Manager Uli Hoeneß sieht den 23-jährigen nicht nur bald im Tor des FC Bayern, sondern sagte auch: „Rensing wird Nachfolger von Jens Lehmann.“ Für ihn kämen sowieso nur „Adler, Neuer und Rensing“ in Frage. Klare Ansage von Hoeneß, die der Torwart so kommentierte: „Bis jetzt hatte Uli Hoeneß immer Recht.“ Auch diesmal könnte es so sein, nur muss es Rensing jetzt gelingen, über Wochen Topleistungen zu zeigen. Denn Konstanz haben Lehmanns Erben alle schon an den Tag gelegt, in dieser Hinsicht hinkt Rensing etwas hinterher.
Doch wer so jung Stammtorwart in München werden kann, schwingt sich automatisch auf zum Kandidaten für die „1“ mit dem Adler auf der Brust.

Timo Hildebrand:
28 Jahre, 221 Bundesliga-Spiele, 6 A-Länderspiele: Die Zahlen scheinen derzeit mehr für Timo Hildebrand zu sprechen, als die Realität. Im Sommer hat er den Schritt ins Ausland zum FC Valencia gewagt und kämpft nun vorerst dort um einen dauerhaften Platz im Tor. Ein Nationalkeeper ohne Stammplatz, das sieht schlecht aus. Doch Hildebrand will sich durchbeißen.
Zweimal durfte er bisher die unliebsame Rolle des dritten Torwarts bei einem großen Turnier bekleiden, Einsätze gab es sonst meist nur in Freundschaftsspielen. Rumänien, Thailand, Argentinien, Georgien, Zypern, Rumänien – die Liste von Hildebrands Länderspielgegnern liest sich bis auf die „Albiceleste“ nicht gerade rosig. Nur einmal stand dabei die „Null“. Gegen Georgien und Zypern musste sich der Ex-Stuttgarter Kritik gefallen lassen.
So kennt man ihn: Solide, mit guten Paraden, aber oft auch nicht mehr, selten überragend. Zudem wirkte er sowohl in er Nationalmannschaft, als auch bei seinen ersten Auftritten in Valencia nervös. Nicht so in der letzten Saison als er zu den Garanten für den Meisterschaftsgewinn des VfB gehörte.
Viele können sich den blonden Mädchenschwarm nicht dauerhaft im Tor des DFB vorstellen, ihm selbst gefällt die Vorstellung jedoch sehr. Der hagere und wenig robust wirkende Keeper wird es jedoch schwer haben gegen die jüngere Konkurrenz – ohnehin gilt es für ihn erst einmal, das Tor des FC Valencia zu erobern, erst dann wird die Nummer eins in der Nationalmannschaft ein ernsthaftes Thema für ihn. Aber Hildebrand hat die Unterstützung von Joachim Löw sicher – ein Plus für ihn.

Tim Wiese:
Seit fast sechs Jahren hechtet Tim Wiese schon durch die Strafräume der Bundesliga, oft hat er es nicht leicht gehabt. Zwei Kreuzbandrisse, erst nur Nummer zwei in Bremen und dann sein gravierender Fauxpas in der Champions League gegen Juve, der das Aus für Werder bedeutete. Nun ist er topfit, hat seine Konstanz gefunden und die Fehler der Vergangenheit abgestellt. Der Anruf von Jogi Löw lässt jedoch weiter auf sich warten. Jüngst hat das Wiese zu der Aussage veranlasst, für ihn sei das „Kapitel Nationalelf unter Löw abgehakt“. Dass Hildebrand und Enke permanent vom DFB eingeladen werden, dafür hat der extrovertierte Ex-Lauterer kein Verständnis.
Wiese sagt seine Meinung, Wiese hält viel von sich selbst, das gesunde Selbstbewusstsein muss ja nicht schlecht sein. Von den sieben Kandidaten für Jens Lehmanns Nachfolge gehört er am ehesten dem Typus eines Oliver Kahn an. Er selbst sieht sich ebenfalls nicht als den „stromlinienförmigen“ Typen à la Lehmann, Enke, Hildebrand. Und der Torwart-Titan persönlich hat dem Bremer Torwart vor kurzem seine Rückendeckung gegeben.
Auch auf internationaler Bühne hat Wiese sein Können mehrfach eindrucksvoll unter Beweis gestellt, war fast alleine mit seinen Paraden für Werders Weiterkommen gegen Ajax verantwortlich. Jetzt fordert er, dass dies mehr Anerkennung findet.
Wenn die Fehler weiterhin ausbleiben und er ein hohes Niveau dauerhaft halten kann, ist der Stammplatz im deutschen Tor für Tim Wiese durchaus drin.

Robert Enke:
Die Profi-Karriere des Jenaers stand zu Beginn eigentlich unter keinem guten Stern. Gladbachs Torwart-Legende Uwe Kamps hatte sich schwer verletzt, Enke wurde als 21-jähriger zum Stammkeeper befördert. Die Saison 1998/99 war ausgerechnet die Abstiegssaison der Borussia, 79-mal musste Enke hinter sich greifen, doch jene Spielzeit wurde für den Keeper von Hannover 96 gleichzeitig zum Sprungbrett für höhere Aufgaben.
Es folgte der Wechsel ins Ausland zu Benfica Lissabon, weiter ging es zum illustren FC Barcelona, wo er nur einmal in der Liga im Tor stand, von dort zu Fenerbahce, von wo ihn der Weg über Teneriffa schließlich nach Hannover führte. Bei 96 besticht er seit 2004 durch konstant gute Leistungen, die ihn im März dieses Jahres zu seinem ersten Länderspiel gegen Dänemark brachten.
Aber ein Nationaltorwart von der – Entschuldigung – relativ grauen Maus Hannover 96? Viele werden sich wohl kaum mit einem Torwart, der weder bei einem Topklub, noch international spielt, anfreunden können. Zudem hat Enke mit 30 Jahren seinen Zenit erreicht. Den wird er noch ein wenig halten können, aber schon jetzt stehen deutlich jüngere Torhüter mit ihm auf Augenhöhe. Enke ist zweifellos ein klasse Torwart, aber dauerhaft gehört ihm sicherlich nicht die Zukunft beim DFB.

Roman Weidenfeller:
Arge Schaffenskrisen müssen nicht nur große Künstler bewältigen, auch Roman Weidenfeller kennt das Gefühl, wenn gerade nichts gelingen will. Erst muss er sich in den ersten beiden Saisonspielen sieben Gegentore einschenken lassen, dann die Sperre wegen Beleidigung von Gerald Asamoah, Rassismus-Vorwürfe, und als er nach drei Spielen – die der BVB allesamt zu Null gewann – ins Tor der schwarz-gelben zurückkehrt, geht die Misere weiter.
Zuletzt folgten drei Niederlagen in der Englischen Woche. Sechzehn Gegentreffer in fünf Spielen sind eine traurige Bilanz für den Keeper, der 2002 aus Kaiserslautern kam. Mit einem Notenschnitt von 3,8 findet er sich momentan ganz unten wieder in der Rangliste der Bundesliga-Torhüter. Weidenfeller steht dennoch in dieser Liste der möglichen Nachfolger, weil er schon anderweitig auf sich aufmerksam gemacht hat.
In der Spielzeit 2005/06 war er nach Angaben des Kicker-Sportmagazins sogar der beste seines Fachs. Kein Wunder, dass sein Name immer wieder auftaucht, wenn es um die potentiellen Nachfolger von Jens Lehmann geht. Momentan hat Weidenfeller mit Sicherheit andere Sorgen. Mit 27 Jahren ist er auch lange kein Nachwuchstalent mehr. Diese Rolle haben inzwischen andere übernommen. Ein Kandidat fürs DFB-Tor bleibt er, wohl nur kein allzu heißer mehr.

Fazit:
Der Torwart ist längst nicht mehr nur der Mann mit der „1“ auf dem Rücken, der irgendwie versuchen soll, Gegentore zu verhindern. Heutzutage muss er neben Reflexen auf der Linie und Sicherheit beim Hinauslaufen auch fußballerisches Können an den Tag legen und die Spieleröffnung selbst einleiten können. Ruhepol, Mann mit Ausstrahlung, Führungsspieler – die Anforderungen sind besonders an den designierten Nachfolger von Jens Lehmann hoch. Mit ihrem enormen Talent haben René Adler und Manuel Neuer sicherlich langfristig die besten Chancen. 2008 könnten für sie höchstens zu früh kommen.
Tim Wiese ist der berüchtigte „Typ“, der seine Abwehr eher lautstark zusammenhält. Seine Fähigkeiten sind unumstritten sehr groß, wenn er sein Temperament unter Kontrolle hält, sind seine Chancen trotz des verbalen Ausrutschers gegenüber dem Bundestrainer hoch.
Michael Rensing ist der große Unbekannte in der Runde. Die nächsten Wochen könnten für seine Zukunft eine Schlüsselrolle spielen. Überzeugt er, steht er ab 2008 im Tor des FC Bayern, und wer da als junger Deutscher mit 23 Jahren stehen darf, gehört automatisch zu den aussichtsreichen Kandidaten für Jogi Löw.
Der scheint indes große Stücke auf seinen schwäbischen „Landsmann“ Timo Hildebrand zu halten. Hildebrand ist zweifelsohne ein klasse Torhüter, aber ist er wirklich der richtige für den DFB?
Die geringsten Chancen sehe ich derzeit für Robert Enke und Roman Weidenfeller. Beiden fehlt die nötige internationale Erfahrung und im Gegensatz zu den Youngstern das nötige Entwicklungspotenzial. In ein paar Jahren werden die Jungen bei deren rasanter Entwicklung rasant an den Beiden vorbeiziehen.
Deshalb ergibt sich für mich diese Reihenfolge:
1a. Adler
1b. Neuer
3. Wiese
4a. Rensing
4b. Hildebrand
6. Enke
7. Weidenfeller

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