Dreizehn Spiele, zehn Siege, keine Niederlage – einhundertneun Tage der Freude. Der Mythos ist auf dem Heimweg.
Wort mit „H“, löst große Glücksgefühle aus, 13 Buchstaben? Die Überschrift ist diesmal symbolisch kurz, schlicht und effektiv gewählt. Eigentlich hätten es Versionen wie „Zeit für Besinnlichkeit“ (die ist jetzt spätestens eingekehrt), „Drei Chancen, vier Tore“ (klingt komisch, is' aber so) oder „Der Heilige Gral des Zweitligafußballs“ ebenfalls bestens umschrieben, was dieser Abend in Freiburg dem Unternehmen Wiederaufstieg gebracht hat. Übrigens ist dies das erste Mal, dass ich das ominöse Wort „Wiederaufstieg“ in dieser Saison in die Tasten haue. Bisher ist mir allein die optimistische Umschreibung „Ein-Jahres-Praktikum“ über die Lippen gekommen. Zudem hat Ottmar Hitzfeld uns am 31.10. bescheinigt, dass wir uns um jenen Wiederaufstieg keine Sorgen machen müssten.
Sorgen gehören seit Monaten wahrhaftig nicht mehr zum Alltag eines Fohlen-Anhängers. Eigentlich beschäftigt derzeit – man darf ruhig mal vorausschauend sein – allein die Frage, ob die Luhukay'sche Philosophie dieses Sports, bedacht auf Kontrolle und Effektivität, das Überleben in Liga Eins ermöglichen würde. (Der Konjunktiv ist an dieser Stelle bedacht gewählt.)
Premiere-Kommentator Wolff-Christoph Fuss bringt es gleich zu Beginn auf den Punkt: In dieser Partie der besten Heimmannschaft Freiburg gegen die beste Auswärtstruppe Gladbach suche man den „Heiligen Gral des Zweitligafußballs“. Offensives Feuerwerk auf der Basis einer intakten Defensive gegen kontrollierten Katastrophenschutz mit brandstifterischen Qualitäten – was befugt mit größerer Sicherheit zum Aufstieg in die Bundesliga?
Es dauert keine sechs Minuten bis die Borussia eindrucksvoll das erste Tor markiert – ein besseres Argument kann es nie geben. Neuville beendet die Anfangsmomente des Abtastens mit einem seiner Sololäufe auf der linken Seite. In Abwesenheit von Marin und Ndjeng spielt Gladbach ohne seine zwei größten Kreativkräfte und der 34-jährige Kapitän reißt diese Rolle sofort an sich. Es soll nicht sein einziger Geistesblitz bleiben.
Auf Höhe des Strafraums nimmt er das Tempo raus, serviert den Ball flach in den Strafraum, wo Friend das Leder nach einer Ballannahme und Körpertäuschung in Personalunion ins Tor befördert. Sein zehntes Saisontor. Jetzt darf der Kanadier rehabilitiert in die Winterpause gehen, ohne im Traum vom „weißen Kahê“ verfolgt zu werden. Das hat er sich redlich verdient.
Parallelen zum Spiel in Fürth werden deutlich. Die spielstarke Heimmannschaft hat mehr Ballbesitz, lässt seine offensiven Fähigkeiten jedoch eher selten aufblitzen. Gladbach besinnt sich in der Folgezeit darauf, das Tempo aus dem Spiel zu nehmen und den Ball, wenn überhaupt, sicher nach vorne zu tragen. Das sieht in der ersten Hälfte nicht unbedingt schön aus, ist aber effektiv und zahlt sich aus. Die Angriffsaktionen des SC Freiburg werden entweder von der Viererkette geklärt oder der letzte Pass findet einfach keinen Abnehmer.
Bis zur Pause scheint das 2:0 nicht unbedingt oberste Priorität für die Luhukay-Elf zu besitzen. Vielmehr wird das Spiel kontrolliert, der Gegner meist gedoppelt.
Nach 45 Minuten hat die Partie ihr Potential mehr angedeutet, als voll entfaltet. Vor allen Dingen die Mannschaft von Robin Dutt, dem Finke-Nachfolger, bleibt unter ihren Möglichkeiten.
Das letzte Quäntchen an Offensivdrang ist dann aber sofort nach der Pause zu spüren. Freiburgs Bemühungen in Richtung Christofer Heimeroth werden etwas durchdachter. Trotzdem versäumen die Breisgauer es, das Flügelspiel zu forcieren. Fast jeder Angriff wird durch die Mitte gefahren. Währenddessen sorgt die Borussia nur sporadisch für Entlastung. Meist landet der Ball per Befreiungsschlag in Nähe der Mittellinie. Als eine knappe Stunde rum ist, landet einer dieser langen, diagonalen Bälle von Coulibaly bei Oliver Neuville auf der rechten Seite. Der flankt aus dem Lauf, in der Mitte läuft Schwaab ins Leere und Rösler platziert das Runde per Kopf im Eckigen. Es ist die zweite Chance in 58 Minuten. Es ist das 2:0.
Bemerkenswert am Spiel der einstigen Breisgau-Brasilianer ist trotz allem ihr Durchhaltevermögen. Auch mit einem Rückstand von zwei Toren kein Hauch von Resignation. Es geht weiter unentwegt nach vorne.
Sechs Minuten nach dem zweiten Gladbacher Treffer lässt Paauwe den dritten folgen – leider ins falsche Tor. Bezeichnend fürs gesamte Spiel: Ein Borusse muss nachhelfen und einen Freistoß von Matmour mit dem Scheitel unhaltbar in den Winkel befördern.
Im Anschluss ist Freiburg dem Ausgleich näher als zwischen der 6. und 58. Minute. Doch die Borussia wackelt kaum und fällt ebenso wenig – im Gegenteil. Ungläubig sehe ich Neuville auf der rechten Seite starten. Hatten wir das heute nicht schon einmal? Rösler, der den Angriff selbst eingeleitet hatte, stürmt in der Mitte heran, die Flanke kommt, der Ball ist drin, der Jubel groß, das Spiel entschieden.
Diese Leistung mutet fast unverschämt an. Drei Chancen, vier Tore, 133%-ige Chancenauswertung (Paauwes mustergültigen Kopfball mit eingerechnet) – besser geht’s nimmer. Schon in Koblenz und in Fürth standen am Ende Ergebnisse zu Buche, die man eher mit einem Augenreiben am rechten oberen Bildrand wahrgenommen hat. Ein weiteres Spiel reiht sich ein in diese Serie ungekannter Hochgefühle bei Auswärtsspielen. Fünf Siege in der Fremde weist das Konto in dieser Spielzeit auf, ebenso viele wie in zuvor 84 Auswärtsspielen in der höchsten deutschen Spielklasse. Der Zupfer am Ärmel und der Hinweis darauf, dass die Zweite auch nicht die Erste Liga ist, kommen prompt. Aber wen kümmert's?
Der Herbstmeister in der 2.Bundesliga heißt Borussia Mönchengladbach, ein ganz neues Gefühl für mich in fast 13 Jahren Fandasein. Die letzte Herbstmeisterschaft entstammt dem Jahr 1976. Meine Mutter hatte damals noch nicht einmal ihr Abitur, Uli Hoeneß schoss den berühmten Elfer in den Belgrader Abendhimmel und der Bundeskanzler hieß Helmut Schmidt. Wer wie ich seine Liebe zur Raute mit einem Pokalsieg eingeläutet, dann einen Abstieg beweint, den Aufstieg gefeiert hat wie eine Meisterschaft und dann vor Wut nicht weinen konnte beim erneuten Abstieg, klammert sich verzweifelt an jeden Glücksmoment, den dieser Verein zustande bringt. Selbst ein Gewinn des DFB-Hallenpokals – selbst wenn er wieder aberkannt wurde – gehört zweifellos dazu. Einen dieser Glücksmomente hat dieser Abend in Freiburg definitiv beschert. Der Abstand zum zweitklassigen Ufer beträgt am 11.12.2007 acht Punkte – ein Polster, das beinahe zu beruhigend wirkt.
Für 35 Punkte, die in bisher 16 Spielen erzielt wurden, hat der VfL vom 4.März 2006 bis zum letzten Spiel der Abstiegssaison 44 Partien benötigt. Für 35 Tore aus dieser Spielzeit kurioserweise genau denselben Zeitraum. Man kann es also so betrachten: Innerhalb von vier Monaten ist auf den lange leidgeprüften Borussen-Fan genauso viel Glück und Wohlgefühl eingeprasselt wie zuvor in eineinhalb Jahren. Wir müssten demnach erdrückt am Boden liegen.
Apropos „Jahre“: 2007 – das Jahr der Gegensätze, das Jahr der zwei Borussias – ist noch nicht zu Ende. Die Weihnachtsfeier findet am Sonntag um 14:00 Uhr im Borussia-Park statt. Der SC Paderborn ist fürs Catering zuständig. Guten Appetit!
Trotz allem bleibt der wahre „Heilige Gral“ weiter verschollen – ein echter „Mythos“ eben.
Mittwoch, 12. Dezember 2007
Fohlengeflüster (11): Herbstmeister
Eingestellt von Jannik um 00:21
Labels: Gladbach, Zweite Bundesliga
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