Samstag, 31. Mai 2008

EM-Tagebuch (3) -
Seltener Dank

8,50€ für 95 Minuten EM-Nostalgie. Notizen zum EM-Finale 1996.

Es fällt mir von Natur aus schwer, der Bild-Zeitung für irgendeine ihrer Taten zu danken. Deswegen schicke ich erst einmal Negatives vorneweg, dann fällt es mir nachher leichter: 8,50€ sind zuviel für eine Ausgabe der „Klassikersammlung“, die die BamS nun herausgebracht hat. Zweimal, vielleicht auch dreimal kann man sich das gönnen, aber wer blättert diesen Preis bitte schön jeweils für 40 Ausgaben hin?

Ohnehin interessieren mich so richtig nur das Halbfinale gegen England von vor zwölf Jahren und eben jenes Endspiel gegen Tschechien – weil ich weiß, dass ich es gesehen habe und mich dennoch freilich nicht an jede Einzelheit erinnern kann. Deshalb jetzt ein ehrliches „danke“ für die 90+5-minütige Rückversetzung ins Jahr 1996. Auch wenn es im Vergleich zu den wirklich alten Klassikern, wie dem 3:1-Sieg in Wembley ’72 oder das 4:2 gegen Jugoslawien im Halbfinale vier Jahre später, noch nicht so richtig lange zurückliegt, kommt der „moderne Fußball“, den wir heute mit all seinen Facetten kennen, noch nicht so recht zur Geltung.

Ein paar Beobachtungen:

- Ich denke zum ersten und einzigen Mal in der Geschichte dürften vor einem großen Finale drei Hymnen gespielt worden sein. Vor der deutschen und tschechischen ertönte zuerst „God save the Queen“. Während die englische Hymne noch feierlich angekündigt wurde, ging es danach schnurstracks mit der deutschen weiter.

- Meinem Bruder musste ich erst einmal erklären, dass die Nummer 18, die uns aufs Feld führte, nicht Tim Borowski, sondern Jürgen Klinsmann ist.

- Die Hymnen wurden von Gesang begleitet. Anna-Maria Kaufmann mag vielleicht eine herausragende Opernsängerin sein. Auf dem Fußballplatz hat sie dennoch nichts zu suchen. Mittlerweile haben es der DFB, die UEFA und die FIFA Gott sei Dank ebenfalls kapiert.

- Miroslav Kadlec präsentierte der Queen seine Mitspieler mit einer seltsamen Handbewegung vor: als wolle er seiner Mutter im Schaufenster eine Jeans zeigen, von der er genau weiß, dass sie den Kauf derselbigen empört ablehnen wird.

- Deutschland spielt in einem 3-5-2 mit Libero, was aus heutiger Sicht fast das Prädikat „antik“ verdient.

- Der tschechische Coach heißt U(h)rin, was mir als Kind bei jeder Verkündung seines Namens einen großen Spaß bereitete.

- Das Tempo ist lange Zeit sehr hoch, bis die deutsche Elf sich wieder aufs Vogts’sche Rumgeschiebe auf der Höhe der Mittellinie besinnt.

- Man hört bei jeder Ballberührung das Klatschen des Balles. Die Astronauten-Bälle von heute sind dagegen weitestgehend stumm.

- Zu den beliebtesten Fanutensilien unter den 15.000 mitgereisten Deutschen gehört ein hässlicher Anglerhut in schwarz-rot-gold. Trikots in der Kurve sind so selten wie englische Siege im Elfmeterschießen (der musste sein, sorry).

- Masseur Katzenmeier ist seitdem nicht wirklich gealtert.

- Als Dieter Eilts sich verletzt, steht René Schneider (!) kurz vor einer Einwechslung. Der Mann ist mit einem Länderspiel (wohlgemerkt vor der EM) Europameister geworden. Zudem hat er die Champions-League mit Dortmund gewonnen, ohne jemals wirklich gespielt zu haben.

- Als dann doch Bode für Eilts ins Spiel kam, waren Bierhoff und Schneider die einzigen beiden verbliebenen Feldspieler auf der Bank.

- Fortuna Düsseldorf (!) ist vor der EM an Pavel Nedved (!) dran gewesen. Nedved trug damals mit 23 Jahren übrigens eine interessante Fönfrisur.

- Nach 56 Minuten, kurz bevor Tschechien durch einen unberechtigten Elfer mit 1:0 in Führung gehen sollte, hatte Deutschland 58% Ballbesitz – weil sich die Abwehr permanent den Ball hin und her schiebt.

- Das Publikum quittierte dies mit einem lauten Pfeifkonzert.

- Die sandige Laufbahn des Wembley-Stadion erinnert an eine Mischung aus Weitsprunggrube, Trabrennbahn und dem Platz bei den Horse Guards.

- Taktische Fouls wurden damals scheinbar noch offensichtlicher vorgenommen als heute. In einer Szene zieht Matthias Sammer Jiri Nemec fast die Hose aus, um ihn zu stoppen.

- „One touch“ hat seine Geburt wohl erst nach ’96 erlebt.

- „4. Tor im 9. Länderspiel – was für eine Bilanz“, schwärmt Bela Réthy nach Bierhoffs Ausgleich (per Kopf, wie auch sonst). Was würde er wohl zu Gomez' Quote von 6 in 9 sagen?

- Heute würde der Reporter nach jedem unglücklichen Zusammenstoß, jedem blöden Ellbogencheck usw. sofort klarstellen: „Wir wollen XY keine Absicht unterstellen“. Damals nahm man den Vorfall einfach zur Kenntnis und weiter ging’s.

- Petr Kouba sah beim Golden Goal verdammt scheiße aus.

- Stefan Kuntz stand im passiven Abseits bei Bierhoffs Schuss.

- Bela Réthy laberte wirres und unnötiges Zeug in den Minuten nach dem Abpfiff bzw. dem Golden Goal.

- Ich muss jetzt aufhören. Gleich geht’s los auf Schalke gegen Serbien.

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