Zwölf Jahre liegt der letzte Sieg der Nationalelf bei einer Europameisterschaft zurück. Warum ich eine Mitschuld trage und wir am 8.6. bereits wissen, wie wir den Finaltag verbringen werden.
„Nein, danke, ich hör’ auf. Ich will nicht mehr“. Wäre mir dieser Satz vor zwölf Jahren über die Lippen gegangen, hätte ich mir viel Leid in meiner Karriere als hauptberuflicher Fußballfan ersparen können. 1995 holte Gladbach den DFB-Pokal, ich fuhr mit der Fahne in den Gepäckträger geklemmt durch die Nachbarschaft, klingelte was das Zeug hielt, damit auch jeder von diesem großen Triumph Wind bekam. Es ist bis heute der letzte Glücksmoment dieser Art gewesen, was die Borussia angeht.
Ein Jahr später, kurz nach der Entlassung aus dem Kindergarten begann die EM in England. Deutschland gewann zum Auftakt gegen Tschechien, schlug Russland mit 3:0. Das torlose Remis gegen Italien und Andi Köpkes erste Sternstunde als Elfmeterkiller erlebte ich auf dem Teppich vor dem Fernseher kniend. Es ging so weiter. Vom Viertelfinale gegen die Kroaten habe ich nur noch Klinsmanns Elfer und das 2:1 durch Matthias Sammer in Erinnerung.
Ich denke, es dürfte das Halbfinale gegen England gewesen sein, vor allen Dingen das Elfmeterschießen, das mich erstmals in meinem Leben durch diese Achterbahn der Gefühle jagte, die wir alle kennen, wenn uns ein Spiel – egal ob zuhause oder vor dem Fernseher – so fesselt, dass es besser wäre, wir verließen den Raum. Southgate verschoss, Möller vollendete 20 Jahre deutsche Ungeschlagenheit beim Elfmeterschießen. Zwölf weitere haben sich mittlerweile dazu gesellt, wobei wir seitdem nur noch ein weiteres Mal das Glück derart auf die Probe stellten. Es ging bekanntlich alles seinen gewohnten Weg im Viertelfinale 2006 gegen Argentinien.
Der Grund für unsere weitestgehende Elfer-Abstinenz der letzten zwölf Jahre, liegt vor allem in unserem bitteren Versagen bei den Turnieren 2000 und 2004 verankert. Es klingt fast nach niederländischer Turniertristesse, wenn von zwölf Jahren ohne Sieg bei Europameisterschaften die Rede ist.
Dabei sind es unterm Strich „nur“ sechs Spiele: Ein 1:1 gegen Rumänien (Mehmet Scholl erzielte unseren einzigen Treffer), die 0:1-Pleite gegen England (mit dem illustren Sturmduo Jancker-Rink), das historische 0:3 gegen Portugal (durch drei Tore eines gewissen Sérgio Conceição, der nach einem Abstecher in Saudi-Arabien mittlerweile in Saloniki sein Geld verdient).
Vier Jahre später ging es mit einem 1:1 gehen Holland los (in Porto hätte es gereicht, Frings’ Führungstreffer über die Runden zu bringen, doch Wörns stellte sich gemeinsam mit Fabian Ernst einfach zu dämlich gegen Ruud van Nistelrooy an), das zweite Spiel gegen Lettland endete 0:0, im letzten Gruppenspiel bedeutete das 1:2 gegen Tschechien das Aus (ein Sieg hätte genügt, Rudi Völler nahm daraufhin seinen Hut).
Ohne jetzt Mitleid zu heucheln: Ich bin ein ziemlich gebranntes Kind, was die Europameisterschaft angeht. Deutschland hat seit der Zeit zwischen 1954 und 1972 nie eine längere Durststrecke ohne Titel erlebt, nie lagen mehr als sechs Jahre zwischen zwei Finalteilnahmen. Es ist also an der Zeit.
1996 wurde ich eingeschult, erlebte den Titelgewinn in England also als Kindergartenkind. Jetzt ist meine Schulzeit vorbei. Statistisch gesehen, haben wir immer das Finale erreicht, wenn ich nicht die Schulbank drückte (z.B. während der EM 1992). Seit 1980 wird ein EM-Endrundenturnier mit Gruppenspielen eingeläutet. In dieser Zeit haben wir bei sieben Endrunden fünfmal zum Auftakt remis gespielt, viermal davon 1:1. Nur 1980 und 1996 gab es in der ersten Partie einen Sieg – es folgte erst der zweite, dann der dritte EM-Titel. Theoretisch wissen wir am 8. Juni also schon, ob wir am 29. einen Autokorso veranstalten. Ein Sieg gegen Polen ist alles, was wir brauchen. Wenn es doch nur so einfach wär'.
Trainer Baade hat uns vor ein paar Tagen zwölf Jahre zurückversetzt (wenn auch eher als Mahnmal gedacht). Jetzt auch hier das Video von Bierhoffs Golden Goal gegen Tschechien (das in dieser Art auf keinen Fall seine Wiederholung erleben wird).
Freitag, 30. Mai 2008
EM-Tagebuch (2) -
Sieglose Kindheit
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen