Kroatien war im Nachhinein mit Sicherheit kein glückliches Los. Aber da waren ja noch die Österreicher. Also doch wieder: das gute, alte Losglück. Warum selbst Kurt Beck die Kanzlerin kalt lässt, wenn Jogi in Not ist und warum Portugal am Donnerstag sein schwarz-rot-goldenes Wunder erlebt.
Am 2. Dezember 2007 ging ein Aufschrei durch Deutschland und nicht nur dort. Ganz Europa bemühte die alte Leier vom „deutschen Losglück“. Uns war das herzlich egal, schließlich ließ die Kombination Kroatien-Polen-Österreich vor unserem geistigen Auge bereits einen viel versprechenden Film ablaufen: Mit den Siegerehrungen der Europameisterschaften 72, 80 und 96, mit einem gewissen Oliver Bierhoff, der sich in London das Trikot vom Leibe reißt (wobei keineswegs die Handlung selbst, sondern der Grund für diese Entblößung bei der männlichen Fraktion Heiterkeit erweckte). Nicht mit von der Partie waren natürlich diverse Lichtgestalten (vielmehr 5 Watt Birnen) wie Erich Ribbeck, Carsten Jancker oder Fabian Ernst. Denn die entstammen einer Zeit, die im Sommer 2008 nicht nur vier bzw. acht Jahre, sondern gefühlte 3700 Jahre in die Vergangenheit befördert werden sollte.
163 Tage nach jenem verregneten Dezembertag erlitt die Sage vom Losglück einen herben Dämpfer. „Pah, von wegen Glück“, hallte es durchs Land. Die deutsche Nationalmannschaft hatte ihr kroatisches Vorrunden-Waterloo erlebt. Jogi Löw wünschte sich bereits, dass es Nacht werde oder Klinsmann herbeigeeilt komme. Doch genauso schnell wie das jahrzehntelang währende Glück der deutschen Mannschaft - das immer aufflacktert, sobald mehrere Plastikkugeln und Papierschnipsel sich um Umkreis von 100 Metern befinden - sein vermeintliches Ende gefunden hatte, erlebte es seine Wiedergeburt. Und ob wir Glück hatten!
Denn gegen geschätzte 20 andere Mannschaften dieses Kontinents wären wir am Dienstag eingegangen. Aber nein: Das Losglück bescherte uns einen Gegner, den man sogar auf den Färöer-Inseln nur einlädt, wenn der letzte Erfolg der Nationalmannschaft sich bereits zum zehnten Mal gejährt hat. Österreich hätte in der Quali doppelt Punkte kassieren können und es trotzdem nie und nimmer zur EM geschafft. Die UEFA ist ein soziales Gebilde, man mag es zwar kaum glauben. Aber wer es schafft, das Österreich an einem großen Turnier teilnimmt, ohne sich dabei auf illegale Pfade zu begeben, muss ein herzensguter Mensch sein.
Österreich hat sich nicht blamiert, sondern gezeigt, dass die ganz dunklen Tage vorbei sind. Allzu hell ist es dort, fußballerisch betrachtet, aber immer noch nicht. Meine Mutter hat den Wunsch geäußert, dass Spiele in bestimmten – besonders gravierenden – Fällen auf die Tageslänge von 24 Stunden gestreckt werden, um herauszufinden, wie viel Zeit vergehen würde, bis eine schier dem Untergang geweihte Mannschaft ein Tor erzielt. Ich hatte das Gefühl, ich säße noch heute vor dem Fernseher. Wahrscheinlich wäre das „Achtelfinale“ in Wien nie angepfiffen worden, schließlich hätten die Österreich ihr Auftaktspiel gegen Kroatien aufgrund chronischen Tormangels noch nicht zu Ende gespielt.
Nun sollte aber auch Schluss sein mit dem Spott, vielleicht ist es auch nur ein Abwehrreflex, um irgendwie um eine Bewertung des Spiels aus deutscher Sicht herumzukommen. Das Scheitern eines gewissen EU-Reformvertrages schien die Kanzlerin spätestens ab der 40. Minute nicht mehr sonderlich zu interessieren. Ihr wichtigster Minister war der Coaching-Zone verwiesen worden. Wen kümmern da die Iren. Jogi Löw auf der Tribüne – Kurt Beck könnte in der Halbzeitpause zum Bundeskanzler ernannt werden, selbst Frau Merkel hat Wichtigeres zutun, wenn ein slowenischer Profilneurotiker auf der Nase unseres Bundestrainers volkstypische Tänze vollführt. Vermutlich hat sie ihrem Vize Fritz-Walter, äh pardon, Frank-Walter Steinmeier vor dem 1:0 auch nur schnell gesimst, dass er den vierten Offiziellen glimpflich davon kommen lassen soll. Schließlich hat Slowenien bis zum 30. Juni die Ratspräsidentschaft inne. Wer weiß, wozu ein gutes Standing bis dahin noch zu gebrauchen ist.
Wenigstens Kommentator Bartels hatte eine Eingebung. “Vielleicht steht da gleich drauf ‚1:0 Ballack’“, mutmaßte er vor dem Siegtor über den Inhalt der Kanzlerinnen-Kurzmitteilung. Er sollte öfter von seinen Kassandra-Qualitäten Gebrauch machen. Aber ich weiß, wie das ist: Man will es ja nicht überstrapazieren. Deswegen sage ich auch nicht allzu oft, dass wir immer noch Europameister werden.
Wie schon gegen Kroatien war das Spiel über weite Strecken eine Qual, allein die Gegentore fehlten diesmal. In der Halbzeit lächelte mich die DVD des Wembley-Sieges von 1972 an. Rasantes Kurzpassspiel, Athletik und Dynamik hätte ich da sehen können (im Vergleich zu unserer Spielweise bei dieser EM allemal), stattdessen durfte ich mir Standfußball aus dem Jahr 2008 ansehen. Grausam.
Mario Gomez hat nicht nur einen gravierenden Fehler begangen, als er Kloses Querpass beinahe über das Tor semmelte und dann so konsterniert war, dass er nicht einmal mehr in der Lage war, die Stirn zum Einnicken anzuheben. Nein, er versuchte sich zudem bei der Nationalhymne erstmals als Wiener Sängerknabe (ich glaube aber, er hat etwas anderes gesungen, das sah höchstens nach post-epileptischer Lippengymnastik aus). Entweder richtig simulieren oder gar nicht, Mario.
Vor lauter Sarkasmus, in den mich meine Frustration treibt, bleibt mir am Ende nur eine Erklärung für unseren geradezu englisch anmutenden Niedergang seit dem 12. Juni: Jogis Jungs bluffen, was das Zeug hält. Und am Donnerstag ist Pokerstar Torsten Frings vermutlich verletzt. Das heißt: Karten auf den Tisch, "all in" und die Portugiesen schlagen. So wird es kommen.
Mittwoch, 18. Juni 2008
EM-Tagebuch (21) -
Einmal Wien-Waterloo-Wien, bitte
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