Mittwoch, 18. Juni 2008

EM-Tagebuch (22) -
Neongelbe Wichtigtuer

Der Schiedsrichter - ein Chamäleon.

Früher trugen sie ausschließlich schwarz, dazu einen Schnäuz und ein paar Breitengrade weiter südlicher eine ansehnliche Plauze. Ihre Trikotfarbe ist mittlerweile den Weg des Fernsehens entlang marschiert – aus schwarz wurde neongelb, blau, rot. Immerhin ist das schmucke lila der 90er wieder von den Fußballplätzen dieser Welt verschwunden. Allein im modebewussten Italien trägt Herr Schiedsrichter bisweilen schweinchenrosa.

Die Persönlichkeiten von früher sind durch eitle, braun gebrannte Maschinen ersetzt worden, die in ihren grellen Trikots häufig aussehen, als habe sie der letzte Zug von der Love Parade nicht nach Hause, sondern zufällig auf den Fußballplatz gebracht. Sie sind gestählt, zumindest fitnessmäßig voll auf der Höhe. Mitte 40 ist Schluss, dann kommt der radikale Schnitt, egal was die viel zitierte demagogische Entwicklung sagt.

Ein echter Eifel-Junge wie Herbert Fandel – Musikschulleiter in Bitburg, in Steckbriefen immer als Pianist ausgewiesen – sticht da schon leicht aus der Masse heraus: Lebenslange Sonnenbankabstinenz, klunkerfreier Brustkorb, 08/15-Frisur, ein ganz normaler Typ eben. Fandel ist kein Collina, kein Frisk, kein Wack. Wenn er über Fritz Walter reden darf, stehen ihm beinahe die Tränen in den Augen, wie einem kleinen Jungen, der Michael Ballack aufs Feld eskortieren durfte. „Ich bin Fritz Walter sehr verbunden. Nicht nur durch die räumliche Nähe“, sagte er letztens etwas missverständlich im ZDF. Auch wenn die Höhe des Himmels nicht einwandfrei belegt ist, wird er die 100 Kilometer gemeint haben, die seine Heimat in der Eifel von Kaiserslautern trennen.

Wenn solch eine EM vonstatten geht, bleibt es nicht aus, dass die Schiedsrichter – wenn auch meist unfreiwillig – von Zeit zu Zeit ins Rampenlicht rücken. Peter Fröjdfeldt bestach beim Spiel Holland-Italien durch erstklassige Regelkunde (ok, es ist auch sein Job), als er das 1:0 der Holländer richtigerweise anerkannte, weil auch Spieler hinter der Torlinie für die Auslegung der Abseitsregel relevant sind. Morgen darf er unser Viertelfinalspiel gegen Portugal pfeifen. Die deutschen Erinnerungen an den Schweden sind eher schlecht, was weniger an ihm lag als an einem dürftigen 1:1 auf Zypern im November 2006.

Howard Webb ist nicht nur der einzige Engländer bei diesem Turnier und jüngstes Mitglied der 12 Schiri-Apostel bei dieser EM, sondern weilt derzeit ganz oben im Ranking der haarsträubendsten Fehlentscheidungen bei diesem Turnier. Polens Abseitstor gegen Österreich – eigentlich eine dankbare Aufgabe in jedem Sehtest. Wobei der Arme mit seinem Namen für seine unaufmerksamen Assistenten geradestehen muss. Das Schiedsrichterleben ist eben nicht immer gerecht.

Damir Skomina dagegen ist keineswegs Eisdielenbesitzer in Split, sondern seit Montag so etwas wie der bekannteste vierte Offizielle Europas. Nicht viele haben es geschafft, gleich zwei Trainer in der ersten Halbzeit auf die Tribüne zu befördern. Sein Vorgesetzter an diesem Abend in Wien, der Spanier Manuel Mejuto Gonzalez, ist jedoch auch so ein Fall. 2007: Hahnebüchene Fehler beim Spiel Schottland-Italien. 2006: Beide Assistenten fallen vor der WM durch den Fitnesstest. 1996: Mejuto Gonzalez hat seine Augen gerade irgendwo anders, als im Strafraum etwas passiert. Über die Außenmikrofone sind folgende Bruchstücke aus dem Gespräch mit dem Linienrichter zu vernehmen: „Elfer und Rot? Für wen? Verdammte Scheiße, verarsch mich nicht?“. Große Klasse, dieser Mann.

Doch was geht in einem Schiedsrichter vor, wenn er sich wie Herr Skomina vor zwei eigentlich harmlosen und höflichen Trainern aufplustert wie ein Huhn mit Stromkabel im Hintern? Bei schlecht gelaunten und vor harten Sanktionen nicht zurück schreckenden Lehrern vermuten Schüler häufig Eheprobleme in Tateinheit mit Potenzproblemen. Sind Schiedsrichter nicht so etwas wie die Oberlehrer auf dem Fußballplatz, die den Schülern zwar nichts beibringen, dennoch kräftig austeilen?

In Deutschland kommt man als Schiedsrichter mit Profilneurose nicht allzu weit. Viel zu oft immerhin noch in die Bundesliga, aber selten zu großen Turnieren. Dorthin schaffen es nur die integren, bodenständigen Merks, Fandels und Heynemanns. Dabei widersprechen Arroganz und Auffälligkeit ohnehin dem Erfolgsrezept eines Schiedsrichters. Denn ein guter ist der, der nicht auffällt, weil er a) die richtigen Entscheidungen fällt und sich b) nur einmischt, wenn es wirklich nötig ist, so dass der Fan nach 90 Minuten am besten gar nicht mehr weiß, wer da eigentlich gepfiffen hat. (Falls das heutzutage in den feierfreudigen Rudelguckoasen überhaupt noch jemand weiß. Die Namen der beiden Mannschaften fallen dort ja schon in die Kategorie „fortgeschritten“.)

Während auf dem Platz schon nicht immer ganz klare Köpfe die Pfeife im Mund haben, halten in den höheren Etagen der Untersuchungsausschüsse und Fußballgerichte noch viel schwärzere Schafe die Zügel in der Hand. Fingerspitzengefühl ist dort ein Fremdwort, Größenwahnsinn Grundnahrungsmittel. Auch deshalb – obwohl, eigentlich nur deshalb – sitzt Jogi Löw morgen nicht auf der Bank. Er wird dem vierten Offiziellen kein „Arschloch, Wichser, Hurensohn“ an den Kopf geworfen, ihm keine badischen Volkslieder vorgesungen haben, sondern besonnen wie immer die Sache angegangen sein – mit einem humanen Puls und ohne Polemik. Ein Bilic und ein Terim dürfen am Spielfeldrand sozusagen Feuerwerkskörper zünden. Der liebe Löw und der heitere Hickersberger dürfen nicht einmal ihr großzügig ausgelegtes Gehege im Happel-Stadion beackern.

Deutschland wird morgen nicht ausscheiden, weil der Trainer auf der Bank fehlt. Aber wie schon 2006 ist am DFB ein Exempel statuiert worden, das Fragen über den Intelligenzgehalt der Fußball-Funktionäre aufwirft. Damals wurde Torsten Frings nach einem Wangenstreichler fürs Halbfinale gegen Italien gesperrt. Wie das ausging, wissen wir.

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