Eine polnische Zeitung brüstet sich mit einer Schlacht im Jahre 1410 und fordert die Köpfe unserer Kicker ein. Wir erheben mahnend den Finger, fragen uns „habt ihr sie noch alle?“ und schauen genüsslich auf die 91. Minute am 14. Juni 2006 zurück.
Es ist 598 Jahre her, dass eine polnisch-litauische Armee deutsche Kreuzritter bei Grunwald vernichtend geschlagen hat. Ein polnisches Boulevardblatt musste sechs Jahrhunderte zurückgehen und den Sieg von damals (wobei sich „damals“ noch etwas zu frisch anhört) aus den Geschichtsbüchern kramen, um einen Anhaltspunkt zu finden, der die polnische Mannschaft an glorreiche Zeiten erinnern und zum Sieg gegen die deutsche Mannschaft am Sonntag treiben soll. Mir war dieses Geschichtskapitel fremd. An dieser Stelle herzlichen Dank an den „Super Express“ für diese wertvolle Lehrstunde.
Wer es nötig hat, Leo Beenhakker mit den Köpfen von Jogi Löw und Michael Ballack auf seiner Titelseite abzudrucken, damit der fußballerische Komplex irgendwie einem Hauch von Selbstbewusstsein weicht, der soll das tun – es wird sowieso nichts bringen. Nur Häme, Spott und Aufruhr. Unterm Strich schneiden sich die Polen damit nur ins eigene Fleisch. Die Antwort wird hoffentlich ganz diplomatisch und stumm auf dem Platz folgen.
Die Gewissheit, dass wir in Deutschland nur zwei Jahre zurückgehen müssen, um uns an einen geschichtsträchtigen Sieg gegen Polen zu erinnern, lässt mich diese Karikaturen der polnischen Bild-Zeitung relativ gelassen hinnehmen. Zumal wir kriegerische Auseinandersetzungen gänzlich außen vor lassen können und uns nur auf die guten Tage in 100 Jahren Länderspielgeschichte besinnen müssen. Gegen kein anderes Land haben wir mehr Spiele ohne Niederlage bestritten – fünfzehn an der Zahl.
Der 14. Juni 2006 scheint den Polen indes noch immer schlaflose Nächte zu bereiten. Dass David Odonkor der Hauptakteur in diesen Alpträumen ist, spricht Bände über das fußballerische Selbstwertgefühl unserer Nachbarn östlich der Oder. Bezeichnenderweise fragte ein polnischer Journalist heute auf der Pressekonferenz zuallererst nach Odonkor und wollte wissen, ob unser Flügelflitzer am Sonntag eine entscheidende Rolle einnehmen wird. Jogi Löw hätte natürlich ehrlich sein und zugeben können, dass er persönlich einer der wenigen war, der überhaupt an Odonkors Stärken geglaubt hat und eigentlich niemand den Spieler von Betis Sevilla im EM-Kader haben wollte. Doch stattdessen redete er ihn geradezu stark, so dass der polnische Fragesteller in seinem Land besorgt den fußballerischen Ausnahmezustand ausrufen wird.
Zum Glück fand das gestrige Testspiel gegen die A-Jugend des FC Locarno unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. 8:0 schossen unsere Jungs den Nachwuchs vom Lago Maggiore aus dem Sportplatz. Sieben Stürmertore waren darunter. Und einer ließ sich natürlich wieder nicht lumpen: Lokalmatador Oliver Neuville, der zweite Polenschreck im Bunde. Wenn unser erster Gruppengegner dessen Maradona-Solo über den halben Platz mit anschließendem Schlenzer in den Winkel gesehen hätte, dürften wir uns wahrscheinlich auf einen spielfreien Sonntag freuen. Die Polen wären erst gar nicht angetreten. Stattdessen spielt die Redaktion des polnischen Bild-Verschnitts jetzt weiter fleißig mit Photoshop und arbeitet sich provisorisch den Frust von der Seele. Damit der Montagmorgen nicht ganz so hart wird.
Donnerstag, 5. Juni 2008
EM-Tagebuch (8) -
Nightmare on rechte Außenbahn
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