Sonntag, 27. Juli 2008

Wie Ödipus vor der Sphinx

Der deutsche Fußball verirrt sich momentan in einem dichten Dschungel voller Grundsatzentscheidungen: Olympia oder Bundesliga? Geld oder Tradition? Sportschau oder keine Sportschau? Wir stehen gleich mehrfach am Scheideweg.

Die diesjährige Ausgabe des allseits bekannten Sommerlochs erweist sich als besonders hartnäckig. Denn wann gehörten die Worte „Olympia“ und „IOC“ zuletzt zu unserem Fußball-Wortschatz? Wann durften wir schon einmal so intensiv darüber diskutieren, ob die Bundesliga Vorrang vor den Olympischen Spielen hat? Alles äußerst brisant, alles aber auch sowas von sommergelöchert. Die Frage nach der Abstellungspflicht für das Turnier in Peking wird zur Grundsatzfrage hochstilisiert. Die beiden Schwergewichte im Sport – das IOC und die FIFA – liefern sich ein beeindruckendes Muskelspiel in freundschaftlicher Feindschaft.

Die Olympische Charta schlüpft derweil in die Rolle der Bibel des Weltsports – jeder will aus ihr die unmissverständliche und unverrückbare Wahrheit lesen. FIFA-Boss Blatter behauptet auf der einen Seite, eine Ablehnung der Abstellungspflicht widerspreche „dem Geist der olympischen Bestimmung“. Auf Schalke spricht man im Fall Rafinha auf der anderen Seite von „Vertragsbruch“. Das gefalle der berüchtigten Charta wiederum auch nicht. Sprich, Rafinha dürfte unter diesen Umständen nicht bei den Spielen antreten, so die Königsblauen. Wie im „echten Leben“ soll jetzt der Gang vors (Sport-)Gericht für Klarheit sorgen.

Dirk Nowitzki hat jüngst mit seinem offenen und überwältigten Bekenntnis zu Olympia viele Sympathien auf sich gezogen. Kein Wunder, wenn ein millionenschwerer 2,14-Meter-Hüne mit Tränen in den Augen seiner Freude über die erfolgreiche Olympia-Quali freien Lauf lässt. Nicht einmal das Turnier selbst fasziniere ihn am meisten. Nowitzki blickt nämlich vor allen Dingen auf das einzigartige olympische Feeling im Athletendorf mit geradezu rührender Vorfreude. Äußerungen dieser Art hat man bislang von den Herren Diego, Rafinha und Obasi nicht in dieser Form gehört. Was zieht sie überhaupt mit derartiger Nachhaltigkeit nach China? Warum sind plötzlich alle so heiß auf eine Medaille, die sie sich in der Regel gleich vom Hals reißen und in einer Schublade verschwinden lassen, wenn das Hauptobjekt der Begierde ein Pokal ist?

Einer Aufwertung des olympischen Fußballturniers ist meiner Meinung nach zwar nichts entgegenzusetzen. Sei es durch eine Aufnahme in den vielzitierten Rahmenterminkalender der FIFA und eine gleichzeitige Verschiebung des Ligastarts in Europa, oder durch den Wegfall der Altersbegrenzung. Doch eins ist klar: Ein derartiges Hickhack darf es 2012 nicht mehr geben. Sowohl das IOC als auch die FIFA haben es versäumt, mit klaren Aussagen im Vorfeld für Ruhe zu sorgen.

Nicht nur im Hinblick auf den Status des Fußballs bei Olympia sind derzeit einige Grundsatzentscheidungen zu treffen. Eigentlich außergewöhnlich, dass ausgerechnet die UI-Cup geprägte Sommerpause für diese Diskussionen herhalten muss.

Das Bundeskartellamt hat dem neuen Spieltagsmodell der DFL vor ein paar Tagen einen kräftigen Schuss vor den Bug verpasst. Die Sportschau bleibt voraussichtlich erhalten. Die Bundesliga soll also nicht im Pay-TV oder in den späten Abendstunden verschwinden. Auch ich will nicht auf die Aufbereitung der Samstagsspiele vor 20 Uhr verzichten. Obwohl ich mir ein vergleichbares Format direkt nach Abpfiff auf Premiere reinziehen könnte. Alle zwei Wochen steht am Samstag sowieso der Stadionbesuch, was bedeutet, dass „Alle Spiele, alle Tore“ wegfällt. Die Warterei bis zum Sportstudio ist mir dann zu lang. Zumal der Samstagabend eines 18-jährigen sich allzu oft nicht zuhause abspielt und das ZDF die Bundesliga in einer anderen Form angeht als das öffentlich-rechtliche Pendant im Ersten. Wer nach 22 Uhr das Zweite einschaltet, will nicht nur Tore sehen. Sportstudio-Gucker interessieren sich für die Hintergründe, für Reaktionen und Entwicklungen, die unmittelbar nach Spielende noch nicht abzuliefern sind.

Trainer Baade hat dagegen heute ein Statement von Kalle Rummenigge zur Entscheidung der Wettbewerbshüter aus Bonn abgeliefert:

„Der Tag ist gekommen, wo wir der Wahrheit ins Auge sehen müssen und diese Wahrheit dem Fan mitzuteilen haben. Und diese Wahrheit tut weh. Einen Champions-League-Sieger sehe ich im deutschen Vereinsfußball angesichts der herrschenden Knebelungen in den nächsten Jahren nicht.“

Da kommt mir spontan eine Flashmob-Idee: Heute Abend, 22 Uhr, Bahnhofsvorplatz in Krefeld - einmal herzhaft im Kollektiv über den paranoiden Vorstandsvorsitzenden aus München lachen? Komischerweise lief und läuft auf Premiere heute den ganzen Tag über der Weg seines Vereins zum Champions-League-Titel 2001. Wenn ich mir die Mannschaft der Bayern von damals anschaue, frage ich mich ernsthaft, wie diese Truppe damals Europas Thron besteigen konnte. Ich sage nur: Jancker, Jeremies, Zickler und Kuffour. Oder spielte man damals in England etwa noch mit Blechbüchsen auf Bänderriss fördernden Plätzen? Das würde einiges erklären.

Wir stehen derzeit wie Ödipus vor der Sphinx - gezeichnet von der Angst, die falsche Antwort auf die Frage nach „Geld, Gier und Erfolg“ oder „Tradition, Konstanz und Mittelmaß“ zu geben. Dank Christian Seifert – jawohl, ausgerechnet ein hohes Tier von der DFL – wissen wir jetzt wenigstens, dass die Bundesliga keineswegs zu klein, sondern ihre Gegner schlichtweg zu groß sind.

Alle Bundesliga-Klubs haben die Saison 2006/07 im schwarzen Zahlenbereich beendet. Ein Grund zur Freude wird dabei zur tonnenschweren Bürde: Während in Deutschland Kontinuität und wirtschaftliche Gesundheit auf der Prioritätenliste ganz oben rangieren, stürzen sich die Topklubs aus dem europäischen Ausland laut 11Freunde in neunstellige Verbindlichkeiten, ohne dadurch irgendeinen (sportlichen) Schaden zu erleiden - im Gegenteil. Für die Bundesliga werde diese Situation zur unüberwindbaren Hürde, „solange die UEFA ihr Lizensierungsverfahren so fährt, dass es international Klubs gibt, die 200 Millionen Euro Verlust machen können und in der Champions League gegen deutsche Klubs antreten, deren Anspruch es ist, schwarze Zahlen zu schreiben“, sagt DFL-Geschäftsführer Seifert im 11Freunde-Sonderheft.

Also Herr Rummenigge: Sind sie zu stark, sind wir nicht unbedingt zu schwach.


PS: Word kennt das Wörtchen "Topklub" nicht, bietet mir stattdessen "Atomklub" an. Ein Zeichen?

2 Kommentare:

  1. Gute Idee, das mit dem Flashmob, sollte man mal ernsthaft verfolgen. Vor allem Flashmobs während Spielen, die sich woanders treffen als im Stadion.

    AntwortenLöschen
  2. Kannst Du mir mal sagen, wo Du dann warst gestern Abend?;)

    AntwortenLöschen