Beim DFB-Schiedsgericht wird bisweilen mit zweierlei Maß gemessen, das lässt sich nicht anders sagen. Notbremse, einmal den Ball mit der Grätsche verfehlen, nur das Bein des Gegners treffen – das wird mitunter auf eine Stufe gestellt mit Tätlichkeiten, die niemand sehen will und die dennoch im Landschaftsbild verankert sind.
Die Saison 95/96 war das Beste, was Gladbach in den letzten 20 Jahren gesehen hat. Platz vier bedeutete die Qualifikation für den UEFA-Cup. Im Europapokal der Pokalsieger kam erst im Viertelfinale gegen Feyernoord Rotterdam das Aus. Einer der Hauptakteure im Erfolgsensemble der Fohlen hieß Martin Dahlin, damals auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Wobei er das tragischerweise erst kurze Zeit später einsehen musste.
Nach dem 28.Spieltag stand die Borussia auf Rang drei, der Konkurrenz weit enteilt und mit einem Spiel in der Hinterhand. Dahlin hatte in den ersten 20 Saisonspielen 14-mal getroffen. Dann fiel er vier Partien aus, blieb drei Spiele ohne Erfolgserlebnis. Es folgte das Nachholspiel gegen Kaiserslautern am heimischen Bökelberg. Der Schwede erzielte das 1:0. Es war sein Geburtstag und nach einer halben Stunde ein rundum gelungener Abend.
Doch dann gingen die Pferde mit ihm durch, brannten auf einmal die Sicherungen durch. Ein wuchtiger Ellbogencheck war zu viel für Axel Roos‘ Nasenbein. Dahlin flog folgerichtig vom Platz. Die Tätlichkeit war vorerst seine letzte Amtshandlung beim VfL. Der Stürmer wurde bis zum Saisonende gesperrt, musste sechs Spiele aussetzen und verließ Gladbach in Richtung Rom. Nach einer verkorksten Hinserie in Italien kehrte er zwar zurück an die alte Wirkungsstätte, war in der Rückrunde in der Bundesliga noch zehnmal erfolgreich. Doch seine Tage auf dem Fußballplatz waren bald gezählt. 1999 endete das Kapitel Profifußball für Dahlin, den schwedischen Helden der WM 94, der mit 31 den bitteren Weg in die Sportinvalidität antreten musste.
Warum ich die Geschichte ausgerechnet jetzt hervorkrame? Letzten Samstag sorgte Pierre Womé für Aufruhr in der jungen Saison, als er Ashkan Dejagah, selbst beileibe kein Kind von Traurigkeit, mit einem selten so gesehen, brutalen Ellbogencheck niederstreckte. Allein der Schaum vorm Mund fehlte, um das Bild des heran rauschenden Womés noch zu verstärken. Dejagah erlitt eine Schädelprellung, musste kurz zur Behandlung ins Krankenhaus – es gibt mit Sicherheit angenehmere Verletzungen. Womé spielte die Partie unbestraft zu Ende – Schiri Brych hatte nichts gesehen. Noch das kleinste Übel, im Gegensatz zur Entscheidung des DFB-Schiedsgerichts, den Ex-Bremer Womé für nur drei Spiele aus dem Verkehr zu ziehen.
Notbremser bekommen in der Regel ein oder zwei Spiele, wer – nicht einmal in böser Absicht – schlichtweg zu spät kommt, riskiert per „grobem Foulspiel“ ebenso eine Drei-Spiele-Sperre. An Tagen wie diesen denke ich unweigerlich an jenen Ellbogencheck im April ’96, der Gladbachs Höhenflug stoppte – die Borussia holte nur noch fünf Punkte aus den letzten sechs Spielen – und Martin Dahlins Karriere auf den Scheideweg brachte. Drei Spiele für Womé sind schlichtweg lächerlich. Und im Hinblick auf all die Jugend- und Amateurspieler, die sich irgendwo in Deutschland fast jedes Wochenende gegenseitig auf die Mappe hauen, zudem höchst fahrlässig.
Donnerstag, 21. August 2008
LinienUNtreu
Eingestellt von Jannik um 21:28
Labels: Bundesliga, Einwurf
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