Montag, 18. August 2008

Mission 40/1:
Lehrgeld in Millionenhöhe

Der Wiederaufstieg ging weitaus einfacher über die Bühne, als vorher angenommen. Jetzt hat sich die Borussia offiziell im Oberhaus zurückgemeldet - mit einem ernüchternden 1:3 gegen den VfB Stuttgart, der schlechtesten ersten Hälfte seit 10 Jahren, dennoch guten Ansätzen vorne und einer Großbaustelle hinten.

Der Borussia-Park und das Areal rundherum haben sich extra fein herausgeputzt für den Tag, an dem der fünfmalige Deutsche Meister offiziell wieder nach Hause zurückkehrt. Die Trampelpfade auf dem Weg zum Stadion schnell noch gepflastert, die Bushaltestelle mit neuen Wartegittern versehen, wie man sie eher aus den Freizeitparks dieser Welt kennt, als wolle man zeigen: Bundesliga ist nicht Zweite Liga – Bayern statt 1860. Alleine der Pinkelwald steht weiterhin in all seiner Pracht – gedüngt von hektoliterweise Urin aus den Blasen Tausender Borussen.

Unter der Nordkurve herrscht bereits reges Treiben. Gut 47.000 sind gekommen, davon so viele mit neuen Trikots, wie ich es noch nie gesehen habe zu Beginn einer Saison. Männer in ihren Vierzigern und Fünfzigern laufen mit der 11 auf dem Rücken durch die Gegend. Auf dem Platz gehört die zu Marko Marin. Er könnte ihr Sohn sein. Das Retrodesign hat diesmal selbst die großen Nostalgiker vom Trikotkauf überzeugt. 1973 wurde Gladbach in einem ähnlichem Dress Pokalsieger. Günter Netzer traf nach der vielzitierten Selbsteinwechslung in seinem letzten Spiel für die Borussia zum 2:1 gegen Köln. 35 Jahre später dürfen sich die erwähnten 40er und 50er fühlen wie ihre Idole von damals. Jaja, damals, was muss das schön gewesen sein.

Rob Friends Name prangt derweil unter anderem auf meinem Kreuz. Der 1,95 Meter große Kanadier hat in etwa meine Statur, braucht viel zu viele Chancen, wurstet aber immer wieder einen rein – der Mann könnte mein Bruder sein. Über meine Eleganz bei Fallrückziehern lässt sich streiten, aber ich sagte ja: Er könnte mein Bruder sein.

Neben der Vorfreude regiert vor allen Dingen die Aufregung im weiten Rund: Wippende Beine, nervöses Nägelkauen überall. Nach dreimonatigem Warten sind alle einfach nur heiß auf Bundesligafußball. Tatsächlich liegt an diesem Nachmittag eine gewisse Aura von Erstklassigkeit in der Luft. Jens Lehmann wird ausgepfiffen – keine Khamoutovskis, Thiers und Kruses mehr. Das Stadion ist nicht nur besser gefüllt, es fühlt sich nicht nur anders an, man sieht auch alte Bekannte aus Bundesligatagen wieder. Es sind nicht unbedingt jene untreuen Seelen, die sich Osnabrück, Aue und Offenbach gespart haben. An deren Gesichter kann man sich eh nicht erinnern. Vielmehr kehren all die zurück, für die Freitags- und Montagsspiele einfach mörderisch waren, die alle zwei Wochen aus Karlsruhe oder Berlin anreisen.

Zu meiner Linken ist vor Spielbeginn schon mächtig was los. Die Ultras, beziehungsweise das, was sich einst so nannte, haben sich den Mittelblock im Oberrang unter den Nagel gerissen – die Schnauze voll „vom zunehmenden Event- und Erfolgspublikum“, schreibt einer der Anhänger im Forum. „Block 1900“ heißt das Projekt zur Wiederbelebung der Stimmung in Anlehnung an das Gründungsdatum des Vereins. Es gehe „nicht darum, einen separaten Block zu schaffen, der durchweg sein eigenes Süppchen kocht, sondern viel mehr darum, den Motor der Kurve an die richtige Position zu setzen, um eine volle Kraftentfaltung möglich zu machen“, heißt es weiter in der Erklärung. Klingt nach Windkraftwerk, ist meines Erachtens aber kein schlechter Ansatz. Zumal Ober- und Unterrang unter Umständen wirklich zur Einheit verwachsen. Die einzige Gefahr besteht darin, dass der Unterrang nun endgültig einschläft, weil die verschworene Truppe darüber den „Motor“ nicht auf Touren bekommt.

Wie auch immer, ein paar Minuten vor Anpfiff ist es dann so weit: Das Vorspiel, ritualisiert von vorne bis hinten, nimmt seinen Lauf. „Seid ihr bereit?“, fragt unser Stadionsprecher, der sich in der Obi-Werbung neuerdings von Frauen mit russischem Einschlag durch die Blume zum Sex einladen lässt. Die Antwort fällt unmissverständlich aus – die auf die Frage nach der Bereitschaft natürlich. „Die Elf vom Niederrhein“ erklingt verdammt spät. Herbert Fandel, der kurz zuvor für ein lautes Raunen gesorgt hatte, führt die Mannschaften bereits aufs Feld, als 47.000 noch den „Samstachmiddach“ und „Netzers Zeiten“ preisen. Irgendwie läuft es schon nicht ganz so rund, bevor das Spiel überhaupt angefangen hat. Wobei das Spektakel an Lautstärke und Gänsehauterregung kaum zu überbieten ist.

Diese Zweischneidigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die erste Hälfte. Gladbach ist keineswegs chancenlos, womit wir schon beim ersten Vorwurf angelangt wären: Die Borussia versäumt es, einen Treffer zu erzielen. Nach 15 Minuten, Rösler wird gerade nach einem Ellbogencheck draußen behandelt und wird später endgültig passen müssen, trifft Hitzlsperger zum 1:0. Heimeroth sieht verdammt schlecht aus. Über dem Spielfeld weht ein einziger Satz: „Willkommen in Liga Eins!“

Die Borussia zeigt sich zunächst wenig geschockt vom derben Willkommensgruß. Matmour stolziert durch die gesamte VfB-Abwehr und scheitert erst am gut aufgelegten Jens Lehmann, der seinen Flachschuss klasse entschärft. Der 2-Millionen-Neuzugang der Borussia rechtfertigt seinen Preis in Hälfte eins durchaus eindrucksvoll – scharfe Flanken, beherzte Soli, so darf der Algerier weitermachen.

Wenige Minuten danach fügt sich einer der drei Neuzugänge auf dem Feld nicht ganz so gut ein. Jaurès lässt sich an der Eckfahne von Simak düpieren, gibt den Ball leichtfertig ab. Marica zieht nach dem Querpass des Tschechen ab, Heimeroth und Ndjeng behindern sich beinahe auf der Linie und schon hat sich die Ernüchterung verdoppelt – 2:0 für Stuttgart. Doch noch immer lassen die Borussen die Köpfe nicht hängen. Nach einem blitzschnellen Angriff und ansehnlichem Direktfußball taucht Friend frei vor Lehmann auf. Der Nationalkeeper a.D. ist erneut auf dem Posten, verhindert den Anschlusstreffer vor der Pause. Gleiches bleibt seinem Gegenüber Heimeroth versagt. Eine Minute vor der Pause entwischt Gomez seinen Bewachern zum ersten Mal richtig. Erbarmungslos netzt der 19-fache Torschütze der vergangenen Saison ein. Aus spitzem Winkel hat Heimeroth zum dritten Mal das Nachsehen.

Die erste Halbzeitpause nach der Bundesligarückkehr wird mit einem gellenden Pfeifkonzert eingeläutet. Mich interessiert brennend, wie viele Pfeifer zum ersten Mal seit langer Zeit im Stadion sind. Ein kleiner Junge schafft es derweil, die verfrühte Untergangsstimmung in der Halbzeit zu lindern. Vom Strafraumeck schießt er einen Ball in die Mitte des Mittelkreises, der zweite wird von einem Gegenspieler wie beim Curling rausgekickt. Die Nordkurve johlt und der kleine Junge hat einen Kasten Jever gewonnen, den er seinem Vater vermacht – nicht gerade die schlechteste Entscheidung des Abends.

In Hälfte zwei gießt Marko Marin erstmals Wasser auf die Mühlen derer, die fest daran glauben, dass der Junge sich seinen Weg auch eine Klasse höher konsequent bahnen wird (ich gehöre dazu). Erst trägt er den Ball über den halben Platz und hat dann noch die Kraft und das Auge für einen Querpass auf Friend. Doch der Kanadier scheitert auch im dritten Versuch an Jens Lehmann. Kurz danach ist der Bann gebrochen. Brouwers verlängert per Kopf auf Du-weißt-schon-wen. Diesmal zappelt der Ball im Netz – Friend erzielt endlich (die Formulierung ist nach 60 Minuten Bundesliga bereits mehr als gerechfertigt) sein erstes Bundesligator und schlägt denselben Weg ein wie einst Arie van Lent. Der hatte 2001 als bester Torschütze im Aufstiegsjahr den Siegtreffer zum Auftakt gegen die Bayern geschossen, das erste Tor nach dem Wiederaufstieg. Mit dem Unterschied, dass damals ein gewisser Jörg Stiel seinen Kasten sauber hielt – Gladbachs Probleme gegen den VfB liegen und lagen, trotz der miesen Chancenverwertung, nicht unbedingt im Angriff.

Die Borussia hat das Lehrgeld in der Pause allem Anschein nach schön brav säckeweise vor der Stuttgarter Kabine abgestellt. Die Nervosität macht sich allmählich aus dem Staub, die Jungs von Jos Luhukay stürmen auf die Nordkurve, die mittlerweile nicht mehr pfeift, sondern den Aufsteiger gnadenlos nach vorne peitscht. Für ein paar Minuten hat es den Anschein, Gladbach könne noch einmal zurückkommen. Marin verfehlt den Kasten nach einer erneut überragenden Einzelleistung nur knapp. Ob der 19-jährige den Sprung in die Bundesliga packen wird? Die Frage dürfte sich gestern bereits von selbst beantwortet haben. Der Junge ist ein Juwel – unbekümmert, technisch überragend, wieselflink, mit dem Auge für den Nebenmann, allein am Abschluss hapert es von Zeit zu Zeit noch.

Die Hoffnungen auf ein Comeback, wie es Kaiserslautern Freitag in Mainz gelungen war, verpuffen jedoch schneller als allen lieb ist. Stuttgart trifft zwar nicht mehr, aber nach wenigen Minuten hat der Sturmlauf ein Ende. Die Borussia scheint ihr Pulver verschossen zu haben, wird langsam müde. Luhukays Einwechslungen bleiben wirkungslos – Colautti bekommt kaum einen Ball, was Svärd bewirken sollte, ist sowieso fraglich. So sehr ich unserem Coach auch vertraue, nachdem er eine todgesagte Mannschaft runderneuert und zum Aufstieg geführt hat, an seinen Ein- und Auswechslungen darf er ruhig noch feilen.

Christofer Heimeroth verdient sich wenigstens eine positive Erwähnung: Das 4:1 durch Gomez verhindert er mit seinem Reflex hervorragend. Trotzdem hat Gladbach meines Erachtens ein Torwartproblem: Keine Ausstrahlung, kein Mitspielen, Mängel bei Weitschüssen und beim Festhalten von Bällen, eigentlich keine nennenswerten Vorzüge bis auf eine stoische Ruhe, die ihm dennoch eher nachteilig ausgelegt werden kann.

Die Borussia entscheidet wenigstens die zweite Hälfte für sich – nach dem Untergang im ersten Durchgang war dies das Mindestziel, genauso wie eine weiße Weste nach drei Gegentoren in 45 Minuten. Zum ersten Mal seit vier Jahren kassiert der VfL zuhause drei Gegentore in einer Hälfte – damals führte Dortmund im Premierenspiel des Borussia-Parks nach 45 Minuten mit 3:2. Einen Drei-Tore-Rückstand gab es seit fast zehn Jahren im eigenen Stadion nicht mehr. Im Oktober 1998 gewann Leverkusen mit 8:2 am Bökelberg. Zahlen wie diese untermauern eindrucksvoll, wie sehr die Borussia ihre erste Hälfte nach dem Wiederaufstieg verpennt hat. Die guten Ansätze, die nicht der Hand zu weisen sind, machen jedoch Mut auf baldige Besserung. So viele Tore zu erzielen, wie hinten fallen, wird kein Selbstläufer werden. Dass es zur Wiedergutmachung am Samstag ausgerechnet zum Spitzenreiter geht und der auch noch Hoffenheim heißt, ist eine andere Geschichte.

3 Kommentare:

  1. Wirklich schön geschriebener, stimmungsvoller Bericht! Chapeau!

    Ich denke, dass ihr mit dem Offensivtrio Matmour, Marin und Friend ein ziemliches Faustpfand habt. Die haben für mich auf jeden Fall einen sehr guten Eindruck hinterlassen. Und dazu kommt ja dann irgendwann auch noch Neuville.
    Das sollte auf alle Fälle Mut machen.

    Die Frage ist halt, wie schnell die großen Mängel in der Defensivarbeit abgestellt werden können. Wenn Euch das schnell gelingen sollte, dann habt ihr sicherlich gute Chancen auf den Klassenerhalt.

    Ich war jedenfalls froh, dass es noch in der Abwehr bei Euch hakte und wir so endlich mal wieder einen guten Bundesligastart feiern konnten. =)

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  2. Dann erfreu ich mich daran, wenigstens einen Fußball-Stuttgarter glücklich gemacht zu haben;)

    Die Frage wird ganz einfach sein, ob es uns gelingt, so viele Tore zu schießen, wie wir kassieren werden. 0:1-Serien wie im Abstiegsjahr halte ich derzeit für ausgeschlossen.

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  3. Ja, da ist wohl eher eine 2:4-Serie wahrscheinlich. =)

    Ich drück Euch jedenfalls die Daumen, dass es gelingen wird, die Klasse zu halten. Auch wenn ich zugeben muss, dass dieses Jahr alle drei Aufsteiger ähnlich hohe Sympathiewerte bei mir haben (wenn auch aus unterschiedlichen Gründen). Vielleicht werden wir diese Saison ja endlich mal Hertha los... Aber das hoffe ich irgendwie schon seit Jahren immer wieder vergebens.

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