Sonntag, 1. Februar 2009

Mission 40/18: Wie zu Herbergers Zeiten

Gladbach verliert nach einem „sehr, sehr ordentlichen Spiel“ (O-Ton Meyer) mit 0:2 in Stuttgart und knüpft nahtlos an die verkorkste Hinrunde an. Warum die Borussia Angst vor Popcornwerfern hat, Sepp Herberger mit der Zunge schnalzen lässt und Roel Brouwers auf der Torlinie Schuhplattler tanzt.

Exakt 50 Tage nach dem letzten Bundesligaauftritt der Borussia – und damit auch 50 Tage nach der letzten herben Enttäuschung – war es wieder so weit. Die vorerst letzte Winterpause in epischer Länge fand ihr Ende. Sieben Wochen mit Martin Schmitt, Maria Riesch und Magdalena Neuer sind irgendwann auch genug. Zudem endete die Handball-WM aus deutscher Sicht bereits am Donnerstag und damit gerade rechtzeitig, um keinerlei Interessenskonflikte bei Liebhabern von Ballsportarten zu verursachen. Und mit dem DFB-Pokal hat die Borussia ja zu dieser Jahreszeit in der Regel sowieso nichts am Hut. Auf diese Art kann man sich selbst diese Misserfolge schön reden.

Etwas schneeblind nahm ich also zur gewohnten Zeit auf dem heimischen Sofa Platz. Genau an der Stelle, von der ich Gladbachs einzigen Auswärtssieg gegen Bielefeld frenetisch bejubelt hatte. Damit konnte ich gleich einmal einen weiteren unerfüllten Vorsatz von der langen Neujahrsliste streichen. „Den Aberglauben nicht mehr so penibel zum Zug kommen lassen“: Failed.

Spiele der Borussia reißen den mitleidenden Beobachter zwar gewöhnlich nie mit ihrem atemberaubenden Tempo vom Hocker. Aber nach zwei Wochen Handball wirkte das Geschehen auf dem holprigen Platz gleich noch einen Tick gemächlicher. Passend dazu hatte sich Hans Meyer auf eine Taktik aus den Nachkriegsjahren festgelegt. Neuzugang Tomas Galasek rückte schnurstracks von der FrontTransferliste auf eine Art Mittelläuferposition, die Sepp Herberger – Gott hab‘ ihn selig – in seinem Grabe lauthals mit der Zunge schnalzen lässt. Paauwe mimte den Sechser (unter Herberger noch so utopisch wie Orwells „1984“), während Baumjohann sich als Marin-Double versuchen durfte. Zwei Jungs, die wirklich was am Ball können und obendrein noch Torgefahr ausstrahlen – das war dem selbsternannten Trainerfuchs Meyer dann doch zu riskant. Man will die nötigen Punkte ja auch nicht zu früh einfahren. Deshalb nahm Marin zunächst auf der Bank Platz.

Trotz – oder vielleicht gerade aufgrund – der resolut eingehaltenen Offensivaskese verlief die erste Hälfte nicht unbedingt schlecht aus Borussensicht. Brouwers und Gohouri bewährten sich im Ballwegschlagen. Rob Friend – wie gehabt allein auf weiter Flur – verlängerte die Befreiungsschläge mehrmals geschickt. Dass seine Ableger selten einen Abnehmer fanden, kann man nicht unbedingt dem Kanadier in die Schuhe schieben. Für seine zwei vertändelten Torchancen im ersten Durchgang muss jedoch einzig und allein er selbst gerade stehen. Mit ein bisschen mehr Entschlossenheit hätte sich die Borussia über eine eigene Pausenführung nicht beschweren dürfen. Aber auf einen Friend ist eben Verlass.

Dort, wo Tore in Wirklichkeit verhindert werden, strahlte Gladbachs neuer Keeper Logan Bailly viel Sicherheit aus und rettete kurz vor der Pause in Kahn-Manier gegen Mario Gomez. Sein Versuch, den Stuttgarter dabei mit seinem Metall-Haarband zu erdolchen, scheiterte jedoch kläglich. Gomez bekam lediglich etwas Haargel ins Auge, konnte aber weiterspielen.

Mit einem 0:0 zwischen Konnte-Nicht und Wollte-Nicht ging es in Kabine. Eine Mannschaft mit dem Selbstbewusstsein eines gesicherten Tabellendreizehnten hätte aus der Verunsicherung einer Truppe, die vier Tage zuvor von den Bayern deklassiert worden war, sicher Kapital geschlagen. Ein kopf- und elanloser Träger der roten Laterne freilich nicht.

Hälfte zwei brachte außer dem Seitenwechsel kaum Änderungen. Längst quittierten die Schwabenfans die dürftige Leistung ihrer Mannschaft mit gellenden Pfiffen. Und als wollte sie das Pfeifkonzert auf die eigene Kappe nehmen, passte sich die Borussia dem schwachen Auftritt ihres Gegners weiter an (vielleicht könnte das die Jury am Saisonende berücksichtigen, wenn es um die Auszeichnung als fairste Mannschaft der Bundesliga geht). Dann kehrte jedoch plötzlich Leben zurück in die grauen Fohlenzellen. Baumjohann versuchte sich aus der Distanz, Friend am Toreschießen im Allgemeinen. Beide scheiterten knapp.

Wenn drei von elf Spielern in der Startelf Neuzugänge sind (also circa 27 Prozent), dann muss sich die neue Spielweise ja zwangsläufig auch um 27 Prozent von der alten unterscheiden – so Pi mal Daumen. In der 67. Minute bestätigten Marica und Brouwers in unfreiwilliger Zusammenarbeit diese These. Die Lethargie war um 27 Prozent gewachsen, das Gefahrenpotential der Offensive um 27 Prozent gesunken – das Resultat sollte dasselbe bleiben (zumindest zu 73 Prozent, sonst ging es ja immer 1:3 aus).

Gohouri übte sich als Nordseerobbe im Schwabenland und jonglierte den Ball auf der Nase durch den Strafraum. Ein Windzug machte ihm jedoch einen Strich durch die Rechnung und beförderte den Ball zum erwähnten Marica, der sofort abzog. Brouwers versuchte noch, mit einer Schuhplattler-Einlage zu retten, was nicht mehr zu retten war. Doch schon zappelte der Ball im Netz. Pech, Instinkt und motorische Probleme hatten den Traum von einem Punktgewinn zum Rückrundenauftakt von jetzt auf gleich zunichte gemacht. Denn natürlich hatte die Borussia nun wenig entgegenzusetzen.

Für Marica war es übrigens das dritte Saisontor – das erste seit Ende September, das zweite gegen die Borussia. Die hofft nun auf eine Finanzspritze der Bundesregierung für ihre Dienste als Integrationshelfer.

Und auf einmal hatte es den Anschein, als sei Hans Meyer von einem sandigen Bolzplatz im Schatten des zerstörten Dresdens zurück in die Gegenwart gebeamt worden. Schnell wollte er den Trümmerfohlen Beine machen. Binnen neun Minuten brachte er mit Neuville, Marin und Colautti alles, was sich auch nur annähernd dem Toreschießen verschrieben hat. Jenes Trio sollte nun dafür sorgen, dass Gladbach die letzten fünfzehn Minuten gegen den VfB mit 1:0 für sich entscheidet. Fragt sich nur, warum sie es angeblich von Beginn an nicht wenigstens zu einem 1:1 oder 2:2 bringen können.

Vier Minuten vor dem Ende machte Gomez dann per Abstauber den Deckel zu. Und irgendwie merkte man Meyer einen Hauch von Enttäuschung an, dass seine Einwechslungen die knappste aller möglichen Niederlagen unter Umständen verhindert hatten. Trotzdem will er ein „sehr, sehr ordentliches Spiel“ gesehen haben. Dabei weiß man inzwischen, dass äußerster Euphemismen-Alarm angesagt ist, wenn Meyer einem Adjektiv die Worte „sehr, sehr“ voranstellt. Die Vorstufe von „schlecht“ ist eben leider nicht „gut“. Ein „System“ war dafür tatsächlich „erkennbar“. Da muss man ihm Recht geben. Leider grenzte das, was das Auge dort „erkennen“ musste, geradezu an Leugnung der Evolutionstheorie. Die Erde dreht sich? Wir leben nicht in der Vergangenheit? Pah! Der Trainer weiß es besser.

Immer mehr kristallisiert sich heraus, dass sich nicht nur Meyers Ergebnisse dem Niveau von Jos Luhukay annähern. Auch seine Arbeit wirkt längst so konzeptlos wie die seines Vorgängers. Derzeit ist es allein Meyers Wesen, das sich vom farblosen Luhukay unterscheidet. Inzwischen beherrscht er die Medienvertreter (zumindest jene, mit denen er persönlich spricht), den Verein und vor allem seine Spieler in der Manier eines Diktators. Ein sichtbar enttäuschter und degradierter Marin bekam im Interview bei Premiere gerade noch die Kurve und rettete sich in all seinem Unverständnis in die üblichen Floskeln à la „was der Trainer entscheidet, muss ich akzeptieren“.

Jetzt kommt der Tabellenführer aus Hoffenheim in den Borussia-Park. Wenn die Schießbude VfL – die gestern erstmals seit Ende Oktober ohne eigenen Treffer blieb – jetzt auch noch jegliche Angriffsbemühungen einstellt, ist anstelle der Redewendung „dann seh‘ ich schwarz“ eine Neuerfindung der Dunkelheit vonnöten. In Stuttgart wirkte die Borussia nämlich wie ein schüchterner Kinogänger, der sich selbst in der letzten Reihe noch ängstlich nach hinten wendet – aus Angst, es könne jemand mit Popcorn werfen.

5 Kommentare:

  1. Den Verzicht auf Marin konnte ich nun auch wirklich absolut nicht verstehen. Der hätte unsere verunsicherte Defensivabteilung doch ganz gut durchwirbeln können.
    Aber gut, mir solls so recht gewesen sein.

    Ich hoffe nur, dass das kein Dauerzustand sein wird. Ansonsten kann ich nur hoffen, dass Marin bald den Sprung zu nem anderen Team machen wird. Aber das wird mit dem (sorry) unumgänglich scheinenden Abstieg wohl eh nicht zu vermeiden sein.

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  2. In Sachen Marin habe ich schon eine Einstellung entwickelt wie ein Krankenpfleger auf der Intensivstation: Bloß keine engen emotionalen Bindungen zu den "Patienten" aufbauen - macht die Sache nur schlimmer.

    Egal was kommt, Marin dürfte immer Sommer weg sein.

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  3. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  4. Bei allen Rspekt...dieser Artikel erinnert mich schon sehr an die Bild Zeitung.....mehr als drüber her ziehen kann man hier auch nicht mehr oder?.....ziemlich warm...sorry leute

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  5. Wenn "drüber herziehen" dasselbe bedeutet wie "Kritik äußern an einer Entwicklung, der man nichts Positives mehr abgewinnen kann", dann stimmt das wohl.

    Ich denke, dass die Lage zu ernst ist und die Saison zu weit zu fortgeschritten, um jetzt noch mit 67 ordentlichen Minuten zufrieden zu sein. Im Herbst waren es erst 20, dann 30 Minuten, dann mal eine Halbzeit - wie lange sollen wir uns denn gedulden, bis wir über die gesamte Spielzeit hinten sicher und vorne gefährlich auftreten? Ende April dürfte es zu spät sein.

    Übrigens ist der Bild-Zeitung jegliche Selbstironie fremd - spontan der erste große Unterschied, der mir einfällt...

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