Mittwoch, 31. Dezember 2008

2008x12 - Oktober

Entscheidend is auf'm Platzhirsch des Monats:
Kevin Kuranyi

Im Oktober hatte es den Anschein, der deutsche Fußball hätte alle Staffeln von „Dallas“ importiert – so sehr wimmelte es von Intrigen und Schlammschlachten. Beim Länderspiel in Dortmund begab sich Kevin Kuranyi auf die Flucht, während unten auf dem Platz die Russen in die Schranken gewiesen wurden. Kuranyis „Ära“ endete abrupt, René Adlers nahm da erst ihren Anfang.

In den folgenden Wochen konnte Jogi Löw das Studio von DFB.tv nur selten verlassen. Der Gute wusste weder ein noch aus vor lauter Stellungnahmen. Denn nach Kuranyis Demission hatte sich Michael Ballack kurzerhand dazu entschlossen, bei den „Internas“ die Vorsilbe zu ändern und mithilfe der FAZ „Externas“ daraus zu machen. Torsten Frings hielt seinem gegen Windmühlen kämpfenden Freund daraufhin den Rücken frei und stocherte das Messer noch tiefer ins Fleisch der lange Zeit beschaulichen Stimmung in der Nationalmannschaft. Don Quijote und Rosinante entschuldigten sich jedoch brav und stärkten dank dieses herbstlichen Machtgeplänkels ironischerweise vor allem ihrem Chef den Rücken. Denn der behielt letztlich die Oberhand und ließ sich nicht auf das Katz-und-Maus-Spiel seiner Leitwölfe ein.

Der Oktober brachte neben dem 2:1-Erfolg gegen Russland einen knappen Sieg gegen Wales, der die Frage aufwarf, warum es Länder wie Wales überhaupt gibt bzw. warum zum Teufel sie eine Nationalmannschaft aufrecht erhalten. Und obwohl er vier Tage nach seiner Flucht endgültig „allein zu Haus“ war, schwebte Kevin Kuranyis Schatten irgendwie doch über dem müden Spiel im Gladbacher Borussia-Park.

Robert Enke hatte derweil wenig zu lachen. Auf dem Weg zur Nummer eins setzte ihn ein Kahnbeinbruch für Monate außer Gefecht. Zudem gingen die Lehman Brothers Bankrott. Kahn..? Lehman(n)? Kann das Zufall sein?

Auch in Gladbach waren Ruhe und Zufriedenheit das, was man vergeblich suchen konnte. Das Derby gegen Köln sorgte nicht nur durch Ausschreitungen und die erste Heimniederlager der Borussia gegen den FC seit 16 Jahren für Schlagzeilen. Im Gedächtnis geblieben ist besonders Jos Luhukays Rausschmiss am folgenden Tag. Der Alptraum von Lothar Matthäus bewahrheitete sich zwar nicht. Doch auch Hans Meyer Verpflichtung wenig später löste nur bedingt Jubelstürme aus.

Dazwischen markierten 10 000 Borussenfans beim Auswärtsspiel in Bochum das Revier. Ich sah nicht nur eins, sondern sage und schreibe zwei Auswärtstore. Endlich hatten sich an die 1500 Reisekilometer bezahlt gemacht. Das 1:0 gegen Karlsruhe untermauerte zunächst das Bild vom „Hans im Glück“. Folgerichtig war der Nimbus des Trainerwechsels bereits in den folgenden Spielen aufgebraucht. In Wolfsburg setzte es ein 0:3 ohne jede Torchance, dafür aber mit zwei weiteren Elfern für den Gegner. Eine Weisheitszahn-OP ist dagegen ein Kindergeburtstag.

Und wenn es für den Verein des Herzens schon partout nicht laufen will, dann darf wenigstens die Bundesliga für heitere Momente im tristen Fußball-Alltag sorgen. „So soll es sein, so kann es bleiben“. Der vielzitierte „neutrale Beobachter“ erlebte einen regelrechten „goldenen Oktober“. Was sich besonders in „Spalte vier“ und auf den Anzeigetafeln bemerkbar machte.

Bei den Löwen in München blieb Berkant Göktan derweil seiner Linie treu und bewies erneut das richtige Näschen für Fettnäpfchen aller Art. Sein Rauswurf von 1860 im Zuge einer Kokain-Affäre markierte vorerst das Ende seiner Laufbahn, dafür aber den Beginn einer offensichtlichen „Themenwoche Kokain“. Denn: Diego Armando Maradona übernahm im Oktober das Amt des argentinischen Nationaltrainers.

In diesem relativ post-trächtigen Monat ging es außerdem um den Höhenflug des FC Barcelona, den „Klub der Hunderter“, größenwahnsinnige Portugiesen in Köln und eine „WM der sprachlichen Fettnäpfchen“ im Schwabenland mit dem Sieger Sami Khedira. Dazu war es einmal an der Zeit, einen kleinen Leitfaden in Sachen Schadenfreude zu erstellen.

Zu guter Letzt warf ein bedeutender Abschied seinen Schatten voraus: Die letzten sechs Wochen der Ära Manni Breuckmann brachen an. Grund genug für eine Würdigung seiner Verdienste um unser Fußball-Ohr. Denn Manni, der war, ist und bleibt „Einer wie keiner“.

Montag, 29. Dezember 2008

2008x12 - September

Entscheidend is auf’m Platzhirsch des Monats:
Magdeburgs Oberbürgermeister


Der Monat begann mit einem Nasenbeinbruch und einer Länderspielabsage. Wenn ich ein Monat wäre, könnte ich mir weitaus schönere Einstiege vorstellen. Das ganze relativiert sich, wenn man hört, wer sich beim Werbetermin auf Spiekeroog verletzte: Es war Torsten „Rosinante“ Frings, seines Zeichens Agressive Leader der deutschen Nationalmannschaft. Da ist die Überraschung schon nicht mehr ganz so groß. Die angekündigte Relativierung ziehe ich jedoch gleich wieder zurück: Frings brach sich die Nase nämlich beim Basketball. Und das muss man erst einmal hinkriegen. Vonwegen „körperloses Spiel“.

Der Auftakt zur Qualifikation für die WM 2010 bescherte der DFB-Elf ein 6:0 gegen Liechtenstein – mit einem Podolski-Doppelpack, den Uli Hoeneß natürlich nicht ungenutzt ließ. Sinngemäß hieß es aus der Bayern-Zentrale: „Zwei Tore gegen Liechtenstein, das kann ich auch.“

Ein ähnlicher Zwischenruf blieb aus, als Miroslav Klose vier Tage später im Alleingang einen Punkt in Finnland rettete. Drei Rückstände, haarsträubende Abwehrfehler und eine lange anhaltende Kollektivlethargie – Klose sprang in die Bresche und traf zum vierten Mal dreifach im Dress der Nationalmannschaft. Alles in allem eine „Sonnenfinsternis mit Abstrichen“. Trotz Priester-Kerner und Anglizismen-Réthy.

Wie neugeborenen fühlte man sich Anfang September am Betzenberg. Lautern hatte zehn Punkte aus den ersten vier Spielen geholt – Platz eins für die „Roten Teufel“, deren sportliche Existenz ein paar Monate zuvor noch am seidenen Faden gehangen hatte. Zunächst war es „ein gelungener Umbruch in der Pfalz, der (noch) unter Vorbehalt steht“. Rang zwei nach der Hinrunde hat jegliche Vorbehalte jedoch mittlerweile ausgelöscht.

Möglicherweise sind die Vorbehalte auch nur an den Niederrhein verfrachtet und an Jos Luhukays Trainerstuhl geheftet worden. Nach vier Pleiten in Serie geriet der Niederländer mehr und mehr ins Kreuzfeuer. In Hannover gab es mächtig „auf die Mütze an der Linie“. Das 1:5 schien zunächst ein Betriebsunfall gewesen zu sein. Die 0:1-Niederlage gegen die Hertha signalisierte jedoch unmissverständlich: „Es geht noch Hertha“. Beim Pokalaus in Cottbus besiegelten „drei Elfer“ letztendlich „einen Untergang“. Und auch das 0:1 in Hamburg war trotz eines vermeintlich knappen Spielausgangs nur wenig erheiternd, sondern geradezu einschläfernd. Wobei zur Verteidigung der Borussia angemerkt sei, dass sich der HSV nicht wirklich eines Tabellenführers würdig zeigte. Unterm Strich also vier Niederlagen für die Fohlen im September und nur ein eigener Treffer, dafür aber gleich fünf Elfmeter für den Gegner. Der Anfang vom Ende fürs Jos Luhukay.

Entscheidend is auf’m Platz erlebte zudem ein Revival und zwei Premieren. Olympique Lyon wurde zur zwölften „Mannschaft der Stunde“ gekürt, nachdem die altehrwürdige Auszeichnung mehr als fünf Monate geruht hatte. Der zweite Tag der zweiten Pokalrunde wurde über 210 Minuten im Live-Ticker protokolliert. Außerdem übernahm Hertha BSC Berlin erstmals die Tabellenführung in der internen UEFA-Fünfjahreswertung der Bundesligamannschaften im Europapokal.

Wo vorhin schon von Liechtenstein die Rede war: „Die Kleinen“ haben nicht nur aufgeholt, in geraumer Zeit winkt einigen Underdogs sogar eine EM-Teilnahme. Die UEFA hat nämlich beschlossen, das Teilnehmerfeld ab 2016 von 16 auf 24 Mannschaften aufzustocken. Hat fast den Anschein, als ob sich der Kontinentalverband nicht lumpen lassen wollte nach den Trikotnummer-Kapriolen des großen Bruders FIFA im Vormonat. Den Amerikanern wird die UEFA-Mentalität gefallen. Auf der anderen Seite des Atlantik ist man sich schon lange sicher: „Everyone’s a winner“.

Zu den Gewinnern des Monats September gehörten viele, auf keinen Fall jedoch Olympia-Immigrant Rafinha und Kollege Kuranyi. Pfiffe hagelte es für beide en masse. Der eine bekam von den gegnerischen Fans sein Fett weg. Der andere sowohl von denen des Gegners als auch von den eigenen. Für Kuranyi war und ist das Ende der Leiden da noch lange nicht in Sicht. Sein großer Auftritt folgte bekanntlich erst im Oktober.

Wenig Feierliches bescherte der September auch dem Osten der Republik. Magdeburg fühlte sich bei der Standortvergabe für die Frauen-WM 2011 mächtig verschaukelt. Den Quotenplatz im Osten hatten ihnen nämlich die Dresdener abgeluchst. Auch das fußballerische Brachland Sinsheim erhielt den Vorzug. Dabei hat das OK vermutlich nur vorausschauend gedacht: Das neue Stadion an der A6 könnte 2011 nämlich dem amtierenden Deutschen Meister gehören. Vonwegen Brachland.

Der Deutsche Meister in spe, namentlich die TSG 1899 Hoffenheim, sorgte zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht ausschließlich auf dem Platz für Furore. Immer wieder schön, wenn zwei sich bashen, die ansonsten von anderen gebasht werden. So reagierte Dietmar "Torwand-Wettbüro" Hopp sowohl unpassend als auch passend auf die Anfeindungen der Dortmunder Gästefans. Einerseits verstimmte seine überzogene Klage gegen einen 19-jährigen BVB-Fan die Fußballrepublik. Der hatte Hopps Konterfei auf einem Doppelhalter mit einer Zielscheibe übermalt. Andererseits war Hopps verbaler Konter auf die wiederholten Beschimpfungen durchaus gelungen:"Unfassbar, dass ausgerechnet die Dortmunder so auftreten, wo ihr Verein doch in der jüngeren Vergangenheit 100 Millionen durch Misswirtschaft verpulvert hat. Ich gönne diesen Fans von Herzen, dass sie sportlich von uns so gedemütigt wurden."

Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus, lieber BVB.

Sonntag, 28. Dezember 2008

2008x12 – August

Entscheidend is auf’m Platzhirsch des Monats:
Der Saisonstart


So ein Saisonstart hat ja schon etwas Gutes an sich: Er explodiert nicht von jetzt auf gleich wie eine Silvesterrakete im Wohnzimmer, sondern wirft seinen Schatten voraus wie ein Tiefdruckgebiet von den Azoren. Da die berüchtigte Testspielphase im Juli und in den ersten Augusttagen das einzige sportliche Lebenszeichen der Bundesligavereine darstellt, ist sie freilich nicht zu unterschätzen (Auftritte von Hertha in der UEFA-Cup-Quali jetzt einmal außen vor). Und weil Testspiele so eminent wichtig sind, gilt es um alles in der Welt, die Ergebnisse irgendwie in ein rechtes Licht zu rücken.

Anfang August mündete dieses Bestreben in der so genannten „Stiftung Warentest“, die das Abschneiden der Bundesligisten gegen den VfB Fallersleben, die WSG Svarovski Wattens oder eine Amateurauswahl von Pinneberg in vier Teilen unter die Lupe nahm. Die nobelpreisverdächtige Formel (Punkte pro Spiel / Koeffizient) * 10 lieferte letztendlich ein Bild, das in den Monaten darauf nur noch Seltenheitwert besaß: Bremen belegte Platz eins der Testspieltabelle, direkt dahinter rangierte eine gewisse Borussia aus Mönchengladbach. Zu meiner Verteidigung sei angefügt: Sieben der ersten neun Mannschaften in dieser Rangliste belegen auch heute – am 28. Dezember 2008 – einen einstelligen Tabellenplatz. Immerhin. Dass mir ausgerechnet bei Gladbach ein offensichtlicher Vorzeichenfehler unterlief, fällt wohl unter den Begriff "Schicksal".

Eine Borussia im Höhenflug sorgte auch in der ersten Runde des DFB-Pokals für Furore. Mit 8:1 wurde Bielefeld auf der heimischen „Alm“ abgefertigt. Zum vorletzten Mal in diesem Kalenderjahr bewies der Aufsteiger dabei echten Killerinstinkt – auch wenn es nicht die Arminia, sondern Landesligist VfB Fichte aus derselben Stadt war, der dran glauben musste. Das Los bescherte Gladbach für die zweite Runde eine Reise nach Cottbus, über deren Ausgang ich an dieser Stelle lieber (noch) nicht sprechen möchte. Erst einmal verursachte die Auslosung sowieso einen sommerlichen Clinch mit dem Weihnachtsmann: Das ersehnte Pokal-Heimspiel blieb der „Elf vom Niederrhein“ auch anno 2008 verwehrt (was natürlich genauso gut mit ihrer eigenen Schwäche zusammenhängt).

Wie gerade erwähnt, war der Kantersieg in Bielefeld Gladbachs vorletzte Sternstunde der Hinrunde. Ende August versetzte ein 3:2-Sieg gegen Werder Bremen den ausverkauften Borussia-Park bei brütender Hitze in pure Ekstase (dass in den schwarz-grünen Trikots des Gegners nicht das Bremen steckte, welches man ursprünglich erwartet hatte, kristallisierte sich ja erst etwas später heraus). Alexander Baumjohann erzielte mit einem Maradona-Gedächtnis-Solo das „Tor des Monats“ August. Neben einer kleinen Plakette für die Wohnzimmervitrine brachte ihm sein Meisterstück wohl auch einen Bankplatz beim FC Bayern München ab der kommenden Saison ein.

Der enttäuschende Bundesligaauftakt gegen Stuttgart (1:3) und Hoffenheim (0:1) sei fix unter den Teppich gekehrt. Schließlich sollte es bis Jahresende noch viel schlimmer kommen. Da kann man sich von derartigen Lappalien nicht aufhalten lassen.

Derweil ist das Sommerloch im Juli wohl nicht all seine genialen Einfälle losgeworden. Aus diesem Grund nämlich verursachte die Trikotnummer-Affäre an der Otto-Fleck-Schneise ein riesiges Post-sommerlöchriges Tohuwabohu. Der FIFA war eingefallen, dass alle Zahlen über 18 doch irgendwie doof sind. Also wurden die Rückennummern bei internationalen Pflichtspielen – auch Uneingeweihte ahnen, was kommen wird – auf eben jene Zahlen 1 bis 18 limitiert. An für sich kein Problem – PODOLSKI lässt sich bestimmt auch über eine 14, 15 oder 16 drucken. Doch spätestens als der DFB es für viel zu kompliziert befand, für jedes Länderspiel einen komplett (!) neuen Trikotsatz zu drucken, überholte dieses Brennpunkt-Thema den Südossetien-Konflikt in der Gunst deutscher Nachrichtenagenturen. Ein paar Wochen später knallten in Frankfurt dann jedoch die Sektkorken: Irgendeinem Blitzmerker war eingefallen, dass Jogi Löw selten ein- und denselben Kader für zwei aufeinander folgende Länderspieltermine nominiert. Als dann noch jemand einwarf, dass die Spieler ja sowieso für jedes Spiel druckfrische Trikots bekommen, kannte der Jubel keine Grenzen mehr. Heureka!

Auch in anderer Hinsicht blieb der DFB seiner Linie (un)treu: Pierre Womé zerlegte den Kiefer von Ashkan Dejagah beinahe in alle Einzelteile und wurde dafür (nachträglich wohlgemerkt) für nur drei Spiele auf die Tribüne verbannt. Kurz vor Hinrundenende übrigens brachte Hannovers Keeper Florian Fromlowitz den Wolfsburger Edi Dzeko per Notbremse im Strafraum zu Fall, wurde für dieses fragwürdige Foul vom Platz gestellt und für zwei Spiele gesperrt. Einen Tag zuvor hatten Claudio Pizarro und Diego der Karlsruher Mannschaft Backpfeifen und Würgegriffe am laufenden Band verpasst – und wurden für nur drei bzw. vier Partien aus dem Verkehr gezogen. Na, wenn das so ist.

Neben ein paar Flachwitzen und dem olympischen Fußballturnier stand vor allem Schalkes Aus in der Champions-League-Quali im Mittelpunkt. Die Königsblauen verbrannten in Madrid mit einer grottenschlechten Leistung so viel Geld – da können Hypo Real Estate, Lehman Brothers und Co. nur von träumen. Für S04 gab’s jedoch kein Rettungspaket, sondern den Trostpreis schlechthin: Die Teilnahme an UEFA-Cup. Schalke lehnte beleidigt ab und verabschiedete sich nach der Gruppenphase aus dem Wettbewerb.

Zu guter Letzt ein weiteres bestimmendes Thema des Monats: Muss ein Kicker-Redakteur wissen, wie Nikolce Noveski aussieht und dass seine Visage nicht zu einem gewissen Nikolce Novakovic gehört? Im Prinzip schon – schließlich soll die Bäckereifachverkäuferin morgen früh ja auch nicht das Röggelchen mit dem Vitalbrötchen verwechseln. Wobei die sich auch verdammt ähnlich sehen…

Samstag, 27. Dezember 2008

2008x12 - Juli

Entscheidend is auf’m Platzhirsch(kuh) des Monats:
Marlies (stellvertretend für die Gladbacher Tickethotline)


Der Juli – man könnte ihn getrost den „Januar der Sommerpause“ nennen. Die dominierenden Themen sind sowas von sommergelöchert, dass sie vor lauter Bedeutungslosigkeit schon fast wieder weltbewegend erscheinen. Fehler in Sonderheften, aufgeblähte Trikots auf dem Mannschaftsfoto und wenig aufreibende Testspiele – das Fußballherz sucht zu dieser Zeit nahezu vergeblich nach Erquickendem. Selbst für soziologische Abhandlungen oder historische Exkurse findet sich nur wenig Muße. Denn entweder sorgt verregnetes Schmuddelwetter für Sommerdepressionen oder der Planet brennt so sehr, dass das Kunststoffgehäuse des Laptops einfach so dahin schmilzt.

Doch was wäre ein Monat, ohne dass wir uns aufzuregen? Also wird der Sinn und Unsinn einer Beachsoccer-WM diskutiert, über alte Flohmarktfunde geschmunzelt und der Wunschzettel für den DFB-Pokal verfasst. Zudem geht der gelangweilte Fußballfan im Sommer nur allzu gerne dazu über, alles zu bashen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist: Kalle Rummenigge, die Sport-Bild und Hertha BSC waren im Juli dran. Letzteres Opfer bekam besonders sein Fett weg. Schließlich waren die Herthaner im Post-EM-Monat zusammen mit dem VfB Stuttgart die einzige deutsche Mannschaft, die sich in so genannten „Pflichtspielen“ unter anderem mit Nistru Otaci duellierte und dabei vor allem die Frage aufwarf, wer hier eigentlich wer ist?

Nun ja, und ohne ein paar Neuigkeiten vom Niederrhein geht’s natürlich auch nicht – obwohl sich das ominöse „Kaufhaus des Westens“ auf dem Transfermarkt noch vornehm zurückhielt. Ein Telefonat mit Computerstimme „Marlies“ sorgte für verzweifelte Erheiterung. Als ich neulich versuchte, Karten für den prestigeträchtigen Derbyfieber-Cup in der Dortmunder Westfalenhalle zu bestellen, war ihre Schwester „Cordula“ am Apparat und sagte mir, dass „Marlies“ mittlerweile wieder bei der Stadtwerken Krefeld die Haltestellen in diversen Linienbussen ansagt. Damals im Juli hatte ich mich übrigens über Sambarhythmen in der Tickethotline-Warteschleife bei der Borussia beschwert – fünf Monate später vertröstet die „Elf vom Niederrhein“ den wartenden Anrufer am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Und wenn der Juli schon so viel Zeit bringt, dann kann man sie gleich für einen weiteren Ausflug in den Statistik-Dschungel nutzen und evaluieren, ob das „ominöse zweite Jahr“ für Aufsteiger in die Bundesliga wirklich so ominös schwierig ist. Ergebnis: Der KSC steigt mit gut 25-prozentiger Wahrscheinlichkeit diese Saison ab. Die Chancen, dass es die Borussia aus Mönchengladbach erwischt, stehen bei 40 Prozent. Die restlichen 60 Prozent werden hoffentlich zu 100 Prozent eintreten.

Den größten Erfolg des Monats feierte die deutsche U19-Nationalmannschaft. Die Jungs von Horst Hrubesch wurden in Tschechien Europameister. 1989 – eben ein ganz guter Jahrgang. Anders als 1899.

Freitag, 26. Dezember 2008

2008x12 – Juni

Entscheidend is auf’m Platzhirsch des Monats:
Oliver PocherDavidOdonkorSpanien


So. Weihnachtspäuschen beendet, zurück geht’s in die Zeitmaschine, die uns heute in einen Monat des Jahres 2008 führt, den man getrost mit zwei Buchstaben umschreiben kann: EM. Wer mitgezählt und -gedacht hat, wird schlussfolgern: Es ist Juni.

In 45 Akten im Tagebuch-Format ging es zumindest im Geiste täglich nach Österreich und in die Schweiz. Die erste Juniwoche lieferte das übliche Geplänkel vor einem großen Turnier: Stadien hier, Public-Viewing-Vorbereitungen da, Provokationen überall. Letzteren verschaffte das polnische Boulevardblatt „Super Express“ kurz vor dem Auftaktspiel der deutschen Mannschaft einen Höhepunkt: Polen-Coach Beenhakker posierte dank eines wahren Photoshop-Geniestreiches mit den Köpfen von Jogi Löw und Michael Ballack auf der Titelseite. Östlich der Oder schaukelte man sich genüsslich am Sieg der polnisch-litauischen Armee gegen deutsche Kreuzritter in der Schlacht bei Grunwald hoch.

Während unser erster Gruppengegner dafür 598 Jahre zurückblicken musste, genügte uns ein kleiner Hinweis auf einen bedeutenden Sieg am 14. Juni 2006 nahe Lüdenscheid. Die Feldherren Neuville und Odonkor sind noch heute berüchtigt. Vor allem Letzterer zauberte im Vorfeld die eine oder andere Schweißperle auf die polnische Journalisten-Stirn, als Jogi Löw in der Pressekonferenz den rechten Flügelflitzer anpries, als habe Pelé im Jungbrunnen gebadet und sich einen deutschen Schäferhund zugelegt. Womit Anfang Juni auch die Frage geklärt worden wäre, was zur Hölle David Odonkor im EM-Aufgebot zu suchen hatte.

Das Eröffnungsspiel erlebte ich im Kreise von volltrunkenen Jung-Handballern in einer verwaisten holländischen Kneipe. Während Sverkos zum 1:0 traf, hatte ich beim „Bier wegbringen“ so meine Probleme mit der Zielsicherheit. Deutschlands 2:0 dank des Jubel-Asketen Lukas Podolski erlebte ich am Tag darauf bei einer Hühnersuppe auf der Wohnzimmercouch. Dennoch war der Auftakt vollends geglückt.

Obwohl Fußball bekanntlich „Keine Mathematik“ ist, schien der Europameister bereits am 10. Juni gekürt. Der provisorische Sieger hieß Spanien. Was noch ganz verlockend klingt, bis man hört, dass dieser kühne Tipp sowohl den Holländern als auch den Portugiesen einen Platz im Halbfinale beschert hätte.

Griechenland zählte derweil schon nach einem Spieltag nicht einmal mehr zum weitesten aller erweiterten Favoritenkreise. Ganz im Gegenteil litten Ottos Helenen am unheilbaren Unterhaching-Syndrom und konnten froh sein, dass es beim Fußball – anders als beim Eishockey – keine Auf- und Abstiegsregelung für Nationalmannschaften gibt.

Als vor der EM noch einmal daran erinnert worden war, dass es im Fall der Fälle bereits in der Vorrunde zum Elfmeterschießen könnte, hatte ich zynisch gejuxt. Vor dem abschließenden Spiel zwischen Tschechien und der Türkei in Gruppe A lagen beide Mannschaften jedoch sowohl punkt- als auch torgleich im Rennen und stritten im direkten Duell um den Einzug ins Viertelfinale. Ein Unentschieden nach 90 Minuten hätte eine Entscheidung übers Weiterkommen vom Elfmeterpunkt bedeutet. Doch die Türken blieben sich treu und verhinderten das Novum in fast 50 Jahren EM-Geschichte durch Nihats Treffer eine Minute vor dem Ende.

Die „Apokalypse mit Abstrichen“, die der deutschen Mannschaft beim 1:2 gegen Kroatien widerfuhr, trieb mich in die Konjunktivitis, weil ich feststellen musste, dass Österreichs Last-Minute-Elfer uns die letzten Chancen auf den Gruppensieg geraubt hatte. Ein paar Stunden zuvor hatte ich nervöses Stück Mensch sogar kurzzeitig einen Putzfimmel bekommen. Nicht einmal das half letztendlich.

Im Krefelder Morgengrauen gab ein türkischstämmiger Taxifahrer unverblümt zu, von den leidigen Hupkonzerten nach fußballerischen Erfolgen im Grunde auch nicht viel zu halten. Geglaubt hat’s ihm niemand. Überhaupt durfte er für seine Mannschaft nach der Gruppenphase ja auch nur noch einmal hupen. Wollen wir ihm den Spaß doch lassen. Gleichzeitig bereitete mir eine einfach nicht schwächeln wollende spanische Mannschaft so meine Sorgen. Noch nicht eine Minute hatte ich von einem Spiel des Europameisters in spe gesehen und sagte dennoch in Berufung auf ein ungeschriebenes Gesetz großer Fußballturniere: „Ich bin immer noch davon überzeugt, dass zwangsläufig wieder ein böses Erwachen auf die Spanier wartet.“ Wie war das mit den Visionen, Herr Schmidt?

Beim 1:0 gegen Österreich (Ballack-Freistoß, Trainerpossen, Mario „Frank Mill“ Gomez) war Philipp Lahm bester Deutscher, hatte jedoch ein offenkundiges Problem mit Schizophrenie. Und nach einer Vorrunde, die verheißungsvoll begann, zwischendurch apokalyptische Züge annahm und dann in typisch deutscher Am-Ende-gewinnen-wir-immer-Manier gerettet wurde, musste man sich doch fragen, ob uns das Losglück am 2. Dezember 2007 wirklich so treu geblieben war.

Bevor uns das Viertelfinale gegen Portugal in Ekstase versetzen durfte, gehörte die Aufmerksamkeit für kurze Zeit dem Trio Löw-Hickersberger-Skomina. Der Dritte im Bunde machte sich einen Namen, als er die beiden zuerst genannten gemeinsam auf die Tribüne verbannte, weil sie – so oder so ähnlich muss es gewesen sein – schlichtweg zu laut geatmet hatten. Weshalb dieser Zwischenfall prompt einen kleinen soziologischen Einschub über „Neongelbe Wichtigtuer“ mit Pfeife im Mund anregte.

Immerhin durfte ich dann sogar noch Spaniens B-Elf 23 Minuten lang dabei zusehen, wie sie Griechenland ausbeutete. Zeitgleich erregte nicht die Wade, sondern ausnahmsweise die „Rippe der Nation“ die deutschen Gemüter. Torsten „Rosinante“ Frings fiel definitiv aus fürs Viertelfinale, was Simon Rolfes den Sebastian-Kehl-Status einbrachte. Anders als bei dessen Auftritt im WM-Halbfinale 2006 ging’s jedoch gut aus.

Es gab die „Kehrtwende ins Glück“ dank eines 3:2-Sieges gegen favorisierte und vor allen Dingen stark geredete Portugiesen. Schweinsteiger, Ballack und Co. überrumpelten nicht nur ihren Gegner, sondern auch Millionen vor dem Fernseher. Und mal ganz ehrlich: Die beiden Gegentoren haben wir doch nur zugelassen, um den Verkauf der Highlight-DVDs anzukurbeln. Die Glückwunsch-Telegramme schwappten in der Folge sogar aus den USA ins Haus und Europa bemühte wieder die alte Leier von den Deutschen, die immer gewinnen, wenn 22 Spieler 90 Minuten lang einem Ball nachjagen. Diesmal war es nicht einmal gerechtfertigt – im Halbfinale gegen die Türkei dann jedoch mehr denn je.

Bevor Spanien im Viertelfinale Italien erwartete, hatte in den drei K.o.-Spielen zuvor jeweils der antretende Gruppensieger die Segel streichen müssen. Laut Statistik ziehen die in 43% aller ersten K.o.-Runden den Kürzeren. Der spätere Europameister machte es jedoch besser – auch wenn der knappe Sieg gegen sich selbst karikarierende Italiener meinen Glauben an einen spanischen EM-Erfolg nur wenig stärkte.

Ab dem 23. Juni sah Europa erst einmal zwei fußballfreien Tagen ins Gesicht. Selbst eine Putzaktion war als willkommene Beschäftigungstherapie nicht in Sicht. Die Vorbereitung aufs Türkei-Spiel fiel aufgrund diverser „krampfhafter Zeichen“ und einem behüteten „Hühnerei“ jedoch ziemlich intensiv aus. Dabei waren unsere türkischstämmigen Mitbürger längst auf dem Weg in die Heimat – zumindest in NRW hatten die Sommerferien begonnen.

Dass es das Halbfinale vielmehr aus übertragungstechnischer als aus sportlicher Sicht in jeden Jahresrückblick schaffte, der etwas auf sich hält, konnte da noch niemand ahnen. Hinterher war nirgendwo mehr von Völkerverständigung die Rede – zumindest nicht in Bezug auf die deutsch-türkischen Beziehungen. Letztendlich war es nämlich die Liebe zur Schweiz, die am 25. Juni eine nie erwartete Auffrischung erhielt. Das „gallische Dorf“ rettete mit seiner Leitung die Fernsehübertragung und erlöste Béla Réthy vom Manni-Breuckmann-Ähnlichkeitswettbewerb. Nicht nur sportlich hatten wir an jenem Abend also „den Papst in der Tasche“.

Fürs Finale schürte allein Gary Lineker aus deutscher Sicht ein wenig Hoffnung. Ballacks Wade war wieder in aller Munde, Spanien schien unbesiegbar und dann machte uns auch noch die Statistik einen Strich durch die Rechnung. Seine „ungeraden“ EM-Endspiele hat Deutschland allesamt gewonnen, die „geraden“ gingen verloren. Das Finale gegen Spanien sollte das sechste sein.

So wie es kommen musste, kam es dann auch: Lahm und Lehmann ließen sich kurz von Torres düpieren, schon lag die deutsche Mannschaft geschlagen am Boden. All die zerkauten Fingernägel aus den Stunden vor dem Spiel waren vergeudet. Im Laufe der 90 Minuten war es nämlich eher frustrierend als spannend. Doch wie soll man auch ein EM-Endspiel gewinnen, wenn sich der geflockte Name des Kapitäns auf dem Deutschland-Trikot am Finaltag in Luft auflöst?

So wie die EM aus deutscher Sicht auf dem Platz endete, fand sie auch daneben ein Ende. Pocher, Podolski und Papptafeln schrieben am Brandenburger Tor ein unfassbar peinliches Kapitel deutscher Länderspielgeschichte – mit „Humba“, Rechtschreibfehlern und Johannes B. Kerner. Hätte nur noch gefehlt, dass 100.000 Teenies „So seh’n Verlierer aus“ kreischen. Der letzte Eindruck von einer EM bleibt. Das fand übrigens auch Michael Ballack und schlitterte nach der Endspielpleite gerade so an einer handfesten Auseinandersetzung mit Oliver Bierhoff vorbei. Ausgerechnet Kevin Kuranyi schlichtete – viele sagen, seine beste Aktion im Dress der Nationalmannschaft. Und so passt es am Ende wohl auch wie die Faust aufs Auge, Günter Netzer aus einem Interview mit dem SPIEGEL zu zitieren: „Sieger können feiern, Verlierer sollten sich fragen, warum sie verloren haben“.

Dienstag, 23. Dezember 2008

2008x12 – Mai

Entscheidend is auf’m Platzhirsch des Monats:
Baron Pils (ca. 9 Euro die Palette)

Der Beginn des Wonnemonats Mai stand zunächst ganz im Zeichen einer vollendeten Mission. Ziel: Offenbach. Wo "Reisen des Jahres" nunmal hingehen. Das 3:0 der Borussia im Heimspiel gegen Wehen besiegelte die Rückkehr ins Oberhaus und verursachte spontane Aufstiegsfeierlichkeiten auf dem Alten Markt in Mönchengladbach. Nur drei Tage zuvor hatte ich mich mit sechs Freunden auf die Reise des Jahres gemacht.
Aufstehen um kurz nach halb fünf. In den Nachwehen einer tollkühnen Abstiegsfeier mit der Handballmannschaft stand vor dem Komma des Alkoholpegels wohl gerade so eine Null. Geschlafen hatte ich zwei Stunden, weshalb der/das atomar angehauchte „Baron Pils“ nicht so schnell Bekanntschaft mit mir machte.

Spay, Boppard-Bad Salzig, Trechtlingshausen, Budenheim – über die Dörfer ging es in Richtung Offenbach, wo wir alle mit 5000 anderen Borussen das Auswärtsspiel unseres Lebens sahen. 7:1 stand es am Ende, der Aufstieg war mit einem Dreier im nächsten Spiel greifbar. Auf der Rückreise tranken „Baron Pils“ und ich sogar noch Brüderschaft, Sebastian lernte die Vorzüge des hessischen Äppelwoi kennen und ein zugfahrender Mainzer erfuhr am Abend die Bedeutung des Wortes „Demut“. Schon auf der Hinreise war er uns begegnet und hatte todesmutig gefragt, gegen wen Gladbach denn heute verliere. Am Mainzer Hauptbahnhof lief er uns erneut über den Weg. Ein unterwürfiges Nicken, ein kurzes „Glückwunsch“ und schon war er wieder weg. Alles in allem blieb eine Erkenntnis: Auswärtsfahrten – „Das letzte Abenteuer“.

Die letzten beiden Saisonspiele nach der „Es ist vollbracht“-Partie gegen Wehen finden hier nicht einmal Erwähnung. Die Ehe mit der Zweiten Liga ging so schnell vor den Scheidungsrichter, dass sich der ganze Niederrhein Mitte Mai bereits in Liga Eins wähnte.

Am Tag der Abenteuerreise nach Offenbach wurden die Bayern übrigens Meister in Wolfsburg – beim guten Felix Magath im Wohnzimmer. Doch das war genauso spannend und überraschend wie Luftballonaufblasen mit einer Handpumpe. Wenig nervenaufreibend verlief auch das Halbfinal-Rückspiel der Bayern in St. Petersburg. Vor allem die Gastgeber verlebten einen relativ ruhigen Abend beim 4:0. „Cup der Verlierer“ – die einen kommen als Verlierer, die anderen gehen als Verlierer. Für den Rekordmeister aus München galt gleich beides.

Überhaupt war der Europacup neben den Gladbacher Aufstiegsfeierlichkeiten und den EM-Vorbereitungen das Hauptthema im Mai. St. Petersburg krallte sich den „Cup der Verlierer“ im Endspiel gegen die Glasgow Rangers – und keiner hat’s gesehen. „Saufen statt Sat. 1“ lautete das umstrittene Motto, das die Bundes-Drogenbeauftragte Bätzing sofort auf den Plan rufen würde. Mehr Aufmerksamkeit wurde zu Recht dem Champions-League-Finale zwischen ManU und Chelsea zuteil. Wobei die Austragungsorte der Europacup-Endspiele am besten getauscht worden wären. Aus 7200 Reisekilometern für die Anhänger der vier teilnehmenden Klubs hätten dadurch 3420 werden können. Nur die Fans aus Glasgow wären wohl auf die Barrikaden gegangen. Eine provisorische Pendlerpauschale lehnte Finanzminister Steinbrück strikt ab: „Für alle, die noch fest daran glauben: Wir werden die Sauftour schottischer Fans nach Moskau nicht mit Konsumgutscheinen subventionieren.“

War auch gar nicht nötig. Schließlich blieb alles beim Alten. Im Moskauer Lushniki-Stadion lieferten sich Chelsea und ManU ein packendes Finale über 120 Minuten. Erst hieß der Loser des Abends Cristiano Ronaldo (vgl. „Weltklasse, die“). Das ließ Chelseas John Terry jedoch nicht auf sich sitzen und beförderte den entscheidenden Elfer gezielt an den Außenpfosten. Michael Ballack weinte bitterliche Tränen und schwor sich an diesem Abend: Dieses Jahr lasse ich mir gar nichts mehr gefallen. Ein Mann, ein Wort.

Was sonst noch geschah: Die kühnen Spielplanpläne der DFL schürten die Angst vor einer „Fußball-Klaustrophobie“ („zehn verschiedene Kombinationen von Tagen und Uhrzeiten […] 720 Minuten Fußball […] 16 von 60 Minuten am Wochenende vor dem Fernseher"). Die Bayern behaupteten den Titel des Rekordvizemeisters. Doch der Vize-Rekordvizemeister aus Bremen (jawoll, nicht Schalke) holte auf. Falls Werder irgendwann einmal wieder die Schale holen sollte, winkt ihnen ein zweiter Stern auf dem Trikot. Die „Star- Spangled“ Bayern sicherten sich derweil ihren vierten, während das deutsche Vergabeprinzip bei den Glasgower Vereinen den Cholesterinspielen erhöht. Wenig zu feiern gab es für Alexanders Löbe, der den neunten Abstieg seiner Karriere erlebte. Vier in Folge – einfach unerreicht. Der Mann ist ein wahres Strichmännchen.

Der BVB bekam noch schnell die Auszeichnung als „Vorzeigetrainervernichtungsanlage“ verliehen (nur echt mit den 33 Buchstaben) und schon ging’s hinein ins EM-Vergnügen. Mein herzergreifendes Plädoyer und die erbarmungslose Durchsetzung des Löw’schen "Leischtungsprinzips" verschafften Oliver Neuville einen Platz im EM-Kader. Marin, Jones und Helmes fielen durch den Re-Call. Anders als David Odonkor. Kommentar zu seiner Nominierung: „David Odonkor ist dabei in diesem Jahr wie eine Wollunterhose von Tante Gaby, mit der fest zu rechnen war, die man aber nicht einmal jemandem wünscht, der ansonsten gar keine Geschenke bekommt.“

Das Vorbereitungsspiel gegen Weißrussland roch noch schwer nach 2000 und 2004. Das 2:1 gegen die Serben, die doch nicht die erhofften Kroaten waren… naja, das eigentlich auch. Olli rettete mit seinem Tor, was zu retten war. Und Michael Ballack zeigte durch seinen Siegtreffer, dass er es wirklich ernst meinte, mit dem Sich-nichts-gefallen-lassen.

Die Vorhersage des Monats wurde erneut in Bezug auf die anstehende Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz getroffen: „Ich prophezeie an dieser Stelle kühn, dass Ronaldo seine Mannschaft weder zum EM-Titel führen noch mehr als drei Treffer erzielen wird.“
Fand Kai Dittmann als ausgewiesener Ronaldo-Fan gar nicht so lustig und blockierte prompt die Pläne des DFB, den Nullmeridian um vier Grad nach Osten zu verschieben. Deutschland wäre sonst Europameister geworden. Wir erinnern uns.

Montag, 22. Dezember 2008

2008x12 - April

Entscheidend is auf'm Platzhirsche des Monats:
Der "Bayern-Dusel" und der "Titelkorridor"

Der April 2008 – in gewisser Weise „FC Bayern-Themenmonat“ auf Entscheidend is auf’m Platz. Ottmar Hitzfeld warf Schiri Michael Weiner vor, „wie beim Frauenfußball“ zu pfeifen. Was mich zu einem kleinen Return in Richtung des scheidenden Herrn H. veranlasste: „Wer ihn nach einem Tor jubeln sieht, als habe er gerade beim Bingo im Seniorentreff abgeräumt, der fragt sich, ob man nicht auch pfeifen darf „wie beim Frauenfußball“, wenn mitunter gejubelt wird wie im Kreise von lauter Mittsiebzigern.“

Derweil bereitete sich Fußball-Deutschland auf einen weiteren meilensteinigen Abgang vor: „King Kahn tritt ab“, womit es im April an der Zeit war für ein kleines Memorandum. „Olli, Du wirst fehlen“, hieß es am Ende mit überraschend viel Wehmut in der Tastatur. Heute, mehr als ein halbes Jahr später, hat es sich für mich irgendwie bewahrheitet. Kahn analysiert an Kerners Seite Fußballspiele. Man möchte ihm andauernd zurufen: „Olli, unter dem Kerner-Kostüm steckt Heiko Herrlich!“. Aber er hört nicht.

Vor lauter Abschiedsvorbereitung gingen die sportlichen Missionen des Rekordmeisters jedoch nicht vollkommen unter. Beim 3:3 in Getafe wurde der geneigte Zuschauer Zeuge des fleischgewordenen Bayern-Dusels. „Die Bayern, die machen noch eins“ – Fußball kann so berechenbar sein, wenn Luca Toni, Oliver Kahn und Franck Ribéry ihre Köpfe, Finger und Füße im Spiel haben. Getafe – anscheinend eine so traumatische Bayern-Erfahrung für mich, dass ich zu dem waghalsigen Schluss kam: „Europacup-Bayern sind gute Bayern“. Zu meiner Entschuldigung: Ich steckte zu dieser Zeit mitten im Abitur, hatte montags Deutsch, mittwochs Englisch hinter mich gebracht, eines der hitzigsten Rheinischen Derbys ever erlebt und war dementsprechend ein nervliches Wrack. Hoffe, die Entschuldigung gilt. Immerhin ist die These vor kurzem auf dieser Seite ja ein für allemal gekippt und ein „Freuverbot“ verhängt worden, wenn der FC Bayern international siegreich ist.

Apropos Abitur: Es war gar nicht so einfach, diesen Haufen bedeutender Intellektueller nicht durcheinander zu werfen. Da können die „Leiden des jungen Werther“ schnell auf die Kappe von Kevin Kuranyi gehen.

In Gladbach war trotz der Fahnenquerelen rund ums rheinische Derby gegen den FC alles im Lot. Nach dem 1:1 in Köln hieß es in Bezug auf den Dusel-Sieg gegen Koblenz eine Woche zuvor zwar noch: „Wie gewonnen, so zerronnen“. Das überragende 3:0 zuhause gegen Fürth machten das jedoch alles im Nu vergessen. „Nie mehr zweite Liga“, hallte es erstmals durch den Borussia-Park. „Einfach göttlich“. In meiner Prä-Aufstiegshysterie schrieb ich sogar: „Es klingt in den Ohren wie Mozart oder Bach. Doch auf die könnte die Musikgeschichte in diesem Moment getrost verzichten, wenn ich für den Rest meines Lebens ‚Nie mehr Zweite Liga‘ singen dürfte.“ So kann es gehen, vielleicht ist es im April 2010 schon wieder so weit.

In Jena gab es kurz darauf zwar nur ein glückliches 2:2. Der Wiederaufstieg schien trotzdem unter Dach und Fach: „Es ist müßig über das wann und wo zu philosophieren. Es wird passieren, davon darf man trotz des schwachen Auftritts in Jena aber weiterhin ausgehen. Das Heimspiel gegen Wehen erscheint dafür geradezu prädestiniert.“ Mein Wille (sollte) geschehe(n).

In Groningen nahm man es derweil etwas zu genau mit dem vielbemühten Motivationsspruch „Das Stadion muss brennen“. Klopapierrollen hatten im Stadion Euroborg Feuer gefangen, weshalb die Partie des Gastgebers gegen Ajax Amsterdam ein Ende fand, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Was nicht nur Trainer Baade zu der Erkenntnis brachte: „Naja, bisschen schwierig, etwas abzubrechen, was noch nicht begonnen hat...“

Überhaupt spielten die Elemente im April verrückt. Feuer in Groningen, sintflutartiger Regen in Nürnberg – irgendwie ging alles daneben. Die Begegnung zwischen dem „Club“ und dem VfL Wolfsburg musste nach 45 Minuten beim Stand von 1:0 abgebrochen werden. Das Nachholspiel neun Tage später an gleicher Stelle endete – na, wie auch sonst – mit 1:0. Diesmal jedoch bei strahlendem Sonnenschein.

Derartige Traumbedingungen erwarteten Berti „Rudi Gutendorf II“ Vogts wohl kaum an seinem neuen Arbeitsplatz. Den „Terrier“ verschlug es im April dieses Jahres nach Aserbaidschan. „Berti goes to Baku“ und sorgt für ein Novum: Erstmals können die Länder Deutschland, Kuwait, Schottland, Nigeria und Aserbaidschan problemlos in einem Satz untergebracht werden. Während sich Schlachtenbummler-Kollege Matthäus auch abseits des Platzes der Promiskuität verschrieben hat, herrscht wenigstens in dieser Hinsicht Konstanz in Bertis Leben.

Auch in diesem Monat ging es natürlich nicht ganz ohne die ewigen Leiden von S04. Mirko Slomka musste seinen Hut nehmen, das Duo Büskens-Mulder übernahm vorerst und fegte dank eines Viererpacks von Kevin Kuranyi gleich einmal Energie Cottbus mit 5:0 vom Platz. Schalke wurde am Ende doch noch Dritter, stellte Fred Rutten als neuen Coach vor und es kehrte tatsächlich (erst einmal) Ruhe ein.

Ruhe vor dem Sturm herrschte zu diesem Zeitpunkt noch in Sachen Europameisterschaft. Knapp zwei Monate vor Beginn des Turniers war es dennoch an der Zeit, für ein paar vorausschauende Blicke. Die Sport-Bildliche Stürmeranalyse „Auf Müllers Spuren“ führte zu dem Schluss, dass „das Pendel derzeit also zum Duo Gomez-Klose“ tendiere. Der pendelnde Möchtegern-Bundestrainer sollte Anfang Juni zum EM-Auftakt (fürs Erste) Recht behalten.

Auch eine weitere Prognose ging voll auf. Irgendein verschlafener Vormittag in der Zeit nach den Abiturprüfungen brachte nämlich die sagenhafte Erkenntnis, dass die deutsche Nationalmannschaft all ihre sechs Titel bei großen Turnieren zwischen dem 0. und 13. Längengrad eingefahren hat. Sechs von acht Endspielen in diesem deutschen „Titelkorridor“ wurden gewonnen. Alles, was außerhalb stattfand, ging verloren. „Demnach stehen die Sterne für die EM 2008 nicht allzu gut. Geografische Begebenheiten dürften unsere Elf zwar nicht vom Finaleinzug abhalten. Aber scheitern wird man dann wohl am Endspielort Wien (16°11' O), der einen Tick zu weit im Osten liegt“, lautete die unumgängliche Prognose. Und? Wir erinnern uns: Deutschland gewann in Basel (ungefähr 7° Ost) gegen Portugal und die Schweiz, um dann in Wien den Spaniern haushoch unterlegen zu sein. Kein Unvermögen also, sondern alles Schicksal und geschichtliche Fügung.

Noch weniger fügten sich die Dinge jedoch in persona Bernd Schneider. „Schnix“ musste die EM-Teilnahme endgültig absagen. Inzwischen ist es verdammt ruhig geworden um den „weißen Brasilianer“. Selbst schwammige Wasserstandsmeldungen bezüglich seines Genesungsstandes machen sich rar. Immerhin ist er einen wenig ruhmreichen Titel „posthum“ losgeworden. Seit der EM ist er nicht mehr der Nationalspieler mit den meisten Länderspielen, ohne einen Titel errungen zu haben. Klose (87) und Ballack (89) haben ihn überflügelt. Wird ihn jedoch wenig trösten.

Ein Rekord, auf den man zumindest aus der Sicht des Siegers weitaus mehr halten kann, feierte im April seinen 30. Jahrestag. Am 29. April 1978 verlor Borussia Dortmund mit 0:12 gegen die Namenscousine aus Mönchengladbach, weshalb dieses historische Resultat kurzerhand auf einem T-Shirt im Fanshop des Gewinners gewürdigt wurde. Zur Schau getragen von Soumaila Coulibaly, dessen Gesicht es trotzdem nicht auf diese Seite schaffte. Mittlerweile ist er auch im richtigen Fußballerleben ausgemustert worden.

"Drunter und drüber" ging es zu guter Letzt im Statistik-Dschungel. In Karlsruhe - bei denen, die Anfang des Jahres noch Sechster waren - bemühte man unermüdlich die alte Leier von den 40 Punkten, ohne die in Sachen Klassenerhalt rein gar nichts geht. Anlass genug, einmal genau den "Abstiegskampf in 45 Jahren Bundesliga" zu beleuchten. Seit Einführung der Drei-Punkte-Regel mussten es übrigens nie die besagten 40 Zähler sein. Erst zweimal in der Bundesliga-Historie stiegen Klubs ab, die ihre Mission scheinbar erfüllt hatten (Hertha '80 und Bochum '90). Von 40 Punkten konnte Arminia Bielefeld zum Ende der Saison 2007/2008 nur träumen. 34 Punkte genügten - Negativrekord seit Einführung der Drei-Punkte-Regel eingestellt.

Auf wiedersehen im Mai!

2008x12 – März

Entscheidend is auf’m Platzhirsch des Monats:
Josef Schnusenberg


Anfang März stand bereits der Frühling vor der Tür und irgendwie versinnbildlichte Schalke 04 die Wetterlage zu dieser Jahreszeit beinahe perfekt: Nach dem Coup von Porto, dem Sieg im Elfmeterschießen des Achtelfinales der Königsklasse, herrschte eigentlich eine Wir-haben-uns-alle-lieb-Stimmung wie bei Astrid Lindgren. Doch der zweitgrößte internationale Erfolg der Vereinsgeschichte wurde von Intrigen und Schlammschlachten begleitet, die den Beobachter eher an „Dallas“ und den Ewing-Clan erinnerten. Kevin „Bobby“ Kuranyi verweigerte Mirko Slomka nach seiner Auswechslung den Handschlag. Präsident Josef „J.R.“ Schnusenberg stand da schon längst nicht mehr hinter seinem Trainer.

Die titanische Parade des Manuel Neuer gegen Portos Tarik Sektioui bekam das herzinfarktgefährdete Vereinsoberhaupt gar nicht mehr mit. Zu diesem Zeitpunkt weilte das Nervenbündel bereits schweißgebadet in den Katakomben. Der Marokkaner Sektioui war nach seinem Versagen à la Frank Mill ein Häufchen Elend, Neuer dagegen längst noch nicht satt. Also „parierte“ er seine Mannschaft grandios ins Viertelfinale. Jaja, diese „Macht des Augenblicks“.

Ähnliches wird sich die TSG „1899“ Hoffenheim gedacht haben. Der augenblickliche Lauf der Kraichgauer hält im Prinzip seit der letzten Winterpause an. Sechs Siege in Serie zum Rückrundenstart – wohl oder übel „Mannschaft der Stunde“. Geblinzelt hat die Rangnick-Elf bis heute nicht. Noch vor gut neun Monaten triefte meine zweiteilige Abhandlung des Phänomens Hoffenheim mit dem Titel „Willkommen im Klub“ nur so vor Abneigung. In meiner persönlichen Hass-Rangliste des deutschen Fußballs hat sich die TSG diametral zu ihrem sportlichen Erfolg entwickelt und längst eine Topposition eingebüßt. So kann das gehen. Man muss Hoffenheim auf keinen Fall mögen, aber auch nicht gleich hassen.

Ganz so sicher darf man sich beim FC Bayern München nicht sein. Im Frühjahr 2008 war der Rekordmeister einfach nicht zu stoppen und hechelte mit Schaum vorm Mund dem 21. Titel entgegen. Allein ein 0:2 bei Schlusslicht Cottbus lieferte der Schadenfreude kurzzeitig ihren Nährboden – „Cottbus zu stark für die Bayern“, fand nicht nur der Videotext.

Als „FC Bayern der 2. Liga“ durfte sich zu dieser Zeit die Borussia aus Mönchengladbach rühmen. Im März blieb sie ungeschlagen und holte zehn Punkte aus vier Spielen. Darunter unter anderem in 1:0 gegen Koblenz durch ein Eigentor in letzter Sekunde (vgl. „Bayern-Dusel, der“). Neun Spieltage vor Saisonende war es demnach langsam an der Zeit, auf den möglichen Aufstiegstermin zu schielen. „Der Schuldenberg“ zeigte von nun an die noch einzufahrende Punktezahl an, die mit Sicherheit zur Rückkehr ins Oberhaus genügen würde – Startwert war 23. Das Unheil einer weltweiten Finanzkrise kündigte sich augenscheinlich bereits im März an: Die „US-Immobilienkrise“ und die „schwankende Weltwirtschaft“ tauchten in dem Post auf, der den „Schuldenberg“ der Borussia einführte. Ich nehme diesen Preis, den Wirtschaftsnobelpreis, nicht an.

Abseits des Platzes markierte der März den Beginn einer bis heute andauernden Posse bei der Borussia: Kölner Fans entwendeten die Zahnfahne der Gladbacher Ultras aus einem Lagerraum unter der Nordkurve. Die UMG lösten sich daraufhin auf wie eine beleidigte Leberwurst in der Fleischtheke, was mich dazu bewegte, ein wenig über mein Verhältnis zur Ultra-Szene zu sinnieren. Fazit: Seitdem ich bei einem Spiel der 2. Basketball-Liga Frankreichs mit ansehen musste, wie die einladende Oberweite einer euphorisierten Mutter im Namen einer Ultra-Formation eine wehrlose hydraulische Tröte malträtierte, ist meine Einstellung zu Ultras und Co. nachhaltig gestört. Immerhin gab’s für „Sandkastenmentalität, schwingende Oberweite und schwerwiegende Opfergaben“ den ersten Kommentar in der Geschichte dieses Blogs.

Weniger geschichtsträchtig war dagegen die Nominierung Robert Huths fürs Länderspiel gegen die Schweiz (das seltsamerweise in jenem Monat ansonsten keine Erwähnung fand). Eine sich anbahnende Metzelder&Mertesacker-Phobie verleitete mich zu einer fast schon zu hoffnungsvoll geratenen Arie auf die Abwehrqualitäten des Englandlegionärs. Zumal Huth kurz darauf verletzt absagen musste. „The Berlin Wall is back“ – alles unter Vorbehalt.

Unter Vorbehalt schlug ich eines Morgens auch die Zeitung auf. „Matthäus – Feingeist und großer Redner“, fiel es mir prompt in meine verschlafenen Augen. Als dann auf einmal von „Wundererzählungen“ die Rede war, wurde die „Österliche Frühstücksverwirrung“ nur größer. Entwarnung folgte jedoch sogleich: Die Rheinische Post hatte sich anlässlich des Osterfestes den vier Evangelisten aus der Bibel gewidmet. Wenig später unterschrieb Matthäus, Rudi Gutendorfs Erbe, übrigens seinen 458. Vertrag als Trainer – ausgerechnet in Israel. Seit dem Sommer arbeitet er dort am fünften Evangelium und will Maccabi Netanya zum Meistertitel führen.

Wo wir vorhin schon bei Frühlingsgefühlen angelangt waren: In Sevilla ergriff einen Fan deshalb gleich der Übermut. Bei 22 Grad und Sonnenschein schleuderte er aus geschätzten neun Metern eine PET-Flasche auf Bilbaos Keeper Armando. Der Spanier kennt dafür sogar ein eigenes Wort: „Botellazo“ – der Flaschenwurf. Scheint also öfter vorzukommen. Die martialischen Bilder gab’s bei „Un botellazo, por favor“.

Was genau das heißt, hätte Mario Gomez bekanntlich nicht im Wörterbuch nachschlagen müssen. Der spanischstämmige VfB-Stürmer befand sich in den ersten Wochen nach der Winterpause zudem in absoluter Topform, traf wettbewerbsübergreifend 16-mal in 11 Spielen. „Hut ab, Herr Gomez“, hieß es dementsprechend. Nicht mehr als eine Momentaufnahme, wie die EM eindrucksvoll untermauerte. Ausnahmsweise konnte ich mich mit vagen Prognosen halbwegs zurückhalten und fügte nur noch hinzu: „Aber bis dahin [bis zur EM] wächst das Gras noch ein ganzes Stück“. Vermutlich ist es gar zu gut gediehen. Drei Millimeter kürzer und Gomez wäre nach der Vorrunde auf Kurs EM-Torschützenkönig gewesen und würde heute in Barcelona spielen (falls jetzt wirklich jemand den Rasen für seine Abschlussschwäche verantwortlich machen will).

Ende des Monats standen noch einmal die Königsblauen im Mittelpunkt. Ihr wohl genährter Präsident lieferte den Anstoß zu einer kleinen Studie über Gemeinsamkeiten von Vereinsoberhäuptern. Altegoer, Wildmoser, Schnusenberg und Co. ließen es zumindest darauf hinaus laufen, dass man in ihrem Falle „Korpulente Macht“ diagnostizieren könnte. Nur Michael A. Roth tanzte etwas aus der Reihe – aber der ist rein größentechnisch immerhin alles andere als Durchschnitt.

Fast hätte Josef Schnusenberg seinen Titel als Entscheidend is auf’m Platzhirsch des Monats noch an Eke Uzoma vom SC Freiburg abgeben müssen. Der Youngster brachte Co-Trainer Damir Buric nämlich nur mithilfe seines Vornamens an den Rand eines Feldverweises. „Eke, Eke!“, hatte der andauernd von der Außenlinie geschrien. Der Schiedsrichter fühlte sich persönlich angegriffen und forderte Buric auf, nicht pausenlos einen Eckball zu fordern. Nach diesem Vorfall nahmen die Freiburger erst einmal Abstand von einer Verpflichtung des Georgiers Aschloch Erschiesdenvili.

Sonntag, 21. Dezember 2008

2008x12 - Februar

Entscheidend is auf’m Platzhirsche des Monats: Maik Franz und der Kosovo

Der Mondkalender und ein paar christliche Gepflogenheiten hatten es so gewollt: Karneval fiel auf dasselbe Wochenende wie der Rückrundenstart. Dieser scheinbare Widerspruch, der nur am Zuckerhut und bei den selbsternannten „Karnevalsvereinen“ einen gemeinsamen Nenner in Sachen Fußball findet, war auch beim Spiel Gladbach gegen Lautern zu spüren. Da marschierte der Karnevalsprinz der Stadt vom Niederrhein über den Platz wie Karl der Große. Aus den Boxen hallten „jecke Tön“ und bei eisigen Temperaturen herrschte nicht erst nach Sascha Röslers frühem 1:0 geradezu Rosenmontagsstimmung. In der Nachspielzeit erhielt die karnevalistische Atmosphäre jedoch einen Dämpfer: Lautern traf in doppelter Unterzahl zum Ausgleich und schoss der Gladbacher Tabellenführer- und So-gut-wie-aufgestiegen-Euphorie kräftig vor den Bug. Ein „Weckruf met et Trömmelche“, wie ihn sonst nur „De Räuber“ drauf hätten.

Und weil das Fußballjahr so trist begonnen hatte, folgte gleich eine ausführliche Schau der gescheiterten Talente – eine Reise mit Alexandre Pato ins Jahr 2020, Erinnerungen an Hoffnungsträger wie Sebastian Deisler, die Geschichte vom U20-WM-Torschützenkönig Marcel Witeczek, Stammtischwissen über Michael Zepek und Erdal Kilicaslan, und zuletzt die vagen und wenig nachhaltigen Vorhersagen der Sport-Bild, wer die deutsche Nationalmannschaft im neuen Jahrtausend bereichern würde. Am Schluss stand eine traurige Erkenntnis: „Hochgejubelt“ wurden einige, „tief gefallen“ sind viele.

Ein Motto, das Anfang des Monats Februar auch die Borussia aus Mönchengladbach zu beherzigen schien: In Hoffenheim setzte es die erste Pleite seit 170 Tagen und ich durfte erstmals seit fast einem halben Jahr meine beiden Trikots waschen. Dass Hoffenheims Herbstmeisterschaft das Fußballjahr 2008 beschließen sollte, konnte, wollte und durfte da noch niemand ahnen. Dass der oben erwähnte Erdal Kilicaslan in der 1. Pokalrunde mit dem FC Oberneuland den Zweitligisten TuS Koblenz rauskegeln sollte, ebenso wenig. Dass dies auch noch live und in Farbe im PayTV zu sehen sein sollte, hatten noch weniger Leute auf der Rechnung. Aber: Man sieht sich eben immer zweimal im Leben.

Dachte sich auch Sergio „Kun“ Agüero, dessen Nachname eine neue Sparte namens „Auf gut Deutsch“ eröffnete. Der „Ünglücksrabe mit den guten Omen“ schoss im August den FC Schalke 04 aus der Champions League und belegte die Königsblauen mit einem Fluch, der bis heute anhält. Sicherlich kein gutes Omen.

In diese Reihe – Schalke 04 und der lähmende Misserfolg – passt auch die Nachberichterstattung vom Revierderby gegen Dortmund. BVB-Trainer Thomas Doll redete sich als „Doller Poltergeist“ um Kopf und Kragen. Neben ihm blieb Mirko Slomka nur ein süffisantes Schmunzeln – eine seiner letzten amüsierten Gefühlsregungen für lange Zeit.

Weitaus mehr Grund zur Freude bereitete zu diesem Zeitpunkt das Abschneiden deutscher Mannschaften im Europacup. Nach den Hinspielen in der Zwischenrunde des Uefa-Cups und dem Achtelfinale der Champions League lagen fast alle auf Kurs und hatten „Frohe Ostern im Visier“. Was letztlich nicht für den 1. FC Nürnberg gelten sollte: Erst verlor er das Hinspiel bei Benfica Lissabon nur mit 0:1, stand im Rückspiel dann dank einer 2:0-Führung mit einem Bein in der nächsten Runde – und musste sich sozusagen in letzter Sekunde geschlagen geben. Benficas Doppelschlag in der 89. und 92. war für den „Club“ der Anfang vom Ende.

Ähnlich trüb sah es derweil in Gladbach aus, wo die Tabellenführung nach der ersten Heimniederlage der Saison gegen Mainz 05 am seidenen Faden hing - die Borussia in einer „Midseason-Crisis“. Trotz allem war’s dann doch irgendwie Jammern auf hohem Niveau. Am selben Tag zauberte die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo – weniger aus politischer als aus sportlicher Sicht – Sorgenfalten auf die Stirn eines jeden Fußballfans. Nach Armenien und Aserbaidschan demnächsts Quali-Spiele im Kosovo? Nun ja, trotz allem ein herzliches „Mire se vini, Kosovo!“ – seid willkommen, ihr Kosovaren.

Mitte Februar erschien die Tabelle der Bundesliga in einem durchaus dreigeteilten Licht. Spitze, Mittelfeld, Abstiegskampf – alles wohlgeordnet wie die Äste einer prächtig gewachsenen Nordmanntanne. Was schließlich zu der epischen Frage führte: Wer wird Meister? Der, der alle Spiele gegen die anderen Topteams für sich entscheidet? Oder derjenige, der gegen die „Kleinen“ nie den Kürzeren zieht. Ausgiebige statistische Erhebungen führten letztendlich zu dem Schluss, dass Uli Hoeneß Unrecht hat, wenn er behauptet: „Wir waren uns einig, dass solche Spiele wie in Hannover wichtiger sind als die direkten Duelle gegen die Spitzenmannschaften. Dabei werden Meisterschaften entschieden.“ (via Dreieckeneinelfer via Frankfurter Rundschau) Und wenn man Uli Hoeneß in irgendeine Lügenfalle tappen lässt, ist der Tag sowieso gerettet.

Jene statistische Fleißarbeit beinhaltete übrigens den Karlsruher SC. Ja, obwohl sie den Titel „Die Quintessenz im Meisterkampf“ trug. Denn, wir erinnern uns: Anfang 2008 gehörte der KSC als vielumjubelter Aufsteiger zu den Überraschungen der Saison 07/08. Dass er Ende des Monats nicht mehr aufgrund seines beherzten Auftretens, sondern dank eines gewissen Maik Franz in den Fokus der Öffentlichkeit geriet, versinnbildlich irgendwie den stetigen Verfall des aktuellen Tabellenfünfzehnten. Erwähnter Herr Franz reizte Mario Gomez so sehr, dass der Nationalspieler seinen terrier’esken Gegenspieler vor laufenden Kameras als „Arschloch“ bezeichnete. Sicherlich eine der relevanteren Diffamierungen des Jahres.

Am selben Spieltag hatte Diegos sein Tête-à-Bauch à la Zidane mit Frankfurts Kyrgiakos und Mark van Bommel bettelte bei Lutz Wagner solange um einen Platzverweis, bis er ihn endlich bekam. Und im Hintergrund trällerte John Paul Young unnachgiebig sein „Love is in the Air“.

Samstag, 20. Dezember 2008

2008x12 - Januar

Entscheidend is auf'm Platzhirsch des Monats:
Jürgen Klinsmann

Das Jahr 2008 auf Entscheidend is auf’m Platz begann mit etwas Verspätung am 4. Januar. Und wenn Peter Neururer der Erste ist, der sich zu Wort meldet, will man sich eigentlich direkt wieder hinlegen, nachdem man den Neujahrskater gerade erst um die Ecke gebracht hat. Erst recht, wenn er sich für den Trainerposten beim FC Bayern München ins Gespräch bringt. Dass das neue Jahr sogar für ihn einen Traumjob bereit halten sollte, konnte selbst der Schnäuzerträger da noch nicht ahnen. (Wie die Faust aufs Auge (5))

Ein paar Tage später war es dann jedoch ernsthaft so weit: Jürgen Klinsmann wurde auf einer Pressekonferenz beim Rekordmeister inthronisiert, die so vor Schmalz triefte, dass man damit die Butterbrote eines Bergarbeiters für die nächsten 20 Jahre beschmieren könnte. Das Meisterwerk der Selbstinszenierung hatte den Anstrich einer Götterdämmerung in München.

Desweiteren musste der „Budenzauber“ einsehen, dass seine letzten beiden Silben mittlerweile neururer’esk überflüssig sind (Hallenspe(c)ktakel). Sepp Blatter machte zum ersten Mal in seiner Laufbahn eine Aussage mit Gehalt und wunderte sich nachträglich über die Verpflichtung Fabio Capellos als Englischer Nationaltrainer (Des "Diktators" weise Erkenntnis). Beim FC Liverpool verkauft man derweil im Fanshop Hundenäpfe – John Terry läuft dennoch auch Ende des Jahres noch für Chelsea auf. In den Fanshops dieser Welt war eben auch 2008 "Für jeden was dabei".

Wenn die Sommerpause von Sommerlöchern lebt, tauchen in der Winterpause dann zwangläufig auch Winterlöcher auf? In eines dieser sagenumwobenen und höchst tückischen Exemplare fiel Mitte Januar der deutsche Sport. Gerüchte über diverse Wintersportler, die sich angeblich auf einer Wiener Blutbank fit halten sollen, machten plötzlich die Runde. Was kurzfristig zu einem Brainstorming anregte, ob Doping im Fußball überhaupt Sinn macht. „Nein“ lautete die Antwort, die per Zufallsprinzip in einem Presseverteiler unter anderem an Ibrahim Tanko, Josep Guardiola und Senad Tiganj versandt wurde. Die "Risse in der Wand" blieben trotzdem.

"Transferimperialist" Felix Magath brachte die Spielerverpflichtungsmaschine auch im Januar wieder kräftig in Gang. Magaths Gelüsten mussten Vlad Munteanu und Sergiu Radu weichen - in der 06/07 hatten beide noch den Klassenerhalt von Energie Cottbus personifiziert. Aktuell ist Munteanu wieder in Wolfsburg - und erneut auf dem Abstellgleis. Radu kickt mittlerweile in Köln. Gelegentlich.

Ein paar Spitzen in jenem Post konnte ich mir natürlich mal wieder nicht verkneifen. Wolfsburg zog nach Hinrundenplatz Elf noch in den Uefa-Cup ein. Cottbus hielt wider Erwarten die Klasse. Eine Erkenntnis des Jahres: Erstens kommt es im Fußball anders, zweitens als Jannik denkt.

Die Unbelehrbaren

Der DFB lernt wohl dazu und hat die Ticketpreise fürs Spiel gegen Norwegen gesenkt. Die Schlüsse aus leeren Sitzschalen beim Spiel gegen Wales scheinen jedoch gleich wieder verpufft zu sein. Gegen Liechtenstein kostet ein Platz auf der Geraden 60 bzw. 80 Euro. Dabei birgt ein schwacher Gegner nicht automatisch eine Torgarantie. Siehe Wales.

Eines wollen sie an der Otto-Fleck-Schneise wohl so schnell nicht mehr erleben: Dass ein Länderspiel nicht "ausverkauft" gemeldet wird. 44500 Zuschauer sollen sich angeblich die Partie gegen Wales in Mönchengladbach angesehen haben. Nur 1749 freigebliebene Plätze? Dabei hätte man mit den klaffenden Lücken im Borussia-Park ein ordentliches Drittligastadion bestuhlen können. Und das fasst mehr als 1749 Zuschauer.

Noch am Morgen war in den lokalen Tageszeitungen für das Spiel geworben worden. Gebracht hat es wenig. Und wer letztendlich zuhause blieb, fühlte sich von einer schwer mitanzusehenden Partie - stürmendes Deutschland, mauerndes Wales - absolut bestätigt.

Auch gegen Belgien kamen nur gut 34000 ins Bremer Weserstadion. Immerhin zogen die post-EM-Highlights gegen Russland und England die Massen wie gewohnt an. Dreimal erst gab es in der Ära Löw ein Heimspiel, bei dem nicht alle Tickets über den Tresen gingen. Zweimal war es das eher unliebsame Auftaktspiel einer Länderspielsaison - und nur einmal, an eben jenem 15. November gegen Wales, ein Pflichtspiel. Überhaupt blitzten erstmals seit der grauen Völler-Zeit wieder leere Sitze auf im weiten Rund, wenn es für die Nationalmannschaft um Punkte ging.

Dabei darf man nicht einmal die Mannschaft selbst als Zuschauervergrauler dastehen lassen. Ein Länderspielbesuch dürfte aus sportlicher Sicht lukrativer erscheinen denn je. Allein die horrenden Ticketpreise sind es, die die Mehrheit ins Grübeln bringen, ob es 148 Euro für einen Familienbesuch auf der Hintertortribüne im regnerischen November gegen einen wenig illustren Gegner wie Wales wirklich wert sind. Aber wie gesagt - der DFB hat anscheinend seine Schlüsse daraus gezogen. Am 11. Februar in Düsseldorf ist man bereits für 15 Euro in der Kurve dabei.

Gegen Wales mögen zwar drei Punkte im Kampf um die WM-Quali auf dem Spiel gestanden haben. Ein Duell mit den wiedererstarkten Norwegern um die Goldene Ananas wirkt auf mich jedoch weitaus verheißungsvoller. Für die Partie gegen Liechtenstein, die im März in Leipzig stattfindet, widerlegt der DFB seinen Lernprozess jedoch eigenhändig. Los geht's bei 25 Euro, selbst ein Platz in der Ecke kostet 40 Euro, auf der Geraden ist man erst mit dabei, wenn man bereit ist, mindestens 60 Euro zu berappen.

Womit sich mir der Reiz eines Platzes an der Mittellinie noch immer nicht erschließt. Die Wahrscheinlichkeit, ein Tor aus nächster Nähe zu beobachten ist logischerweise gleich Null. Im Durchschnitt dürfte der Ballführende Spieler genauso weit weg sein wie von der Hintertortribüne aus (wäre doch mal ein Auftrag an irgendeine Fakultät einer gelangweilten Fachhochschule aus einer 100.000-Einwohner-Stadt). Und die 22 Akteure sieht man letztlich zumeist von der Seite (erst Recht, wenn sie den "vertikalen Fußball" verinnerlichen).

An der Seitenlinie habe ich, wenn ich mich Recht entsinne, zuletzt im Oktober 2006 bei Hertha gegen Stuttgart gesessen. Doch im Olympiastadion ist man ja fast überall so weit weg vom Geschehen wie die Eiffelturmspitze vom Pariser Prinzenpark. Das Erscheinungsbild des Borussia-Parks, von der Mittellinie aus betrachtet, kenne ich sogar nur aus dem Fernsehen.

Freitag, 19. Dezember 2008

2008x12 - Intro

Ab dem 20. Dezember heißt es hier: Zurücklehnen, die Chipsbestände der örtlichen Discounter aufkaufen und das Fußballjahr 2008 noch einmal auf der Zunge zergehen lassen. 12 Tage lang geht es dann erbarmungslos auf die Reise durchs erste Kalenderjahr, das dieser Blog von vorne bis hinten, von links nach rechts und von oben bis unten erlebt hat.

Mit dabei: Atomar versuchtes Bier in Offenbach, geklaute Fahnen in Köln und eine EM im handlichen Tagebuch-Format. Auch mit von der Partie: Ein Rekordmeister, der gleichzeitig Rekordvizemeister ist und ein FCK, der erst begraben, dann reanimiert und schließlich wiedergeboren wurde. Dazu die Gewissheit, dass Deutschland das EM-Finale letztendlich aufgrund geografischer Ungereimtheiten verlor, „Hochjubeln“ vor dem Fall kommt und in Spanien nicht nur die Schwalben, sondern auch die Flaschen verdammt tief fliegen. Und natürlich alles über Vorzeigetrainervernichtungsanlagen, „linientreue“ und „Strich-affine“ Fußballer, abgebrochene Spiele, die noch gar nicht begonnen hatten, zwei Welt- und Europameister, die als Trainer die Welt bereichernreisen und zu guter Letzt jede Menge Statistiken, die die Welt nicht braucht, ohne die sie jedoch auch nicht überleben könnte.

Das alles wie gewohnt mit einem Schuss von Johannes B. Kerners „Emotionen“, Jogi Löws „högschder Dischziplin“, Franz Beckenbauers sprachlichem Feingefühl, Hitzfeld’scher „Mathematik“ und natürlich dem Wohlfühlfaktor von Peter Neururers Schnäuzer. Also: Morgen geht’s los mit dem gebloggten Fallrückzieher à la Klaus Fischer quer durch 258 Beiträge aus dem Jahr 2008.

Warum Uli Hoeneß doch Recht hatte

"Die Tabelle lügt nicht", werfen Fußballer und ihre Trainer gerne in den Raum, wenn es darum geht, ihrer Mannschaft eine Daseinsberechtigung für eine konkrete Tabellenposition zu erteilen, die sie gerade belegen. Auch in der internen Bundesliga-Fünfjahreswertung sieht es nicht anders aus. Herbstmeister: Die Bayern mit 14 Punkten. Ein ganzes Stück dahinter folgen Wolfsburg und Stuttgart mit 10, der HSV und Bremen mit 9 Zählern.

Ausgeschieden aus dem Europapokal ist seit gestern ein Trio aus Ost und West. Hertha und Schalke gesellen sich zum BVB, der bereits in der ersten Runde den Kürzeren gegen Udine gezogen hatte. Die Königsblauen hatten ihr Schicksal dabei nicht einmal selbst in der Hand und mussten gestern tatenlos zusehen, wie sich Santander und Paris im Fernduell ums Weiterkommen stritten. Einziger Trost für S04: Als Siebter der berüchtigten Rangliste liegt man immerhin vor Schwarzgelb und sichert sich somit neben der Revier- gleich die Westdeutsche Meisterschaft. Nach der Winterpause ist der Europacup aus deutscher Sicht reine Nord-Süd-Domäne und in München gab Uli Hoeneß süffisant zu Protokoll: 'Ich hab's doch gesagt - wir werden noch Herbstmeister.'

Fünf von einst acht deutschen Startern überwintern in Europa. Folgerichtig führt das Quintett die interne Fünfjahreswertung an - auch auf die einfache Fußballarithmetik (Sieg drei, Remis ein Zähler) umgerechnet. Im europapäischen Vergleich liegt die Bundesliga gemeinsam mit Frankreich auf Platz vier. Wobei die Franzosen nur mit sieben Mannschaften ins Rennen gegangen waren. Die weißeste Weste hat Italien (sieben von acht, 87,5%). Angeführt nach Punkten wird die Rangliste von der Primera División, die damit halbwegs auf Tuchfühlung zur Premier League bleibt.

Die 48 Europapokalstarter, 32 im Uefa-Cup und 16 in der Champions-League, kommen aus insgesamt 14 Nationen. Als prominenteste Vertreter mussten bislang Rumänien, Schottland und die Schweiz im Kollektiv die Segel streichen. Das am niedrigsten platzierte Land im Rennen ist Polen (Lech Posen). Für die größten Überraschungen haben die Ukrainer mit Zwischenrang fünf und die Dänen mit Platz sieben gesorgt. Die Ukraine darf auf einen festen Startplatz in der Königsklasse schielen, Dänemark träumt von einem zweiten Startplatz in der Quali und einem Fixstarter im Uefa-Cup.

Die Auslosung hat den Fünfen folgende Gegner beschert:

Sporting Lissabon - Bayern München (***)

NEC Nijmegen - Hamburger SV (**)
Paris St.-Germain - VfL Wolfsburg (***)
Werder Bremen - AC Mailand (*****)
Zenit St. Petersburg - VfB Stuttgart (****)

Die einzig wahre Bundesliga-Fünfjahreswertung:


Die komplette Fünfjahreswertung für Zahlenfetischisten

Europas Elite - die 14 verbliebenen Nationen:

1. Italien (7/8)
2. England (7/9)
3. Spanien (6/8)
4. Frankreich (5/7)
5. Deutschland (5/8)
6. Ukraine (3/4)
7. Niederlande (3/6)
8. Portugal (3/7)
9. Russland (2/4)
9. Griechenland (2/4)
11. Dänemark (2/5)
12. Polen (1/3)
13. Belgien (1/4)
14. Türkei (1/4)

Montag, 15. Dezember 2008

Ziege hat keinen Bock mehr

Der kicker hatte es heute ja schon verlauten lassen. Letztendlich musste er in dem Beitrag aus der Montagsausgabe nur den Konjunktiv in den Indikativ umändern und schon konnte vermeldet werden: Christian Ziege hat keinen Bock mehr und tritt zurück als Co-Trainer bei Borussia Mönchengladbach.

Da geht man am Freitagabend nach einem erneuten Tiefpunkt vom Tiefpunkt, frei nach Rudi Völler, in die Winterpause, um das Grauen der Hinrunde erst einmal sacken zu lassen und hat am Ende nicht einmal dazu ausreichend Zeit. Eine Hiobsbotschaft jagt die andere, obwohl die Nachricht von Zieges Rücktritt nicht unbedingt Trauer, Wehmut oder Enttäuschung hervorgerufen hat. Seine Beweggründe seien zwar allein "privater Natur". Doch ehrlich gesagt ist der Glaube an den Klassenerhalt weitaus größer als das Vertrauen in diese Begründung. Die sportlichen und personellen Umstände liegen einfach zu sehr auf der Hand.

Und wenn sich tatsächlich eine gravierende Entwicklung in seinem privaten Umfeld eingestellt haben sollte - Krankheit, Todesfall usw. -, die diesen Entschluss unumgänglich gemacht hat, dann darf man vom Co-Trainer eines Fußball-Bundesligisten zumindest erwarten, dass er etwas Transparenz zeigt und ein wenig konkreter wird. Andernfalls gilt: Weiterlesen.

Wie ein Geier ist Ziege in den vergangenen Monaten über dem Stuhl des Cheftrainers gekreist – wer gerade dort Platz genommen hatte, spielte im Prinzip keine Rolle. Ein gewisser Markus Babbel, einst Zieges Kollege bei den Bayern, beim FC Liverpool, in der U21 und in der A-Nationalmannschaft, hat vorgemacht, wie man sich heimlich, still und leise zum Teamchef mausern kann. Ziege wollte offensichtlich den anderen Weg wählen und solange in Meyers Rücken verharren, bis er ihn mit einem gezielten Schuss aus dem Amt kegeln konnte. Doch das geduldige Warten wurde ihm durch die harsche Kritik, besonders von Rädelsführer Meyer, am ominösen „Kompetenzteam“ deutlich erschwert, in dem er als Sportdirektor sozusagen hauptverantwortlich für die Kaderzusammenstellung war. Also zog er jetzt die Konsequenzen aus dem Durcheinander der letzten Wochen und nahm einen Teil der Schuldenlast auf sich.

Sicherlich ist es im Nachhinein immer leicht, einen ehemaligen Aufstiegshelden plötzlich als gescheiterten Königsmörder darzustellen. Rückblickend jedoch erscheint nun schon Zieges Verpflichtung als Spieler im Sommer 2004 in einem anderen Licht. Der damals 32-jährige hielt noch gut ein Jahr durch und beendete nach nur 13 Partien für die Borussia im Oktober 2005 seine aktive Laufbahn. Holger Fach hatte ihn zuvor noch zum Kapitän befördert und irgendwie fragt man sich unweigerlich, ob ein Spieler wie Ziege seinen körperlichen Zustand nicht wenigstens halbwegs realistisch einzuschätzen konnte – um zu dem Schluss zu kommen: hier geht nicht mehr viel.

Der 72-malige Nationalspieler machte in aller Ruhe den A-Trainer, trainierte anschließend Gladbachs U17. Im Frühjahr der Abstiegssaison musste Peter Pander seinen Hut als Sportdirektor nehmen. Ziege übernahm den Posten, obwohl er bislang keinerlei Erfahrung in diesem Bereich gesammelt hatte. Als Jos Luhukay im Oktober entlassen wurde, gingen viele eigentlich davon aus, dass es das einstige Erfolgsduo nur im Doppelpack gäbe. Doch offensichtlich waren die Fronten zwischen beiden da schon so sehr verhärtet, dass Ziege seinen Kopf noch aus der Schlinge ziehen konnte und zunächst einmal die Konsequenzen der Misere nicht mitzutragen hatte.

Irgendwie gelang es ihm wohl, sich im Zuge von Hans Meyers Verpflichtung auf den Stuhl des Co-Trainers zu schmuggeln – als Chefcoach in spe sozusagen. Ganz ehrlich: Auch ich ging davon aus, dass es für Meyer allein um das Projekt Klassenerhalt gehe und Ziege bei erfolgreichem Abschluss der Mission die nächste Stufe auf der Karriereleiter nehmen würde. Doch in den vergangenen Wochen, als nach ordentlichem Auftakt für Meyer die Sache plötzlich mit vier Pleiten in Serie aus dem Ruder geriet, nahm die einst hoffnungsvolle Verheißung, mit Christian Ziege in absehbarer Zeit den ersehnten Trainertyp der neuen Generation zu bekommen, eher bedrohliche Züge an. Die Borussia dürfte sich nach seinem Rücktritt wie ein provinzielles Mädchen fühlen, das auf dem Schützenfest von einem Jungen aus der Großstadt mächtig verarscht worden ist.

Jetzt ist er eben weg und vielleicht war sein Abgang nur der Anfang. Ziehen andere nach, die in den vergangenen Jahren in sportlicher Hinsicht weitaus gravierender versagt haben, könnte es zu Weihnachten doch noch eine unverhoffte Bescherung geben. Denn vielleicht bekommt der stinkende Fisch namens Borussia dann endlich seinen heiß ersehnten und längst überfälligen neuen Kopf. Ein erfreuliches Geschenk wäre es mit Sicherheit. Auch wenn diese Eskapaden genauso eine traurige Gewissheit enthüllen: Der Mythos hat das Wasser bis zum Hals stehen und versinkt langsam, aber sicher im Chaos.

Samstag, 13. Dezember 2008

Mission 40/17:
Ohne Netz und doppelten Boden

Die Borussia steckt eine bittere Pleite im Duell mit der Namenscousine aus Dortmund ein und überwintert am Tabellenende. Was das für eine grüne Weihnachtsbaumkugel bedeutet, warum Tony Jantschke trotz Jochbeinbruchs Gehirnerschütterung zu den Gewinnern des Abends zählte und die Antwort auf die Frage, warum „wir uns das überhaupt noch antun“.

Winterpause. Selten steckten in diesem Wort so viel Hoffen und Bangen zugleich. Einerseits herrscht Erleichterung, dass nun sieben borussialose Wochen ins Haus stehen. Sieben Wochen, um sich von den Leiden einer Hinrunde zu erholen, die Stephen King nicht horrormäßiger inszenieren könnte. Andererseits ist da dennoch ein gewisses Maß an Ungeduld. „Entscheidend is“ ja bekanntlich „auf’m Platz“. Da passen sieben Wochen Preißler’sches Nichtstun nicht so recht ins Bild (Preißler’sches Nichtstun = keine Punktspiele). Schließlich will man ja wissen, ob der Horror ab dem 31. Januar weitergeht oder endlich ein Ende findet.

Eigentlich bin ich es leid, jede zweite Rekapitulation einer Niederlage mit den Worten „dabei fing es gar nicht so schlecht an“ zu beginnen. Doch es liegt ja nicht an mir, dass die Borussia inflationär viele Gelegenheiten dazu bietet und in dieser Hinrunde ein Gesicht gezeigt hat, das seinen Namen kaum noch verdient. Also dann, auf ein Neues: Dabei fing es gar nicht so schlecht an.

Das schlechteste an der Anfangsphase (wobei „schlecht“ in Sachen VfL häufig mit „merkwürdig“ oder „gewöhnungsbedürftig“ gleichzusetzen ist) dürften die winterlichen Temperaturen und Hans Meyers Aufstellung sein, die wie einst am 6. Spieltag in Hamburg Erinnerungen an Bern '54 weckt. 3-2-2-2-1 oder doch 5-2-2-1? Wer jetzt noch auf die Gewinnzahlen des Spiels 77 wartet, ist hier zwar fehl am Platz. Die Verwirrung wäre dennoch nachvollziehbar. Es gibt weitaus leichtere Aufgaben, als zu erklären, wie dank dreier Änderungen im Vergleich zum Leverkusen-Spiel aus einem astreinen 4-2-2 mit Mittelfeld-Raute auf einmal ein System wird, das Horst Eckel heute noch mit der Zunge schnalzen lässt.

Der gelbgesperrte Daems wird von Brouwers ersetzt. Der etatmäßige zentrale Mittelfeldspieler Bradley rückt für den gelernten Sechser Alberman in die Startelf, wobei Bradley diesmal den Sechser mimt, während Alberman gegen Leverkusen noch eine Außenposition in der Raute belegt hatte. Patrick „Michael Johnson“ Paauwe tut derweil so, als würde er Libero spielen. Wobei sich Jantschke vor der Abwehr weitaus geschickter dabei anstellt, auf des „Kaisers“ Spuren zu wandeln. Doch Tony Jantschke hat in diesem Abschnitt noch gar nichts zu suchen. Schließlich blieb für ihn taktisch alles beim Alten. Matmour ersetzt zu guter Letzt Colautti, womit Rob Friend wieder allein auf weiter Flur den Strafraum des Gegners beackert. Marin darf, muss und soll wieder zurück auf links, nachdem er sich gegen Leverkusen als echter Zehner hinter den Spitzen noch Bestnoten verdient hatte.

Hans Meyer hat es wahrlich nicht leicht. Aber wer es nicht leicht hat, kann sich das Leben – und das beweist dieses Startelfharikiri in beeindruckender Art und Weise – dennoch zusätzlich schwer machen. Einmal beließ einer der drei Borussentrainer dieser Vorrunde im Vergleich zur Vorwoche alles beim Alten. Gegen Hannover schickte Jos Luhukay dieselbe Elf auf den Platz, die gegen Bremen die bis heute wohl beste Saisonleistung gezeigt hatte – und verlor mit 1:5. Ganz so schlimm wurde es danach nicht mehr. Seit dem zehnten Spieltag, dem 0:3 in Wolfsburg, verlor Gladbach nie mehr mit mehr als zwei Toren Differenz und erzielte in jedem der darauffolgenden sechs Spiele mindestens einen Treffer. Was mich in den Anfangsminuten zu einer Erkenntnis führt, wie Berti Vogts, Rudi Völler und Alexandar Ristic sie zusammen nicht schöner formulieren könnten: Wenn wir zu Null spielen, nehmen wir auf den Fall was mit aus Dortmund.

Zwanzig Minuten sind rum im Signal-Iduna-Park, als es den Anschein hat, dass das Schlusslicht der Bundesliga sich sowohl im Angriff als auch in der Abwehr untreu wird. Bis auf eine kleine Drangphase des BVB in den ersten Minuten, als Gohouri und Co. wohl austesten wollten, ob dieser Subotic wirklich so gefährlich nach Standards ist, hat sich die Gladbacher Defensive bislang von ihrer besten Seite gezeigt. Nachdem Friend und Konsorten in den Spielen zuvor noch tausend Chancentode gestorben waren, hielten sie sich in den ersten Minuten vornehm zurück. Getreu dem Motto: Wer keine Chancen bekommt, kann auch keine vergeben. Dass dies das Motto der gesamten 90 Minuten werden sollte, war ursprünglich nicht vorgesehen.

Während die Strafräume des Gegners für beide Mannschaften noch Böhmische Berge sind, ist der Acker um den Mittelkreis schon dreimal umgepflügt worden. Führend am Pflug: Gladbachs Youngster Tony Jantschke, der Dortmunds größten Gefahrenherd, Tamas Hajnal, bis zu diesem Zeitpunkt mit einer Ruhe und Eleganz abkocht, die fast schon „kaiserliche“ Züge trägt. Mir ist es zwar vergönnt geblieben, Franz Beckenbauer in jungen Jahren zu erleben. Doch so ähnlich muss es anno 1966 ausgesehen haben.

Leider sind die Fohlen im Dezember ein derart zweischneidiges Schwert, dass man selbst einem aufstrebenden 18-jährigen neben all der frohen Verheißung für die Zukunft auch etwas Negatives abgewinnen muss. Jantschke ist in Hälfte eins nämlich der einzige, der weder mit Passivität noch mit Stümperhaftigkeit Aufsehen erregt, sondern den Riegel vor der Gladbacher Fünferkette besonnen und vollkommen unaufgeregt zusammenhält. Ein Bundesligist an zwei seidenen Fäden, die 18 und 19 Jahre alt sind. Jantschke und Marin als Hoffnungsträger. Erschreckend schön.

Keine Torchancen, keine erfrischenden Angriffe, nicht einmal ein paar Kabinettstückchen, die das Stückwerk der ersten halben Stunde irgendwie retuschieren könnten. Das einzig Nennenswerte: Tamas Hajnal sieht die gelbe Karte von Schriri Knut Kircher. In der Sportschau tritt man solchen Ausschnitten immer mit einem verwunderten „Na und?“ entgegen, um binnen einer Sekunde festzustellen, dass die Regie sich etwas dabei gedacht haben wird, eine Allerweltsverwarnung in den Spielbericht einzubauen.

Doch bevor das Sportschau-Rätsel aufgelöst wird, steigt der Puls der Beteiligten erstmals in den dreistelligen Bereich. Steve Gohouri jubelt noch während einer Kopfballabwehr so ausgelassen über den gewonnenen Zweikampf, dass er den Ball genau vor Zidans Füße klärt. Der Ägypter zieht ansatzlos ab und schon schlägt es fünf vor zwölf. 80.000 werden unerwartet aus dem Schlaf gerissen. Dortmund führt mit 1:0 und zerschlägt Gladbachs bescheidene Hoffnung, erstmals seit dem 12. Spieltag nicht ins Hintertreffen zu geraten. Hätte Heimeroth nicht sieben Meter vor dem Tor gestanden, wäre es möglich gewesen, noch zwei, drei Fingerspitzen an den wenig platzierten Sonntagsschuss zu bekommen. Doch man kann dem viel gescholtenen Keeper kaum einen Vorwurf machen. Wer kann schon damit rechnen, dass der Ball nach einer scheinbar erfolgreichen Kopfballabwehr innerhalb von zwei Sekunden mit 100 Stundenkilometern zurückgeflogen kommt? Wobei ein Torwart, der in der Defensive gezwungenermaßen auf Steve Gohouri zählt, eigentlich auf alles vom Meteoriteneinschlag bis zur Sintflut gefasst sein muss.

Plötzlich ertönt Jürgen Wegmanns Stimme. Die „Kobra“ gibt wie gewohnt seinen Klassiker zum Besten: „Erst hatten wir kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu.“

Übrigens tauscht der unberechenbare Gohouri bereits in der Halbzeit das Trikot mit dem Torschützen Zidan. Ich bin eigentlich kein Fan von Ausrufezeichnen zur Verdeutlichung eines schier unfassbaren Sachverhaltes. Hier jedoch ist es unumgänglich. Ausrufezeichen!

In der 37. Minute wird Christofer Heimeroth plötzlich wieder geweckt, der innerhalb von zwei Minuten eingenickt war. Vielleicht muss er Roman Weidenfeller, mit dem er zuvor eine halbe Stunde lang über die Vorzüge einer Handy-Flatrate am Telefon geplaudert hatte, auch einfach nur kurz mit den Worten „Moment, Roman, ich muss mal eben aus dem Tor, es hat geklingelt“ vertrösten. Nach einer Flanke schmeißt Gladbachs Keeper entschlossen den Hörer zur Seite und stürmt aus dem Tor, um den Ball sicher zu ergattern. Heimeroth ist schon wieder auf dem Weg zurück, um den Telefonhörer zu suchen, als plötzlich Tamas „Der Verwarnte“ Hajnal auf ihn zugerauscht kommt und ihm mit den Stollen die ungarische Nationalhymne in den Oberschenkel ritzt.

Gladbachs Keeper wird ein paar Minuten lang behandelt, die Wunde getackert. Vielleicht dauert es auch nur so lange, weil der Mannschaftsarzt kurz verweilt, um Versen wie „Kedves öröm röpkedtek“ ein wenig Bewunderung zu schenken (was so viel heißt wie „Freude und Glück fliegen“). Hajnal nimmt sich diesen Ausschnitt sogar so zu Herzen, dass er in der Folge selber fliegt – vom Platz. Gladbach wird die letzten 52 Minuten in Überzahl spielen und auf einmal ist ein dumpfer Schlag zu vernehmen. Jürgen Wegmann ist kurzerhand ausgeknockt worden.

Noch vor der Pause jedoch rappelt sich die „Kobra“ auf und schleppt sich mit letzter Kraft zum Mikro, um zu verkünden: „Ich hab‘s euch doch gesagt. Erst hatten wird kein Glück, dann…“

Tony Jantschke, wir erinnern uns – der Beckenbauer-Verschnitt, liegt nämlich benommen am Boden. Gladbachs einziger Hoffnungsträger einer ersten Halbzeit, die bis auf ein Tor und einen Platzverweis gar nicht existiert hat, ist gerade von Dortmunds Błaszczykowski (der mit den sechs Konsonanten hintereinander) übel mit dem Ellbogen getroffen worden. „Kuba“ sieht dafür die Gelbe Karte, Jantschke sieht dafür anscheinend erst einmal gar nichts mehr. Mit hängenden Armen wird der 18-jährige vom Platz getragen und mit ihm ein so großer Hoffnungsschimmer, dass das Flutlicht eigentlich von jetzt auf gleich ausgehen müsste. Am 12. Dezember um 21:21 Uhr ist es eine Szene, die kaum symbolischer für eine alptraumhafte Hinrunde stehen könnte.

Jochbeinbruch lautet die erste Diagnose. Wer mit vollem Tempo gegen einen „stehenden“ Ellbogen läuft, muss schon verdammt schnell unterwegs sein, um sich das Jochbein zu brechen. Man muss schon verdammt hart zuschlagen, um einem stehenden Spieler mit dem Ellbogen das Jochbein zu brechen. Und selbst wenn der Getroffene sich bewegt, bedarf es immer noch eines gezielten und wuchtigen Schlages, um einem Spieler mit dem Ellbogen das Jochbein zu brechen. Soviel an dieser Stelle zum Thema Jochbeinbrüche aus dem Buch „Gesichtsfrakturen, die man nicht einmal seinem ärgsten Feind wünscht“.

Colautti kommt in Minute 45+5 für den ohnmächtigen Jantschke, der trotz Bewusstlosigkeit zu den glücklichsten Borussen zählt. Denn alles, was danach noch kommt, kriegt er nicht mehr mit. Hans Meyer ergreift demnach gleich die Gelegenheit, zwei Fliegen mit einer Klatsche zu schlagen, und reagiert auf die Überzahl seiner Mannschaft.

Eigentlich müsste jedes Team, das solch eine dürftige Leistung wie der BVB gezeigt und zudem noch eine Hälfte lang in Unterzahl zu spielen hat, mit schlotternden Knien aus der Kabine kommen und einem Sturmlauf des Gegners ängstlich ins Gesicht blicken. Doch das macht eben diesen elendigen Reiz der Gladbacher Vorrunde aus: Normal ist nur das Unnormale.

Und ironischerweise ist es genau dieses unausgewogene Verhältnis zwischen Logik und Realität, das den Tabellenletzten so berechenbar macht. Denn zu Beginn der zweiten Hälfte scheint klar: Gladbach wird die ersten zehn Minuten anstürmen – bis die Drangphase von einem Gegentor aus heiterem Himmel jäh beendet wird. Mit dem letzten Teil der Prophezeiung sollte ich sogar Recht behalten. Wobei ein Stelldichein des erhofften Gladbacher Offensivspektakel weitaus positiver gewesen wäre.

Und so kommt es, wie es kommen muss: Dorda, Brouwers und Gohouri kümmern sich zu Dritt zum Kuba. Paauwe trabt lässig hinterher. Es fehlt nur noch eine wehende Mähne, die er dabei lasziv traktieren würde wie ein gebräunter Adonis-Verschnitt. Doch das wäre dann auch zu viel der Arroganz. Während der trabende Captain sich also im Flutlich sonnt, macht Tobias Levels ausnahmsweise alles richtig und rückt an Zidans Seite in die Mitte. Dass dadurch die gesamte linke Seite offen ist wie diverse Großdiscounter samstags um 20:30 Uhr, geht also nicht einmal auf seine Kappe. Der eingewechselte Sahin hat deshalb keine Mühe, zum 2:0 einzuschieben und damit zum fünften Mal in Folge dafür zu sorgen, dass der VfL mit exakt diesem Resultat ins Hintertreffen gerät. Zu Beginn dieser erschreckenden Serie hatten Friend und Bradley wenigstens noch innerhalb von 137 Sekunden den Ausgleich gegen die Bayern besorgt. Vier Wochen später ist das zweite Gegentor – wie so oft – das Gladbacher Todesurteil.

Nach dem 0:3 durch Helmes letzte Woche hatte ich mir eine „richtig herbe Klatsche“ gewünscht, um die klaffenden Wunden noch weiter aufzureißen. Kaum war es ausgesprochen bzw. geschrieben, raffte sich die Borussia auf und brachte Bayer unverhofft ein wenig in die Bredouille. Und weil in Gladbach sogar die Berechenbarkeit berechenbar ist, kommt es, wie es zu kommen hat: Van den Bergh trifft glücklich, beherzt und mit dem zweiten Sonntagsschuss des Abends zum 1:2. Dass da bereits 80 Minuten gespielt sind, in der Zwischenzeit wenig passiert ist und ich zur selben Zeit „mal eben für kleine Jungs“ bin, ist eine scheinbar kleine Randnotiz mit großer Aussagekraft.

Zum dritten Mal in Folge nehme ich ein Tor der Borussia im Sitzen zur Kenntnis. Zum dritten Mal in Folge will sich nicht so recht Freude einstellen. Wer in den letzten zehn Minuten eine BVB-Brille trägt und sich noch um die scheinbar sicheren drei Punkte sorgt, der verschwendet ein paar wertvolle Fünkchen seiner Energie. Gladbach drängt nämlich genauso wenig auf den Ausgleich wie „Die Linke“ auf die Wiedereinführung der Monarchie.

Die vierte Pleite in Serie ist kurz darauf besiegelt. Wer eine 1:2-Niederlage nach zuletzt drei 1:3-Spielen in Serie als Fortschritt empfindet, der glaubt vermutlich auch ans Christkind und trägt Heiligabend ein Mario-Barth-T-Shirt, weil er es „so unendlich lustig“ findet. Vor einer Woche habe ich noch fest daran geglaubt, dass drei fundierte Neueinkäufe – ein Torwart, ein Innen- und ein Außenverteidiger – die Rettung bringen könnten. Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass selbst fünfzehn Zu- und ebenso viele Abgänge dieses Unterfangen kaum erleichtern würden.

Vier Millionen für Steve Gohouri? Wer so verrückt ist, ein derartiges Angebot überhaupt in die Welt zu setzen, der sollte auch dafür bestraft werden, indem er den Zuschlag erhält. Meinetwegen könnten wir uns auf 3,8 einigen. Wenn schließlich selbst ein prädestinierter Führungsspieler wie Patrick Paauwe nur noch mit Passivität, Arroganz und Stümperhaftigkeit glänzt, dann weiß ich selbst weder ein noch aus. Und angesichts eines erneuten Kaufrausches, der vonnöten ist, der sich anbahnt, jedoch nicht in den Ausmaßen von 2005 vollzogen werden wird, bleibt nur ein einziger Schluss: Der Fisch stinkt vom Kopf. Und wenn der Fisch schon nicht in seiner ganzen stinkenden Fülle ausgetauscht werden kann, dann sollte er wenigstens den ersehnten neuen Kopf erhalten.

Es ist schier unerklärlich, wie ein Verein, der sich nicht umsonst mit dem „Mythos“ rühmt innerhalb so kurzer Zeit zum wiederholten Male vor die Wand gefahren werden kann. Die leidgeprüfte Fanbasis, das hochgelobte Stadion, die soliden finanziellen Grundlagen – all das steht in krassem Gegensatz zum Ertrag. Die Borussia ist auf dem besten Weg, zur Fahrstuhlmannschaft zu verkommen.

Spiele wie diese sind es dennoch, die immer wieder daran erinnern, warum man sich „das eigentlich noch antut“. Es ist nicht die Identifikation mit einer Söldnertruppe, gespickt mit wenigen Lichtblicken aus dem eigenen Nachwuchs, die diese unnachahmliche Anziehungskraft ausübt. Auch wenn es für Außenstehende vielleicht zu pathetisch klingt: Allein der Mythos ist es, der – ganz bewusst ohne Anführungszeichen – diesen Klub am Leben hält. Und wenn es schon nur die Jantschkes und Marins sind, die wenigstens ein paar Sympathiepunkte erringen, dann können wir die Blumentöpfe, die wir mit solch einer Mannschaft gewinnen, wenigstens mit unseren Eigengewächsen bepflanzen.

Somit werden wir auch beim nächsten Spiel da sein. Ist doch klar. Und wir werden verharren, wie wir es seit Jahren tun. Auf die seltenen Momente warten, die uns daran erinnern, warum wir uns das ganze Leid – wie gerade thematisiert – überhaupt noch antun: Weil wir nicht anders können und weil es diese 137 Sekunden gegen Bayern sind, die noch lange danach einen Widerhall finden und über vieles hinwegtrösten. Auch wenn – und das ist ja das Traurige an der Sache – solche ekstatischen Momente am Ende einen einzigen Punkt bringen und uns einmal in 17 Spielen wiederfahren.

Mein Großvater hängt Jahr für Jahr eine grüne Kugel mit Borussenraute an den Weihnachtsbaum. Jedes Jahr findet sie ihren Platz gemäß des Tabellenstandes zur Winterpause. 2007 hing sie direkt unter der Spitze. Diesmal wird sie sich ganz unten einfinden. Obwohl die Hoffnung gestern Abend weiter geschwunden ist, lebt sie als dezentes Kammerflimmern weiter. Ist doch klar.